Ludwig Binswanger

13.04.1881, Kreuzlingen, Schweiz
05.02.1966, Kreuzlingen, Schweiz

Am 13.4.1881 in Kreuzlingen in der Schweiz in eine Schweizer Psychiater-Dynastie (Sanatorium Bellevue in Kreuzlingen am Bodensee) hineingeboren.
Sanatorium Bellevue in Kreuzlingen:
Sein Großvater erwirbt 1857 die Liegenschaft in Kreuzlingen am Bodensee, gründet ein Asyl für Geisteskranke und lebt dort eine Form therapeutischer Gemeinschaft mit den Kranken, die zumeist aus der Oberschicht kommen, dem russischen, deutschen oder italienischen Adel angehörend, wohlhabende Bürgerliche, intellektuell und künstlerisch interessiert. Sein Vater leitet die psychiatrische Privatklinik - das Sanatorium »Bellevue« in Kreuzlingen ab 1880.
Patienten des Bellevue waren u.a.: der russische Tänzer Nijinski, der Schauspieler Gustaf Gründgens, der Kunsthistoriker Aby Warburg, Ernst Ludwig Kirchner, der in Kreuzlingen 22 Holzschnitte schuf - und auch Breuers Patientin Berta Pappenheim - »Anna 0.«. 
Medizinstudium in Lausanne, Zürich, Heidelberg (bei Prof. Karl Bonhoeffer), Jena (bei seinem Onkel Prof. Otto Binswanger, Ordinarius für Neurologie und Psychiatrie).
1906/1907 Volontärarzt am Burghölzli in Zürich. Lernt die Psychoanalyse und die dort arbeitenden psychoanalytischen Pioniere Bleuler und C.G. Jung kennen. 1907 Promotion in Medizin mit „Die psychogalvanischen Reflexphänomene im Assoziationsexperiment“ bei C. G. Jung. Nach dem Studium Arzt, ab 1910 (bis 1956 Leiter) des Sanatoriums Bellevue in Kreuzlingen.
Ludwig Bisnwanger und Sigmund Freud:
1907 erster Besuch Binswangers bei Freud, Beginn einer lebenslangen Freundschaft. Am 6. 3. 1907 ist Ludwig Binswanger mit Jung zu Gast in der Psychologischen Mittwochgesellschaft.
1910 wird Ludwig Binswanger 1. Vorsitzender der Züricher Ortsgruppe der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung, die sich im Juni 1910 als Zweigvereinigung der IPV konstituiert.
1912 Ludwig Binswanger muss sich einer schweren Tumoroperation unterziehen und Sigmund Freud besucht ihn.
1913 Binswanger vollzieht Jungs Bruch mit Freud nicht mit. Er wird Mitarbeiter der Internationalen Zeitschrift für ärztliche Psychoanalyse und als die Schweizer Gruppe aus der IPV austritt bis zur Gründung einer neuen Schweizerischen Gesellschaft für Psychoanalyse 1919, Mitglied der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung.
„Ich ziehe diese Gruppe vor, weil ich durch meinen Eintritt in dieselbe am ehesten meine Verehrung und Bewunderung für Sie und meine Anhänglichkeit dokumentieren zu können glaube.“ (Brief an Freud vom 28. Juli 1914)
1936, zu Freuds 80. Geburtstag, hält Ludwig Binswanger im Akademischen Verein für Medizinische Psychologie den wissenschaflichen Festvortrag zu „Freuds Auffassung vom Menschen im Lichte der Anthropologie.
Binswanger beginnt in seiner Klinik psychoanalytische Methoden anzuwenden, Freuds Theorie fand er ergänzungsbedürftig und versuchte sie mit der Phänomenologie Husserls, der Hermeneutik Diltheys und der Daseinsanalytik Heideggers zu verbinden, was ihn schließlich zur Gründung der Daseinsanalyse führte.
1922 publiziert Binswanger sein erstes Hauptwerk: Einführung in die allgemeine Psychologie.
1942 erscheint sein zweites Hauptwerk: Grundformen und Erkenntnis des menschlichen Dasseins.

Am 5.2.1966 stirbt Ludwig Binswanger in Kreuzlingen.

»Ganz abweichend von so vielen anderen haben Sie nicht zugelassen, daß Ihre intellektuelle Entwicklung, die Sie meinem Einfluß immer mehr entrückte, auch unsere persönlichen Beziehungen zerstöre, und Sie wissen nicht, wie sehr eine solche Feinheit dem Menschen wohltut.« (Sigmund Freud an Ludwig Binswanger, 11.1.1929).

Literatur:

Briefwechsel mit Sigmund Freud:
Fichtner, Gerhard (Hg.) (1992): Sigmund Freud - Ludwig Binswanger. Briefwechsel 1908-1938. Frankfurt: S. Fischer.

Werkausgabe:
Binswanger, Ludwig (1992-1994): Ausgewählte Werke in 4 Bänden. Hg. Hans-Jürg Braun.  Heidelberg: Asanger 1992–1994.
(1992): Band 1: Formen missglückten Daseins. Hg. Max Herzog.
(1993): Band 2: Grundformen und Erkenntnis menschlichen Daseins. Hg. Max Herzog und Hans-Jürg Braun.
(1994): Band 3: Vorträge und Aufsätze. Hg. Max Herzog.
(1994): Band 4: Der Mensch in der Psychiatrie. Hg. Alice Holzhey-Kunz.

Binswanger, Ludwig (1907-08): Über das Verhalten des psychogalvanischen Phänomens beim Assoziationsexperiment. Diagnostische Assoziationsstudien. XI. Beitrag. J. Psychol. Neurol. 10, 149-81; 11 (1908), 65-95, 133-53. (Zugleich Med. Diss. Zürich).
Binswanger, Ludwig (1910): Über Entstehung und Verhütung geistiger Störungen. Nach einem in der Ortskrankenkasse Konstanz am 1. März gehaltenen Vortrag. Romanshorn: Koch.
Binswanger, Ludwig (1922): Einführung in die allgemeine Psychologie. Berlin.
Binswanger, Ludwig (1928): Wandlungen in der Auffassung und Deutung des Traumes. Berlin.
Binswanger, Ludwig (1930): Traum und Existenz. Neue Schweizer Rundschau, 673-685; 766-779. Auch als Broschüre: Zürich: Girsberger 1930.
Binswanger, Ludwig (1932): Zur Geschichte der Heilanstalt Bellevue. 1857–1932. Zürich.
Binswanger, Ludwig (1936): Freuds Auffassung des Menschen im Lichte der Anthropologie. Erweiterter Festvortrag gehalten zur Feier des 80. Geburtstags von Sigmund Freud im Akad. Verein für medizin. Psychologie. Wien.
Binswanger, Ludwig (1942): Grundformen und Erkenntnis des menschlichen Daseins. Zürich.
Binswanger, Ludwig (1946): Über Sprache und Denken. Basel.
Binswanger, Ludwig (1949): Henrik Ibsen und das Problem der Selbstrealisation in der Kunst. Heidelberg.
Binswanger, Ludwig (1949): Die Bedeutung der Daseinsanalytik Martin Heideggers für das Selbstverständnis der Psychiatrie.
Binswanger, Ludwig (1954): Über Martin Heidegger und die Psychiatrie. Festschrift zur Feier des 350jährigen Bestehens des Heinrich-Suso-Gymnasium zu Konstanz.
Binswanger, Ludwig (1956): Erinnerungen an Sigmund Freud. Bern.
Binswanger, Ludwig (1956): Drei Formen missglückten Daseins. Verstiegenheit, Verschrobenheit, Manieriertheit. Tübingen.
Binswanger, Ludwig (1957): Schizophrenie. Pfullingen.
Binswanger, Ludwig (1957): Der Mensch in der Psychiatrie. Pfullingen.
Binswanger, Ludwig (1960): Melancholie und Manie. Phänomenologische Studien. Pfullingen.
Binswanger, Ludwig (1960): Melancholie und Manie. Phänomenologische Studien. Pfullingen.
Binswanger, Ludwig (1965): Wahn. Beiträge zu seiner phänomenologischen und daseinsanalytischen Erforschung. Pfullingen.
Binswanger, Ludwig (1992): Traum und Existenz. Einleitung von Michel Foucault. Bern, Berlin:  Gachnang & Springer.
Binswanger, Ludwig (2005): Aby Warburg: La guarigione infinita. Storia clinica di Aby Warburg. A cura di Davide Stimilli. Vicenza. (dt: Die unendliche Heilung. Aby Warburgs Krankengeschichte. Zürich/Berlin: diaphanes 2007).

Sekundärliteratur, Quellen:
Gnann, Julia (2005): Binswangers Kuranstalt Bellevue 1906-1910. Dissertation, Universität Tübingen. http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:21-opus-22390 [22.8.2010]
Gubatz, Thorsten (2005): Binswanger. In: Jürgen Mittelstraß (Hg.): Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. Bd. 1. 2005 (2. Aufl.). Stuttgart, Weimar: Metzler, 469f.
Jones, Ernest (1962): Sigmund Freud. Leben und Werk. Band II und III. Bern: Huber.
Löwenfeld, Henry (1967): In Memoriam. Ludwig Binswanger. Journal of the American Psychoanalytic Acossiation 15, 45f.
Rattner, Josef (1990): Ludwig Binswanger. In: J. Rattner: Klassiker der Tiefenpsychologie. München: Psychologie Verlags Union.
Volpi, Franco (Hg.) (1999): Großes Werklexikon der Philosophie. Stuttgart: Kröner.
http://de.wikipedia.org/wiki/Ludwig_Binswanger

Text, Redaktion: Christine Diercks, 22. 8. 2010

Psychiater, Leiter des Sanatoriums Bellevue in Kreuzlingen, Begründer der Daseinsanalyse.

1910-1914 Mitglied und Vorsitzender der Züricher Ortsgruppe der Internationalen Psychoanalytichen Vereinigung, 1914-1919 Mitglied der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung. 1919 Gründungsmitglied der Schweizerischen Gesellschaft für Psychoanalyse.