Aichhorn T. Zur Wiedereröffnung der WPV und zur Präsidentschaft August Aichhorns – 1946-1949

Thomas Aichhorn

Gentzgasse 125/13

1180 Wien

thomas.aichhorn@chello.at

Zur Wiedereröffnung der WPV und zur Präsidentschaft August Aichhorns – 1946-1949.[1]

Zusammenfassung:

August Aichhorns vordringlichstes Ziel nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft und dem Kriegsende war es, die Wiener Psychoanalytische Vereinigung (WPV) wiedereröffnen zu können und den Kontakt mit der International Psychoanalytischen Vereinigung (IPV) wiederherzustellen. Wichtig wäre es für ihn gewesen, Mitglieder der „alten“ WPV dazu zu bewegen, ihn beim Wiederbeginn und vor allem bei der Ausbildung zu unterstützen. Dazu ist es schließlich nicht gekommen. Nach langwierigen Vorbereitungen konnte die Vereinigung am 10. April 1946 festlich wiedereröffnet werden. In einem Schreiben vom 26. Juli 1946 bestätigte Ernest  Jones, damals Präsident der IPV, die WPV als Mitglied der IPV.  Jones’ Beschluss wurde vom nächsten Kongress der IPV, der 1949 in Zürich stattfand, bestätigt. Die WPV nahm ihre Tätigkeit umgehend wieder auf, ein Lehrinstitut, ein Ambulatorium und eine Erziehungsberatungsstelle wurden eröffnet.  Ihre Lehr- und Kontrollanalysen setzten die „neuen“ Mitglieder der WPV bei Aichhorn, Fleischmann oder Jokl, die aus der Emigration nach Wien zurückgekommen waren, fort.  Zusätzlich zu seiner Arbeit als Lehr- und Kontrollanalytiker hielt Aichhorn zahlreiche öffentliche Vorträge und Seminare in seinen Spezialgebieten, nämlich in der Erziehungsberatung, der Arbeit mit den sogenannten Verwahrlosten und in der psychoanalytischen Aus- und Weiterbildung von im sozialen Bereich Tätigen. 

 

Brieflich war Aichhorn, der sich ab dem Sommer 1944 nach Frankenfels, NÖ, zurückgezogen hatte, über Vorgänge in Wien informiert worden, die seinen Zukunftsabsichten absolut nicht entsprachen. Wilhelm Solms berichtete über jene „Vorgänge“ folgendermaßen: „Aichhorn war noch in Frankenfels/NÖ, andere Mitglieder des Kreises um ihn waren noch fern von Wien oder in Wien in Kriegsgefangenschaft. Die allgemeine politische Zukunft war unklar, es bestand die Möglichkeit, dass Wien im Bereich des Ostens bleiben würde. In den ersten informellen Besprechungen […] wurde überlegt, ob es möglich sei, die enge Zusammenarbeit mit den Freunden aufrechtzuerhalten, die nicht zu den Psychoanalytikern zählten“ (Solms 1982, S. 445). Es bestand also die Absicht, die Wiener Zweigstelle des ehemaligen „Reichsinstituts“ in ein „Österreichisches Institut für Psychologische Forschung und Psychotherapie“ umzuwandeln, das die Rechtsnachfolge des Reichsinstituts antreten sollte.[2]

Aichhorn lehnte dieses Projekt entschieden ab. Wegen der damals zerstörten Eisenbahnverbindungen konnte er aber nicht so rasch von Frankenfels nach Wien zurückkehren, wie er gewollt hätte. Als er Ende Juni 1945 endlich wieder nach Wien zurückkehrt war, erreichte ihn ein Schreiben Ferdinand Birnbaums: „Was unser Zugreifen in den Apriltagen betrifft, so hoffe ich, dass Du der Sache zustimmen kannst. […] Dein Eintreffen wird ja nun Ordnung in die Sache bringen, da Du gewiss auch über Personen verfügst, die da mithelfen können. Im übrigen habe ich Dein Eintreffen hier schon sehr, sehr herbeigesehnt, weil Du ja über die von Dir Analysierten eine Autorität auszuüben imstande bist.“[3] Aichhorn antwortete Birnbaum: „Auf Deinen lieben Brief, der mich außerordentlich erfreute, antworte ich erst heute, da ich immer wieder auf ein Zusammentreffen in kürzester Zeit hoffte. In einer Besprechung sind die schwebenden Angelegenheiten doch anders zu erledigen als im brieflichen Verkehr. Nun hindert Dich Deine Erkrankung doch länger am Ausgehen und ich kann – so gerne ich es täte – Dich nicht besuchen, da für meinen körperlichen Zustand die Entfernung zu groß ist. Es gibt so viel zu überlegen, zu klären, endgültige Entschlüsse müssen rasch gefasst werden, da die Zeit drängt und ich weiß nicht, ob ich mich brieflich werde völlig verständlich machen können. Es gibt aber keine andere Möglichkeit. Über die Ereignisse der letzten Zeit und Dein Eintreten für unsere Sache informierten mich Dr. Scharmann, Dr. Spanudis, Dr. Solms und Dr. Bolterauer. Von Dr. Bolterauer hörte ich auch, daß Du beabsichtigst das Österreichische Institut für Psychologische Forschung und Psychotherapie zu einer Dachorganisation für die verschiedenen in Wien vorhandenen und sich bildenden Schulen auszugestalten. Und, daß Du eine Organisation ins Leben rufen willst, die Adlersches Gedankengut pflegen wird.[4] Die Dachorganisation ist gegenwärtig für mich ein sekundäres Problem, mir liegt am Herzen: die alte Wiener Psychoanalytische Vereinigung wieder aufleben zu lassen und raschesten Anschluß an die Internationale Psychoanalytische Verneigung zu finden. Darüber und Deine Stellungsnahme dazu, hätte ich gerne mit Dir gesprochen, um kein Mißverständnis aufkommen zu lassen. Wir haben uns über die sachliche Arbeit persönlich herzlich zusammengefunden und das soll auch in Zukunft so bleiben. In Verfolgung dieser Absicht, der Zeitnot Rechnung tragend, habe ich bereits mit Professor Dr. Pötzl gesprochen und seine Ansicht eingeholt.[5] Er ist bereit, gemeinsam mit mir, als Beauftragte eines Prop. Komitees die notwendigen Schritte zu unternehmen, damit wir ehestens im Sinne der Analytischen Vereinigung arbeiten können.“[6]

Bereits am 27. Juni 1945 hatte sich ein Proponentenkomitee[7] an das Staatsamt für Unterricht gewandt In diesem Schreiben heißt es: „Die Wiener Psychoanalytische Vereinigung wurde im März 1938 aufgelöst, die Räume samt Einrichtung beschlagnahmt, die Bibliothek vernichtet, das Barvermögen eingezogen und die Psychoanalyse auch in Österreich verboten. In Wien bildete sich entgegen diesem Verbot eine Gruppe von Freudanhängern, geführt von dem einen in Wien zurückgebliebenen Psychoanalytiker. Die vereinigten Ärzte und Psychologen stellten sich die Aufgabe, die Lehre Freuds über die Zeit des Nationalsozialismus frei von jeder Verfälschung zu erhalten. Die Zusammenkünfte dieser Gruppe erfolgten zuerst privat, dann im Rahmen der Zwangsorganisation: Deutsches Institut für Psychologische Forschung und Psychotherapie in Berlin, ohne daß die Leitung die wirkliche Absicht dieser Gruppe erkannte. Trotz des nationalsozialistischen Terrors wurden auch Neurosenanalysen durchgeführt, sie liefen als psychotherapeutische Behandlungen. Diese Gruppe fühlt sich, da nun die Wissenschaft frei ist, berechtigt, die Wiener Psychoanalytische Vereinigung wieder aufleben zu lassen. Sie hat sich als Proponentenkomitee konstituiert. Die Unterzeichneten ersuchen als die vorläufigen Beauftragten dieses Komitees das Staatsamt für Unterreicht um die Genehmigung zur Gründung der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung mit demselben Arbeitsprogramm, das die im Jahre 1938 aufgelöste Vereinigung verfolgte.“[8] 

Vom August 1945 an sind Anwaltsbriefe erhalten, die die Wiedereröffnung der WPV zum Thema haben.[9] Nachdem Anna Freud mitgeteilt hatte, dass sie mit der Wiedererrichtung eines psychoanalytischen Vereins in Wien einverstanden sei,[10] verfassten Aichhorn und Winterstein, die eidesstattlich erklärten, dass sie nie der NSDAP angehört hatten,[11] ein mit dem 20. September 1945 datiertes Ansuchen an den Wiener Magistrat wegen „Außerkraftsetzung der Auflösung des Vereins WPV und Genehmigung des Wiederauflebens der Vereinstätigkeit“: „Die vom Universitätsprofessor Dr. Sigmund Freud im Jahre 1908 in der Rechtsform eines im Vereinsregister eingetragenen Vereins gegründete Wiener Psychoanalytische Vereinigung wurde über Anordnung des Reichsführers SS und Chef der Deutschen Polizei im März 1938 aufgelöst, die Räume samt Einrichtung beschlagnahmt, die Bibliothek vernichtet, das Barvermögen eingezogen und die Psychoanalyse auch in Österreich verboten. Trotz dieses Verbots bildete sich eine weiterarbeitende Gruppe von Anhängern des Prof. Dr. Freud, geführt von einem in Wien zurückgebliebenen Psychoanalytiker. Die in dieser Gruppe vereinigten Ärzte und Psychologen stellten sich die Aufgabe, die Lehre Prof. Dr. Freuds über die Zeit des Nationalsozialismus frei von jeder Verfälschung zu erhalten. Die Zusammenkünfte dieser Gruppe erfolgten erst privat, dann im Rahmen der Zwangsorganisation: Deutsches Institut für Psychologische Forschung und Psychotherapie in Berlin, ohne daß die Leitung die wirkliche Absicht dieser Gruppe erkannte. Diese das geistige Erbe des Prof. Dr. Freud auf dem Gebiet der Psychoanalytik verwaltende Gruppe fühlt sich, da nun die Wissenschaft von allem Zwang freigeworden ist, berechtigt und ist auch legitimiert hiezu, die Wiener Psychoanalytische Vereinigung wieder aufleben zu lassen, wozu noch kommt, daß die Internationale Psychoanalytische Vereinigung lebhaftes Interesse an die Wiederaufnahme der wissenschaftlichen Verbindung mit der Wiener Gruppe bekundet.“[12]

Die ersten öffentlichen Aktivitäten der Wiener Psychoanalytiker hatten bereits im September 1945 begonnen, als Aichhorn, Friedl Aufreiter, Lambert Bolterauer, Rosl Dworschak und Theodor Scharmann Vorträge zur Einführung in die Erziehungsberatung für Erziehungsberater des Wiener Jugendamtes und für Berufsberater des Arbeitsamtes abhielten.[13] Aus diesen Vorträgen ging schließlich, vom Herbst 1946 bis zum Frühjahr 1949 unter Aichhorns Leitung, das „Seminar für Psychoanalytische Erziehungsberatung“ hervor (Aichhorn Th, 2001).

 

Zur Frage der Rückkehr von Mitgliedern der „alten“ WPV:

 

K. R. Eisslers wiederholte Versuche, Aichhorn dazu zu überreden, in die USA auszuwandern,[14] beantworte er zunächst folgendermaßen: „Nun zu meinem Nach-Amerika-Kommen! Was Du mir darüber schreibst, geht mir fortwährend durch den Kopf. Einmal finde ich, daß Du mit allem recht hast und daß ich meine Abreise vorbereiten müsse. Dann wieder empfinde ich ein Weggehen als Fahnenflucht, als ganz unmöglich; als krassen Undank Professor Freud gegenüber, dem ich so viel verdanke; unter den gegenwärtigen Verhältnissen sei ich verpflichtet auszuharren und Aufbauarbeit zu leisten, wenn sie auch schwierig und undankbar ist; dann frage ich mich auch, wenn ich bleibe, ob das nur ein sich aufopfern bedeutet und muß das mit nein beantworten, denn ich habe auch Freude Schwierigkeiten zu überwinden. Weiters: was sollen die vierzehn Menschen anfangen, denen ich in schwersten Zeiten Anhalt war und ein Ziel, das zu erreichen lebenswert ist, zeigte, wenn ich sie nun allein lasse. Jetzt weggehen, da die größten Hindernisse wegfallen. Von sich aus überwinden sie weder die theoretischen noch praktischen Schwierigkeiten.“[15] Und: „Deine Vorschläge, nach den U.S.A. zu kommen, weise ich nicht von vorneherein ab. Ich meine schon auch, daß Du im großen und ganzen gesehen recht hast, was Du mir von der Zerstörung freudscher Arbeit durch die Analytiker schreibst, ekelt mich an. Ich glaube nicht, daß ich noch die Energie aufbrächte, erfolgreich gegen derartiges Tun ankämpfen zu können. Wenn Wien einige der wenigen Oasen sein wird, in der Freuds Lebensarbeit rein erhalten und weitergepflegt wird, meine ich, habe ich mehr geleistet, als wenn ich mich in einem vergeblichen Kampfe in Amerika erschöpfe.“[16] Am 17. Juni schrieb Aichhorn: „Du fragst mich, ob ich entsetzlich gelitten habe. Von mir aus gesehen ist die Frage nicht richtig gestellt. Ich habe sehr viel mitgemacht, aber in den schwersten Zeiten den Anschluß an die Menschen nicht verloren. Im Gegenteil: ich sammelte einen kleinen Kreis um mich und versuchte denen zu geben, die da waren. Dabei war ich überzeugt, daß ich weder den Krieg und schon gar nicht die Nazizeit überleben werde, hatte aber das Bedürfnis, die mir noch zur Verfügung stehende Zeit zu nützen: für die Familie und für die Analyse. […] Deine Schilderung über das Auseinanderstreben der Analytiker in Amerika stärkt in mir den Entschluß, an der Stätte, an der die Analyse entstanden ist, sie rein zu erhalten. Dr. Hollitscher und Dr. Jokl sind zurückgekommen, ich weiß nicht, ob nicht noch mehrere kommen und das macht mein Hiersein noch notwendiger als für die junge Generation. Die Analyse hier kann nicht dort anknüpfen, wo im Jahre 1938 aufgehört wurde. Die Menschen und die Verhältnisse sind anders geworden.“[17]

Darüber, wie er sich die weitere psychoanalytische Ausbildung der Mitglieder der Vereinigung vorstellte, hatte Aichhorn an K. R. Eissler geschrieben: „Die Dinge liegen hier so: ich muß die Vereinigung […] mit einer kleinen Anzahl von Mitgliedern eröffnen. Den ersten Mitgliederstock bilden die 6 Ärzte und 6 Psychologen, die während der nationalsozialistischen Zeit bei mir in Ausbildung waren. Wenn auch ein kleines Stück theoretischer Ausbildung geleistet wurde und 4 davon bei mir Kontrollanalysen machen, fehlt doch viel zur Ausbildung. Die 12 haben sich trotz der Mitgliedschaft verpflichtet, jedwede von der Vereinigung veranlaßte Ausbildung mitzumachen. […] Von den dauernd jetzt in Wien lebenden Analytikern, die als Vortragende in Frage kommen sind: Dr. Hollitscher, der vor 2 Wochen aus England nach Wien zurückkam und dauernd hier bleiben will, Dr. Fleischmann, der bei mir in Analyse war, dann nach Budapest ging, dort Mitglied der ungarischen Vereinigung und auch Lehranalytiker wurde, Dr. Winterstein, den Du ja von der Wiener Vereinigung kennst, und ich.“[18] 

Zusätzlich zu den Vortragenden, die ihm in Wien zur Verfügung standen, hatte Aichhorn zunächst offensichtlich damit gerechnet, dass mehrere Analytiker der alten Vereinigung nach Wien zurückkommen würden. Er hatte diesbezüglich an Anna Freud und an Ernst Kris – ungefähr gleichlautend – geschrieben: „Die Genehmigung des Ansuchens zum Wiederaufleben der 1908 von Prof. Freud gegründeten Vereinigung steht in nächster Zeit bevor. In die Wohnung Rathausstraße 20, in der anschließend das Ambulatorium eingerichtet werden soll, bin ich seit einigen Wochen übersiedelt. Die größte Sorge - alle anderen Schwierigkeiten sind zu überwinden - macht mir die gründliche Ausbildung der heranwachsenden Analytiker. Wenn ich auch in den vergangenen 7 Jahren mein möglichstes getan habe und mich weiter intensiv bemühen werde, so genüge ich lange nicht. Am liebsten wäre es mir, wenn von den erfahrenen Analytikern der alten Vereinigung einige hierher kämen und die Ausbildung übernähmen. Aber wer von den im Ausland lebenden Analytikern sollte das draußen Aufgebaute im Stiche lassen, um hier in den sich noch lange nicht ändernden Verhältnissen zu vegetieren? Ich sähe noch eine Lösung: Wir, das heißt, Sie, Dr. Kris, mit dem ich schon in Verbindung stehe, noch der eine oder andere Analytiker und ich, arbeiten ein den besonderen Verhältnissen hier Rechnung tragendes Ausbildungsprogramm aus. Unter den Analytikern setzt eine Werbeaktion ein, damit sich 2, 3 oder noch mehr zu einem vorübergehenden Aufenthalt in Wien, etwa in ihrer Urlaubszeit melden. Die zum Ausbildungsprogramm gehörenden Vorträge werden unter diesen aufgeteilt. Ein Turnus, der die Reihenfolge, in der die Vortragenden nach Wien kommen, festlegt, wird aufgestellt. Was sonst noch vorher festzulegen wäre, erledigen wir brieflich. Finden Sie, daß ich einem Tagtraum nachjage, dann bitte ich Sie um realisierbare Vorschläge. Noch eines tut not; wir haben für die Bibliothek der Vereinigung nicht ein Buch. Selbstverständlich stelle ich aus meiner Bibliothek analytische Literatur zur Verfügung; das reicht für den Bedarf nicht aus und dann: die Neuerscheinungen ab 1938 kennen wir überhaupt nicht“ (Aichhorn Th. 2012, S. 171).

Dem Briefwechsel zwischen Ruth Eissler und Anna Freud kann man entnehmen, dass es sich bei dieser Idee tatsächlich, wie er in seinem Schreiben an Anna Freud geschrieben hatte, um einen Tagtraum gehandelt hatte. Wie problematisch auch immer sie das Leben und Arbeiten an den Orten ihrer Emigration empfinden mochten, zurück nach Wien wollten sie nicht. Ruth Eissler hatte an Anna Freud geschrieben: „„A letter from you is always a great pleasure and I appreciate it the more knowing how busy you are and how altogether, one usually dislikes to write letters. In the meantime we have been able to establish direct communication with Aichhorn and I am very much impressed by his untiring efforts to preserve Psychoanalysis in Vienna. Of course we all are very willing to support Aichhorn in his endeavours but as to his plans to have the former European analysts come to teach in Vienna I feel rather doubtful and personally cannot imagine anyone emotionally ready to do so. The New Yorker Colleagues may feel differently about it since in some way they have remained much closer to Europe than we are here. Living in the Middle West has made it easier for us to adjust to this country and to accept it, let us say, as the main basis of operation. Fenichel’s death was a terrific chock to all of us who considered him not only a personal friend but a sincere fighter for and guardian of the psychoanalytic principles. You probable are informed about the situation in Chicago, the prevailing trends in the Chicago psychoanalytical society and institute and the very small opposition group here. Fenichel, although far away in California, has been at least a moral support. […] If we should be strong enough, at one time not too far away, to establish a second training institute in Chicago the proposed changes will be a great help; however, if we cannot achieve this goal we certainly will be on the losing end. I think it mainly depends on the willingness for action on the part of those members of the Chicago group who still adhere to the basic principles of psychoanalysis. So far nothing in the direction I just mentioned has been either formulated or done. – I learned in N. Y. that you are considering a visit to this country. I do not need to tell you how greatly we would be pleased and how much we are looking forward to such gratifying occasion to see you again and may be even to have you as our guest.”[19] Anna Freud hatte Ihr geantwortet: „„A month ago we too were able to communicate directly with Vienna, and Vienna of course means Aichhorn. Before that we had managed to send some letters by way of America, but it is, of course, a very different feeling to be in direct touch. He certainly is an amazing person. He is actually opening the Vienna Institute again and full of enthusiasm and hopes for its future. I do hope that he will find the teachers whom he needs. I did not have the heart to tell him the truth concerning my own attitude towards trips to Vienna whenever that should become possible. He even thought that I might manage to come for the opening of the Institute, which happens, I think just now. In reality I just cannot imagine ever setting foot into Vienna again for whatever purpose it might be. You see, it is not the distance from Europe that has the effect on people. It is probably something very different that does it. We may all forget what happened in ten or twenty years time, but at the moment I cannot quite imagine that. I only heard about Fenichel’s death a fortnight after it happened and I cannot tell you how shocked and grieved I was. When I think about psychoanalysis, the psychoanalytic movement and its difficulties and the great need we have just for people like Fenichel with his inexhaustible knowledge of psychoanalysis and his inimitable way of organizing and presenting his facts. One of his friends wrote to me: He was an institute of psychoanalysis in himself, and that is certainly true. What will happen to psychoanalysis if this generation of teachers dies out? […] I was very interested in everything you wrote about the trends in the Chicago Psychoanalytic Society and Institute. I had known some of the facts before but not all of them. You may be interested to know that I and my friends here are facing a nearly identical situation with regard to the British Society. The main trend here is Melanie Klein’s teaching. It is equally difficult to co-operate and to split off. And I do not know what the final outcome will have to be.”[20]

Wie heikel die Frage der Rückkehr von Emigranten nach Wien war, geht auch aus einem Brief hervor, den K. R. Eissler an Aichhorn schrieb, nachdem er erfahren hatte, dass Walter Hollitscher und Robert H. Jokl nach Wien zurückgekehrt waren. Er schrieb: „Ich glaube, daß Dein Plan daß frühere Wiener Analytiker nach Wien kommen werden nicht befriedigt werden wird. Ich glaube sie sollen nicht kommen. Es wird ihnen nicht gut tun + es wird der Wiener Gruppe nicht gut tun. Vielleicht daß sich die Sache nach ein paar Jahren ändern wird. Es ist interessant dass Hollitscher zurückgekommen ist. Es würde mich sehr interessieren was seine Motive waren + was Du über ihn charakterologisch denkst. Es ist interessant darüber zu spekulieren welcher Charaktertypus zurückkehren wird. Ich glaube nicht daß es eine gesunde Reaktion ist. Aber ich mag mich täuschen. Wenn ich Dich nicht hätte, ich wüsste nicht was mit Wien in meinen jetzigen Problemen anzufangen. Die Fascinierung, die von Deiner Persönlichkeit ausgeht wiegt den Verlust auf den ich durch den Abbruch von Wien erlitten habe. Ich kann mir vorstellen daß Du die Veränderung die wahrscheinlich mit uns allen hier vorgegangen ist nicht genau kennst. Wahrscheinlich weiß ich nicht über viele Veränderungen die mit Dir vorgegangen sind obwohl in Deinen Briefen bist Du mir unendlich nahe + ich habe nicht das Gefühl als ob wir je getrennt gewesen wären.“[21]

Aichhorn wartete wochenlang auf eine Antwort von Anna Freud und Kris auf seine Vorschläge. Schließlich schrieb ihm Anna Freud, nachdem sie den Bericht über die Wiedereröffnung der WPV erhalten hatte, am 3. Mai 1946: „Der Bericht über Ihre Eröffnungssitzung, der vor 2 Tagen hier angekommen ist, hat mir viel Freude gemacht. Gestern abend habe ich ihn einer kleinen Gruppe unserer Freunde und Kollegen vorgelesen und er hat bei allen großes Interesse erweckt. Natürlich möchte ich sehr gerne Ihre ausführliche Rede lesen und ich hoffe, sie kommt bald hier an. Es klingt fast wie eine Ironie des Schicksals, daß die Wiener offiziellen Stellen, die in den langen Jahren der Arbeit meines Vaters immer nur Schwierigkeiten gemacht haben, jetzt endlich soweit sind, daß sie dem psychoanalytischen Institut und den Bestrebungen seiner Arbeit positiv gegenüberstehen. Stellen Sie sich vor, was wir zwischen 1908 und 1938 mit unserem großen Lehrkörper und den damaligen Möglichkeiten Wiens unter solchen Bedingungen alles hätten zustandebringen können: ein Institut, das zum Zentrum für die analytisch psychologischen Institute der ganzen Welt geworden wäre. Jetzt wird es trotz allem eine harte Arbeit für Sie werden. Ich glaube, Sie haben mit der teilweisen Einschränkung Ihres Programms auf die Richtung, in der Sie sich souverän fühlen, sehr recht. Alles andere wird sich allmählich mit dem Wachsen Ihrer Gruppe daran schließen. Es hat mich sehr interessiert, zu sehen, daß das psychologische Institut der Wiener Universität noch immer dieselbe unerschütterliche Ablehnung der Psychoanalyse zeigt wie früher.[22] Sie dürfen sich nicht wundern, daß ich auf Ihre Anfrage über die Teilnahme emigrierter Wiener Analytiker an der Ausbildung bei Ihnen vorläufig keine Antwort gegeben habe. Die Antwort darauf hängt von Faktoren ab, über die wir keinerlei Macht haben. Vorläufig hat niemand von uns Ausgewanderten eine neue Staatsbürgerschaft, auch ich nicht, das heißt, daß wir keine Reisepässe haben und daß man lieber das Land, in dem man lebt, nicht verläßt, weil man Schwierigkeiten bei dem Wiedereinlassen haben kann. Auch geben andere Länder auf ein sogenanntes Identitätspapier, das ist der Reisepaßersatz für Leute ohne oder mit unsicherer Staatsbürgerschaft, nur in den allerdringendsten Fällen ein Visum. Und ganz abgesehen von dieser Schwierigkeit, die uns emigrierte Wiener betrifft: Hier in England werden vorläufig Reiseerlaubnisse nach Deutschland und Österreich überhaupt nicht gegeben, außer, wie im Falle von Dr. Hollitscher, zur endgültigen Rückkehr und sogar dafür warten viele Hunderte auf die Erledigung ihres Ansuchens. Ein solcher Austauschverkehr, wie Sie ihn im Auge haben, ist also erst dann möglich, wenn die Reiseverhältnisse wieder normal geworden sind und wenn die in Betrachtkommenden wieder Reisepässe haben. Inzwischen sollte es aber möglich sein, mit der Schweiz einen solchen Austausch zu versuchen. Ich habe auch schon an Meng darüber geschrieben und er schien sehr interessiert und positiv eingestellt. Dr. Hollitscher, der ja die Verhältnisse hier gut kennt, wird Ihnen die Unmöglichkeit von Reiseplänen jetzt und wahrscheinlich noch im nächsten Jahr im einzelnen erzählen können“ (Aichhorn, Th. 2012, S. 187f). 

Auch Kris hatte an Aichhorn geschrieben, dass seine Pläne nicht durchführbar seien. Der Brief ist mit dem 11. 12. 1945 datiert, erreichte Aichhorn aber erst Wochen später „The news of the re-establishment of the Psychoanalytic Society and of your underground training work has been greeted here with applause by all of your friends. We admire your energy and participate in thoughts your work. As to personal participation, I have not yet heard of any one of our colleagues considering the return to Vienna. However, I am by no means in touch with all of them. As to your plans for summer courses to be given in Vienna by experienced analysts – the suggestion seems to me very worthwhile. I am almost certain that political and transportation reasons will prevent the realisation of these plans for the summer of 1946. However, by 1947 the conditions might have changed. Naturally, it will be said that the alternative solution, namely that some of your candidates and young members be sent abroad for further education, might have preference. Any such step will depend on funds available. Moreover, it does not seem to me impossible that even in the summer of 1946, one or the other of the old members may be in Europe and may be prepared to come for a while to Vienna, if permission were granted. In this case, I shall certainly try to gather information and let you know. […] I have mailed to Dr. Wolf the first volume of our new Annual ‘The Psychoanalytic Study of the Child’, of which Anna Freud, Dr. Hartmann and I are the managing editors. As soon as I know a postal address where I can direct the book, a special copy will be mailed to you.”[23]

 

Die feierliche Wiedereröffnung der WPV am 10. April 1946:

 

Nachdem die bürokratischen Hürden erfolgreich genommen waren, erfolgte endlich am 1. 12. 1945 der Bescheid, dass die Auflösung der WPV außer Kraft gesetzt worden sei. Die Genehmigung zur Wiedereröffnung wurde vom Rechtsanwalt Dr. Robert Henschel am 27. 12. 1945 zugestellt.[24] Die neue Adresse der Vereinigung war: Wien I., Rathausstraße 20.[25] Aichhorns private Räume waren in derselben Wohnung untergebracht.[26]

 Die feierliche Wiedereröffnung der WPV wurde für den 10. April 1946 festgesetzt.[27] In seiner Begrüßung anlässlich der Festsitzung sagte Aichhorn: „Ich eröffne die erste Sitzung der wiedererstandenen Wiener Psychoanalytischen Vereinigung und begrüße Sie herzlichst […] Als im Jahre 1938 die Wiener Psychoanalytische Vereinigung aufgelöst wurde, ihre Vermögen eingezogen und ihre Bücher eingestampft waren, verließen auch ihre Mitglieder bis auf einen ganz kleine Rest Österreich.[28] Die Psychoanalyse wurde verboten; dasselbe Schicksal erfuhr die Individualpsychologie: eine deutsche Einheitstiefenpsychologie sollte erfunden werden. Psychoanalyse und Individualpsychologie konnten nur getarnt betrieben werden. Eine kleine Gruppe psychoanalytisch interessierter jungen Ärzte und Psychologen fand sich zusammen; gemeinsam mit 2 Individualpsychologen wurde eine Arbeitsgemeinschaft gebildet. In gemeinsamer, jahrelanger, wissenschaftlicher Arbeit wurde der Nachweis erbracht, daß es eine Basis gibt, auf der Psychoanalytiker und Individualpsychologen, jeder den Erkenntnissen seiner Schule treu bleibend, Gedanken, Betrachtungen, Überlegungen, Spekulationen bringen kann, die gemeinsam beraten und diskutiert, den anderen anregen und zu dessen Weiterbildung beitragen. Jetzt ist die Bahn wieder frei, jeder kann wieder seiner Forschungsrichtung ungehindert leben und tut es auch. Aber die Zeit, in der das Schicksal Psychoanalytiker und Individualpsychologen zusammengeschmiedet hatte, hinterließ Einsichten und schuf ein Einvernehmen, das im ‚Neuen Österreich’ etwas nicht mehr zurückkehren lässt: den affektiv geführten Kampf um die Richtigkeit einer Schulmeinung. Ich freue mich ganz besonders die beiden Individualpsychologen Dr. Birnbaum und Spiel, mit denen uns herzliche Freundschaft verbindet, mit unter den Festgästen begrüßen zu können. […] Heute beginnen wir unsere Arbeit festlich! Ihr Erscheinen zeigt, daß Sie unsere Bestrebungen mit Interesse verfolgen wollen. Das erfüllt uns ebenso mit Freude und Zuversicht, wie das uns anspornende Erscheinen von Vertretern der Psychoanalytischen Vereinigungen aus Budapest und London, die ich herzlichst begrüße. Die aus dem Ausland und von Übersee gekommen Begrüßungsschreiben und Telegramme sind uns ebenfalls Beweis, wie zustimmend die internationale psychoanalytische Bewegung das Wiederaufleben der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung zur Kenntnis nimmt. Wir haben heute nicht neu anzufangen, wir haben fortzusetzen: dort fortzusetzen, wo im Jahre 1938 die Fäden abgerissen sind. […] Lassen Sie uns am Beginn unserer Vereinstätigkeit zuerst Freud ehren, dessen Geburtstag sich in wenigen Wochen, am 6. Mai, zum 90. Male jähren wird. Herr Dr. Winterstein, der Obmann Stellvertreter unserer Vereinigung wird uns Einblick in Freuds Leben und Forschungsarbeit geben.“[29] 

An der Festsitzung nahmen Vertreter der alliierten Mächte, der Bundesregierung und der Stadtverwaltung teil. Stadtrat Matejka und der Psychiater Otto Kauders, der den Lehrstuhl sowie die Leitung der Universitätsklinik für Psychiatrie und Neurologie innehatte, sprachen Grußworte, Otto Fleischmann überbrachte Grüße der Ungarischen und Walter Hollitscher Grüße der Britischen Vereinigung und auch Ferdinand Birnbaum begrüßte die Wiederbelebung der WPV im Namen der Individualpsychologen. Auch viele der ehemaligen Mitglieder der WPV und einige der europäischen und amerikanischen psychoanalytischen Institute schickten anlässlich der Wiedereröffnung Telegramme und Glückwunschschreiben.[30] Anna Freud hatte geschrieben: „Sehr geehrter Herr Aichhorn! Ihre Nachricht, daß in Wien wieder, an neuer Stelle ein psychoanalytisches Institut eröffnet wird, hat mir großen Eindruck gemacht. Die Zerstörung des alten Instituts durch die Nationalsozialisten, die Schließung des Ambulatoriums, die Vernichtung der Bücher und die Auflösung des Psychoanalytischen Verlags schien in 1938 das Ende der Psychoanalyse in Österreich zu bedeuten. Das hat alle Mitglieder der Internationalen  Psychoanalytischen Vereinigung um so tiefer getroffen, als Wien mehr als nur die Geburtsstätte der Psychoanalyse war. Vom Wiener Psychoanalytischen Institut  sind von seiner Gründung bis zu seiner Zerstörung unaufhörlich Anregungen ausgegangen, die die psychoanalytische Forschung und Arbeit in der ganzen Welt befruchtet haben. Daß es Ihnen gelungen ist, in den schweren Zeiten des Nationalsozialismus und des Krieges ohne Unterbrechung an der Psychoanalyse weiterzuarbeiten, zu lehren und zu heilen und damit die Tradition des Instituts weiterzuführen, erfüllt mich mit Bewunderung. Ich wünsche Ihrer neuen Gründung das allerbeste an Lebenskraft und Wirkung auf die Umwelt. Die Zerstörung der Psychoanalyse in 1938 war logisch unabwendbar. Die Psychoanalyse kann nur dort gedeihen, wo Freiheit des Gedankens herrscht. Die neue Freiheit in Oesterreich wird, so denke ich, neues Leben für die psychoanalytische Arbeit bedeuten.“[31]

Paul Federn schrieb (auch im Auftrag von Marie Bonaparte, Ludwig Jekels, Hermann Nunberg, Smily Blanton und Kilian Bluhm), dass es für alle Psychoanalytiker, nicht nur für gewesene Wiener, eine Genugtuung sei, dass die Wiener Psychoanalytische Vereinigung wiedererstanden ist. Er selbst sei ihr Mitglied mit Pflichten und aus der Entfernung kaum auszuübenden Rechten, nachdem die Auflösung der Gruppe – gewaltsam gegen alle, ehrfurchtslos gegen Freud – vom Gang der Geschichte annulliert worden sei.[32] Und: „Bei dieser kulturgeschichtlich bedeutungsvollen Gelegenheit wird neuerdings den Einsichtigen vor Augen geführt, dass die Psychoanalyse nicht nur eine Heilmethode für seelisch Kranke ist, sondern auch eine wichtige Grundlage bietet für die seelische Wiedergenesung, Wiedererziehung und Hygiene der Menschheit, ihrer Gruppen und Völker, und der einzelnen Individuen. Es scheint mir daher bedeutsam und besonderer Begrüßung wert, dass Sie, der Nicht-Arzt, die Gruppe fortsetzen und erneuern konnten. Ihre eigene schöpferische Leistung, verbunden mit Ihrer Treue zu Freud, gestützt auf dem Festhalten an der Richtigkeit seiner Funde und Lehren, bietet Gewähr für die kommenden Leistungen der ältesten Psychoanalytiker Gruppe, die sich zuerst um Freud zusammenfand.“[33]     

Bertram D. Lewin schrieb im Auftrag der American Psychoanalytic Association und der Psychoanalytiker Amerikas: „Wir begrüßen Ihre Absichten und vertrauen darauf, dass die Wiedereröffnung des Instituts ein Zeichen dafür ist, dass nun bessere Zeiten kommen werden. Seien Sie unseres Wohlwollens und unseres ständigen Interesses für Ihr Vorhaben gewiss. Die alte Wiener Vereinigung war der Stolz der Psychoanalytischen Bewegung insgesamt und nicht einfach nur von lokaler Bedeutung. Sie war wahrhaft international. Mag diese alte Tradition dem neuen Beginnen seine Richtung zeigen.“[34] 

Auch Richard Sterba hatte geschrieben: „Verehrter, lieber Herr Vorstand, mit wie viel Besorgnis haben wir Ihrer während dieser Jahre gedacht. Wir sind beglückt, Sie nun wohl zu wissen. Anna Freud schrieb uns gestern, daß Sie das Wiener Psychoanalytische Institut wiedergegründet haben. Seien Sie herzlichst beglückwünscht, Sie und Ihre tapfere Gruppe. Uns geht es gut im Lande, wo unaufhörlich Milch und Honig floß. Unsere Arbeit; in streng Freudschem Sinn, wird anerkannt und unterstützt. […] Ich zeige meinen Schülern mit Stolz die große Fotographie, die Trude Fleischmann von ihnen gemacht hat. Wie gerne würden wir Sie einmal hier begrüßen! Alles Herzliche von Ditha und mir von Ihrem getreuen Richard Sterba.“[35]Aichhorn antwortete: „Ihr Brief […] hat mich wirklich sehr gefreut. Mich frisst der Neid, wenn Sie vom Land schreiben, wo ‚unaufhörlich Milch und Honig fließt’. Bei uns ist es ein wenig anders, aber wir finden uns gerne damit ab, sind nur froh, daß die schwerste Zeit hinter uns liegt.“[36]

An Ernest Jones, Präsident der IPV, schrieb Aichhorn. „Ich beehre mich Ihnen mitzuteilen, daß die Wiener Psychoanalytische Vereinigung, die im Jahre 1938 aufgelöst worden ist, über mein Einschreiten wieder genehmigt wurde. […] Ich bitte das Wiederaufleben der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern sie wieder als Mitglied der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung einzureihen. Wegen der weiteren, den besonderen Umständen Rechnung tragenden Aus- und Fortbildung stehe ich mit Fräulein Anna Freud in regem Briefwechsel und ersuche Sie, mir das Statut des Internationalen Lehrausschusses zu übermitteln.“[37]

Jones antwortete Aichhorn: „Ich hatte von mehreren Quellen von Ihrer lobenswerten Tätigkeit in Wien gehört und war besonders froh einen persönlichen Bericht von Ihnen zu erhalten. Die alte und berühmte Wiener Gruppe wieder zu beleben ist eine edle Aufgabe und ich wünsche Ihnen den besten Erfolg. Es ist selbstverständlich, dass ich Ihre Gruppe als ein Mitglied der Vereinigung akzeptiere und ich zweifle nicht, dass dies bei dem nächsten Kongress ratifiziert werden wird, sollte es nötig sein.“[38] 

Damit waren die für eine reguläre psychoanalytische Vereinstätigkeit und Ausbildung notwendigen Voraussetzungen hergestellt. Als Aichhorn Jones fragte, ob in Wien absolvierte Lehranalysen von der IPV anerkannt werden würden[39] – einige Ärzte aus den USA hatten angefragt, ob sie in Wien ihre Ausbildung absolvieren könnten[40] – antwortete ihm Jones: „In Beantwortung Ihrer Frage […] würde ich sagen, dass die Gültigkeit der Lehranalyse nicht direkt der Behuf der Internationalen Vereinigung ist. Die Sache liegt so: Jede dazu gehörige Vereinigung hat die Pflicht ein Lehrkomité ins Leben zurufen […], und es ist die Aufgabe dieses Komités zu entscheiden, ob die Lehranalysen des bezüglichen Mitgliedes giltig ist oder nicht und ob die begleitende Ausbildung (Kontrollanalyse, Seminare, etc.) genügend sind. Wenn solch ein Verein von der Internationalen Vereinigung anerkannt ist, so wie Ihr Verein, dann gehört ihr Lehrkomité zu der Internationalen Unterrichtskommission der Internationalen Vereinigung.“[41]

 

Zur Tätigkeit der WPV nach ihrer Wiedereröffnung

 

Wie bereits berichtet, betrachtete Aichhorn die Ausbildung, die er während der Nazizeit begonnen hatte, als keineswegs hinreichend. Die ersten Kandidaten der Vereinigung waren daher die „neuen“ Mitglieder, alle diejenigen also, die ihre Ausbildung nicht vor 1938, in der „alten“ WPV, abgeschlossen hatten. Sie waren nach den 1946 gültigen Statuten verpflichtet, ihre begonnene Ausbildung fortzusetzen und im neu gegründeten Lehrinstitut der WPV abzuschließen.[42] Da sich Winterstein zu dieser Zeit kaum am Leben der Vereinigung beteiligte und Hollitscher durch seine Tätigkeiten außerhalb der Vereinigung zu sehr in Anspruch genommen war, übernahmen die Leitung der theoretischen Ausbildungsseminare des Lehrinstituts Robert Hans Jokl, der im Frühjahr 1946 aus der Emigration in Frankreich zurückgekehrt war,[43] und Otto Fleischmann, der während seiner Emigration in Budapest den Lehranalytiker Status erworben hatte.[44] Ihre Lehr- und Kontrollanalysen setzten die „neuen“ Mitglieder bei Aichhorn, Fleischmann oder Jokl fort.[45] Jokl übernahm zudem die Leitung des wiedereröffneten Ambulatoriums.[46]   

Die Zusammenarbeit zwischen Aichhorn, Fleischmann, Hollitscher und Jokl dürfte nicht ganz reibungslos verlaufen ein. Als es in der Menninger Klinik in Topeka, wohin Jokl 1948 und Fleischmann 1949/50 gegangen waren, zwischen Jokl und Fleischmann zu Konflikten gekommen war, schrieb Jokl an einen ihrer Kollegen: „Ich kenne Otto [Fleischmann] länger als Du. Niemand mochte Otto in Wien so recht, die wahren Sachverhalte seiner Vergangenheit sind immer dunkel geblieben und ich weiß, wie Aichhorn über ihn dachte, obwohl er ihn sehr nahe heranzog, weil er auch da verstand, sich anzubiedern. Ich werde nie vergessen, wie Dr. Walter Hollitscher einmal Aichhorn und mich vor ihm warnte, obwohl er selbst ein Renegat und Opportunist ist und als solcher meine Achtung gewiß nicht besitzt; aber er ist überlegen gescheit und ein ausgezeichneter Menschenkenner; und er hat recht behalten.“[47] Und an Otto Sperling schrieb Jokl: „[Otto Fleischmann] erschien hier vor etwa 1 ½ Jahren und wurde als Traininganalyst angestellt. Wie das zugegangen ist, wissen wir nicht genau, wir wurden so zu sagen vor die vollendete Tatsache gestellt. Aus seiner Vergangenheit ist nichts Gewisses zu erfahren und er selbst schweigt beharrlich darüber. […] Ich habe ihn 1947 in Wien kennengelernt, wo er es verstanden hatte, sich Aichhorn unentbehrlich zu machen, und sein Vertrauen offenbar auch gewonnen hat, zumal Aichhorn ja krank war und eine Stütze dringend brauchte. Hier leitete er eine Studiengruppe und nannte sich Direktor des Instituts, das nur auf dem Papier bestand, denn, bis ich hinkam, gab es außer Aichhorn und Winterstein keinen fertigen Analytiker. Da er Freud und die klassischen Schriften ausgezeichnet beherrschte, arbeitete er gut, war aber wegen seiner orthodoxen Einstellung, wegen seiner Anmaßung und weil er das Leben eines Sonderlings führte und mit niemand außer mit Aichhorn engeren Kontakt hatte, nicht beliebt.“[48]

Wie sich Aichhorn die Ausbildung vorstellte, was ihre Grundlage sein sollte, ist Briefen zu entnehmen, die er damals an einen seiner ehemaligen Analysanden, den in Chicago lebenden Paul Kramer, und an seinen Freund Lajos Lévy schrieb.

An Paul Kramer schrieb er: „Mit recht großem Bedauern entnehme ich aus Deinem Brief,[49] was ich auch aus Kurt[s] [Eisslers] Briefen zu lesen bekomme,[50] daß die Psychoanalyse in Amerika sich von Freud zu entfernen beginnt. Mir kommt diese ganze Bewegung vor wie Pubertätskämpfe heranwachsender Söhne, denen es nicht gelingt mit dem Vater fertig zu werden und wenn Du mir eine kritische Bemerkung erlaubst, dann möchte ich sagen, dass diese Bewegung von schlecht analytisierten Menschen ausgehen muß. Meine Aufgabe hier bekommt durch Eure Mitteilung einen neuen Inhalt: in der Geburtsstadt der Freudschen Analyse, diese so zu erhalten, wie sie von Freud geschaffen wurde. Das heißt, nicht, dass die 12 Freud Bände für uns zum großen Gebetbuch werden und daß wir Forschungsarbeit aufgeben, aber Richtung und Ziel bleiben uns klar vorgeschrieben. Vielleicht kommt dann in Jahrzehnten – ich bin dann längst nicht mehr am Leben – die Zeit, in der von verschiedensten Richtungen, auch aus Amerika ‚Psychotherapeuten’ nach Wien kommen werden, um dort zu lernen, was Freud wirklich gelehrt hat.“[51]

Und an Lajos Lévy schrieb er: „Nun bekomme ich aus Amerika immer mehr Einzelheiten über die Spaltung innerhalb der analytischen Gruppen zu hören. Es gibt eine Reihe ‚Analytikerleins’ – das ist eine Neubildung von mir und heißt recht kleine Analytiker – in Amerika, die aus dem wundervollen Werke Freuds ein wahres Körnchen herausgreifen und mit nicht ausreichendem Geiste ein Lehrgebäude aufrichten.[52] Sie sind schon bis zu Gruppen Analysen gekommen, kannst Du Dir das vorstellen? Man gewinnt den Eindruck, die Hauptsache ist Geschäft und Verdienen. Warum ich mich so besonders ärgere? Weil ich zum Beispiel für das was die Chicagoer Schule macht mit zum Teil verantwortlich bin. Alexander fasste meine Verwahrlostentechnik völlig falsch auf, beruft sich auf mich und kommt zu einer ganz unmöglichen Kurztherapie.[53] Vielleicht wird Wien noch einmal das Mekka zu dem die Analytiker pilgern, wenn sie Freuds Lehre unverfälscht kennen lernen wollen, denn so lange ich lebe gibt es in der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung nur ein Weiterbauen im Sinne nach der Auffassung Freuds. Und wenn ich gestorben sein werde, hoffe ich, so überzeugte Nachfahren Freuds zu hinterlassen, dass jede Verwässerung und Verfälschung ausgeschlossen sein wird. […] Kannst Du Dich nicht auf einige Zeit frei machen und hierher kommen? Ich kann augenblicklich von hier nicht weg; wenn auch die Geburt der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung gelungen ist, kann der Säugling aber der Mutterbrust noch nicht entbehren. Ich bin durchaus nicht überheblich, nur weiß ich nicht, ob die Muttermilch ausreicht. Hoffentlich verhungert er nicht. Du würdest mir mit Deinem Kommen wirklich viel Freude machen und wenn Du Kata mitnimmst, für die hätte ich auch eine Menge Arbeit.“[54] 

Von K. R. Eissler hatte Aichhorn folgende Anregungen bekommen: „Nun zu Deiner Frage über die Ausbildung von Analytikern: Ich glaube daß die alte Ansicht daß die eigene Analyse die Hauptsache ist, ebenso wahr ist als sie vor 20 Jahren war. Es scheint daß der Beruf des Analytikers besondere Gefahren für die Entstehung von Charakterdefekten enthält. In endlicher oder unendlicher Analyse hat Freud eine kleine Andeutung dieser Art gemacht. Du hast das Problem viele Jahre früher sehr klar gesehen + oft mit mir darüber gesprochen.[55] Ich glaube daß eine Lehranalyse nicht lange genug sein kann + dass Charakteranalyse mit besonderer Betonung der Tendenz zur Verwahrlosung das Beste ist was in der Ausbildung gegeben werden kann. Zweitens glaube ich daß Kurse die die Anwendung der Psychoanalyse zur Geschichte, Kunst + Erziehung betonen wichtiger sind als solche die den medizinischen Aspekt betonen. Hier in Amerika ist in Zusammenhang mit der Analyse ein neuer Zweig entstanden der sich psychosomatic medicine nennt mit einer eigenen Zeitschrift. Magengeschwüre, Asthma, verschiedenen Hauterkrankungen, Colitis + eine Menge anderer Erkrankungen werden als Neurosen angesehen  + das Interesse konzentriert sich darauf. Ich glaube das ist eine Sackgasse. Zu meiner großen Freude hat General Chisholm von Canada vor einigen Monaten 2 Vorlesungen gehalten in denen er die Psychiater (Analytiker) aufforderte ihre Behandlungszimmer zu verlassen + sich mehr um die Reform der Gesellschaft zu bemühen. Er hat recht. Geschwüre + Entzündungen sind keine Gefahr für die Kultur, aber die Art wie wir Kinder erziehen + unsere Hassregungen + Eifersüchteleien sind, unsere gesellschaftlichen Institutionen erfordern Kritik + hier ist ein unendliches Feld dem sich Psychoanalyse zuwenden sollte. Drittens eine genaue Kenntnis Freud’ s Schriften ist unerläßlich. Ich glaube wir können nicht konservativ genug in dieser Beziehung sein. Alle 3 Gesichtspunkte sind entgegengesetzt zu dem was hier augenblicklich geglaubt wird. Kurze Lehranalyse, die medizinische Anwendung + ein Glaube dass die nach Freud’schen Theorien die besseren sind ist allgemein angenommen. Es schaut nicht sehr rosig aus (+ deswegen sollst Du herkommen). Beantwortet das Deine Frage?“[56]

Eissler hatte an Aichhorn auch geschrieben: „Laienanalyse ist hier [in den USA] praktisch unmöglich. In manchen Fällen wurde eine Ausnahme gemacht: Editha Sterba, Buxbaum, Homburger. Bornstein analysiert, ist aber nicht Mitglied. Ernst Kris ist Ehrenmitglied. Die Verkümmerung der Laienanalyse hat zur Verkümmerung der Anwendung der Psa auf die Geisteswissenschaften geführt. Deswegen glaube ich ist es von größter Bedeutung, dass die Laienanalyse in Wien aufrechterhalten wird + Kurse über Psa der Literatur, Kunst + Geschichte forciert werden.“[57]

Auch von Peter Blos waren ähnliche Nachrichten gekommen: „Ich widme den größten Teil meiner Zeit analytischer Arbeit, vornehmlich mit Kindern und Jugendlichen, natürlich arbeite ich auch mit Erwachsenen. Meine Praxis geht sehr gut und die Arbeit interessiert mich sehr. Am schwierigsten ist die Isolierung, der man als Laienanalytiker ausgesetzt ist. Die Scheidung ist so strikt, dass es unmöglich ist z. B. an einem kinderanalytischen Seminar teilzunehmen, auch wenn (was der Fall ist) jeder der beteiligten Seminarleiter mir Fälle zu Analyse schickt. Sie sehen, was für groteske Situationen sich ergeben. Das ganze Gebiet der Erziehung, Fürsorge, Kindergarten u.s.w. ist von der Analyt[ischen] Vereinigung in einem sehr großen Maße ignoriert aber es wird desto eifriger von Gruppen, die sich von der freudschen Gruppe emanzipiert haben, beeinflußt. Die analyt[ische] Vereinigung hat keinerlei Interesse noch Einfluss in die Anwendung der P[sycho] A[nalyse] in den der Psychiatrie benachbarten Gebieten. benachbarten Gebieten.[58] Das alles ist ein sehr unerfreuliches Kapitel und beeinträchtigt die Arbeit sehr.“[59]

Gemäß der österreichischen Gesetzeslage war es Nichtmedizinern – bis zum Inkrafttreten des Psychotherapiegesetzes im Jahre 1990 – untersagt, als Psychotherapeuten zu praktizieren. Ein Umstand, der bekanntlich vor 1938 für die so genannten Laienanalytiker zu zahlreichen Konflikten mit den Gesundheitsbehörden geführt hatte. Während der nationalsozialistischen Zeit waren auch für Österreich deutsche Gesetze gültig, nach denen es Nichtmedizinern möglich war, unter dem Titel eines „Behandelnden Psychologen“ offiziell psychotherapeutisch tätig zu sein. 

An Paul Federn hatte Aichhorn geschrieben: „Vor allem muß ich Ihnen mitteilen, daß mich die Anrede in Ihrem Brief an mich ‚Verehrter Herr Professor’ schwer gekränkt hat.[60] Ich lehne es ab, innerhalb der Vereinigung und von Bekannten so angesprochen zu werden und man hält sich daran. Wichtig ist die mir gewordene Auszeichnung nicht für mich sondern in dem Kampfe, den wir hier für die nicht ärztlichen Analytiker führen müssen. […] Das Gesundheitsamt hat bereits ein Vorpostengefecht eröffnet. Es schickte mir einen Sanitätsgehilfen, der mir folgendes, sehr dialektisch gefärbt, bekannt gab: ‚Sie sollen morgen um 9 Uhr in das Gesundheitsamt kommen, die Hitlergesetze gelten nicht mehr, nehmens alle Belege mit’. Sie können sich vorstellen, wie rasch dieser Sanitätsgehilfe wieder bei der Tür draußen war. Ich ging natürlich nicht hin. Dann kam eine höfliche schriftliche Einladung.“[61] Auf diese „Einladung“ antwortete Aichhorn, der auf Grund der herrschenden Gesetzeslage nicht ganz offen sein konnte, taktisch: „In Beantwortung der heute eingelangten Zuschrift […] beehre ich mich mitzuteilen, daß ich nicht Heilpraktiker bin. Als Erziehungsberater des Wiener städtischen Jugendamtes i[n] R[uhe] und als Psychoanalytiker beschäftige ich mich ausschließlich mit heil-erzieherischen Angelegenheiten und mit der Behandlung Verwahrloster. Falls es Ihrer Aufmerksamkeit entgangen ist, verweise ich auf Nummer 256 der Wiener Zeitung vom 4. Oktober 1947, aus der zu entnehmen ist, daß der Herr Bundespräsident mit Entschließung vom 2. Oktober 1947 mir ‚In Anerkennung hervorragender Verdienste um die Seelenheilkunde und die Jugendfürsorge’ taxfrei den Titel Professor verliehen hat.“[62] Nachdem Federn Eissler von dem Vorfall erzählt hatte, schrieb dieser an Aichhorn. „Neulich war ich bei Federn + er hat mir Deinen entzückenden Brief vorgelesen mit jener wunderbaren Anekdote über den Diener vom Gesundheitsamt. Ich hoffe, Du hast es diesen Gaunern gut gegeben. Nun wollte ich Dich fragen, ob nicht einige Leute hier an das Wiener Gesundheitsamt schreiben sollen + sie aufmerksam machen sollen, dass es hier einen besonderen merkwürdigen Eindruck macht, wenn sie Dir Schwierigkeiten machen da hier im Staate N[ew] Y[ork] + auch sonst wo jeder, der will, Psychoanalyse ausüben darf. Er kann nicht Mitglied der Vereinigung werden oder zumindest nicht notwendiger Weise, aber der Staat oder die Gemeinde greifen natürlich nicht ein. Bitte, lasse mich wissen ob ein solcher Brief erwünscht ist. Ich bin wirklich empört, daß sie es wagen Dir auch nur die geringste Schwierigkeit zu bereiten, wo sie doch Gott danken sollten, daß sie Dich in Wien haben. Die guten Wiener ändern sich nicht.“[63]

Aichhorn schilderte Blos, auf welche Art er versucht hatte, das Problem der Laienanalyse für die WPV zu lösen: „Was Sie mir über die Stellung des Laienanalytikers – mich ärgert der Ausdruck immer, es heißt viel besser nicht ärztlicher Analytiker; denn Laien sind wir wahrlich nicht – schreiben, erfuhr ich von verschiedener Seite. Wahrscheinlich wird nichts anderes übrig bleiben, als eine selbstständige Organisation zu gründen. […] Wie ich das Problem für Wien zu lösen suche, können Sie aus dem beiliegenden Organisationsplan sehen. […] Die Ärzteschaft, das heißt die Ärztekammer, beziehungsweise die Sanitätsbehörde, hat nur mehr in die Abteilung Ambulatorium Einfluß zu nehmen. Alles andere fällt nicht mehr in ihre Kompetenz, daher sind wir heute als Vereinigung viel mehr ungebunden und viel unabhängiger als vor 1938. Es ist auch nicht mehr notwendig, daß an der Spitze der Vereinigung unbedingt ein Arzt stehen muß, was natürlich für den Leiter des Ambulatoriums unerläßlich ist.“[64] 

Zusätzlich zu seiner Arbeit als Lehr- und Kontrollanalytiker hielt Aichhorn zahlreiche öffentliche Vorträge und Seminare in seinen Spezialgebieten.[65] Dem Tätigkeitsbericht der Wiener Vereinigung aus dem Arbeitsjahr 1946/47 ist zu entnehmen:[66] „Im Juni hielten wir einen allgemein zugänglichen ‘Einführungskurs in die Psychoanalyse I. Teil’, 10stündig (…) Es meldeten sich 168 Teilnehmer. Unser Kurssaal faßt 45 Personen, die Teilnehmer wurden daher in 4 Gruppen aufgeteilt.[67] […] Im November 1946 begann ein ‘Einführungskurs in die Psychoanalyse I. Teil’ für 20 Kindergärtnerinnen, der anschließend als ‘Einführungskurs in die Psychoanalyse II. und III. Teil’ fortgesetzt wurde. Daraus entwickelte sich ein Seminar für Kindergärtnerinnen. Aus diesem Kurs, den ich im Herbst 1945 für die Erziehungsberaterinnen des Wiener Städtischen Jugendamtes und die Berufsberater des Wiener Arbeitsamtes hielt,[68] wurde ein Erziehungberatungsseminar, das 14tägig, 2-3 stündig unter meiner Leitung abgehalten wird.[69] (…) Bei den Polizeifürsorgerinnen hielt ich zwei Vorträge, die so begeistert aufgenommen wurden, daß ich die 28 Polizeifürsorgerinnen, mit ihrer Leiterin […] in ein Seminar zusammenfassen konnte. […] Eine Woche vor Weihnachten sprach ich in einem Seminar für Jugendfürsorge im Institut für Wissenschaft und Kunst, über den kriminellen Jugendlichen. Die Diskussion verlief so anregend, daß einer der Teilnehmer, Gemeinderat Mistinger, Vorsitzender des Fürsorgeausschusses der Gemeinde Wien, mich nachher um eine Unterredung ersuchte. Das Ergebnis der Unterredung ist, daß für 30 Erzieher der Gemeindeeinrichtung ‘Jugend am Werk’, eine 4semestrige gründliche Ausbildung im Rahmen der Fürsorgeschule der Gemeinde Wien besprochen wurde, und ich den uns notwendigen Einfluß auf die Ausbildung nehmen kann. Ich habe mir vorbehalten, psychoanalytische Pädagogik 4 Semester, wöchentlich eine Stunde und Erziehungsberatung 3. und 4. Semester, wöchentliche Teilnahme an der Erziehungsberatung und eine Stunde theoretische Einführung. Im Sommersemester 1947 hielt ich 6 Vorträge in der Fürsorgerinnenschule der Gemeinde Wien, über das Problem der Verwahrlosung.“[70]

Um einen Eindruck zu vermitteln, über welche Themen es in der WPV während des ersten Jahrs gegangen ist, fasse ich einige der wesentlichsten Anregungen und Beschlüsse aus den Protokollen der Geschäfts-, Mitglieder- und Vorstandssitzungen aus 1946 zusammen:

Geschäftssitzung am 17. 4. 1946:

Dr. Fleischmann schlägt Bildung eines Fonds zur Fallhonorierung für junge Analytiker vor.

Mitgliedersitzung am 18. 7. 1946:

Thema: Organisatorische Arbeiten

1. Statut des Lehrausschusses ist auszuarbeiten.

2. Für die zukünftige Errichtung eines Ambulatoriums sind unter der Führung Dr. Jokls: Dr. Genner und Dr. Fleischmann vorgesehen.

3. Wissenschaftliche Abteilung: Dr. Winterstein, Dr. Hollitscher, Dr. Lambert Bolterauer, Dr. Spanudis.

4. Erziehungsberatung: Vorstand Aichhorn, Dr. Hans Aufreiter, Dr. Scharmann.

Verlesung der Einladung zum Psychoanalytischen Kongress 1947 in Amsterdam.[71]

Vorschlag Aichhorns, den psychoanalytischen Verlag durch Anna Freud und ihn wieder zu eröffnen.

Die Wiener Psychoanalytische Vereinigung lehnt Mitgliedschaft in Rahmengesellschafen (Amerikanisch-Österreichische Gesellschaft etc.) ab.

Prinzipielle Feststellung des Obmanns Aichhorn: Jede Analyse beginnt als therapeutische. Die Anmeldung von Ausbildungskandidaten erfolgt über den Leiter des Lehrausschusses, der sie den Lehranalytikern zuteilt ohne Befragung des Vorstandes. Erst nach der Erklärung des Lehranalytikers wird er als Kandidat dem Lehrausschuss vorgeschlagen.

Der Vorschlag Dr. Jokls, das Lehrinstitut der Universität anzugliedern, wird von Obmann Aichhorn abgelehnt, da die Gefahr bestünde, Abteilung eines anderen Instituts mit anderen Zielen zu werden.

Mitgliedersitzung am 5. 12. 1946:

Ansuchen Dozent Dr. Thumb als Ausbildungskandidat wird wegen seiner politischen Vergangenheit abgelehnt. 

 

Zur Feier von August Aichhorns 70. Geburtstag:

 

Ein Höhepunkt in diesen Jahren war die Feier zu Aichhorns 70. Geburtstag. Otto Fleischmann hatte die Idee, Aichhorns Geburtstag im Rahmen der vom 19. - 24. 1948 in Wien tagenden „Bundeskonferenz für Wohlfahrtswesen“ zu feiern und hatte in diesem Sinne an Therese Wagner-Simon, die Generalsekretärin der S.E.P.E.G., geschrieben: „Ich habe seit langem die Absicht, den 70. Geburtstag Aichhorns, der auf den 27. Juli fällt, festlich zu begehen. Es erschien mir als selbstverständlich, daß die Wiener Psychoanalytische Vereinigung die Veranstalterin sein müsse. Da die S.E.P.E.G. Tagung am 20. Juli stattfindet und Aichhorn an dieser Tagung als Vortragender teilnimmt, hatte ich die Idee, seine Geburtstagsfeier damit in Verbindung zu bringen. […] Mein Plan ist folgender: Der ursprünglich für den Vormittag festgesetzte Vortrag Aichhorns, wird am Schluß der Nachmittagssitzung, in festlichem Rahmen, mit Begrüßungsansprachen der offiziellen Stellen, eingeleitet und als Festvortrag innerhalb des S.E.P.E.G. Programms gehalten. Da ich sicher bin, daß auch Sie, liebe Frau Doktor, meinen Vorschlag mit besonderer Freude aufnehmen werden, bitte ich Sie […] mir raschest telegrafisch das formelle Einverständnis der S.E.P.E.G. zukommen zu lassen.“[72]

Über die Geburtstagsfeier berichtete die „Rathaus-Korrespondenz“: „Ehrung Prof. Aichhorns durch die Gemeinde: Die Bundeskonferenz für Wohlfahrtswesen, die gegenwärtig in Wien tagt, nahm ihre heutige Vormittagssitzung zum Anlaß, um dem bekannten Wissenschaftler und Pädagogen Professor August Aichhorn zu seinem 70. Geburtstag zu gratulieren. Das vollbesetzte Auditorium Maximum der Wiener Universität sah neben vielen anderen Festgästen Vizebürgermeister Honay, Altbürgermeister Seitz, den geschäftsführenden Pärsidenten des Stadtschulrates, Nationalrat Dr. Zechner und Stadtrat Dr. Matejka. Am Ende seines Vortrags, den der Jubilar der Erforschung der Verwahrlosungsursachen der Jugend gewidmet hatte, ergriff in der langen Reihe der Gratulanten als erster Vizebürgermeister Honay das Wort. Er schilderte den Werdegang Prof. Aichhorns, der vor 50 Jahren in den Dienst der Gemeinde eintrat. Durch sein Wirken als Leiter des ersten städtischen Erziehungsheimes in Oberhollabrunn sowie als Leiter des Jugendamtes [Aichhorn war nie Leiter des Jugendamtes] leistete er viel für die Erziehung der verwahrlosten Jugend, konnte aber gleichzeitig manche Erfahrungen für sein Lebenswerk sammeln. Der Vizebürgermeister übermittelte dem verdienten Wissenschaftler die Glückwünsche der Stadtverwaltung und machte die Mitteilung, daß die Gemeinde Wien durch einen namhaften Künstler ein Bild Prof. Aichhorns anfertigen lassen wird, das den Städtischen Sammlungen übergeben werden soll. Nationalrat Dr. Zechner sprach im Namen der Schulbehörde seine Glückwünsche aus und betonte, daß die Tätigkeit Prof. Aichhorns für die Lehrerschaft von allergrößtem Nutzen war.“[73] Im „Wissenschaftlichen Pressedienst der Rathaus Korrespondenz“ war u. a. zu lesen: „Jedenfalls war es Aichhorn, der als Erster den Mangel, seine Erziehungserfolge nicht begründen zu können, schwer empfand. Seinem Wesen entsprach es, nicht bei Zufallsergebnissen stehen zu bleiben, sondern zu bewußter Arbeit zu kommen. Die Grundlage dafür gab ihm die Psychoanalyse Freuds. Es gehört der Mut eines großen Menschen und Erziehers dazu, in der von der sozialen Gemeinschaft ausgestoßenen Jugend, nicht den Sünder zu sehen, der sich gegen deren Normen vergangen hat, sondern in der erziehenden Außenwelt insoferne den Urheber der Verwahrlosung zu erkennen, als sie in der ersten Form der sozialen Gemeinschaft – der Familie – das Kind durch nicht tragbare Anforderungen zum Außenseiter der Gesellschaft macht, um es später als Außenseiter zu bekämpfen. […] Verwahrlosung beheben, heißt nicht ihre Symptome bekämpfen, wie es so oft der Strafvollzug tut, sondern die Ursachen […] aufdecken und beseitigen. Aichhorn legt mit seiner Lehre den Grundstein für eine Prophylaxe der Verwahrlosung, eine große Tat humanistischen Geistes in unserem gequälten Jahrhundert.“[74]

Aichhorn hatte anlässlich seines Geburtstags Schreiben vom Österreichischen  Bundeskanzler, vom Minister für Soziale Verwaltung,[75] vom Minister für Unterricht und von mehreren Stadträten bekommen.[76] Auch der Bürgermeister von Wien, Theodor Körner, schrieb ihm: „Sehr geehrter Herr Professor! Zur Vollendung Ihres 70. Lebensjahres übermittle ich Ihnen als Bürgermeister der Stadt Wien die aufrichtigsten und herzlichsten Glückwünsche. Es drängt mich, Ihnen an diesem Tage in Namen unserer Stadt herzlichen Dank zu sagen für Ihr Lebenswerk, das ja in besonderem Maße Wien gegolten hat und hier wieder besonders einer Schicht von durch das Schicksal Geschädigten: der verwahrlosten Jugend. Schon als junger Wiener Lehrer haben Sie dieser Jugend Ihr besonderes Augenmerk gewidmet, es war Neuland auf dem Sie wirkten, suchend und forschend haben Sie mehr und mehr Boden unter den Füßen gewonnen, Sie haben schließlich erkannt, dass hier, wenn auch unter großer Mühe und mit besonderer Hingabe geholfen und auch diese Jugend in die Gesellschaft eingefügt werden kann. Als dann die Stadt in den Nöten der ersten Nachkriegszeit gerade Ihnen die Leitung des Jugendheimes Oberhollabrunn übertrug, war das wohl ein Experiment: dass man just Sie damit betraute, war ein erstes Zeichen des großen Vertrauens, das Ihre Lebensarbeit schon damals erworben hatte. Ich muss in diesem Zusammenhang nicht besonders darauf aufmerksam machen, in welchem Maße Sie mit Ihrem schöpferischen Werk ‚Verwahrloste Jugend’ zum Ruhm der pädagogischen und psychologischen Wiener Schule in aller Welt beigetragen haben. Ihr Leben war so völlig der selbst gewählten großen Aufgabe hingegeben. Für diese Hingabe möchte ich Ihnen am heutigen Tage als Bürgermeister besonders danken.“[77]

Aichhorn antwortete Körner: „Hochgeehrter Herr Bürgermeister! Gestatten Sie mir, hochgeehrter Herr Bürgermeister, dass ich Ihnen meinen herzlichsten Dank für Ihren Glückwunsch und die mir durch die Gemeinde gewordene Ehrung ausdrücke. Ich freue mich ganz besonders deswegen, weil damit auch die Wissenschaft, die mir die Grundlage zu meiner Lebensarbeit gibt und deren Schöpfer, Sigmund Freud, anerkannt werden, der Mann, der als Schwerkranker seine Heimat verlassen musste um als Emigrant im Exil zu sterben. Erlauben Sie mir, hochgeehrter Herr Bürgermeister, meinem Dank noch hinzuzufügen, dass ich selbstverständlich jederzeit sehr gerne bereit sein werde, mitzuarbeiten, wenn die Gemeinde Wien meine Dienste in der Verwahrlostenfürsorge in Anspruch nehmen wird. Mit dem Ausdrucke Vorzüglichster Hochachtung.“[78] 

An Eissler schrieb Aichhorn über die Geburtstagsfeier: „Dr. Fleischmann hatte die unglückselige Idee, gelegentlich der hiesigen Bundeswohlfahrtskonferenz eine Geburtstagsfeier zu veranstalten. Seine Absicht war ja gut und die Veranstaltung nach außen hin ein voller Erfolg. Was es für mich bedeutete kannst Du Dir vorstellen. Ich mag solche Sachen im Allgemeinen nicht und insbesondere ekelte mir, als dieselben Stellen, wenn auch nicht dieselben Personen, die Du genau kennst, die mich seinerzeit unter den unwürdigsten Umständen in die Pension getrieben hatten, nun sich nicht genug tun konnten zu erklären, welche bedeutende Persönlichkeit ich sei u. s. w.“[79] Und im September 1948 schrieb Aichhorn an Eissler: „Wenn ich noch einmal auf die ‚öffentliche Geburtstagsfeier’ zurückkomme, so nur, weil ich Dich noch erinnern will an Eure seinerzeitige Vorsprache bei Tandler. Ich glaube Du, Frau Dr. Mahler und Dr. Biddle, der damals in Wien weilte, wollten ja Tandler bewegen, mich im Jugendamt weiter arbeiten zu lassen, damit wir das für die Ausbildung erforderliche Material zur Verfügung gestellt bekommen. Er hat Euch damals abgefertigt mit der Bemerkung, daß die Verhandlungen wegen ‚kleinlicher Gehaltforderungen’ meinerseits abgebrochen werden mussten. Ich habe noch die gesamte Korrespondenz aufgehoben und am Abend der ‚großen Feier’ wieder durchgelesen. Aber das alles nur so nebenbei, sie haben mich jetzt entdeckt. Am Samstag soll ich, über Ersuchen des Bürgermeisters, nach Eggenburg fahren, (Du weißt doch, was Eggenburg ist? Die Anstalt, die die Gemeinde Wien von Niederösterreich übernommen hat, als sie mich in Oberhollabrunn absägten) um über den Betrieb ein Gutachten abzugeben“[80] Eissler antwortete: „Natürlich erinnere ich mich an unser Gespräch mit Tandler. Der Eggenburg Auftrag zeigt doch, daß sich vieles in Wien geändert hat. Deine wirkliche Bedeutung werden sie natürlich nicht erkennen. Aber wer kann sich rühmen daß er es je getan hat. Ich habe die 10 Jahre in denen man am empfänglichsten ist an Deiner Seite verbracht + habe nur einen kleinen Teil von Dir wirklich erfahren.“[81]

Anna Freud hatte an Aichhorn geschrieben: „Dieser Brief soll zwischen dem 20. und dem 27. Juli, also zwischen Ihrem ‚offiziellen‘ und Ihrem privaten Geburtstag bei Ihnen ankommen. Zum offiziellen Teil habe ich Ihnen ein Telegramm geschickt und einen Artikel[82] für das Ihnen gewidmete Sammelbuch[83] geschrieben. Der Artikel gefällt Ihnen hoffentlich; das Thema ist, wie Sie wissen, Ihres und nicht meines und Sie hätten es selber besser ausgeführt. Aber ich habe es in Gedanken an Sie geschrieben, und zum Zeichen davon wieviel ich ebenso wie so viele andere - von Ihnen gelernt habe. Sie wissen ja selbst gar nicht, daß Sie ein ‚berühmter Mann‘ sind und ich weiß, daß Sie viele Hindernisse in sich selbst haben, um es zu spüren. Man muß es aber auch gar nicht selber spüren. Wenn einem die andern Menschen diesen Titel verleihen, so heißt das im Grunde nur, daß man imstande war, und ist, den andern irgendetwas zu bieten was sie selbst nicht haben oder können und wonach sie sich, als nach einer Bereicherung, sehnen. In ihrem Fall ist das eine sehr einzigartige Einfühlung in das Problem Verwahrlosung, die die Menschen an einem besonderen Punkt berührt: vielleicht an dem Punkt, wo jeder innerlich Stellung zu seiner eigenen potentiellen Verwahrlosung nehmen muß, oder einmal im Leben genommen hat. So sind Ihnen die Menschen für etwas Persönliches dankbar und schätzen Sie gleichzeitig für etwas Sachliches. Das ist doch eine schöne Kombination. Daß Sie dabei verurteilt worden sind eine Vaterfigur zu werden, was Sie im Grunde sogar ablehnen, das ist den Menschen gleich. Es handelt sich bei diesem merkwürdigen Vorgang des Berühmtwerdens ja nicht um Ihre Wünsche sondern um die der andern. Daß Ihnen alles mögliche Vergnügen an der Feier durch die Vortragsvorbereitung verdorben ist, tut mir sehr leid. Ich muß dabei an eine Skizze über den ‚Muttertag‘ denken, die ich einmal in Wien gelesen habe: die Familie macht dem Muttertag zu Ehren einen Ausflug und zur Vorbereitung muß die brave Mutter waschen, bügeln, die Kleider der Kinder stärken, einen Guglhupf backen, das Essen einpacken, etc. etc. etc. bis sie sich, zu ihren eigenen Ehren, völlig erschöpft hat. So macht man es mit Ihnen, so hat man es mit meinem Vater gemacht und so macht man es oft mit mir. Nur die Grabrede braucht man sich zum Schluß nicht selber halten. Dabei fällt mir ein, warum ich im Grunde nicht einverstanden bin, daß Sie 70. Geburtstag haben. Ich will gar nicht, daß Sie älter werden, verzichte gerne auf alle runden und eindrucksvollen Zahlen bei Ihnen und will auch nicht erinnert werden, daß Sie älter sind als ich. Viel lieber als Ihr 70. Geburtstag wäre mir ein Versprechen, daß Sie immer der Gleiche bleiben, daß Sie gesund sind, daß Ihr Herz sich anständig benimmt - und daß Sie mir als Freund bleiben. Aber der Geburtstag ist gut für die andern Leute, - die Ihnen nicht so nahe stehen und eine Gelegenheit abwarten müssen, um Ihnen etwas Gutes über Sie zu sagen. Ich schreibe Ihnen diesen Brief vom Strand, auf allen Seiten ist nur Meer, Sand, Marschlandschaft und Gewässer, nirgends ein Mensch zu sehen. Der Himmel ist so blau wie in Lausanne an der Ecke vom See. Vielleicht können wir bald einmal wieder irgendwo zusammensitzen. Alles Gute bis dahin!“[84]

Aichhorn antwortete ihr: „Meine liebe Anna! Vor eineinhalb Stunden kam Ihr Geburtstagsbrief. Gemeinsam mit Ihnen feierte ich meinen Geburtstag und bin über die tiefe Verbundenheit glücklich. Leid tut mir, daß ich Ihnen jetzt nicht wortlos die Hand drücken kann. Nehmen Sie tiefstes Empfinden als Dank, anderes kann ich nicht geben.

Aber auch von der ‚offiziellen‘ Geburtstagsfeier am 20 einiges. Fleischmann hatte die unglückliche Idee, im Rahmen der vom 19. - 24. hier tagenden ‚Bundeskonferenz für Wohlfahrtswesen‘, anschließend an meinen Vortrag: Die Verwahrlosung einmal anders gesehen,[85] eine Geburtstagsfeier zu veranstalten. Als ich davon erfuhr, war es zu spät sie zu verhindern. Seine Absicht war gut und nach außen hin wurde die Veranstaltung zu einem vollen Erfolg.[86] Stellen Sie sich aber mich, auf dem Podium sitzend, die offiziellen Glückwünsche entgegennehmend, vor.[87] Ich mag solche Sachen an sich nicht, dazu noch die besondere Situation: dieselben Stellen, die mich seinerzeit verfehmten, mir Oberhollabrunn nahmen,[88] nichts unversucht ließen, mich im Jugendamt in die untergeordnete Stellung zu zwingen, können sich nun der Ehrungen nicht genug tun. Es ekelt einen an. Erinnern Sie noch, wie schmählich sich Tandler in Angelegenheit der Erziehungsberatung benommen hat und wie sein Verhalten mich zwang die Erziehungsberatung sofort einzustellen?       Ich habe damals das alles über mich ergehen lassen, wie diesmal die lächerliche Geburtstagsfeier.[89] Am Schluße kam der seinerzeitige Leiter des Jugendamtes Senatsrat Dr. Rieder auf mich zu und sagte: ‚Wie haben Sie sich gefühlt?‘ Meine Entgegnung: ‚Das fragen Sie, der doch seinerzeit im Auftrage der Dienststelle meine Absägung besorgten.‘ Darauf er: ‚Wenn ich heute beauftragt worden wäre, Sie zu beglückwünschen, hätte ich gesagt, irren ist menschlich, wir haben Sie weitaus unterschätzt und dementsprechend behandelt, wir geben zu, daß Sie sich trotzdem durchgesetzt haben und freuen uns heute, zu Ihrem 70. Geburtstag die Möglichkeit haben, dies einzugestehen.‘ Er fügte dann noch hinzu, ‚das wäre ehrlich und anständig gewesen.‘ Ähnliches als Privatmann - er ist längst in Pension - zu sagen, dazu hat dazu hat ihm doch der Mut gefehlt. Er beglückwünschte mich auf seine Art.“[90]

Auch von vielen Kollegen, Freunden und Psychoanalytischen Vereinigungen in Europa und den USA hatte Aichhorn Glückwunschbriefe und -Telegrammen erhalten. So schrieb ihm etwa Hedwig Hoffer: „Lieber Freund, erinnerst Du Dich an den kalten regnerischen Maitag am Graben, als Du mir den ersten und bis jetzt letzten Kuss gegeben hast? In der ganzen Konfusion und Scham dieser Zeit war Deine Wärme und deine Haltung das einzig tröstliche Moment. Ich habe das nie vergessen und ich bin froh, daß Dein Geburtstag mir den Anlass gibt Dir das zu sagen. Aber Dein Geburtstag ist auch der richtige Tag Dir zu sagen wie viel Anregung und Belehrung ich Dir verdanke. Daß ich einigermassen gelernt habe mit Menschen umzugehen, geht auf meine ersten Eindrücke in Wien zurück, als ich völlig unberührt von Erfahrung und Wissen eine staunende und erstaunte Zuhörerin Deiner Beratung im Rathaus war. Durch Anna und durch Willi weiß ich was Du in der Zwischenzeit alles geleistet und überstanden hast – das erstaunt mich gar nicht. […] Tausend gute Wünsche in alter Freundschaft und Bewunderung, Deine Hedwig.“[91]

Willi Hoffer schrieb: „Lieber Freund, unter den vielen Gratulanten, die sich anlässlich Deines 70. Geburtstags in diesen Tagen bei Dir melden, wird es nicht viele geben, die wie ich die Ehre und die Freude haben Dich seit über 25 Jahren persönlich gekannt zu haben. Ich bin sehr stolz auf diese lange Bekanntschaft und ich freue mich mit Anna Freud, Frau Dworschak, Paul Federn und den Mitgliedern der alten Wiener Vereinigung, soweit sie Dich in ihr Herz geschlossen haben, Dir meine Glückwünsche zu überbringen. Für mich und für uns alle bist Du nach wie vor der August Aichhorn, der sich mit neuen und bahnbrechenden Ideen der Psychoanalyse angeschlossen hat und ihr immer treu geblieben ist. Es war für mich gar keine Überraschung als Anna Freud nach der Rückkehr von Genf sagte: ‚Aichhorn ist ganz der alte, wie er immer war, es war sehr, sehr schön mit ihm zu sein’.[92] Ich habe sie nur aufrichtig beneiden können. Deine Verehrer und Freunde in den Vereinigten Staaten haben – was nunmehr kein Geheimnis mehr ist – zu Deinem 70. Geburtstag eine Festschrift herausgegeben. […] Die Festschrift hat zwei Aufgaben zu erfüllen: Dich zu ehren und Deine Lehren zu verbreiten und zu vertiefen. Wir hoffen, dass sie beide Aufgaben erfüllen wird. Ich werde nicht überrascht sein, wenn Du finden würdest, dass darin auch manches zu lesen ist, was ‚missverstandener Aichhorn’ genannt werden wird. […] Wie Du weißt ist die Idee der ‚Verwahrlostenanalyse’ den Psychoanalytikern der westlichen Länder neu und sie muss ihnen in einer geläufigen Sprache beigebracht werden. Ich habe daher versucht, den Psychoanalytikern klar zu machen, wie Du den ‚jugendlichen Hochstapler’ behandelst und warum die ‚klassische Methode’ bei ihm wirkungslos sein muss.[93] Ich habe meiner Beschreibung den Titel ‚Deceiving the Deceiver’ gegeben, was soviel heisst wie der ‚Betrogene Betrüger’.[94] Kurt und andere haben sich sehr anerkennend ausgesprochen, ich weiss aber, dass ich Deine Methode nicht ganz erfasst habe. Die Einsicht in meine eigenen Unzulänglichkeiten bei der Behandlung jugendlicher Hochstapler hat mir aber eine Möglichkeit gegeben so darüber zu schreiben, dass andere davon profitieren werden. Ich glaube, es ist mir gelungen die Verwandlung des Hochstaplers in einen anhänglichen Angstneurotiker zu beschreiben und dieses Stück gelungener Identifizierung mit Dir ist eine Quelle starker Befriedigung für mich. So waren unsere Samstagabende in der Berggasse und die Wiener Kaffeehäuser doch ganz nützlich. Nur zu gerne hätte ich persönlich die emigrierten Wiener Psychoanalytiker bei Deiner öffentlichen Feier und mit Dir und Deiner Familie präsentiert, leider muss ich bis zu Deinem 75. Geburtstag warten. Wir müssen arbeiten – nicht so viel wie Du es tust aber man wird nicht jünger, muss ans Alter denken und wir haben spät angefangen an die Sicherung des Alters zu denken. Hoffentlich ist es der Mühe wert. Du hast allen Grund zufrieden und stolz zu sein. Genius und Treue sind eine Mischung eingegangen, die Dich mit den Gefühlen des Glücks, des Erfolgs und der Sicherheit erfüllen müssen, ob Du nun in die Vergangenheit oder in die Zukunft schaust.“[95]

Auch Margaret Mahler hatte Aichhorn einen Geburtstagsglückwunsch geschrieben: „Lieber Herr Vorstand, heute am 27ten Juli denke ich unausgesetzt an Sie und wenn innige Wünsche die geringste magische Kraft besitzen, müssen Sie wirklich in voller Frische und Lebensfreude einhundertundzwanzig Jahre alt werden. Ich liege hier auf einer einsamen Farm in der Mitte von Bergen im Gras und erinnere die vielen schönen Erlebnisse die mir durch Sie ermöglicht wurden. Je älter und reifer man wird – es ist leider späte Reife in meinem Falle – umso klarer ist man im Stande den richtigen Wert persönlicher Erfahrungen abzuschätzen. Ich erinnere aus meiner Analyse den kitschigen kleinen Reim der mir nicht aus dem Kopf ging:

Mitten auf der grünen Wiese

Liegt die ‚Kleine Anneliese’

Und schaut Wolken an….

Träumt von Riesen und von Zwergen

Und von Schokoladebergen

Und vom Weihnachtsmann.

Vor dreiundzwanzig Jahren wie heute sind Sie ‚die Riesen‘ wie das Symbol des liebsten Weihnachtsmannes aller Kinder für mich zumindest – Ich habe soeben zwei highballs (whisky soda) auf Ihr Wohl getrunken mit meiner amerikanischen Freundin – Analytikerin [Name unleserlich] – Autorin des Buches Modern Women. The lost sex – ein Bestseller – und ich erzählte ihr über den Autor von Verwahrloste Jugend! Ich weiß wie viele mit mir an diesem Tage liebevoll Ihrer gedenken. Da aber Menschen egozentrisch gebaut sind, möchte ich an diesem Tag Ihnen doch sagen, wie glücklich und stolz ich heute bin, Sie zu kennen und in Ihrer Nähe gewesen zu sein. Leben Sie wohl lieber hochgeschätzter Freund und verzeihen Sie diesen sehr dummen, primitiven, aber in seiner Sentimentalität ehrlichen Geburtstagsgruß.

In liebevollem Gedenken Ihre Margit Mahler.“[96]

Über einen Geburtstagsgruß freute sich Aichhorn wohl ganz besonders, nämlich über ein Schreiben Martha Freuds. Sie hatte ihm geschrieben: „Lieber alter Freund, meine Unpünktlichkeit entstand durch das Zusammentreffen unsrer Geburtstage, und noch ganz erdrückt durch die vielen Beweise von Liebe, Freundschaft und Anhänglichkeit, die mir zu Theil wurden - komme ich erst heute dazu, Ihnen zu dem schönen Fest, das man Ihnen bereitet, auch meinerseits meine Grüsse zu senden und meine wärmste Anteilname auszudrücken. Doch glauben Sie nicht etwa, daß Ihr 70er mir imponiert, keineswegs, bin ich Ihnen doch um ganze 17 Jahre voraus. Was liegt aber schon daran, ob so ein altes Mütterchen noch zwischen Kindern und Enkeln herumtrippelt? Sie werden mir Recht geben, wenn ich meine, das Gnadengeschenk hohen Alters sollte vor allen Dingen denen beschieden sein, die den Menschen Wertvolles, ja Unersetzliches zu leisten im Stande sind. Und aus dieser Erwägung heraus lassen Sie mich wünschen, daß Ihnen noch ungezählte Jahre rüstigen Schaffens gegönnt sein möchten, zur Freude Ihrer vielen, vielen Freunde zu denen sich ganz im Hintergrunde zählt die alte Mutter Freud“[97]

Aichhorn antwortete ihr: „Liebe Mama Freud! Unter den vielen Geburtstagswünschen gibt es zwei wertvollste: den von Anna und von Ihnen. Ich bin gerührt, nicht weil Sie sich meiner erinnern, sondern weil dies in so liebevoller Weise geschieht. Liebe Mama Freud, Sie meinen, es bedeute nichts, daß ein ‚altes Mütterchen noch zwischen Kindern und Enkelkindern herumtrippelt.’ Ich sehe das ganz anders; ich sehe wie bedeutungsvoll es ist, daß Ihre Kinder und Enkelkinder und auch wir Sie haben. Aber eines ärgert mich wirklich: ich kann trotz meiner Jugend nicht mehr so rennen, daß ich die 17 Jahre, die Sie mir voraus sind, einhole. Es bleibt mir nichts, als mich damit abzufinden. Von Ihrem Geburtstag wußte ich leider nichts. Ich bitte, meine innigsten Wünsche bis 120 entgegen zu nehmen. Mit ergebenem Handkuß, in Verehrung Ihr August Aichhorn“[98] 

 

August Aichhorns Vortragsreisen, seine Erkrankung in Budapest:

 

Seinen Sommerurlaub verbrachte Aichhorn in Bad Gastein, für den Herbst waren Vortragsreisen nach Budapest, Amsterdam und Stuttgart vorgesehen. 

Aichhorn an Eissler: „Nach Budapest bin ich wieder nur kurze Zeit in Wien, weil ich einer Einladung der Amsterdamer Vereinigung folgend, dort einen und auch einen öffentlichen Vortrag halte. Dr. Schottländer aus Stuttgart, der sich bemüht in Stuttgart eine analytische Gruppe aufzubauen, hat mich gebeten, ob ich nicht kommen wolle. Ich werde auf der Rückfahrt in Stuttgart halt machen und ihm so weit als möglich behilflich sein. Voraussetzung ist nur, daß ich die nicht leicht zu bekommende Einreisebewilligung nach Deutschland erhalte. Kennst Du Dr. Schottländer, er war einige Jahre in Wien? Meine geregelte Arbeit in Wien beginnt erst anfangs Oktober. In Wien bekommen wir doch nach und nach Einfluß. Der Bürgermeister hat mich eingeladen, als Experte nach Eggenburg zu fahren, weil es in der Anstalt Schwierigkeiten gibt. Die Fürsorgerinnenschule wird neu organisiert, den Stundenplan können wir nach unseren Einsichten verändern.“[99]

Als Hans Lampl von Aichhorns Vortragsreisen in die Schweiz im Herbst 1947 und im Frühjahr 1948 erfahren hatte, schrieb er ihm: „Wir freuen uns sehr, dass Sie weiter so reiselustig sind und möchten natürlich auch sehr gerne, dass Sie auch nach Holland kommen. Es ist wohl das einfachste für Sie, wenn Sie z.B. zu uns kommen, wenn Sie mit Ihrem Kurs in Lausanne fertig sind. Es ist sicherlich viel einfacher, wenn Sie die Ausreise aus Österreich nicht zweimal arrangieren müssen. Ich will für alle Fälle veranlassen, dass man Ihnen ein holländisches Visum verschafft. Dass muss von hier aus geschehen. Wir hoffen sehr darauf, dass auch dann bei uns in der Vereinigung einen Vortrag halten. Wir wüssten natürlich gerne so bald wie möglich, wann Sie kommen wollen. […] Zur Frage Holland habe ich noch vergessen ausdrücklich zu erwähnen, dass unsere Einladung an Sie beim Kongress bei uns zu wohnen, natürlich auch diesmal seine Gültigkeit behält“ und Jeanne Lampl-de Groot schrieb im selben Brief: „„Ich wünsche Ihnen alles, alles Gute für das nächste Jahr und hoffe sehr, Sie bei uns zu sehen, so lange wie Sie selbst wünschen, sind Sie eingeladen.“[100]

Aichhorn antwortete: „Für die liebe Einladung nach Amsterdam, danke ich recht sehr, aber anschließend an meinen Aufenthalt in der Schweiz kann ich nicht kommen. Es ist mir einerseits unmöglich, so lange von Wien weg zu bleiben und ich fürchte andererseits auch, dass es mir doch zu viel werden könnte. Vergessen Sie nicht, ich bin nahezu 70 Jahre alt. […] Ihrer Gattin, bitte ich zu sagen, dass ich in Amsterdam natürlich außer einem Vortrag in der Psychoanalytischen Vereinigung auch sehr gerne einen öffentlichen Vortrag für ein größeres Publikum halte, allerdings in deutscher Sprache. Für die mir zugesagte Gastfreundschaft in Amsterdam danke ich jetzt schon herzlichst.“[101]

Lampl an Aichhorn: „Es freut uns sehr, dass Sie kommen wollen. Die Analyse ist in Holland in einem Stadium vollster Blüte und wenn Sie kommen, dann wird ihr das ausserordentlich gut tun. Sehr schön, dass Sie auch bereit sind, hier einen Vortrag für einen grösseren Kreis zu halten. In Pädagogischen Kreisen ist hier besonders viel Interesse für alle analytischen Probleme.“[102]

Aichhorn an Lampl: „Von der holländischen Vereinigung kam eine Einladung vom 3. Juni in der Vereinigung einen Vortrag zu halten. Ich komme sehr gerne in der zweiten Hälfte September. […] Wenn Sie damit einverstanden sind, spreche ich in der Vereinigung über die ‚Kategorien der Verwahrlosung’, im öffentlichen Vortrag, ‚Die Verwahrlosung einmal anders gesehen’. Außerordentlich freuen würde ich mich, wenn es Ihnen gelänge, Anna Freud zu bewegen, zur selben Zeit nach Holland zu kommen.“[103]

Felix Schottlaender hatte aus Stuttgart an Aichhorn geschrieben: „Lassen Sie mich Ihnen, auch im Auftrag des zur Zeit in der Schweiz abwesenden Leiters unseres Instituts, Dr. Bitter, vor allem aber ganz persönlich die herzlichsten Glückwünsche zu Ihrem 70. Geburtstag aussprechen und Ihnen für die Einladung danken, die Sie uns zu der festlichen Begrüßung am 20. Juli zugedacht haben. Wie gerne wäre ich als Abgeordneter des Instituts zu Ihnen gekommen, Ihnen selbst die Hand zu drücken und den Dank zu erneuern, den ich Ihnen für mein ganzes Leben für all das schulde, was ich an Belehrung und Anregung in meinen Wiener Jahren aus Ihrer Hand empfangen habe. Leider beschränken die Zeitverhältnisse meinen Glückwunsch auf diese mageren schriftlichen Zeilen, die jedoch darum nicht minder herzlich sind. Möge Ihnen noch viele Jahre segensreichen Wirkens an der Spitze der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung vergönnt sein. Sie können sich denken, welch große Freud es für uns ist, daß wir Sie zu der von uns für den Herbst geplanten Pädagogischen Woche werden erwarten dürfen. Selbstverständlich ist uns auch Herr Dr. Fleischmann herzlich willkommen. Das Vortragsthema möchten wir ganz Ihnen überlassen: vielleicht hätten Sie Lust, einiges Grundsätzliche über die Probleme der Erziehungsberatung nach dem Kriege auszuführen. Je mehr Kasuistik und Beispiel, desto erwünschter. Auch Herr Dr. Fleischmann bitten wir, über ein von ihm gewähltes Thema sprechen zu wollen. […] Wir dachten, daß unsere Tagung in den letzten Septembertagen stattfinden soll und etwa drei bis vier Tage dauert. Würde Ihnen das recht sein?“[104] 

Aichhorn, der in Budapest einen Gehirnschlag erlitten hatte, konnte keinen dieser Pläne verwirklichen.[105] Lajos Lévy berichtete Anna Freud über Aichhorns Besuch in Budapest: „Aichhorn überraschte mich heute vor 8 Tagen mit seinem Besuch. Bei der Ankunft – es war um ¼ 3 nachts, der Zug hatte 2 und halb Stunden Verspätung – machte er auf mich den Eindruck eines Greises. Dieser Eindruck verflüchtigte sich, als er zu sprechen anfing. Sein reger Geist, seine so eigenartige Sprachwendigkeit waren die alten und ich hatte richtige Freude daran, wie er in Wien Frage und Zukunft der Psychoanalyse zugegriffen hat. Ich sah, dass er endlich dort ist, wo er immer zu wollte: der anerkannte und weltberühmte Fürsorger, der in seinem Fach die höchste Kunst erreicht hat. […] Kata kam am Dienstag zurück und Mittwoch Vormittag gingen sie ein Kinderheim besuchen, das von der Partei für Kinder der höchsten Parteifunktionäre eingerichtet ist. Die Leiterinnen wollten in einigen Fragen Ratschläge von ihm haben. Während dies hatte er auf einmal das Gefühl, dass er gewisse Worte nicht richtig aussprechen könnte. Mittags sah ich ihn in recht großer Aufregung und hörte seine subjektiven Klagen. Bei näherem Zusehen konnte ich feststellen, dass bei ihm eine leichte Sprachstörung vorhanden ist, die man nach Head als syntaktische Aphasie, in deutscher Terminologie als Jargon-Aphasie bezeichnen kann. Es bestand eine ganz eigentümliche Störung, indem er gewisse Worte beim Aussprechen und vornehmlich beim Abschreiben mit alliterierenden Silben bespickte. Nach 24 Stunden war alles wieder in Ordnung und er ist gestern mit Dr. Fleischmann nach Hause gefahren. Ich glaube, dass ihm in Wien niemand etwas anmerken wird. Fremde haben bei ihm nur eine gewisse Müdigkeit bemerkt, die eigentliche Störung haben außer mir nur Kata und Dr. Fleischmann gesehen. […] Ich habe ihm den Anfall als eine Folge von Gefäßspasmus hingestellt und ihm versichert, dass, wenn er die vorgeschriebene Kur und vorzüglich eine weitgehende Schonung in den nächsten 6-8 Wochen durchführt, es möglich und zu erhoffen ist, dass solche Störungen gar nicht mehr vorkommen würden. Trotzdem er ein blindes Vertrauen zu mir hat, weiß ich nicht, wie lange meine Äußerung wirken wird. […] Was nun meine Auffassung betrifft, so glaube ich an die so allgemein anerkannten ‚Gefäßspasmen’ nicht. Ich habe kein pathologische Vorstellung und auch keine objektive Erfahrung darüber, wie vorübergehende Spasmen d.h. Gefäßkaliberschwankungen anhaltende Störungen, Ausfallserscheinungen verursachen könnten. Meiner Auffassung nach handelt es sich immer entweder um Gefäßverstopfungen oder um ganz kleine Blutungen. Da bei ihm vorher überhaupt keine Vorsymptome waren und auch die Störung ohne allgemeine Symptome wie Schwindel, Brechreiz, Bewusstseinsstörung etc, ganz plötzlich auftrat, so glaube ich, dass es sich um eine ganz kleine Blutung in dem die assoziativen Sprachbahnen enthaltenden Gehirnteil handelte. Es ist ganz gut möglich und auch recht wahrscheinlich, dass diese Laesion ohne Rest ausheilen wird. Seine Grundkrankheit: die Hypertonie hat oft einen Verlauf der mit solchen flüchtigen Lähmungserscheinungen verläuft. […] Und ich habe sehr viele Fälle gesehen, die nach einem ersten Anfall noch viele Jahre hindurch ihrem oft sehr schweren verantwortlichen und anstrengenden Beruf vollständig nachgehen konnten. Doch ist die Prognose in jedem Fall anders, so muss ich in der Beurteilung Aichhorns sehr vorsichtig sein. […] Ich bedauere sehr, dass ich wieder einmal den Boten schlechter Nachrichten spielen musste. Doch ich musste dies alles Ihnen mitteilen. Aichhorn sagte fortwährend, wie gut es war, dass ihn der Anfall hier überkam, das betonte er mehrmals auch Kata und Dr. Fleischmann gegenüber. Und ich habe das Gefühl, dass ich ihm nicht nur körperlich, sondern auch seelisch etwas helfen konnte. Nun wenn wir Glück haben, so kann er mit einer immer mehr verblassenden Erinnerung eines ‚bösen’ Traumes (sein Ausdruck) davon kommen.“[106] 

Anna Freud an Lajos Lévy: „Ich danke Ihnen ganz besonders dafür, dass Sie mir über Aichhorn geschrieben haben. Ich habe mir natürlich große Sorgen um ihn gemacht, aber ich war doch so sehr froh, orientiert zu sein. Inzwischen hat er mir auch geschrieben, dass es ihm wieder gut geht und dass ihm von der überstandenen Attacke vorläufig nur der Schreck und die Unsicherheit geblieben sind. Beides ist sehr begreiflich. Aber ich möchte so gern hoffen, dass es wirklich nur ein Schreckschuss war und sich nicht wiederholen wird. Wie ich in der Schweiz mit ihm zusammen war ist er mir allerdings gar nicht gut vorgekommen. Er verliert so schnell den Atem und auch die kleinste Steigung strengt ihn ungeheuer an. Das muss doch ein schlechtes Zeichen für das Herz sein. Aber vor allem gefällt es mir nicht, dass er den Budapester Zustand nach der Erholung in Gastein gehabt hat, also nicht als Folge von Arbeit Anstrengung, etc. Nach seinen Briefen würde ich schließen, dass er sich in der Zeit vor seinem Geburtstag mit den Vorbereitungen für die Vorträge ganz besonders überarbeitet und auch aufgeregt hat. Ich bin sehr froh, dass er in Ihrer Nähe war und ich wünschte, er könnte mehr unter Ihrer Aufsicht sein. Sie sehen, wie sehr ich an Ihre Macht glaube, auch das abzuhalten, was sich vielleicht doch nur als Schicksal in irgendeiner Form manifestiert.“[107]

Bereits am 16. September hatte Aichhorn an Anna Freud geschrieben: „Heute muß ich Ihnen aber über recht qualvolle 24 Stunden berichten. Der Vorfall war folgender: Ich besuchte mit Kata und Dr. Fleischmann ein Säuglingsheim. Nach der Besichtigung setzten wir uns mit der Leiterin und der führenden Kinderärztin zusammen, um einige Fragen zu besprechen. Da die Ärztin keinerlei Reinlichkeitserziehung gestaltet, die Kinder von selbst rein werden, interessierte mich das Bettnässerproblem, das in Heimen so viele Schwierigkeiten macht. Als ich die Frage stellen wollte, konnte ich plötzlich das Wort ‚Bettnässer‘ nicht aussprechen. Gleichzeitig hatte ich das Gefühl vergessen zu haben, was ich fragen wollte. Es wurde irgendein Gestammel, das die anderen zwar merkten, aber wie Dr. Fleischmann mir nachher sagte, im allgemeinen Gespräch nicht besonders auffiel. Ich erlebte einen fürchterlichen Schock, hatte die Angst überhaupt nicht sprechen zu können, versuchte es auch nicht mehr, sondern blieb stiller Zuhörer. Beim Abschied gelangen die Worte ganz gut und deutlich. Und doch merkte ich, daß ich einzelne Worte nicht aussprechen konnte, was bei anderen gelang.

Lajos wollte ich begreiflich machen, daß ich Schwierigkeiten beim Artikulieren habe. Das Wort brachte ich nicht heraus. Als Lajos es aussprach, konnte ich es auch aussprechen und behielt es von da an. Nach dem Mittagessen versuchte ich durch Aufschreiben von Worten Kontrolle über mich zu gewinnen und dabei merkte ich, daß es sich nicht nur um Sprechen handelt, sondern daß auch das Niederschreiben Schwierigkeiten machte. Mehrsilbige Wörter wurden im Schreiben immer länger. Ich wußte genau, daß ich Silben verdoppelte, aber irgendwie gehörte das dazu. Nach stundenlangem Bemühen wurde es langsam besser. Es war, als ob ich jedes Wort neu lernen müßte. Wenn es da war, behielt ich es auch.[108]

Nach 24 Stunden war der Anfall abgelaufen und zurück blieb mir eine große Unsicherheit. Es war richtig Angst da, die Kontrolle zu verlieren und arbeitsunfähig zu werden.

Lajos behauptet, daß es sich um einen Gefäßkrampf gehandelt hat, ich bin anderer Meinung.[109]

Lajos verbot den Vortrag in Budapest, die Reise nach Amsterdam, für die nächsten 6 Wochen Kurse, Seminare, Vorträge in Wien und verordnete mir für die Zeit Tropfen und Tabletten. Wir vereinbarten, daß er, (Lajos) Kata und Dr. Fleischmann niemandem von dem Vorfall Mitteilung machen werden und daß wir die etwas eingeschränkte Arbeit in Wien mit der notwendigen Schonung nach der Gasteiner Kur begründen. Lajos weiß natürlich auch nicht, daß ich Sie genau informiere.[110] […] Schreiben Sie mir bitte bald nur paar Zeilen.“[111]

Anna Freud antwortete ihm umgehend: „Lieber Aichhorn,  Ob ich über die Entfernung weg etwas von dem gespürt habe, was Sie in Budapest erlebt haben? Vor einer Woche habe ich plötzlich mitten in einer Arbeitsstunde beschlossen, daß ich doch nach Amsterdam fliegen kann, um Sie dort zu treffen. Tags vorher hatte ich noch an Jeanne Lampl geschrieben, daß ich gerne kommen möchte, aber nicht kann. Dann war der Entschluß plötzlich da, ich weiß nicht woher und ich habe bei der Fluggesellschaft angefragt um Fahrplan, Preis etc. Mit der Antwort gleichzeitig habe ich auch schon aus Holland gehört, daß Sie nicht kommen können, und dann heute Ihr Brief! Ob die vielen Reisen der letzten Zeit zu viel Anstrengung für Ihr Herz waren? Oder die Unruhe der Geburtstagsfeier mit der vielen Arbeit vorher für den Vortrag? Was immer das kurze Versagen der Gefäße war, es kann keinen Schaden hinterlassen haben und es kann nur eine minimale Region betroffen haben. Sonst könnte die Störung nicht so zircumscript gewesen sein und das Wiedererobern des Gestörten innerhalb weniger Stunden. Ich habe sofort nachgelesen in einem medizinischen Handbuch und versucht zu verstehen, was es bedeutet.

Ihre Schilderung hat mich merkwürdig daran erinnert, wie mein Vater in bestimmten Zuständen, die er ‚Flimmermigraine‘ genannt hat, geklagt hat, daß ihm Worte entfallen oder sich verzerren. Das hat gewöhnlich einige Stunden gedauert. Nur muß das Ihre schärfer und konzentrierter gewesen sein. 

Ich kann mir sehr gut vorstellen, was für ein Schreck es war. Das Ärgste ist die plötzliche Einsicht, wie alles, was man selbst ist, nur an einem Haar hängt, an irgendetwas Minimalem, Mechanischen, über das man keine Macht hat und das einen doch so ganz in der Hand hat. Wie ich Ihren Brief bekommen habe, war es plötzlich als wäre ich es selber und ich fand plötzlich das Sprechen schwer.

Es ist gut, daß Lajos in der Nähe war. Ich glaube, er ist der klügste Internist, den wir überhaupt jetzt haben. Und es ist gut, daß er Ihnen den Vortrag und die Reise verboten hat, - wenn ich Sie auch so sehr gerne in Holland getroffen hätte. Nächstes Mal! Jetzt soll es nur nicht wiederkommen, so daß Sie sich wieder sicher und unbedroht fühlen. Ich bin ganz bei Ihnen, mit jeder Stunde, in der Sie sich Ruhe gönnen.

Ich bin sehr froh, daß Sie es mir so genau geschrieben haben und ich werde dasselbe tun, wo es sich um meine Sorgen oder Schrecken handelt.“[112]

 

Zum Projekt eines „August Aichhorn Forschungsinstituts für verwahrloste Jugend“:

 

Ein Projekt, das Aichhorn während jener Jahre beschäftigt, das aber wegen seiner Erkrankung nicht mehr durchgeführt werden konnte, war seine Idee, ein Forschungsinstitut in Wien zu etablieren. Bereits im Dezember 1947 hatte Paul Federn dazu an Aichhorn geschrieben: „Ich habe schon ein Committee (Dr. Hawkins, Mahler, Dr. Eissler) zusammengebracht, die die Geldaufbringung in die Hand nehmen. Ich persönlich würde die Versicherung wünschen, dass unter den Schülern und Zöglingen auch Juden sein werden. Die Verirrung und Vertierung des Wiener Antisemitismus in den letzten Dezennien macht solch eine Gegen-Einstellung nötig. […] Ich kann mir vorstellen, wie schwer alles in Wien wurde – und möchte wissen, ob Sie persönlich genug Auslandshilfe haben. […] Obgleich man hier schnell lebt und vergisst, sind Sie nicht vergessen hier.“[113]

Aichhorn hatte ihm geantwortet: „Außerordentlich freuen würde mich, wenn Ihnen die allerersten Ansätze zur Errichtung eines Forschungsinstitutes in Wien gelängen. Für sich wünschen Sie von mir die Versicherung, daß unter den Schülern und Zöglingen auch Juden sein werden. Ich teile Ihnen die Tatsache mit, daß unter unseren Vereinsmitgliedern, Ausbildungskandidaten und unter den Verwahrlosten, die wir betreuen, Juden sind. Es ist daher selbstverständlich, daß auch im Forschungsinstitut weder Rassen noch Konfessionsunterschiede gemacht werden. […] Auslandshilfe bekomme ich namentlich durch Dr. Eissler und seine Vermittlung genug.“[114] 

In Sachen Forschungsinstitut wandte sich Otto Fleischmann im Februar 1948 zunächst an Willi Hoffer: „Prof. Aichhorn hat mich […] in Angelegenheit des unterseiner Leitung geplanten Forschungsinstituts Einsicht nehmen lassen. Es besteht bei den obwaltenden Verhältnissen kein Zweifel, daß die Errichtung eines solchen Instituts im Rahmen der Aktion Wiener Jugendamt-RAYAC derzeit nicht realisierbar erscheint. Nun teilte Dr. Federn mit […], dass er ein Komitee […] zusammengebracht hat, das die Geldaufbringung in den U.S.A. für das Forschungsinstitut in die Hand nehmen würde. Ich möchte mich mit dem Vorschlag an Sie wenden, zum Anlaß von Aichhorns 70. Geburtstag mit der Begründung eines Fonds, der den Titel haben könnte: ‚August Aichhorn Forschungsinstitut für verwahrloste Jugend’, den Grundstein für das kommende Institut zu legen. […] Ich denke aber daran, daß Teilbeträge aus diesem Fonds, in der Zwischenzeit der Wiener Vereinigung zu Ausbildungszwecken zur Verfügung gestellt würden. Ich kann aus unmittelbarer Nähe die aufopfernde Arbeit sehen, in der Aichhorn heute seine Lebensaufgabe sieht, in Wien wieder eine junge Generation von Analytikern und analytisch geschulten Pädagogen heranzubilden und glaube, daß er sich über die Realisierung meines Vorschlages außerordentlich freuen würde. Über die effektive Überweisung der Teilbeträge und sonstige Einzelheiten, könnte ich mit Fräulein Anna Freud in Lausanne sprechen. Wenn Sie meinen Vorschlag günstig aufnehmen, bitte ich, diesen an Dr. Federn nach New York weiterzuleiten, um damit eine gemeinsame Aktion in England und Amerika zu veranlassen. Eine Abschrift dieses Briefes sende ich an Herrn Dr. Eissler nach New York.“[115]   

An Eissler schrieb Aichhorn: „Wie viel Geld zur Gründung dieses Fonds zusammengebracht wird, ist gleichgültig. Er soll durch regelmäßige kleinere Einzahlungen und durch gelegentliche Zuwendungen im Laufe von Jahren wachsen. Vorläufig ist ja das zur Führung eines Forschungsinstitutes erforderliche Personal, Analytiker und Erzieher, erst auszubilden, was Jahre erfordert. Bis dahin ist hier die politische und wirtschaftliche Situation stabilisiert. Ist das nicht der Fall, so ist das Forschungsinstitut nicht örtlich gebunden. Lebe ich noch, so gehe ich mit dem ausgebildeten Stab an die geeignete Stelle. Lebe ich nicht mehr, dann dieser für sich. Auf jeden Fall müsste der Fonds in Amerika bleiben und dort von einem Kuratorium verwaltetet werden, dem die Leitung des Forschungsinstituts verantwortlich ist. Ein Statut wäre auszuarbeiten. Vor seiner endgültigen Festlegung fände ich es zweckmäßig, die Wiener Psychoanalytische Vereinigung Einblick nehmen zu lassen, und sie zur Stellungnahme aufzufordern.“[116]

Die Aufbringung des Geldes in den USA hatte Otto Isakower übernommen, der damals der Sekretär der New Yorker Vereinigung war. Eissler schrieb an Aichhorn: „Ich habe mit Dr. Hacker + Dr. Isakower gesprochen. Ich war hocherfreut mit jemandem zu sprechen der Dich vor Kurzem gesehen hat u. die Nachrichten waren gut, die er gebracht hat [vgl. Brief 152, Anmerkung]. Ich weiß nicht ob Dr. Hacker erfolgreich sein wird, aber ich denke er soll es versuchen + er sagte mir, er würde verschiedenen Leuten schreiben. Ich glaube bloß daß dies nicht andere Pläne unterbrechen soll. Wie ich Dir früher schrieb, Dr. Isakower wollte ein detailliertes Exposé haben über das was Du gerne tun möchtest wissenschaftlich + praktisch wenn Du genug Geld hättest. Dr. Isakower nun teilte mir mit daß Dr. Fleischmann ihm geschrieben habe, was man hier tun solle. Dies ist nicht die Frage + ich möchte Dich nun sehr bitten ob Du mir schreiben könntest in Englisch oder Deutsch: 1.) ein möglichst detailliertes Exposé von dem was Du tun möchtest falls Du Geld hättest; a.) wissenschaftliche Ziele b.) Methode c.)Organisierung etc. Da Du ja auch ein therapeutisches Programm im Sinne hast, bitte teile dies auch mit. 2.) Wie viel Geld würdest Du brauchen? 3.) Wie willst Du dies Geld verwaltet haben? Sobald ich Dein Material habe werde ich es in die richtigen Hände leiten. Es tut mir leid daß so viele Verzögerungen schon beim ersten Schritt eintraten. Dr. Isakower aber behauptet er habe Fleischmann’s Brief verspätet erhalten + außerdem habe er nicht die Beantwortung seiner Frage erhalten.“[117] 

Aichhorn antwortete Eissler: „Du willst ein genaues Programm über das in Wien zu errichtende Forschungsinstitut haben. Ich kann zu dem von Dr. Fleischmann bereits geschriebenen nicht viel Neues hinzufügen[118] und gebe Dir nochmals eine kurze Übersicht. Ich stelle mir vor, daß das Forschungsinstitut von der Gemeinde Wien 50 verwahrloste Kinder oder Jugendliche übernimmt, die in 2 Gruppen zu je 25 aufgeteilt vom Institut fürsorgerisch betreut werden. Damit ist das Forschungsinstitut der Gemeinde Wien gegenüber eine Privatpflegestelle und die Gemeinde Wien hätte dem Institut dieselben Verpflegskosten zu zahlen, die sie auch anderen Pflegestellen bezahlt. Zur Beaufsichtigung und Erziehung sind für jede Gruppe 2 Erzieherinnen, für beide Gruppen 1 Erzieher erforderlich. Ehe das Institut seine Arbeit beginnen kann, sind daher 5 Erzieher (4 weibliche und 1 männlicher) in psychoanalytischer Pädagogik auszubilden. Selbstverständlich haben sie sich vorher einer Psychoanalyse zu unterziehen. Außerdem sind noch 2 Fürsorgerinnen für die Erziehungsbratungsarbeit und den Verkehr mit den Familien, ebenfalls analytisch, vollständig auszubilden. Die wissenschaftliche Arbeit müssen in der Neurosen- und Verwahrlostenbehandlung vollständig ausgebildete Psychoanalytiker übernehmen. Es kommen daher 8-10 Personen zur Ausbildung in Frage. Die Ausbildungszeit ist mindestens 3 Jahre. Daher ist an eine Eröffnung des Instituts vorher nicht zu denken. Die wissenschaftliche Arbeit im Institut wäre nun so zu organisieren, daß jeweils einheitliche Verwahrlostentypen aufgenommen werden – deswegen brauchen wir die Bezirksjugendämter der Gemeinde Wien als Reservoir. Aufgabe des Institutes ist es dann, neben der Fürsorgebetreuung und Erziehung durch Verwahrlostenanalysen zu einer Symptomatologie und Aetiologie der Verwahrlosung zu kommen. Dem Institut bleibt es vorbehalten, welche Erscheinungsformen der Verwahrlosung jeweils zum Studium übernommen werden. Da in den ersten 3 Jahren lediglich die Mittel für die Ausbildung der später im Institut zu verwendenden Personen aufzubringen sind, so werden diese nicht besonders hoch sein. Der Fonds hat daher vorläufig nur für die Ausbildungskosten aufzukommen. Den speziellen analytischen Untersuchungen werden meine Kategorien der Verwahrlosung zu Grunde gelegt.“[119]

Alle diese Projekte verfolgte Eissler nicht weiter, als er folgende Mitteilung von einer der Sekretärinnen Aichhorns, Therese Berthel, erhalten hatte. Sie schrieb ihm: „Seit ca. 7 Jahren arbeite ich mit ihm, für ihn. Zuerst ein, zwei bis 3 Mal in der Woche. Nach Kriegsende fast täglich, auch Sonntag. Vorausschicken muß ich, daß er fast ausschließlich nur am späten Abend seine Korrespondenzen und Arbeiten erledigen kann, da er von 7 Uhr früh bis 8, 9, 10 Uhr abends und auch später Stunden geben muß, und auch ich in meinem Beruf arbeite. Für ihn arbeite ich nach 7 Uhr abends bis 11, 12. […] Daß ich gern für ihn arbeite, daß es mir Freude macht, brauche ich wohl nicht hervorzuheben. […] Nichts konnte ihn aus der Ruhe bringen. Nicht der größte Haufen unerledigter Post oder zu haltende Vorträge, die vorbereitet werden mussten usw. Hatte er einen Anfall zu überstehen, verschwand er auf ein paar Tage in sein Schlafzimmer, dann war er wieder der alte. Jetzt ist es anders. Die Kur in Gastein hat ihm nicht gut getan, sagt Dr. Lévy. Aus seinen Anordnungen geht auch hervor, daß der Anfall in Budapest sehr schwer gewesen sein muß. Er soll sich schonen. Wie kann er sich schonen, wenn so viel auf ihm liegt? Es ist nicht nur das Geld für den Haushalt aufzubringen, dafür würde er wohl immer noch genug arbeitsfähig sein. Aber die Vereinigung stellt große Anforderungen an ihn. Aufforderungen Kurse einzurichten und abzuhalten kommen von allen Seiten, Einladungen zu Vorträgen, Besprechungen, Kommissionen, Besichtigungen etc. Das kostet viel Zeit, dadurch müssen Stunden ausfallen, die Geld bringen sollen. Wäre er gesund, würde er noch länger arbeiten, das Defizit wieder ausgleichen. Können Sie sich seine Zwangslage vorstellen? Die Vereinigung, die ihm so am Herzen liegt, braucht ihn dringend, seine Familie braucht ihn, das heißt, für seinen Haushalt Geld verdienen. (Das seine Kinder ihn finanziell in Anspruch nehmen, halte ich für ausgeschlossen.) Er fühlt sich körperlich nicht dazu imstande, man merkt es deutlich. […] Seine Pension als Lehrer beträgt ca S 600.- monatlich. Telefon, Miete, Licht für Vereinigung und Haushalt kosten schon mehr. Ich sehe nur eine Lösung: daß ihm auf Lebensdauer die Sorge um seinen und seiner Frau Lebensunterhalt abgenommen werden. Ich kann mir nicht vorstellen, daß er es auf eine andere Art annimmt, als über eine Art Fonds. Vielleicht ist es auch möglich, daß ihm die amerikanische Vereinigung im Interesse der Forschung den Auftrag gibt, laufend 1 – 2 Kräfte für das geplante Forschungsinstitut auszubilden. Nach amerikanischen Verhältnissen bezahlt, auf österreichische Verhältnisse umgerechnet, wäre das schon eine große Hilfe. Besser wäre eine Art Fonds, von dem er abrufen könnte, wenn er es braucht. Bitte machen Sie ihm möglichst bald irgendeinen Vorschlag damit er sieht, daß doch von irgendwo Hilfe in nächster Zeit zu erwarten ist, lassen Sie ihn aber um Gotteswillen nicht wissen, daß es Hilfe ist. Ich weiß, daß ich mit seinen Augen gesehen, wie ein Scheusal handle.“[120]

Einige Tage später schrieb Berthel an Eissler: „Daß er arbeiten muß und muß, das kenne ich. Nun kommt aber dazu, daß er fühlt, er kann nicht und muß doch arbeiten und ich glaube, der Gedanke, daß es noch ärger werden könnte, er vielleicht gezwungen wäre, materiell jemanden in Anspruch nehmen zu müssen, dürfte ihn fruchtbar quälen. Obwohl es ihm seit einigen Tagen etwas besser geht, trotzdem der quälende Husten wie der dazugekommen ist, macht er doch einen sehr überangestrengten Eindruck und ich habe das Gefühl, daß er 2-3 Monate ganz ausspannen sollte, um sich ganz zu erholen und sich wieder zu finden.“[121]

Eissler gelang es – umgehend und unabhängig von allen bisherigen Initiativen – die nötigen Geldmittel aufzubringen und einen Aichhorn-Fond zu gründen. Der Präsident des Fonds war Ludwig Jekels, der Sekretär Paul Kramer;[122] Eissler war der Kassier. In der Folge kam es immer wieder zu Missverständnissen, da Aichhorn, der über Berthels Mitteilungen offenbar nicht informiert war, dachte, er sei dazu verpflichtet, das Geld für wissenschaftliche Zwecke auszugeben. Er schrieb an Eissler: „Du kennst meine Pläne, die dahin gehen, in der Wiener Vereinigung eine Zentralstelle der Forschungsarbeit für Verwahrlosung zu schaffen. Die Forschungsarbeit kann verschiedentlich beginnen. Wir müssen innerhalb relativ enger Grenzen anfangen und da ergibt sich eine besondere Möglichkeit. Dazu musst Du aber wissen, dass ich der Meinung bin, ich könnte für die Arbeit in der child guidance clinic noch grundsätzlich Neues erarbeiten. Nun steht mir der wichtigste Mitarbeiter in dieser Jugendfürsorgeeinrichtung zur Verfügung. Ich will daher in Rahmen der Vereinigung eine child guidance clinic errichten. Wir können sofort damit beginnen, weil die analysierte, psychoanalytisch und fürsorgerisch vollausgebildete Erziehungsberaterin des Wiener Jugendamtes, Frau Dworschak, die seinerzeit mit mir in Oberhollabrunn arbeitete, jetzt von einer vier monatlichen Studienreise aus Holland zurückgekommen ist.[123] Ich schlage Dir nun vor, das von Dir zur Verfügung gestellte Geld, folgendermaßen zu verwenden: 1. Zum Betrieb der child guidance clinic; 2. zur Bezahlung der Analysen von Ärzten, Erziehern und Fürsorgerinnen, die später in der Forschungsarbeit Verwendung finden (Ihre Analysen werden nur so weit vom Fond bezahlt, als sie nicht selbst die Mittel aufbringen können.) Schon vor langer Zeit teilte ich Dir mit, daß ich jemanden gefunden hatte, der uns Geld zur Einrichtung der Räume der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung zur Verfügung stellte, verschwieg Dir aber, daß ich für die Betriebsauslagen selber aufkommen muß. Da die Mitglieder nur in der Lage sind, S 10.- monatlich Mitgliedsbeitrag zu bezahlen, Miete, Beheizung, Beleuchtung, Instandhaltung aber wesentlich höhere Beträge erfordern, als durch die Mitgliedsbeiträge aufzubringen sind, habe ich seit April 1936 [sollte wohl heißen: 1946] bis jetzt durchschnittlich monatlich S 400.- aus eigenen Mitteln, insgesamt 10.000.- zuschießen müssen; das bedeutet aber, daß ich für mich selbst auf manches verzichten mußte. Wenn nun Geldmittel aufzubringen sind, so würde ich, wenn Du nichts dagegen hast, 3. diese Auslagen gerne rückverrechnen, 4. die weiter laufenden Betriebsauslagen auch aus dem Fond decken.“[124]

Berthel an Eissler: „Ihr Brief […] hat wirklich befreiend gewirkt. Schade, daß Sie die Wirkung nicht erleben konnten. Auf jeden Fall war er ein voller Erfolg, was beweist, daß eine Aktion notwendig war. Darf ich Ihnen auch für Ihre Hilfe danken, ohne missverstanden zu werden? Können Sie sich den Eindruck vorstellen, den er in seiner Hilflosigkeit machte und Sie müssten dabeistehen, ohne helfen zu können? […] Daß Sie Kohle schicken ist wirklich nicht mehr notwendig. Regulär konnte sich heuer schon jeder Haushalt damit versorgen. Was sonst noch fehlt? Ich weiß es nicht. Daß er gewendete Anzüge und geflickte Hemden trägt, daß dürfte ihn nicht stören. (so geht es übrigens allen Österreichern, die von ihrer Arbeit leben) […] Lebensmittelpakete kommen jetzt schon sehr wenige aus Amerika, hier zu kaufen gibt es fast alle Lebensmittel, nur die Preise sind noch für arbeitende Menschen, sehr hoch, aber hie und da das oder jenes kaufen, können sie sich schon. Wenn ich könnte, würde ich ihm zu Weihnachten ein großes großes Paket mit Konfekt schicken, Sie wissen, er nascht sehr gerne.“[125]

 

Psychoanalytisch-Pädagogische Projekte – Child Guidance Clinic der WPV, Forschungsinstitut, Gründung des „Instituts für Erziehungshilfe“:

 

Zu Beginn des Jahres 1949 hatte sich Aichhorns „Zustand“ soweit stabilisiert, dass er daran denken konnte, seine Forschungsprojekte wieder aufzunehmen. Im Jänner schrieb er an Eissler: „Die child guidance clinic wird in der allernächsten Zeit eröffnet werden. Da Du weißt, daß ich alles daran setze, um im Rahmen der Vereinigung eine Forschungsstelle zu schaffen, wird die child guidance clinic grundsätzlich öffentlich nicht zugänglich sein, sondern wir werden uns das Material aus den Jugendämtern holen. Beginnen werden wir mit 30 Knaben im Alter von 7-9 Jahren, die alle durch ärgste Aggressionen in der Schule auffallen. Die Schulen klagen über die Unmöglichkeit, die Kinder im Klassenverband zu behalten. Du kennst meine Auffassung, dass die Verwahrlosung sehr früh beginnt. Ich bin der Meinung, daß wir in diesen 30 Kindern zum ersten Mal wirklich kriegsgeschädigte Kinder zu sehen bekommen, also bei denen Kriegserlebnisse zur Ursache der Verwahrlosung wurde. Alles was an Verwahrlosten als kriegsgeschädigte Kinder und Jugendliche herumläuft, sind anders einzuordnen. Bei diesen war der Krieg nicht Ursache der Verwahrlosung, sondern der Anlaß, daß eine latent vorhandene Verwahrlosung manifest wurde. Wenn mein Gefühl richtig ist, werden sich recht interessante Ergebnisse erzielen lassen.“[126] 

Im Sommer 1948 hatte Otto Spranger Aichhorn in Bad Gastein besucht. Aichhorn schrieb ihm nach diesem Treffen: „Wenn Sie mir mitteilen, daß Sie sich über unser Zusammensein freuten, so geben Sie nur einem Gefühl Ausdruck, das gleicherweise auch mich beherrscht. Die Tage unseres Zusammenseins waren sehr schön. Ich verstehe Sie sehr gut, daß die Heimat Sie nicht loslässt. Ich kann mir auch nicht vorstellen, mich in Amerika wohlzufühlen. Wir sind beide irgendwie zu sehr mit dem Boden verwurzelt. Mir würden Sie natürlich große Freude machen, wenn Sie 1950, bei Beibehaltung Ihrer amerikanischen Staatsbürgerschaft, zu gemeinsamer Arbeit nach Wien kämen. Zu tun gibt es eine Unmenge. Wie sich die Lage materiell gestalten wird, weiß ich nicht, sicherlich hält die Verdienstmöglichkeit hier, mit der in Amerika einen Vergleich nicht aus.“[127]

Und im Jänner 1949 schrieb er ihm: „Wenn Sie die Absicht haben, bei der Rockefellerstiftung das Ansuchen, die child guidance clinic betreffend zu machen und eine Befürwortung von mir brauchen, schicke ich Ihnen diese gerne. Wir sind schon im Begriffe eine child guidance clinic im Rahmen der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung einzurichten.[128] Wir übernehmen aber nur deren innere Organisation; die Arbeit wird nur Forschungszwecken dienen, das heißt, wir wollen hier grundsätzliches für den Ausbau der child guidance clinic schaffen und versuchen, durch unsere Ergebnisse wesentlich neue Gesichtspunkte für die Arbeit in diesen Jugendfürsorgeeinrichtungen zu finden. […] Wenn Sie meine Meinung, als Austausch Professor nach Wien zu kommen, nicht teilen, sondern sich darauf einrichten 1950 mit Ersparnissen nach Wien zu kommen, dann werde ich mich natürlich über Ihre Mitarbeit sehr freuen.“[129]

Spranger war im Sommer 1949 wieder nach Wien gekommen, um mit Aichhorn und den Mitgliedern der WPV über seine Mitarbeit am „Forschungs- und Behandlungsinstitut für seelische gestörte Kinder“ zu verhandeln. Er schrieb an Aichhorn: „Es ist mir natürlich unendlich schmerzlich gewesen, dass Sie an unseren weiteren Sitzungen infolge Ihrer Krankheit nicht mehr teilnehmen konnte. Mittwoch früh fliege ich wieder ab. Dr. Fleischmann hat mich ersucht, die Bedingungen zu präzisieren, unter denen ich bereit wäre, für drei Jahre zum Aufbau und zur Leitung des geplanten Institutes nach Wien zu kommen. Ich denke, dass ich dazu nur bereit wäre, wenn Sie die geistige Oberleitung behielten und uns nach Massgabe Ihrer Kräfte mit Ihrem Rate unterstützten. Ich fühle, dass es im beiderseitigen Interesse liegt, für den Fall meiner Rückkehr meinen Aufgabenkreis klar zu umschreiben, bevor ich mich zu einem so schwerwiegenden Schritte entschliesse. Ich nehme an, dass ich als Direktor des zu gründenden Institutes nach Wien käme. Als meine Obliegenheiten würde ich die Vertretung der Klinik nach aussen, die Organisation der Arbeit, die Finanzgebarung und Einfluß auf die Auswahl der auszubildenden Kandidaten betrachten.“[130]

        Aichhorns Zustand hatte sich im Herbst 1949 bereits derart verschlechtert, dass er an den entscheidenden Verhandlungen nicht mehr teilnehmen konnte. Lambert Bolterauer übernahm es, Spranger über den weiteren Verlauf zu schreiben. Er berichtete, über eine Unterredung mit einem Repräsentanten der Rockefellerstiftung, die nicht sehr Erfolg versprechend gewesen sei. Fleischmann hätte allerdings berichtet, dass seine Gespräche aussichtsreicher verlaufen seien und dass es günstig wäre, wenn Spranger mitteilen würde, ob er bereit sei zum Aufbau und zur Leitung des Instituts nach Wien zu kommen. Sein Einverständnis solle ins Ansuchen an die Rockefellerfoundation eingebaut werden. Bolterauer setzte fort: „Wir denken den Umfang Ihres Wirkungsbereiches folgendermaßen umgrenzt: Gemäß Ihrem Vorschlag übernehmen Sie die Vertretung der Klinik nach außen, die Organisation der Arbeit und die Geldgebarung. Auch müssen Sie Einfluß auf die auszubildenden Kandidaten haben. Zu konkretisieren wäre jetzt aber noch die Beziehung Ihrer Stellung als Direktor zur Leitung der Wiener Vereinigung. In der Vorstandssitzung wurden hierzu folgende Vorschläge gemacht: es sollten sowohl die Auswahl der Mitarbeiter des Teams, ebenso allenfalls notwendige Änderungen im Mitarbeiterstab einverständlich mit dem Vorstand der Vereinigung besprochen werden. Was die Beziehung Ihrer Person zur Vereinigung betrifft, so wurde vorgeschlagen, Sie nach Übernahme der Direktionsgeschäfte zunächst zum außerordentlichen Mitglied der Vereinigung zu ernennen, da eine Aufnahme als ordentliches Mitglied statutengemäß nicht sofort möglich erscheint. Dr. Fleischmann wünscht ferner zu erfahren, wie hoch ungefähr der Gehalt sein wird, den Sie selbst beanspruchen und zwar mit der Begründung, die Vereinigung müsste wissen, welcher Betrag für Ihren Nachfolger zur Verfügung steht, falls Sie nach drei Jahren wieder in die U. S. A. zurückgehen. […] Hinsichtlich der Bezahlung selbst ist man der Meinung, er wäre vielleicht doch angebracht, die akademischen psychoanalytisch vollausgebildeten Mitglieder des Teams anders zu bezahlen als die bloß als Fürsorgerinnen arbeitenden.“ In einem Nachwort schrieb Bolterauer: „Mir kommen jetzt nachträglich Bedenken, ob ich eigentlich berechtigt bin, bzw. ob es klug ist, Ihnen die in der Vorstandssitzung diskutierten Vorschläge über die Beziehung Direktion – Vereinigung so ungeschminkt zu schreiben. Denn die Entscheidung hängt ja eigentlich von Prof. Aichhorn ab. Ich glaube aber doch, daß es von Wert wäre, wenn Sie Ihrerseits mir mitteilen, wie Sie sich eigentlich Ihre bzw. des Instituts Beziehung zur Vereinigung denken. Ich nehme durchaus nicht an, daß sich in der Praxis ernstliche Schwierigkeiten ergeben werden. Aber auch in diesen Dingen ist die Vorsicht die Mutter der Weisheit.“[131] Spranger antwortete, dass er mit den Vorschlägen, die ihm Bolterauer geschrieben habe, einverstanden sei und er bestätigte nochmals, dass er bereit sei, für drei Jahre zum Aufbau und zur Leitung des Institutes nach Wien zu kommen.[132]

Alle diese Bemühungen konnten schließlich nicht erfolgreich abgeschlossen werden, es ist nicht zur Gründung des Forschungsinstituts gekommen. Rosa Dworschak hingegen ist es gelungen, im Sommer 1949 eine öffentliche Child Guidance Clinic zu eröffnen.[133] In Briefen an Aichhorn berichtete sie darüber: „Die jetzige Hitze ist in Ischl wohl leichter zu ertragen als in der Rathausstraße. Jetzt hat sie uns gründlich erwischt, alles seufzt und stöhnt, ein Gewitter bringt gar keine Abkühlung. Mich kann nur eines trösten: daß durch die Hitze die Anstreicher im Institut für Erziehungshilfe früher fertig werden und wir dadurch hoffentlich am 25. ds. unseren Einzug halten können. Vorläufig wandere ich noch von Sitzung zu Sitzung und möchte gerne eine Abhandlung über die männliche Psyche schreiben, wie sie in Sitzungen zu tage tritt. Zu Beginn ist immer alles unmöglich, trostlos, nichts zu machen, jeder Redner gibt seinen Vorrednern recht, unterscheidet sich nur in einem einzigen Punkt, jeder hört nur, daß man ihm recht gab, dadurch schwindet die anfängliche Neigung zu Gegensätzen, man wird immer sanfter, das Wort unmöglich schwindet, man sucht und findet Auswege, die sicher jeder schon vorher wusste, nur werden sie jetzt akzeptiert, zu Beginn aber abgelehnt. Zum Schlusse schüttelt man sich die Hände, nach zwei oder drei Stunden Rederei, überzeugt, daß man ein schönes Stück Arbeit geleistet hat. Und die dabei sitzende Frau sagt sich kopfschüttelnd: ‚das hätte man doch gleich zu Beginn auch schon machen können.’ Da aber, wie ich erlebe, jede Sitzung so ähnlich verläuft, bin ich geneigt, an einen uralten Sitzungsmythos zu glauben, dessen Vorschriften eingehalten werden müssen.“[134] Und: „Es sieht jetzt doch so aus, daß wir am kommenden Montag in das neue Institut für Erziehungshilfe 19. Heiligenstädterstraße 82, 14. Stiege, 1. Stock unseren Einzug halten werden. Ich bin durch die ganzen Verhandlungen der letzten Zeit ungemein an den Arbeitsbeginn, an Oberhollabrunn erinnert worden. Es erscheint nahezu unmöglich im schwerfälligen Rahmen des Magistrates etwas Neues zu versuchen und ich rechne in dieser Hinsicht noch mit großen Schwierigkeiten, ohne daß man sagen könnte, das oder jenes habe schuld daran.“[135]

Im August 1949 erreichte Aichhorn folgendes Schreiben des „Vereins Arbeitsgemeinschaft für Heilpädagogik, Institut für Erziehungshilfe“: „Sehr geehrter Herr Professor! Das neueröffnete Institut für Erziehungshilfe erlaubt sich, Sie zu begrüßen, und der Hoffnung Ausdruck zu geben, daß Sie uns gegebenenfalls Ihren bewährten Rat nicht versagen. Wir beginnen unsere neue Arbeit mit großer Freude und Begeisterung, wollen für sie verwenden, was wir bisher an Berufskenntnissen erwerben konnten, sind aber überzeugt davon, daß wir unsere Menschenkenntnis bedeutend vertiefen müssen, unseren Gesichtskreis erweitern und unsre eigene Einstellung zur Arbeit erkennen und sichern müssen – kurz, daß wir noch sehr viel zu lernen haben. Wenn uns dann dabei einmal sehr bange werden sollte vor unserer eigenen Unzulänglichkeit, dann hoffen wir, zu Ihnen kommen zu dürfen.“[136] Unterzeichnet wurde dieses Schreiben von Linettl Sallmann, Trude [Baderle-]Hollstein und Rosl Dworschak, den ersten Mitarbeiterinnen am Institut für Erziehungshilfe.[137]

 

August Aichhorns neuerliche Erkrankung:

 

Am 2. April 1949 hatte Aichhorn neuerlich einen Schlaganfall erlitten. K. R. Eissler schrieb an Anna Freud: „Ich wurde vertraulich informiert, dass Aichhorn ernsthaft krank war. Sie sind die erste, der ich davon Mitteilung mache. Bitte, behandeln Sie es als Geheimnis, obwohl ich nicht verstehe, warum mein Informant deswegen derart unnötig besorgt ist. Aichhorn fiel am 2. April in Ohnmacht und war, wie dem Bericht zu entnehmen ist, für einige Tage in einer Art Koma. Letzte Informationen klingen weit besser. Er ist bei Bewusstsein und guter Laune, muss aber im Bett bleiben, obwohl er keine Symptome zu haben scheint. Ich weiß nicht, was die medizinische Diagnose ist. Ich befürchte, dass es lange dauern wird, bis er wieder Briefe schreiben wird können, aber ich werde versuchen, Sie auf dem Laufenden zu halten, sobald ich Genaueres erfahren habe.“[138]

Anna Freud antwortete Eissler: „Es war sehr freundlich von Ihnen, mir über Aichhorn zu schreiben, denn es dauerte lang, bis sich Dr. Fleischmann entschließen konnte, es zu tun. Schließlich hat auch er mir geschrieben und dann schickte mir Dr. Lévy aus Budapest einen ausführlicheren Bericht. In der Zwischenzeit habe ich gute Neuigkeiten aus Wien und nun auch zwei Briefe, die Aichhorn diktiert hat und einen in seiner Handschrift, die sehr gut ausschaut. Dennoch, es muss ein fürchterlicher Zustand für ihn gewesen sein und ich bin mir sicher, dass er sehr unglücklich ist. Ich weiß nicht, was man tun könnte, um ihm zu helfen. Haben Sie vielleicht Pläne, ihn zu besuchen, wenn Sie in der Schweiz sind? […] Diesmal musste Aichhorn seine Tätigkeiten noch wesentlicher einschränken als schon zuvor.“[139] 

Aichhorn konnte wegen seiner neuerlichen Erkrankung nicht zum Kongress der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung in Zürich, wo er gehofft hatte alte Freunde wieder sehen zu können, fahren. 

Am 12. Mai schrieb Aichhorn an Ana Freud: „Liebe Anna! Mit der Maschine kann ich noch nicht schreiben, daher diktiere ich diesen Brief. Er soll als erste Nachricht Ihnen ankündigen, daß ich mich von dem schweren Gefäßkrampfanfall am 2. April wieder soweit erholt habe, daß begründete Aussicht besteht, im Herbst voll arbeitsfähig zu sein. Ich weiß nicht, wie weit Sie Dr. Fleischmann verständigt hat.[140] Der Sachverhalt ist kurz folgender: Am Samstag, den 2. April, in einer nachmittägigen Stunde, erfaßte mich ganz plötzlich ein Gefäßkrampf. Ich mußte meinen Patienten ersuchen, mich auf den Diwan hinlegen zu lassen.[141] Ohne jedes Übelbefinden hatte ich ein so eigenartiges Gefühl. Einzelne Funktionen waren außer Betrieb gesetzt. Bei geschlossenen Augen hatte ich keinerlei Beschwerden; öffnete ich aber die Augen, dann sah ich doppelt, und das Zusammenlegen der von beiden Augen aufgenommenen Bilder in eines gelang nicht, ebenso wenig die Koordination der linksseitigen Bewegungen; Lippen und Zungenspitze waren unempfindlich geworden. Ich wurde zu Bett gebracht mein Hausarzt erschien sofort und später auch Prof. Lauda, wie auch Dozent Reisner an Stelle von Prof. Pötzl, der nicht zu erreichen war. Ich verlor keinen Augenblick das Bewußtsein, konnte nur Realität und Traumwelt schwer auseinanderhalten. Man erzählte mir, daß ich ganze Vorträge hielt. In den ersten Tagen soll mein Zustand bedenklich gewesen sein. Nun bin ich aber wieder, Gott sei Dank, auf dem Wege hinauf. Die Erholung schreitet sehr günstig fort. Es ist keinerlei Lähmungserscheinung da, mein Intellekt ist gänzlich in Ordnung. Es fehlt nur die Koordination der Bewegungen und die Fähigkeit, die von beiden Augen erzeugten Bilder in eines zu vereinen, mit anderen Worten, ich schiele mit dem rechten Auge; fraglich bleibt, wie weit sich die Doppelsichtigkeit zurückbilden wird. Es geht schon recht gut mit den Beinen; diese Angelegenheit wird durch Übung in Ordnung gebracht werden können. Ich kann sogar schon ohne Hilfe gehen. Die Ärzte erklären mir, daß ich bis zum Herbst wieder voll arbeitsfähig sein werde, jedoch meine Arbeitsintensität wesentlich einschränken muß.[142] Was sich bei mir ereignete, war ein Alarmzeichen, das zu berücksichtigen ist.“[143] Und am 30. Mai schrieb er Anna Freud: „Dr. Fleischmann führte meine Frau, mich, die Pflegerin und Christl[144] hinaus ins Freie; zum Mittagessen waren wir im Ottakringer Bräu in Hietzing,[145] dann ging’s über die Höhenstraße – prachtvolle Fahrt – zurück in die Stadt, noch zu einem Kaffee in das Kaffee Bastei. Weg waren wir von halb 12 bis halb vier. Ich habe den Ausflug wunderbar vertragen und heute Nacht ausgezeichnet geschlafen. Es geht doch langsam aufwärts. 

Ihre Frage um meine Pläne und ob von den Ausbildungskandidaten ein geeigneter Mitarbeiter heranwachsen wird,[146] muß durch meine Erkrankung in den Hintergrund gestellt werden, es wird sich dies erst in dem Augenblick herausstellen, wenn zu übersehen ist, wie weit meine eigene Arbeitsfähigkeit gehen wird.“[147] 

Anna Freud antwortete ihm am 8. Juni: „Lieber Aichhorn, ich bin so froh, daß Sie wieder schreiben. Gleichzeitig aber traue ich mich gar nicht daran zu denken, wie schwer Sie alle Einschränkungen und Behinderungen empfinden müssen. Ihren langen Autoausflug habe ich in Gedanken mitgemacht. Wenn ich noch in Wien wäre, würde ich Sie mit dem Auto abholen, nach Hochrotherd hinausführen (das inzwischen noch viel schöner geworden wäre als es schon immer war), und dann mit Ihnen auf Liegestühlen unter dem großen Birnbaum sitzen. So wie es in der Wirklichkeit ist, kann man nur einen Tagtraum daraus machen und das ist nicht genug. Mein Weekendbrief hat sich verspätet, denn inzwischen war ich nicht wie gewöhnlich in Walberswick, sondern in Paris, zu Besuch bei der Prinzessin.[148] Es war eine gute Abwechslung, denn in der täglichen Arbeit wird man müder als man es sich selbst gerne eingesteht. Dann sieht man plötzlich, daß es auch ein Leben außerhalb der Routine gibt und man bekommt neue Kräfte davon. Vielleicht haben wir alle das Arbeiten zu gut und das Faulenzen zu schlecht gelernt? […] Sonst gibt es nur ein Wichtiges: daß es Ihnen so bald als möglich wieder ganz gut geht und daß Ihnen die Zwischenzeit nicht zu schwer wird.“[149]

Daraufhin Aichhorn: „Ich freue mich sehr über Ihre innige Anteilnahme. Das Ärgste ist nicht einmal die durch die Erkrankung gebrachte physische Behinderung. Was so wenig verstanden wird, ist, daß mit der Erkrankung ein kolossaler Einbruch in das ICH verbunden war, das wieder aufzubauen nicht leicht ist. Es geht das ja auch langsam aufwärts. Anfangs war eine so deutliche Teilung zu spüren zwischen etwas, das ICH war und das Andere. Dieser zweite Teil wird immer kleiner und ich hoffe, mein ICH wieder zurückzubekommen. Finden Sie nicht, daß der Tagtraum viel schöner ist als die Realität? Da läßt sich doch alles gestalten, was die Realität verhindert! – So kann ich mir Ihr Hiersein und die Fahrt nach Hochrotherd so ausmalen, wie ich will.“[150] 

Therese Berthel berichtete Eissler: „So viel ich weiß, freute er sich schon riesig auf das Wiedersehen mit Ihnen und am Beginne seiner Krankheit fragte er oft den Arzt, ob er meine, daß er zum Kongreß wieder reisefähig sein werde. Könnten Sie Fräulein Freud nicht anregen, auch nach Österreich zukommen? Auch auf die Begegnung mit ihr freute er sich sehr. Und von der Schweiz ist es nach Österreich nicht mehr weit. […] Finanziell ist er jetzt auf das angewiesen, was der Fond der Vereinigung schickt. Nun nimmt er es aber furchtbar genau, daß er nur das verrechnet, was er für die Vereinigung ausgegeben hat.[151] Ich wüßte nicht, wie man es anstellen soll, daß er, so lange er krank ist, die Mittel für sich in Anspruch muß, ohne dahinter die Fürsorge einer Seite vermuten zu müssen, deren Fürsorge er ablehnt, weil das heißen würde, ununterbrochene Dankbarkeit und Rücksichtnahme bezeigen zu müssen.“[152]

Eissler schrieb daraufhin an Aichhorn: „Was die ‚Verrechnung’ des Geldes betrifft, will ich nichts davon hören. Das Geld gehört Dir; Du kannst es verbrennen, verschenken, versteigern, was immer Du willst. Manche haben den Wunsch geäußert es möge für Dich persönlich verwendet werden + nicht für andere. Ich versicherte sie es werde in diesem Sinne verwendet ohne Dich erst zu fragen. Nun zu Dir. Ich habe das Gefühl daß Du Dich für eine geraume Zeit ausruhen sollst. Im Amerika ist es üblich einem der 4 Jahre einen akademischen Posten innegehabt hat, ein so genanntes ‚sabbatical’ Jahr zu geben während dem er tun kann was immer er will. Du hast Dir reichlich ein sabbatical Jahr verdient. Ich weiß nicht genau was Deine finanziellen Erfordernisse sind. Mit dem, was bisher nach Wien gegangen ist, plus ungefähr Dollar 80.- im Monat in der Zukunft wird es vielleicht genügen, Dich für die nächsten Monate von diesen elenden Geldssorgen zu befreien. Ich möchte nochmals betonen dass das Geld als ein persönliches Zeichen der Verwehrung + Zuneigung derer die es stifteten gemeint ist + und dass es nicht gemeint ist für die Anwendung von nützlichen Zwecken wie Forschung oder Therapie, sondern für Dein persönliches Vergnügen + Wohlergehen. Ich bin überzeugt dass Du alles tun solltest um Anstrengung + Aufregung zu vermeiden. […] Ich war nicht erfreut zu hören dass Du Paul Kramer eingeladen hast da es unvermeidlich ist dass Du Dich beim ersten Wiedersehen aufregen wirst. Ich glaube es ist deswegen auch viel besser wenn ich Dich diesen Sommer nicht besuchen komme, sondern dies für Weihnachten oder Sommer 1950 verschiebe. Da mein Hauptzweck mit Zürich das Wiedersehen mit Dir war, werden Ruth und ich diesen Sommer in U. S. bleiben.“[153]

Der Besuch Kramers bei Aichhorn kam letztlich nicht zu Stande. Während des Sommers verbesserte sich Aichhorns Zustand zusehends. In einem seiner letzten Briefe an Eissler – aus dem September 1949 – schrieb er: „Ich darf gegenwärtig zwei Analysestunden geben. Die eine Stunde bekommt D., die zweite Mrs. L., außerdem muß ich täglich eine Stunde für Vereinszwecke, bzw., für Korrespondenz zur Verfügung stellen. Bei der geringen Anzahl von Stunden, die ich arbeiten darf, muß ich natürlich einen höheren Preis rechnen. […] Über Deinen zweiten Brief freue ich mich ganz besonders, weil ich daraus den so glänzend gelungenen Verlauf Eures Sommerurlaubs entnehme. Eine gute Sommererholung ist die richtige Vorbedingung für eine gute Winterarbeit. Ich wäre heute froh, wenn ich mich mein lebenlang daran gehalten hätte. Ischl tat meiner Frau durch die Schlammpackungen und Solebäder sehr gut. Sie setzt hier in Wien die Schlammpackungen fort. Ich habe durch den vielen Aufenthalt im Freien und entsprechende Bewegung mich auch recht gut erholt. In meiner Wohnung gehe ich ohne Stock, auf die Gasse nehme ich ihn nur zum besonderen Schutz mit. Die beiden Augen funktionieren auch schon recht gut, wenn auch die Deckung der Bilder nicht 100prozentig erfolgt und ich daher wegen Ermüdung tagsüber öfter das rechte Auge abblenden muß und dann nur mit dem linken Auge sehen kann. Der Fortschritt ist aber ein enormer: früher standen die Bilder meterweit auseinander.“[154]

 

Die WPV nach Aichhorns Tod am 13. Oktober 1949:

 

Am 13. 10. telegrafierte Fleischmann Anna Freud: „Aichhorn heute früh durch Herzschlag ruhig entschlafen.“[155] Und an Eissler telegrafierte er: „Unser Freund August heute früh durch Herzschlag ruhig entschlafen.“[156]

An Ruth Eissler schrieb Anna Freud: „Aichhorns Tod war ein Schock, trotz all der Informationen, die wir vorher hatten. In seinem letzen Brief an mich beklagte er sich über die Leere in seinem Leben jetzt und über die Unfähigkeit, zu arbeiten wie zuvor.“[157] Ruth Eissler antwortete ihr: „Aichhorns Tod hat uns natürlich sehr getroffen, vor allem, weil die Nachricht nach einem sehr positiven Brief gekommen ist, der kurz zuvor geschrieben wurde. In diesem Brief schrieb er, er erhole sich gut, habe wunderbare Ferien gehabt, sei wieder fähig, zeitweise zu arbeiten und sogar seine Augensymptome hätten sich gebessert. Wir haben uns mit diesem Brief getröstet, da wir dachten, wenn er gerade in einer optimistischen Stimmung war, dann hat ihm der Tod zu diesem Zeitpunkt viel Angst und Leid erspart. Aber der Verlust von Aichhorn als Freund und Lehrer ist für uns durch nichts wieder gut zu machen.“[158]

Anna Freud hatte Ernest Jones bereits im Juni über Aichhorns Erkrankung berichtet.[159]Nun schrieb sie ihm: „Ich habe aus Wien erfahren, dass Aichhorn am 13. dieses Monats plötzlich gestorben ist. Wie Du ja weißt, war er schon seit einiger Zeit krank, aber sein Tod kam unerwartet vom Herzen. Ich bin sehr traurig darüber und es bedeutet auch, dass Du Deiner Tagesordnung einen weiteren, gewichtigen Punkt hinzufügen musst.”[160] Jones antwortete ihr: „Es sterben jetzt so viele, dass mich die traurigen Nachrichten aus Wien nicht überrascht haben. Wir haben Aichhorn viele Jahre lang gekannt, aber natürlich kanntest Du ihn weit besser als ich und ich bin mir sicher, dass Du über seinen Tod betrübt bist. Ich würde gerne wissen, wer ihn in Wien ersetzen wird. Es ist schade, dass er nicht ein paar Jahre länger gelebt hat, um die Dinge dort zu konsolidieren.“[161]

Die Lage der WPV war damals tatsächlich nicht gesichert. So schrieb etwa Aichhorns Sekretärin Klara Regele an Eissler: „Sehr geehrter Herr Dr. Eissler! Mein heutiger Brief ist ein Hilferuf an Sie, der der vom Vorstand [Aichhorn] unter so viel Opfern wieder ins Leben gerufenen Wiener Psychoanalytischen Vereinigung gilt. Ich bin ob der gefährdeten Weiterführung der W.P.V. sehr verzweifelt und will Ihnen nur rasch die Verhältnisse, wie sie jetzt liegen, schildern. Vielleicht können Sie raten und hoffentlich auch Hilfe verschaffen. Vor allem muß ich Sie aber bitten, meine heutigen Mitteilungen als streng vertraulich, von mir zu Ihnen zu betrachten. Ich schwätze hier aus der Schule, was ich nicht dürfte, wozu mich aber das Bewußtsein drängt, daß Prof. Aichhorns Lebensarbeit nicht nur nicht weitergeführt, sondern vielleicht sogar umsonst gewesen ist. Daß die W.P.V. vollständig mittellos ist, wissen Sie aus den Briefen Prof. Aichhorns. Außerdem ist keine führende Persönlichkeit unter den Mitgliedern, so dass deren Fortbestand sehr sehr fraglich ist. Von dem Projekt Prof. Aichhorns im Rahmen der W.P.V. eine child guidance clinic zu errichten, sind Sie auch informiert.[162] Nicht wissen dürften Sie, daß Dr. Spranger, ein ehemaliger Wiener Mittelschulprofessor, der auch in Lehranalyse beim Vorstand war und 1939 oder 1938 nach Amerika ging, die Führung dieser clinic unter der Leitung vom Vorstand übernehmen wollte. Die Rockefeller Foundation, mit der Dr. Spranger in Unterhandlung stand, sollte für einige Jahre die Sache finanziell unterstützen. Dr. Spranger teilte dies Aichhorn, knapp vor seiner Erkrankung, Ende März mit. Die Verhandlungen Dr. Sprangers mit dem Vorstand, unterbrochen durch seine Erkrankung, sowie die Verhandlungen Dr. Sprangers mit der Rockefeller Foundation, waren leider noch nicht zu Ende geführt, als unser geliebter Vorstand starb. Meine Bitte an Sie, lieber Herr Dr. Eissler, geht nun dahin, sich mit Herrn Dr. Otto Spranger […] sofort in Verbindung zu setzen, ihm die Situation der W.P.V. zu schildern und ihn zu fragen, ob er die Aufgabe übernehmen will und kann, Prof. Aichhorns Arbeit weiterzuführen oder ob er durch den Tod Vorstands von der Ausführung des geplanten Projekts abgekommen ist. Davon hängt eigentlich im Wesentlichen der Weiterbestand der W.P.V. in der Rathausstraße ab. Dazu kommt nämlich noch etwas Zweites: daß die W.P.V. nun nicht mehr in der Lage ist, die Miete für die Räume, die sie innehat, aus eigenem zu bezahlen, so daß auch die Mittel dazu erst aufgebracht werden müssen. Könnte das der August Aichhorn Fonds übernehmen? Sehr geehrter, lieber Herr Doktor, sind Sie mir nicht böse, wenn ich mit diesen meinen Sorgen zu Ihnen komme, Ihre Liebe zu Aichhorn, Ihr Interesse an seiner Arbeit und sicher auch an der Weiterführung seiner Lebensarbeit gibt mir den Mut dazu. Vielen vielen Dank für Ihre Mühe und bitte antworten Sie mir rasch, – könnten Sie mich vielleicht sogar telegrafisch verständigen – da vielleicht schon im November, falls Sie nicht Rat und Hilfe verschaffen können, die Räume, selbst jene, in denen der Vorstand noch in den letzten Tagen seines Lebens die Stunden gab, an fremde Leute vermietet werden müßten. […] Ich drücke Ihnen in heißem Mitgefühl Ihre Hände, ich weiß, wie viel auch Sie am Vorstand verloren haben.“[163]

Eissler dürfte ablehnend geantwortet haben, der „Aichhorn Fonds“ wurde nach Aichhorns Tod aufgelöst, und auch Spranger war offensichtlich nicht mehr dazu bereit, nach Wien zukommen. Die Miete für die Räume der Vereinigung konnte mit Hilfe der noch im Herbst 1949 gegründeten „August Aichhorn Gesellschaft“ – deren Obmann Lambert Bolterauer war – aufgebracht werden.[164] In einem Brief an Eissler teilte die Gesellschaft mit, dass es ihr Ziel „die materiell gesicherte Fortsetzung der Forschungsarbeit auf dem Gebiete der verwahrlosten Jugend“ sei. Weiters wolle die neue Gesellschaft das Gedankengut Freuds ebenso wie das Aichhorns in Form von Vorträgen weiterbewahren, der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung den Ausbau ihrer wissenschaftlichen Arbeit auf dem Gebiet der Tiefenpsychologie ermöglichen, junge Kräfte für die Psychoanalyse interessieren und so der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung neues Blut zuführen. Außerdem solle der Arbeitsraum Aichhorns erhalten bleiben. Es wurde ihm auch mitgeteilt, dass die Sorge, die Wiener Vereinigung werde ihrer Auflösung entgegengehen, unbegründet sei: „Der Wille zur Weiterarbeit ist vorhanden – das große Hindernis ist und bleibt die materielle Not in Österreich.“[165]

Dem ersten Tätigkeitsbericht vom Juli 1951 ist zu entnehmen, dass die „August Aichhorn Gesellschaft“ 115 Mitglieder habe und dass ihre Vorträge sehr gut besucht seien. Außerdem sei es in enger Zusammenarbeit mit dem Pädagogischen Institut der Stadt Wien und dem Wiener Stadtschulrat gelungen, eine Child-Guidance-Kinik für die 63 Wiener Mittelschulen ins Leben zu rufen, die von Lambert und Hedwig Bolterauer geleitet wurde. Eine Besonderheit dieser Beratungsstelle war die enge Zusammenarbeit mit den Schulen. Im Lehrkörper jeder Wiener Mittelschule war ein eigens dafür geschulter Lehrer damit beauftragt, den Kontakt zwischen den Schülern und Eltern und der Beratungsstelle herzustellen. Dazu noch werde ein Fürsorgerinnenseminar und eines für die Wiener Jugendrichter abgehalten.[166]

Nicht zuletzt war aber der Fortbestand der WPV gefährdet, weil die kleine Gruppe wieder auseinander zu brechen drohte. Jokl war bereits 1948 nach Topeka gegangen,[167] Fleischmann folgte ihm 1949 nach. Hollitscher trat 1947 aus der Vereinigung aus und wurde Universitätsprofessor in der DDR. Auch einige der „neuen“ Mitglieder der WPV verließen Wien: Emma Miklas ging nach Graz und Barbara und Theodor Scharmann kehrten in die BRD zurück. Sie arbeiteten später nicht als Psychoanalytiker. 1950 wanderte Theon Spanudis nach Sao Paulo und 1955 das Ehepaar Aufreiter nach Montreal aus. Sie trugen als Lehranalytiker wesentlich zur Entwicklung der Psychoanalyse in Brasilien und Kanada bei. Auch die ersten Kandidaten der WPV blieben nicht in Wien. Ernst Ticho ging nach Topeka, wohin ihm Gertrud Ticho – nach einem kurzen Aufenthalt in Brasilien – folgte.

Im Dezember 1950 schrieb Anna Freud an Grete Bibring, die damals Sekretär der IPV war: „Darf ich Sie gleichzeitig auf noch einen Punkt aufmerksam machen, der vielleicht beim nächsten Kongress auf uns zukommen wird. Es ist besser, darauf vorbereitet zu sein. Es betrifft die Wiener Vereinigung, die mit Aichhorns Tod ihren Gründer und Vorsitzenden verloren hat. Wir wissen nichts über die Entwicklungen dort und ich würde gern wissen, ob Sie irgendwelche Berichte bekommen haben. Wer ist der Vorsitzende der Vereinigung? Gibt es dort ausreichend viele, vollständig ausgebildete Mitglieder? Dr. Fleischmann in Topeka könnte in der Lage sein, zu beurteilen, ob die maßgeblichen Leute dort eine Garantie für ein ordentliches Funktionieren der Vereinigung sind oder nicht.“[168]

Nach Aichhorns Tod war – von 1949 bis 1957 – Winterstein Obmann der WPV geworden. Im April 1950 schrieb er an Anna Freud: „Vor allem beglückwünsche ich Sie aufrichtig zu Ihrem großen Erfolg in Amerika, von dem ich durch Dr. Hitschmann erfuhr.[169] Es müssen für Sie erhebende Tage gewesen sein. […] Da ich in der letzten Generalversammlung zum Obmann der Wiener Vereinigung gewählt wurde […] stelle ich mich Ihnen als unwürdiger zweiter Nachfolger Ihres Vaters vor. Allerdings ist die jetzige Wiener Vereinigung lange nicht das, was sie war. Zunächst bemühe ich mich, Richtlinien für die Ausbildung festzulegen. Der provisorische Lehrausschuß, der aus mir, Dr. Aufreiter und Dr. Genner-Erdheim besteht, soll durch einen definitiven ersetzt werden; die Bildung stößt auf Schwierigkeiten. Der Gegensatz zwischen Ärzten und Nichtärzten, auch politische Momente machen sich in unserem kleinen Kreis spürbar.“[170] 

Anna Freud antwortete ihm im Juli 1950: „Ihre Glückwünsche für die amerikanischen Ereignisse beantworte ich gerne mit einer Gratulation zu Ihrer Obmannstelle. […] In den letzten Tagen habe ich hier Frau Dr. Bolterauer gesprochen, die mir auch allerlei von der Wiener Vereinigung und der Arbeit dort berichtet hat. Es ist leicht sich vorzustellen, dass das analytische Leben in Wien viele Schwierigkeiten mit sich bringen muss.“[171] 

Wie schwierig die Verhältnisse für die in der Wiener Isolierung tätigen Psychoanalytiker damals waren, geht auch aus einem überaus ausführlichen Brief hervor, den Jokl im Dezember 1951 an Lambert Bolterauer schrieb.[172]

Ab 1950 setzte sich der Lehrausschuss der WPV aus Winterstein, Hans Aufreiter und Lambert Bolterauer zusammen. Bis zur außerordentlichen Generalsversammlung vom 21. 9. 1954 hatten nur Winterstein und Hans Aufreiter den Status eines Lehranalytikers, bei dieser Generalsversammlung wurden auch Friedl Aufreiter, Hedwig Bolterauer, Lambert Bolterauer, Tea Genner-Erdheim und Wilhelm Solms zu Lehranalytikern gewählt. 

Im April 1957 schrieb Winterstein an Anna Freud: „Ich teile Ihnen mit, daß ich nach 7 ½ jähriger Tätigkeit meine Funktionen im Vorstand und im Lehrausschuß zurückgelegt habe. Was mich zu diesem Schritt bestimmt, ist mein Bedürfnis nach Entlastung und die unbefriedigende Mitarbeit der andren Mitglieder. Mein Nachfolger wird voraussichtlich Dozent Solms werden.“[173] 

Anlässlich des 50jährigen Jubiläums der WPV 1958 schrieb Anna Freud: „Sehr geehrter Herr Dr. Solms, lieber Herr Dr. Winterstein! Ich kann die heutige Feierlichkeit nicht vorbeigehen lassen, ohne meine Grüße für Ihre Vereinigung denen anzuschließen, die Sie von vielen anderen Seiten empfangen werden. Ein Gründungsjubiläum in der Wiener Vereinigung hat mehr Bedeutung als ähnliche Daten in jedem anderen Zweig der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung. Sie feiern an solchen Tagen die Dauer des eigenen Bestandes. Sie feiern gleichzeitig das Datum der Geburt der Psychoanalytischen Bewegung, und -  wenn auch nicht das Geburtsdatum der Psychoanalyse selbst, doch die 50. Wiederkehr des Zeitpunkts, an dem der Gründer der neuen Lehre sie für reif genug hielt, um ein öffentliches Leben anzutreten. 50 Jahre scheinen eine lange Zeit im Leben eines Individuums. Im Leben einer Wissenschaft sind sie kurz und im Rückblick ist es eindrucksvoll und fast unwahrscheinlich zu sehen, wie die Psychoanalyse in dieser Zeitspanne den Weg um die ganze Welt zurückgelegt hat und in das Denken vieler Menschen eingedrungen ist. Ich kann die Grüße für die Wiener Vereinigung nicht aus meiner Hand gehen lassen, ohne die herzlichste Gratulation für Ihren langjährigen Präsidenten Dr. v. Winterstein hinzuzufügen. Er hat sein Leben als Analytiker in Ihrer Vereinigung verbracht und ihr all seine Arbeit gewidmet: als Lernender, als Therapeut, als Autor, als Lehrender und als Leiter. Er wird es mir nicht übelnehmen, wenn ich seiner 50 jährigen Mitgliedschaft übermittle, auch etwas Neid enthalten. Gerade das war es, was ich mir als meinen eigenen Lebenslauf vorgestellt hatte und gerade das hätte sich für mich erfüllt, wenn die äußeren Schicksalsereignisse es nicht anders gestaltet hätten. Mit dem Datum des 50 jährigen Jubiläums der Wiener Vereinigung und Dr. Wintersteins Mitgliedschaft jährt sich auch zum 20. Mal mein Abschied von Wien. Wenn ich sage, daß bei diesem Abschied das Ausscheiden aus Ihrer Gesellschaft einer der entscheidensten Punkte war, so soll Ihnen das nur sagen, was die Wiener Vereinigung in den 50 Jahren ihres Bestandes auch in meinem Leben bedeutet hat.“[174]

Wilhelm Solms war von 1957 bis 1971 (und nochmals 1978) Präsident der WPV und prägte über viele Jahre den theoretisch-wissenschaftlichen und praktisch-therapeutischen Stil der Vereinigung. Während es in den 1950er Jahren durchaus zahlreiche Anmeldungen zur Ausbildung gegeben hatte, kam sie in den darauf folgenden Jahren – mangels Kandidaten – fast zum Erliegen. Ende der Sechzigerjahre und vor allem nach dem IPV Kongress, der 1971 in Wien stattfand – Anna Freud war damals zum ersten Mal seit 1938 wieder in Wien gewesen – meldeten sich so viele Interessenten, dass die Ausbildungskapazität des Vereins bald überbeansprucht war und es zu oft sehr langen Wartezeiten auf freie Lehranalyseplätze kam. Die Zahl der Mitglieder stieg seitdem stetig an.

 

Anhang 1:

 

Briefwechsel Jokl/Aichhorn[175]

 

Wien, den 11. Mai 1948

Herr Dr. Robert Jokl hat seit einer Rückkehr aus dem Exil im Mai 1946, in der von Prof. Sigmund Freud im Jahre 1908 gegründeten, 1938 von den Nationalsozialisten aufgelösten und von mir im April 1946 wieder ins Leben gerufenen Wiener Psychoanalytischen Vereinigung als Obmann des Lehrausschusses außerordentlich erfolgreich mitgearbeitet.

In seinen Arbeitsbereich fielen Lehranalysen, Kontrollanalysen und die theoretische Ausbildung der Ausbildungskandidaten, sowie die theoretische Fortbildung der Mitglieder.

Besonders erwähnenswert ist noch seine Tätigkeit in den wissenschaftlichen und technischen Seminaren, sowie seine Vortragstätigkeit.

Dr. Jokl hat vor 1938 als langjähriges Mitglied des Lehrausschusses die gleiche Tätigkeit mit demselben Erfolg entfaltet.

August Aichhorn

 

Am 17. 2. 1949 schrieb Jokl aus Topeka an Aichhorn:

 

Lieber, sehr verehrter Professor Aichhorn:

 

Sie dürfen mir nicht böse sein, daß ich 8 Wochen seit meiner Ankunft hier verstreichen ließ, ehe ich mich hinsetzte, um Ihnen zu schreiben. Aber Sie müssen verstehen, daß ich all die neuen Eindrücke erst einigermaßen auf mich wirken lassen wollte, um die nötigen Voraussetzungen für einen Bericht zu sammeln. Auch so wird er noch lückenhaft genug ausfallen, denn es braucht lange, um sich in diese ganz neue, ganz andere Welt einzuleben, wenn ich auch vorausschicken möchte, daß sie mir bisher keinen Anlaß geboten hat, meinen Schritt zu bedauern. Alles, was sich hier für europäische Augen als überwältigend abzeichnet, ist irgendwie auch befriedigend, und was nicht befriedigt, ist interessant genug, um sich damit zu befassen und gegebenenfalls auch den Kampf damit aufzunehmen. Dr. Bolterauer, dem ich noch vom Schiff aus geschrieben habe – ich warte mit Spannung auf ein Lebenszeichen von ihm – wird Ihnen meine Skrupel vielleicht nicht verschwiegen haben. Ich habe mich mit ihnen noch auf dem Herweg redlich herumgeschlagen und nach einer Rechtfertigung für mich gesucht, die vor Ihnen und mir bestehen kann. Nun ich glaube diese Rechtfertigung durch mein Hiersein gefunden zu haben. Wir sind alle Diener für die gleiche Sache und ich sehe, daß ihr hier umso vieles besser gedient ist als in Wien bei den gegebenen Verhältnissen je möglich sein könnte. Wir müssen uns wohl damit abfinden, daß Amerika dazu ausersehen ist, die Saat zu ernten, die in Wien gestreut wurde. Und nicht nur ausersehen, sondern auch befähigt dazu, eben jener Punkt, in dem nicht wir Wien, sondern Wien uns verlassen hat. Aus der Perspektive eines Getriebes und einer Organisation aus gesehen wie der, der ich jetzt angehöre, erscheint es rätselhaft, mit welchen Mitteln in Wien ein Neuaufbau unserer Wissenschaft betrieben werden sollte, solange die primitivsten Voraussetzungen dazu fehlen. Nicht daß wir, Sie, Dr. Fleischmann und ich, dazu nicht den Mut und die Eignung aufgebracht hätten, aber was uns fehlt, ist jede aktive Hilfe von außen, die Interessen sind, wo sie nicht gespalten sind, lau und zweideutig, sowohl von Seiten der Maßgebenden als des Publikums. Hier liegt die Sache so, daß wir nicht nur die volle und uneingeschränkte Unterstützung des Staates und der Hochschulen genießen, mit denen wir als Gleichgestellte zusammenarbeiten, sondern daß jeder „training analyst“ sich seiner Aufgabe voll widmen kann, weil er so bezahlt und pekuniär und moralisch so gestellt ist, daß er keinerlei Sorgen zu haben braucht, ein Zustand, den wir in Europa seit mehr als einem Jahrzehnt vermisst haben und der, sobald es überhaupt möglich war, mit Erfolg verhindert hat, seine Kräfte auf das eine und wesentliche Ziel der Lehrtätigkeit zu konzentrieren. Wir drei hätten, um „auch“ leben zu können, im Laufe von Jahren bestenfalls 6 Kandidaten heranziehen können und es ist leicht zu errechnen, wie lange es gebraucht hätte, bis wir wieder eine Vereinigung mit wissenschaftlichen Sitzungen, einem Ambulatorium und ökonomisch arbeitendem Lehrinstitut gehabt hätten. Dazu kommt die Frage, ob diese Mühe sich auf wiener Boden, wie er heute ist, überhaupt gelohnt hätte, solange die Menschen – und ich meine damit nicht nur das Publikum, das andere Sorgen hat und nicht zahlungsfähig ist – solange Klinik, Ärzte, Behörden ihre ambivalente Stellung nicht aufgegeben und eingesehen haben, daß in der ganzen übrigen maßgebenden Welt die Psychoanalyse als ein selbstverständlicher, u. zw. grundlegender Bestandteil der Psychiatrie, der Psychologie, der Pädagogik und der Geisteswissenschaften geworden ist. Ob sie Kompromisse zulässt oder nicht, diese Frage ist auch hier noch nicht entschieden und sogar im höchsten grade aktuell. Das eine aber ist unbestritten: daß es nur eine Form von Unterricht gibt, nämlich die klassische Analyse, die jeder erlernen und beherrschen muß, bevor er sein Fach öffentlich auszuüben berechtigt ist.

Sie erinnern sich, welche wesentlichen Argumente mich von Wien weggetrieben haben. Meine Situation war unmöglich geworden (oder geblieben), weil sich nirgends eine Gelegenheit oder Möglichkeit fand, mir die zum Leben und zur Arbeit notwendigsten Grundbedingungen wiederzugeben. 2 ½ Jahre nach meiner Rückkehr hatte ich keine Wohnung, keinen auskömmlichen Verdienst, der mir z. B. Neuanschaffungen gestattet hätte. Mein Familienleben war erst durch die Kriegszeit, dann durch diese Verhältnisse gestört und erschüttert, es fehlte jede staatliche und jede Berufshilfe, von einer Wiedergutmachung in irgendeiner Form gar nicht zu reden. Man rief uns zwar unter allerhand Vorspiegelungen zurück, aber heimgekehrt scherte sich kein Mensch um einen und hätte man sich nicht selbst über Wasser gehalten und einige uneigennützige Freunde gehabt, hätte man glatt verkommen müssen. Es war unmöglich so weiterzuleben, und man griff nach dem Ausweg, der sich einem bot, wie nach einem rettenden Strohhalm, ohne einen rechten Begriff davon zu haben, was man damit eintauschte; schlimmer konnte es bestimmt nicht sein. Und nun dies Wunder der Erneuerung. Es mag für europäische Ohren unglaubhaft klingen, aber was ich in Wien in 2 ½ Jahren nicht vermochte, hier geschah es schon nach wenigen Wochen. Vor allem ist meine Frau glücklich (und ich mit ihr). Wir haben von dem bisherigen Einkommen schon allerhand Anschaffungen für den Haushalt machen können, den wir ja von Grund auf neu gestalten müssen, so Bettwäsche, Tücher, Geschirr u. a. m., lauter Dinge, die in Wien unerreichbar waren. Wir haben unsere hergenommene Wäsche und unsere Kleider ergänzen können und es ist angenehm zu wissen, daß man in der Lage sein wird, seine Ausstattung Monat für Monat vervollständigen und erneuern zu können, ohne daß es eine sonderliche Belastung bedeutet oder man „über seinen Verhältnissen“ leben müsste. Man hat vergessen, daß das vor 1914 bei uns auch so selbstverständlich war, nur hat man hier noch qualitative und technische Vorteile, die man bei uns nie gekannt hat. Sogar meine verlorene Bibliothek konnte ich schon zu erneuern beginnen und habe natürlich mit der in England erschienen Freud-Ausgabe begonnen, von der mir monatlich 1 Band geliefert wird. Als wir am 28. Dezember abends hier ankamen, wurden wir abgeholt und in die schon bereitstehende möblierte Wohnung geführt, die zwar nicht unserem Geschmack entsprechend, aber mit allem Komfort der Neuzeit ausgestattet ist (automatische Heizung, Frigidaire, Radio etc.). Dafür haben wir die Vorfreude, uns in absehbarer Zeit eine Wohnung oder ein Häuschen nach unserem Geschmack einrichten zu können. Das ist hier für jemand, der arbeitet und verdient, keine Angelegenheit und wir denken sogar, allerdings der Notwendigkeit Rechnung tragend, schon daran, uns für ein Auto vormerken zu lassen, ohne daß man hierzulande schwer existieren kann. Ich erzähle Ihnen das, damit Sie sich ein beiläufiges Bild von dem Lebensstandard machen können, der hier dem Durchschnitt entspricht. Es ist natürlich nicht überall so, der Middle-West ist irgendwie bevorzugt und in den großen Städten, es muß nicht gerade New York sein, gibt es auch viel Armut und Elend (wie überall in der Welt). Dabei ist die qualifizierte, die wissenschaftliche Lehrarbeit, zwar gut, aber keineswegs überwältigend bezahlt, gewiß nicht im Verhältnis ihrer Einschätzung. In N. Y. verdient der Analytiker das Fünffache und mehr und braucht niedrig gerechnet das Dreifache. Aber Sie sehen nicht nur, was man sich davon leisten kann (wenn man so lebt, daß man sich nichts abgehen lässt), sondern werden auch verstehen, daß man vorläufig wenigstens auf das plus gerne gegen das beruhigende Gefühl verzichtet, sein auskömmliches Fixum zu haben, ohne sich mit dem herumschlagen zu müssen, was man „Brotarbeit“ nennt. Ein Zustand, der heute meinen Bedürfnissen viel mehr entgegenkommt als es eine „lukrative“ Praxis tun könnte, die einen tags und nachts in Atem hielte und einem nicht Zeit zum wirklichen Leben, zu ernster wissenschaftlichen Arbeit und schließlich auch zur Ruhe und zum Genuß des Heimes und der Familie ließe, wie es mir von früher her wohlbekannt ist und wonach ich heute – vorläufig, wie gesagt – kein Verlangen trage.

Welche Stellung einem dafür geboten und welches Maß an Leistung verlangt wird, will ich Ihnen jetzt darzustellen suchen. Ich möchte vorausschicken, daß die Anfangsschwierigkeiten, mit denen ich gerechnet habe, sich durch das außerordentliche Entgegenkommen, das ich hier gefunden habe, und die Achtung, die man mir als Vertreter der Wiener psychiatrischen Schule und persönlichen Schüler Freud’s entgegenbringt, sehr herabgemindert haben. Insbesondere hat man mir sofort versichert, ich brauche mir der Sprache wegen keine Sorgen zu machen. Man kennt das hier zur Genüge und ich werde nicht genötigt werden, früher mit einer Arbeit zu beginnen, bevor ich sie nicht auch sprachlich bewältigen kann. Tatsächlich hat man auf jeden Zwang und jede Nötigung verzichtet und ich habe Muße, mich gründlich auszubilden und zu perfektionieren. Hier im Lande, wo man ja nichts anderes hört, lernt sich die Handhabung der Sprache rasch und zwanglos. Als ich ankam, kam ich mir ziemlich dumm vor. Trotzdem ich gut vorstudiert hatte, verstand ich kein Wort und wurde nicht verstanden. Das bessert sich mit jedem Tag und ich bin schon soweit, Kontrollstunden zu halten und ich habe die erste Traininganalyse bei einem Kandidaten begonnen. Daneben laufen je eine therapeutische Analyse in deutscher und französischer Sprache. Zu einem Sonderheft des „Bulletin of the Menninger Clinic“ zum 10. Todestag von Freud habe ich die Einleitung und einen wissenschaftlichen Artikel zu schreiben, die ich beide in Arbeit habe. Mit Vorlesungen und Seminaren werde ich erst beginnen, bis ich den Vortrag und die Diskussion frei beherrsche. Ich wurde sofort der „Staff-Leitung“ als „Senior psychiatrist“ zugeteilt, so daß ich an der ganzen organisatorischen Arbeit mitbeschäftigt bin. Von dieser Organisation einen Begriff zu geben ist ist nicht einfach. Äußerlich umfasst die Klinik über 1 Duzend kleinerer villenartigen Buildings, in denen die einzelnen Divisions des „Institute of Psychological Medicine“ untergebracht sind (Psychiatry, Psychology, Psychiatric Nursing, Psychiatric Social Work, Adjunctive Therapies, General Surgery and Internal medicin); das „Clincal Service“ besteht aus dem Hospital. Outpatient, Children’s, Psychotherapy, Psychology, Psychiatric Social Work, Clincal medicin und Neurology. Daran schließt sich die “Research” und das “Institute for Psychoanalysis” als spezielle Lehr- und Forschungsstätten, ferner die „Southard School“, das Re-educational Center for Children (für schwererziehbare Kinder). Im Hospital mit offener und geschlossener Abteilung finden nur psychiatrische Fälle Aufnahme (d. h. Neurosen und Psychosen), die von den Fellows (Kandidaten) und Jungärzten unter Kontrolle psychotherapeutisch behandelt werden. Die Kontrolle wird von den Senior- und den Associate-Psychiatrists durchgeführt, für Trainingsanalysen und den Unterricht sind nur die Senior Psychiatrists (dzt. 7) zugelassen. Die Patienten rekrutieren sich auch aus dem Winter Veterans Hospital (über 300 Betten), das auch Dr. Karl Menninger untersteht und wo auch physikalische Therapie, Elektroschock, Hirnchirurgie (Lobotomie etc.) unter erstklassiger fachmännischer Leitung gelehrt und betrieben wird. Die Menninger Clinic enthält auch ein Building für Arbeitstherapie und eine Sanatoriumsabteilung.

Der Lehrgang für die Kandidaten ist langwierig (durchschnittlich 7 Jahre) und wird äußerst streng gehandhabt. Zu spezieller psychoanalytischer Ausbildung werden nur die geeignetsten Ärzte zugelassen. Zu entscheiden hat darüber die „conference“ des Institute for Psychoanalysis, die aus den 7 Senior Psychiatrists besteht, allwöchentlich zusammentritt, die laufenden Angelegenheiten behandelt und die Kandidaten einem hochnotpeinlichen Verhör unterzieht, von dem ihre Aufnahme oder Ablehnung abhängig ist. Die „conference“ entscheidet auch darüber, ob und wann ein Kandidat seine Ausbildung vollendet hat und ob er zur psychoanalytischen Therapie zugelassen werden kann oder nicht. Diese Beschlüsse der Menninger Clinic sind offiziell bindend (für die states, die unversities, die Ärztevertretungen). Die Kandidaten werden zuerst einer „Trial-analysis“ unterzogen und erst wenn sie sich in dieser als geeignet erweisen, in die eigentliche Traininganalyse übernommen. Diese muß mindestens 300 Stunden umfassen, doch kann der Kandidat schon vor ihrer Beendigung Kontrollfälle zugewiesen bekommen. Er muß sich ferner mit der Beendigung des vorgeschriebenen Lehrganges, der aus den Vorlesungen, den Kursen und Seminaren der Senior-analysts besteht, ausweisen. Soviel über die Kandidaten. Der Umfang und die Kompliziertheit des Lehr-, Unterrichts-, Forschungs- und therapeutischen Betriebes wird Ihnen damit einigermaßen klar sein, die Organisation ist aber so vollkommen, daß sie automatisch zu funktionieren scheint. Um sie in Gang zu halten, steht ein reichliches und gut geschultes Personal zur Verfügung. Die eigentlichen Mittelpunkte sind das Instiute for Psychoanalysis und die Southard Children’s School, in der auch die Vormachtstellung der Psychoanalyse unbestritten ist. Der „Medical Staff“ ist ausnahmslos aus fachlich erstklassigen Persönlichkeiten, Ärzten (Psychiatern) und Philosophen, zusammengesetzt, unter denen sich mancher interessante Kopf befindet. Die eigentlichen Köpfe, Dr. Karl und Will Menninger, die dieses organisatorische Wunderwerk geschaffen haben, es in Gang halten und ihm seine Stellung verliehen haben und erhalten, sind Naturen, die man nur als genial bezeichnen kann, schöpferisch, organisatorisch und wissenschaftlich ist es Geist von ihrem Geist geworden und geblieben. Diesen beiden Pionieren verdankt die Psychoanalyse mehr als man drüben ahnt und wissen kann, vielleicht ihren gültigen Fortbestand überhaupt. Es würde zu weit führen, wollt ich diese Behauptung hier belegen wollen, ich kann ur versichern, daß sie begründet und nicht übertrieben ist, wenn ich auch zugeben muß, daß die Nähe und der ständige Umgang mit diesen beiden Heroen zu Übertreibungen Anlaß geben könnte. Aber gerade dagegen schützt das ungemein menschliche Verhältnis und der vertrauliche Umgang mit ihnen wie auch unter den Angehörigen des Staffes miteinander. Wie untereinander kameradschaftlich nur die Vornamen gebräuchlich sind, lassen sich auch die Menningers dienstlich und privat nur Dr. Karl und Dr. Will anreden. Natürlich hat diese Großzügigkeit ihre Grenzen, nicht nur in dem Sinn, daß sie nicht an die Disziplin rühren darf, sondern bedeutende Menschen und geniale im Besonderen haben das Anrecht auf Eigenheiten und einen starken Eigenwillen, dem sich bedingungslos zu fügen (wie es auch vorkommt) selten die richtige und niemals die imponierende Antwort darauf ist. Will man von seinen Grundsätzen nicht abgleiten – und meine feste Absicht ist es, das nicht zu tun – wird es ohne Kämpfe nicht abgehen, in denen ich nicht allein dastehen werde und die mich eher reizen als daß ich sie fürchte, weil ich mir von einer konsequenten Haltung eine segensreiche Wirkung für unsere Aufgaben verspreche. Aber das ist Zukunftsmusik, heute ist es noch meine Hauptsorge, mich in die verwickelte Materie einzuarbeiten, Erfahrungen zu sammeln, Verbindungen einzugehen und sprachlich perfekt zu werden. Ich bin froh, daß die Voraussetzungen dafür uneingeschränkt gegeben sind.

Der kameradschaftliche Geist beherrscht glücklicherweise auch das Privatleben, was hier bis zu einem gewissen Grade notwendig ist, um es erträglich zu gestalten. Topeka ist zwar nicht die Kleinstadt, wie die etwas gefärbten Schilderungen – z. B. von Hacker – befürchten ließen. Es ist die Hauptstadt von Kansas – nicht Kansas City, das die Hauptstadt des angrenzenden Missouri ist – hat über hunderttausend Einwohner und eine ansehnliche City mit richtigen skyscrapers. Die Peripherie, wo auch wir wohnen und sich, in beträchtlicher Entfernung von uns, auch der Komplex der Menninger-Foundation befindet, setzt sich aus lauter kleinen, meist holzgebauten Villen zusammen, die durch die nord-südlich und ost-westlich verlaufenden Straßenzüge in regelmäßige Blocks eingeteilt sind und durch ihre Gleichartigkeit die Orientierung ungemein erschweren. Dadurch ist die Stadt ausgedehnt und der Verkehr, der durch Autobusse aufrechterhalten wird, recht beschwerlich. Das ist auch einer der Gründe, warum man ohne Auto schwer auskommt. Wir wohnen in nächster Nähe der University (1614 College Avenue) recht schön, aber sind bestrebt, sobald sich Gelegenheit bietet, in die Nähe der Foundation zu übersiedeln. Auch Hackers Schilderung, daß es hier keinen Baum und keinen Hügel gibt und man, wenn man auf eine Telegraphenstange klettert, das ganze Land übersehen kann, erweist sich als reichlich übertrieben. Bäume gibt es in Fülle, die Stadt ist überhaupt reich an schönen Pärken – auch die Klinik ist in einem gartenartigen Gelände gelegen- und die eigentliche Prairie mit ihrem Katastrophenklima beginnt erst 30 km von uns, so daß Topeka davon ziemlich unberührt bleibt. Das Klima ist richtig kontinental, es gibt viel Schnee und die Temperaturen wechseln im Laufe eines Tages oft um 10 Grade. Unter 10 Grad C ist das Thermometer nie gefallen. Diese meist trockene Kälte ist aber leicht erträglich, zumal es viel Licht und Sonne gibt und die Wohnungen gut geheizt sind. Der südlichen Lage entsprechend – die breite von Neapel – soll es schon im März Frühling werden, der hier als besonders schöne Jahreszeit gilt. Der Sommer soll sehr heiß und trocken sein, doch gibt es in der nächsten Umgebung in künstlich angelegten Seen schöne Badegelegenheiten (die z erreichen ein Auto aber auch vonnöten ist). Da es in der Stadt, nach amerikanischen Maßstab und Begriffen doch eine Kleinstadt, wenig Abwechslung und Zerstreuung gibt – Kino, hie und da ein gutes Gastkonzert oder eine Theatertruppe, im übrigen ist man auf das Radio und auf Platten angewiesen – spielt der gesellige Verkehr eine entscheidende Rolle. Glücklicherweise ist der Kreis der Kollegen, der sich zu 2/3 aus Amerikanern, zu 1/3 aus sämtlichen andern Nationen, zusammensetzt, erträglich, die meisten sogar ungemein nett, gesellig und hilfsbereit. Da die meisten verheiratet sind und Familie haben, ist die Geselligkeit recht ungezwungen, läuft nicht immer berufliche Bahnen und die Frauen finden untereinander Kontakt, so daß sie nicht einsam sind, wen wir tagsüber unserer Beschäftigung nachgehen. Besonders anfangs war das selbstlose Entgegenkommen der Kollegen und ihr Verständnis für die Eingewöhnungsnöte eine große Erleichterung. Wir waren von ersten Augenblick unseres Hierseins nicht alleine, wurden in alles eingeführt, man stellte uns die Wagen zur Verfügung holte uns ab und führte uns nach Hause; und auch weiterhin ist es selbstverständlich, sich gegenseitig auszuhelfen, zu beraten und zu zerstreuen. Wenn die Eingewöhnung auch manche Anforderungen an einen stellt, nicht nur weil man sich fremden Gepflogenheiten anzupassen hat, sondern weil wir überhaupt den Maßstab für das Normale verloren hatten, so gewöhnt man sich doch viel rascher an all das Neue als vorauszusehen war, weil es die normale Lebensinstinkte anklingen lässt. 

Das Schreiben ist länger geworden als beabsichtigt, ich möchte es aber nicht abschließen, ohne meine New Yorker Eindrücke zu erwähnen, die Sie ja auch interessieren werden. Vorher möchte ich Sie aber noch bitten, diese Schreiben auch Dr. Fleischmann und H. und Fr. Dr. Bolterauer lesen zu lassen, da ich unmöglich die Zeit aufbringen kann, mich in all den Einzelheiten zu wiederholen. Von Bolterauer bekam ich inzwischen Antwort auf meinen Brief, die uns sehr gefreut hat und auf die ich im einzelnen noch zurückkommen werde, sobald ich Zeit dazu finde. Auch alle anderen Wiener Kollegen grüßen Sie recht herzlich von mir, sagen Sie ihnen, daß ich oft an Sie alle zurückdenke, und lassen Sie sie von diesem Schreiben wissen, was Sie für gut halten. Im Grunde genommen gilt es ja Ihnen allen in gleicher Weise. Ich war besonders froh, von Bolterauers bestätigt zu hören, daß Sie sich wohl befinden. Was sie über die Arbeit in der Vereinigung schreiben, befriedigt mich weniger, aber ich fürchte, dagegen wird vorläufig nichts zu machen sein.

Sie werden von Bolterauers gehört haben, mit welchen Schwierigkeiten wir bis zu unserer Abfahrt aus Frankreich noch zu kämpfen hatten. Als die „Queen Mary“ am 17. Dezember mit uns den Hafen von Cherbourg verließ, atmeten wir auf und konnten in der Folge konstatieren, daß die ununterbrochene Serie der Misshelligkeiten und Sorgen damit wirklich ihr Ende gefunden hatte. Die fünftägige Überfahrt auf dem wundervollen Schiff war trotz vorübergehenden Sturmwetters eine wahre Erholung. Am 22. mittags fuhren wir in N. Y. ein, wurden von Freunden erwartet und untergebracht, hatten im Kreis von Bekannten schöne Weihnachten und waren von den 5 Tagen, die wir dort verbrachten, recht befriedigt. Ich hatte Gelegenheit trotz der Kürze der Zeit einige unserer früheren Kollegen zu sehen, mit anderen setzte ich mich telephonisch in Verbindung. Ich konnte die erfreuliche Tatsache feststellen, daß nicht einer es bedauert, dem kranken Europa den Rücken gekehrt zu haben oder gezwungen gewesen zu sein, es zu tun. Allen ausnahmslos geht ausgezeichnet, alle haben viel zu tun, verdienen gut, zum Großteil sehr gut, und einige haben schöne und angesehene Stellungen, wie Heinz Hartmann, der Direktor des „Psychoanalytic Treatment Center“ ist, das eine offizielle Institution ist. Er war nur sehr krank, hat zweimal eine Koronarembolie überstanden, aber sich sehr gut erholt und ist sehr arbeitsfreudig und hoffnungsvoll; leider steckt er bei der Diagnose in keiner guten Haut. Federn, Jekels, Wittels sind recht alt geworden, aber besonders ersterer in ausgezeichneter Verfassung und in voller Tätigkeit. Die Jüngeren, Sperling, Isakower, Kron(eng)old und ihre Frauen, Annie Reich, Margit Herz (-Hohenberg), ferner Nunberg, Eidelberg, Bergler und die beiden Kris arbeiten mit Volldampf. Allen ist die Zeit zu kurz und doch sind sie nur ein Bruchteil der in N. Y. ansässigen Analytiker. Mit den Kollegen, die in anderen Teilen der USA leben, habe ich erst oberflächlichen Kontakt (außer mit Frau Dr. Waelder-Hall), doch hört man auch von ihnen (die Bibrings in Chikago, Dr. Waelder in Philadelphia, Bernfeld in San Francisco, Fr. Dr. Buxbaum, die ein Re-eduacational Center for Children leitet und besonders tüchtig und beliebt sein soll) das gleich. Dasselbe gilt von den beiden Deutschs, den Sterbas u. a. Auch Reik in N. Y. geht es sehr gut, nur hat er auch in seiner zweiten Ehe großes Unglück, seine Frau ist schwer an multipler Sklerose erkrankt, Sie wissen, was das heißt. Die Zukunftsprognose sieht also, was Arbeit und Auskommen anlangt, in den USA recht günstig aus und es ist erfreulich, daß unsere Leute auch, was die wissenschaftliche Arbeit betrifft, durchaus tonangebend sind. Weniger erfreulich sind die allgemeinen Verhältnisse in unserem Fach. Sie wissen, daß bedeutende Köpfe in einflussreichen Stellungen an den Universitäten, wie Alexander und Rado, praktisch zu den Abtrünnigen gehören und uns mit ihren „Schulen“ und abwegigen Theorien viel Unannehmlichkeiten verursachen, die Spaltungen selbst für unsre Arbeit nicht gerade von Vorteil sind. Dazu kommt die Gruppe, die sich „Neo-Freudianer“ nennt, und mehr an die Bemühungen von Steckel und Adler erinnert, die Analyse zu verwässern, von Karen Horney gar nicht zu reden, deren leider weitverbreitete Neoismen mit Psychoanalyse überhaupt nichts mehr zu tun haben. Sie werden nun das Bestreben hier im Zentrum der psychoanalytischen Lehrarbeit verstehen – wenn es auch nicht unbestritten ist – die Psychoanalyse rein zu erhalten und von Schlacken zu reinigen, die sie unter diesen Verhältnissen angesetzt hat und ansetzen musste. Es wird nicht leicht sein, diese Tendenzen zu unterdrücken, aber daß die Mehrzahl von uns dafür Verständnis hat und sie im Interesse der Entwicklung unserer Arbeit du der psychologischen Forschung nicht preiszugeben gedenkt, ist zumindest beruhigend. Darum empfinde ich es auch als eine besonders glückliche Fügung, gerade in diesen kreis versetzt worden zu sein.

Ich komme nun endlich zu dem Schluß, den ich hätte längst machen sollen. Ich bin mir bewusst, Ihre Geduld auf eine lange Probe gestellt zu haben, aber ich hoffe, Sie werden es verstehen und mir verzeihen, wenn es mich zum Plaudern gedrängt hat und dazu, Ihnen und den anderen eine möglichst genaue Schilderung zu geben. Bitte sagen Sie Dr. Fleischmann, daß ich seinen Auftrag bei Fr. Dr. Waelder ausgeführt habe und daß wir hier gespannt sind, von ihm zu hören. Wie geht es seiner Mutter und wie fühlt sie sich in N. Y.? Dr. Karl Meninger grüßt Sie herzlichst und dankt Ihnen für die Plakette, die ihn und alle anderen sehr gefreut hat und die sein Office schmückt, in dem auch unsere Faculty-Sitzungen stattfinden. Ich gäbe etwas darum, sie auch zu besitzen, aber ich will so eine unbescheidene Bitte gar nicht aussprechen. Dr. Karl will Ihnen schriftlich und persönlich danken, sobald er Zeit findet; vielleicht komme ich schon zu spät und er hat es bereits getan. Nun bitte ich Sie noch, sich auch einmal etwas Zeit zu stehlen und mit einige Zeilen zu schicken, wie es Ihnen und wie es in Wien geht. Ich bin über jedes Wort glücklich, das aus Wien kommt (diese spezifische Sentimentalität des Wieners werde ich wohl nie ablegen, aber ich kann auch nicht vergessen, was ich Wien und Ihnen verdanke) und wenn irgendjemand von Ihnen das Bedürfnis fühlen sollte, mit mir in Kontakt zu bleiben oder Sie oder die anderen irgendetwas benötigen, so würde ich mich nur freuen, Wünsche erfüllen und damit den Bruchteil einer Schuld abzahlen zu können, in der ich mich Ihnen allen gegenüber fühle.

Bleiben Sie gesund, lieber Aichhorn, und seien Sie und alle anderen herzlichst gegrüßt

Von Ihrem Dr. R H Jokl 

P.S.: Wie geht es und wie machen sich meine diversen Patienten und Kandidaten, wie Dr. Schindler,[176] Frau Rattner,[177] Dr. Kraistl [?] ? Ich lasse sie alle recht schön grüßen! 

 

Aichhorn an Jokl (11. 7. 1949):

 

Lieber Dr. Jokl!

 

Lange Zeit liegt Ihr Brief vom 17. Februar bei mir. Ich habe ihn zuerst Dr. Fleischmann gegeben, damit er ihn im Seminar den Kollegen bekannt gibt. Dann wollte ich ihn sehr ausführlich beantworten, weil ich auf die verschiedenen Auffassungen, die einem Emigrieren nach Amerika zugrunde liegen können, eingehen wollte. Diese Absicht wurde vereitelt, als mich am 2. April, eine Woche vor Ostern, eine heftige Attacke arg bedrängte. Zuerst sah es wie ein Schlaganfall aus; die Art des Heilungsverlaufes und die rasche Heilung legt aber die Vermutung nahe, daß es sich um Gefäßkrämpfe im Gehirn gehandelt hat. Ich bin jetzt schon wieder so weit hergestellt, daß ich mit meiner Frau morgen auf 4-5 Wochen nach Ischl fahren kann. Die Ärzte sind der Meinung, daß ich im Herbst wieder voll arbeitsfähig sein werde, aber meiner Arbeitsintensität Schranken auferlegen muß. Ich werde natürlich den Rat der Ärzte mir sehr zu Herzen nehmen, da ich selber nicht die Absicht habe, mein Leben zu verkürzen.

Herzlichst Ihr

 

Jokl an Aichhorn (30. 8. 1949):

 

Lieber Herr Professor Aichhorn:

Ihre kurzen Zeilen, für die ich Ihnen herzlichst danke, haben mich ebenso gefreut, wie sie mich beunruhigt haben. Ich höre zwar von Prof. Kauders, der uns hier besucht hat, daß Sie erkrankt waren, konnte aus seinem Bericht aber nur auf ein vorübergehendes Unwohlsein schließen. Nun, hoffentlich verhält es sich so und haben Sie sich in den Ferien so gründlich erholt, daß die Spuren des Anfalls übertaucht sind und Sie sich wieder, wenn auch mit Einschränkung und Vorsicht, Ihrer Arbeit widmen können, die, wie wir alle übereinstimmen, nie so unentbehrlich war. Daß Sie sich natürlich auch weiterhin jede Art von Schonung auferlegen müssen, setzen wir voraus, und wir hoffen, daß Sie bei den jungen Mitgliedern unserer Vereinigung eine Sie entlastende Hilfe und Unterstützung finden.

Ihre Anspielung auf meinen letzten Brief und die verschiedenen Auffassungen, die zu vertreten er Anlaß gibt, glaube ich zu verstehen, d. h. ich hatte bald nach Abgang jenes Briefes das Gefühl einer Inobjektivität zugunsten meiner Wahlheimat. Aber Sie müssen meine damalige Einstellung verstehen, ich stand noch zu sehr unter dem Eindruck des Neuen, das ich hier erlebte, und der ungeheuren Differenz, die ich mir, gegenüber den bitteren Erfahrungen der letzten 10 Jahre, auftat, andererseits konnte ich ein zwar begreifliches, aber deshalb nicht weniger quälendes Gefühl der Schuld, weniger meiner alten Heimat, als Ihnen allen gegenüber, nicht loswerden und suchte einen Ausweg aus dem Konflikt in Motivierungen, deren Überdeterminierung ich heute erkenne und einsehe. Sie müssen also dieses Stück affektiver Ungerechtigkeit abziehen, es bleibt noch genug Tatsachenmaterial, das aber wohl nur der richtig beurteilen kann, der beide Welten, die alte und die neue, aus eigener Anschauung kennengelernt hat. Heute ist mein Enthusiasmus verflogen, ich sehe klar und ich versichere Sie, daß es auch hier vieles gibt, das meiner Kritik nicht stand hält und mit dem ich nicht übereinstimme. Das soziale System lässt in manchem zu wünschen übrig, die Menschen erscheinen unreif, mit dem Maß gemessen, das wir anzulegen gewohnt sind, Gutartigkeit und Rücksichtslosigkeit, Naivität und Berechnung, halten einander in gefährlichem Ausmaß die Waage, das „democratic manner“ wird viel und mit kindisch stolzer Betonung im Mund geführt und ist eine Geste und Illusion wie überall. Aber durch alls das weht ein frischer Wind, man interessiert sich nicht für „Ideologien“ und die Wissenschaft, auch die unsere, ist um ihrer selbst willen da und man muß sie anwenden, um ihr Anerkennung zu verschaffen. Ist das nicht eine sympathischere und aufrichtigere Begründung als der Ruf nach Hilfe und Mitleid, der doch nur Mittel zum Zweck ist? Und noch etwas: ich würde dieses Land um seiner Leichtlebigkeit willen nicht mehr vertauschen wollen, die uns drüben so gründlich verloren gegangen ist und die das Leben hier so sehr vereinfacht und befriedigender gestaltet. Es gibt fast nichts Nebensächliches, um das man sich kümmern und wofür man seine Energien verschwenden muß. Die Organisation des Täglichen Lebens sowohl wie der Arbeit ist so durchgreifend, daß man sich dem Wesentlichen wirklich widmen und hingeben und daneben Zeit zur Ruhe, zum Ausspannen und zum Genuß finden kann. Etwas, was wir drüben längst verlernt, eigentlich nie richtig kennengelernt haben. Es ist fast ketzerisch, es auszusprechen, aber es muß wohl so sein: zum ersten Mal empfinde ich das Leben als etwas Lohnendes, weil alle Seiten ein gewisses Maß von Befriedigung erfahren. Diesem positiven gewinn stehen natürlich auch Nachteile gegenüber, die einem manches schwer vermissen lassen, was wir drüben geliebt haben. Und dieser Punkt ist besonders heikel: ich finde nämlich, dass dieses gelobte Land der Freiheit eigentlich das unfreiste ist, das man sich denken kann, und man kommt unwillkürlich zu dem Schluss, dass der Begriff der Freiheit gar nicht in dem besteht, was man sich unter ihm vorzustellen pflegt. Es stünde ja auch im Widerspruch mit der Forderung, die von der Organisation der Lebensführung Vorteile für die Gemeinschaft – oder umgekehrt – erwartet. Welche Art politischer Konsequenzen sich aus solcher Auffassung ergeben, ist gar nicht auszudenken, zumal das Denken nach dieser Seite zu viel Einschränkungen erfährt. „Man denkt nicht viel und lässt sich tragen, die Welt ist kein Gedankenziel“, man hat sein Häuschen und seinen Wagen, das Leben ist ein Kinderspiel… Verzeihen Sie, das natürlich nicht alles. An manche Sitten und Gebräuche hier werden wir uns wohl nie gewöhnen. Der amerikanische Mensch – dieser Gegend wenigstens – ist mit seinem Auto verwachsen. Es gibt keine Gehwege, keine Naturschönheiten, und für Spaziergänge und für Natur hat er keinen Sinn. An der Nordgrenze, in Colorado und Californien ist es wahrscheinlich anders, das Land ist ja unendlich groß. Auch auf die Art der Sportbegeisterung und auf den unmöglichen Humor wird man sich nie einstellen können. Kurz auch hier leben Menschen und in ihren Eigenarten finden sich die gleichen Strebungen und Illusionen, Schwächen und Mängel verteilt wie andernorts. Daß sie seelische Atmosphäre letzten Endes um nichts besser ist als anderswo, darauf lassen die unverhältnismäßig große Zahl gestörter Menschen schließen, seien es nun Charakterveränderungen oder Neurosen und Psychosen. Das Erziehungswesen scheint zwar sehr fortschrittlich und den neuesten Erfahrungen angepasst, aber im Grunde ist es uneinheitlich und extrem, auf der einen Seite zu viel Freiheit, auf der andern zu viel Verbote und Einschränkungen. Vielleicht findet sich Gelegenheit, Ihnen meine Einstellung dazu noch eingehender zu belegen.

Im Juni hatten wir Besuch von Dr. Federn, der hier zwei lebhaft diskutiert Vorträge hielt (über „Ichgrenzen“ und über „Schizophrenie“). Begreiflicherweise macht die Begegnung mit ihm auf mich persönlich einen noch tieferen Eindruck, als seine Persönlichkeit bei anderen hinterließ. Er sah wunderbar frisch und jugendlich aus und dementsprechend war auch seine geistige Verfassung, seine Beweglichkeit und Lebhaftigkeit, seine humorvolle Diskussionsbereitschaft. Bald nachdem er uns verlassen hatte, erfuhren wir von ihm selbst, daß er sich einer schweren Operation unterziehen müsse. Gerade heute erhielt ich einen Brief von seinem Sohn, daß die Operation (ein Blasenkarzinom) glücklich überstanden ist und er sich auf dem Weg der Besserung befindet. Die Ärzte hoffen, sein Leben um mehrere Jahre verlängert zu haben und daß er einen beschwerdefreien Lebensabend haben wird. Alle, die ihn hier gesehen und in ihr Herz geschlossen haben, waren durch diese unerwartete Wendung sehr erschüttert und werden diese letzte Nachricht mit Befriedigung akzeptieren. Hoffentlich hält sie Wort. Bei unserem Meeting im Dezember werde ich in New York wenn nicht alle, so doch die meisten wiedersehen, die wir einst von Wien aus der Psychoanalyse den Weg bereiten halfen. Wo sind die Zeiten? Um uns ist es einsam geworden, aber die Psychoanalyse lebt wirksamer und anerkannter denn je und entwickelt ihre Bedeutung unentwegt weiter. Das war es schließlich, was uns zu erreichen vorschwebte.

Lieber Aichhorn, hoffentlich habe ich nicht zu viel geschwatzt, aber es tut wohl, sich einmal mit „zuhause“ zu unterhalten. Denken Sie vor allem an sich und lassen Sie sich die Schonung angedeihen, die Sie brauchen. Grüßen Sie unsere Runde herzlichst von mir und seinen Sie selbst es von Ihrem ergebenen R.H.J.

 

Anhang 2:

 

Brief Jokl an Lambert Bolterauer (28. 12. 1951):[178]

 

Mrs. and Doz. Dr. Lambert Bolterauer

Josefsgasse 7

Wien, VIII., Austria

Liebe Freunde:

 

Sie zwingen mich, mit Ihren eigenen Worten zu beginnen: „Fast ein halbes Jahr ist vergangen, seit ich Ihren letzten Brief erhielt“. Mit der Absicht, „Gleiches mit Gleichem zu vergelten“, hat das aber bestimmt nichts zu tun. Ich bedauere vielmehr ehrlich, dass die sich überstürzenden Ereignisse dieses halben Jahres mir so gar keine Zeit ließen, lieber Freunde zu gedenken., die wahrlich mehr Aufmerksamkeit verdient hätten. Aber ich zweifle nicht daran, dass Sie verstehen, die zwingenden Gründe zu würdigen, wenn Sie sie gehört haben werden.

Vorher möchte ich aber auf den Inhalt Ihres letzten Schreibens eingehen, der seine Aktualität kaum verloren haben wird.

Ich danke Ihnen zunächst für die eingesendeten Tätigkeitsberichte der August Aichhorn Gesellschaft und der Beratungsstelle für Mittelschüler und gratuliere Ihnen zu dem wirklich sehr bemerkenswerten Erfolg, der, wie ich wohl weiß, der Hauptsache nach Ihnen selbst zu verdanken ist. Frau Dr. Fried, die, wie Sie wissen, hier war und bei uns allen einen ausgezeichneten Eindruck hinterlassen hat, hat uns und speziell auch mir mehr darüber erzählt, so dass ich einigermaßen bescheid weiß. Besonders angenehm hat mich berührt, dass Ihre Bestrebungen und die Analyse in general einen Sachwalter in Prof. Hoff gefunden hat, der diese neue Einstellung wohl von hier mitgebracht hat.

Was Ihren Wunsch nach Unterstützung der Gesellschaft von hier aus betrifft, so habe ich Ihnen schon seinerzeit die Schwierigkeiten auseinandergesetzt, denen ich hier begegnet bin. Ich will meine Bemühungen in der Sache nicht aufgeben, nur muss ich Sie bitten, noch einmal ein Ansuchen einzubringen und die Tätigkeitsberichte, wo möglich auch einige markante Stellen aus den Zeitungsausschnitten, in perfekter englischer Übersetzung beizulegen. Das Gesuch richten Sie bitte: To „The Menninger Foundation“ and „The Topeka Institute for Psychoanalysis“ und adressieren es an die erstere (dieselbe Adresse). Erwähnen Sie irgendwie die Unterstützung, die Sie aus London erhalten haben. Mir fehlt es an Zeit, die Übersetzung selbst zu machen, sonst täte ich es gerne. Zögern Sie nicht zu lange, denn ich bleibe nur bis zum kommenden Sommer hier. Ich hoffe, dass es mir noch vor Szenenwechsel gelingen wird, die Widerstände zu brechen, jedenfalls können Sie versichert sein, dass meinerseits alles erdenkliche dazu geschehen wird. Als persönliches Mitglied können Sie mich buchen. Ich lasse Ihnen im Jänner Dollar 10.- via Creditanstalt-Bankverein zukommen, mehr kann ich augenblicklich aus, triftigen Gründen, die ich Ihnen später auseinandersetze, nicht leisten.

Dass Sie Dr. Hacker in den Vorstand nahmen, war leider ein Fehlgriff. Er wird erstens nichts leisten, weil er mit sich selbst viel zu sehr befasst ist und ihn anderes nicht interessiert, zweitens ist er bei uns nicht zum besten angeschrieben, was nicht nur auf seinen Charakter Bezug hat, sondern auch darauf, dass er in Los Angeles Mitglied der Neofreudian Group wurde, weil ihn die Classical Group aus guten Gründen ablehnte. Was Ihre Erwähnung Dr. Fleischmann’s betrifft, so konnten Sie sich in Amsterdam vielleicht ein bessres Bild machen. An seiner intriganten Haltung hat sich praktisch nichts geändert und unsere Beziehung zu ihm ist weiter gespannt und durch Misstrauen gekennzeichnet. Dass er hier allen unerwartet eine Ärztin, die in Deutschland studiert hat, knapp nach Erhalt ihrer License geheiratet hat, werden Sie vielleicht gehört haben; eine ziemlich farblose und uninteressante Person, mit der niemand hier eigentlichen Kontakt hat. Das Motiv ist nahe liegend und nur eine der vielen Bestätigungen seiner Charakteranlage. Ich glaube übrigens, dass sie ihn nach Amsterdam begleitete. Ihren Vortrag hat er, bezeichnenderweise, nicht angehört und konnte keine Auskunft über ihn geben. Auch Karen Horney, auf die Sie Ticho wohl in Unkenntnis der Sachlage hingewiesen hat, ist längst nicht mehr der Weg, „*Psychoanalytic* Study of the Child“ zu betreiben. Sie ist von dem, was wir unter Psychoanalyse verstehen, vollständig abgekommen und vertritt ihre eigene „Schule“, die eine recht unklare und ungeklärte Emulsion von Adler, Sullivan, Freud und ihren eigenen oberflächlichen Ideen ist.[179] Ihr und ihrer Gruppe wurde demgemäß die Zugehörigkeit zu der „International“ sowohl, als auch zu der „American Psychoanalytic Society“ aberkannt. Bitte sind Sie in der Wahl der Autoren, die Sie benützen, so vorsichtig als möglich, besonders da Sie sich als Lehrer für Psychoanalyse betätigen, aber auch für die Erweiterung Ihrer eigenen Kenntnisse. Sie kennen die Verhältnisse hier nicht und es geht vieles unter dem Namen der Psychoanalyse, was mit ihr in Wirklichkeit nichts mehr zu tun hat. So bedauerlich es ist, Sie müssen der Tatsache Rechnung tragen, dass Sie in Wien heute zu isoliert sind, um in Ihrem Urteil in vielem, was vor sich geht, sicher sein zu können. Es ist notwendig, dass die Wiener Gruppe anerkannt wird. Dazu genügt nicht die Formelle Anerkennung durch die „International Psychoanalytic Association“, Wien wird so lange isoliert bleiben, als die Anerkennung der Society und des Lehrinstituts nicht durch die weitaus größte und ausschlaggebende Gruppenvertretung, durch die „American Analytic Association“, erfolgt ist. Dazu ist es aber weiterhin unerlässlich, dass die Gruppe seriöse und klassische Arbeit leistet; was darunter zu verstehen ist, habe ich in meinem genug beachteten Artikel über „Psychic Determinism and Preservation of Sublimation in Classical Psychoanalytic Procedure“ sehr genau und keineswegs in einem engen und einschränkenden Sinn auseinandergesetzt. Die Jugendlichen-Fürsorge genügt nicht. Sie müssen bei den strengen Grundsätzen der American Psa. Assiociation betreffend Ausbildung und die Vorbedingungen zur Anerkennung als Training-Analyst dem Umstand Rechnung tragen, dass man zu den Wiener Analytikern nur ein beschränktes Vertrauen hat, weil keine Gewähr besteht, dass sie die grundsätzlichen Vorbedingungen der Ausbildung, die vorgeschriebenen Dreijahres-Kurse und wenigstens 200 Kontrollstunden bei dazu befugten Training-Analytikern, neben einer wirklich gründlichen eigenen Analyse, für die man erfahrungsgemäß wenigstens 400 Stunden rechnet, erfüllt haben. Das schafft natürlich eine besondere Schwierigkeit in Ihrer Lage und diese könnte nur durch den Nachweis der Befähigung der Mitglieder der Wiener Gruppe, besonders durch gute und wirklich psychoanalytische Publikationen und durch die gelegentliche Kontrolle durch einen anerkannten Traininganalytiker von auswärts, gebessert werden. Einen anderen Weg kann ich mir nicht gut denken. Ich darf Ihnen aber auch nicht verschweigen, dass ich eine gewisse Feindseligkeit gegen Wien feststellen konnte, weniger bei uns[180] als in London. Als Hedy Schwarz uns hier besuchte, hat Sie sich nicht sehr schmeichelhaft und – in meinen Augen – taktlos in London ausgesprochen. Ich habe ihr das offen ausgesetzt, aber der Eindruck seiner solchen Äußerung bleibt natürlich bestehen und wirkt sich für Wien nicht im günstigen Sinn aus. Glücklicherweise hat sie selbst hier einen geteilten Eindruck hinterlassen, denn man ist hier gegen oberflächliche Leistungen besonders kritisch, wenn sie zu selbstbewusst vorgebracht werden. Warum ich Ihnen das mitteile, liegt auf der Hand: Es hat keinen Sinn, die reale Situation dadurch zu verfälschen, dass man sie nur von dem Aspekt Ihrer lokalen Erfolge aus beurteilt. Die sind für Sie und Ihre Sache wichtig, ich kann Sie verstehen, aber für die meisten anderen ist die Beurteilung der Gesamtsituation von wesentlicherer Bedeutung. Und da sind nun einmal Verhältnisse entstanden, denen Sie ungeschminkt ins Auge sehen sollen, denn nur dann werden Sie und Ihre Gruppe imstande sein, ihnen wirksam entgegenzutreten. Nehmen Sie einmal die Mitglieder Ihrer Gruppe ganz objektiv vor; Dr. Winterstein ist der einzige, der die wissenschaftliche Erfahrung und praktische Ausbildung besitzt, die die notwendige Voraussetzung dafür ist, andere damit vertraut zu machen. Sie schreiben z. B., wissenschaftliche Sitzungen gab es fast nicht. Aber gerade diese, der Austausch der Erfahrungen, die Diskussion der praktischen und theoretischen Probleme, der Fehler, die man begangen hat, und der Fortschritte, die man erreicht hat, sind die Basis, auf der Allein man sein Wissen wirklich erweitern kann, dann die Erfahrungen, die man allein macht, werden erst durch ihre kritische Betrachtung objektiviert, selbst kann man sie nicht werten, ohne zwangsläufig in Fehler zu verfallen. Sie müssen mich richtig verstehen; ich will Sie nicht etwa entmutigen, im Gegenteil, es liegt mir unendlich viel daran, Ihnen behilflich zu sein, soweit das von hier aus möglich ist, aber es geht nicht an, Illusionen bestehen zu lassen, wenn ich Sie in eine praktische Bahn leiten will. Und glauben Sie mir, das liegt mir mehr am Herzen als Sie es ahnen können. Nun die anderen Mitglieder; Dr. Solms ist neben Ihnen beiden zweifellos der weitaus Begabteste. Aber er ist exaltiert, autistisch, nicht genug durchanalysiert, und demgemäß wird er nicht ohne weiteres willig sein, sich lenken zu lassen. Dr. Genner ist willig und fügsam, aber, was ihre Fähigkeiten betrifft, ein verlorener Posten. Die beiden Aufreiter sind zu autokratisch und zu überzeugt von ihrem Wissen und Können, als dass je etwas aus ihnen werden würde. Der einzige Dr. Ticho und, wie ich glaube, Frau Dr. Höllwarth sind ein Hoffnungsschimmer für die Zukunft. Aber dazu wäre es notwendig, die Vereinigung selbst zu reorganisieren. Es müssten wieder regelmäßige Sitzungen, regelmäßiger Austausch von Erfahrungen, regelmäßige Kontrollstunden, Vorträge und wissenschaftliche Diskussionen eingeführt werden und stattfinden, die in dem „International Journal“ berichtet werden müssen und mit denen sich die Vereinigung ausweisen kann. Nur auf diesem Weg wird es für Wien wieder möglich werden, Anerkennung zu erlangen.

Sie schreiben, dass das, was ich über die Arbeitsverhältnisse in Topeka geschrieben habe, Sie Ihr „Versäumnis“ milder beurteilen lässt. Ich glaube nicht, dass Sie recht haben, und ich bedauere es nach wie vor, dass Sie nicht wenigstens für einige Zeit hierher gekommen sind. Was ich schrieb, hat mit persönlichen Momenten zu tun und ist in diesem Sinne relativ zu nehmen. Es betrifft vor allem nicht die Arbeit an sich, die man hier zu leisten hast, denn ich glaube kaum je wieder einen Platz ausfindig machen zu können, der nur annähernd die Möglichkeiten bietet, die hier gegeben sind, seine Kenntnisse und Erfahrungen zu erweitern. Wenn es sich nur darum handelte, würde ich nicht daran denken, diese einzigartige Gelegenheit aufzugeben. Ich bin den 3 Jahren, die ich hier bin, ehrlich dankbar, denn sie haben meinen Horizont so erweitert, wie es in Europa nicht in 30 Jahren möglich gewesen wäre. Um diese wichtigen Erfahrungen, die mir ebenso neu waren, als ich herkam, und die sich nicht nur auf Technik, Anwendung und Anwendungsgebiete, Unterricht, Auslegung und Forschung beziehen, sondern auch auf die so unendlich wichtige Politik der psychoanalytischen Bewegung, auf die spezifische Indikation und Prognose und die Beurteilung der Fähigkeit für Psychoanalyse, reicher wären Sie nach Wien zurückgekehrt und hätten mit ganz anderem autoritativem Rückhalt Ihre Sendung als anerkannter Führer der Gruppe in Wien übernehmen können. Das ist immer noch der vorgezeichnete Weg, den Wien braucht, um wieder eine Basis für die Psychoanalytische Wissenschaft, Theorie und Forschung zu werden. Hier wird die Dynamic Psychiatry immer mehr Fach der Universitäten, aber gelehrt wird Psychoanalyse nur im Kontakt mit den Instituten und von den von diesen entsendeten Lehranalytikern. Es genügt nicht, dass Prof. Hoff sich offen zur Analyse bekennt und dass er seine Ärzte und Sozialarbeiter mit ihr bekannt macht. Er selbst ist nicht analysiert und ausgebildet, wir wissen zur Genüge, dass das theoretische Verständnis nur einen „ideologischen“ Wert besitzt und nicht hinreicht, um Analyse zu beherrschen und wirklich zu verstehen, und seinen Assistenten und Schüler, wie ich schon von Dr. Solms sagte, fehlt noch zu viel zu den Grundlagen, um selbst ein einwandfreier Therapeut, geschweige denn Lehrer und Forscher sein zu können. „Wenn“ in der Welt der Friede bestehen bleibt, gerade dann erwüchse Ihnen nicht eine „bescheidene“ Aufgabe, wie Sie es ausdrücken, in wie mir scheint doppelter Verkennung Ihrer Person und der Aufgabe, sondern die höchst wesentliche Verpflichtung, der Geburtsstätte der Psychoanalyse wieder zu der Stellung und Geltung zu verhelfen, die ihr historisch und ihrer Kapazität nach, wenn diese wiederherstellbar ist, gebührt. Gefühlsmäßige Bindungen sind solchen Fragenkomplexen gegenüber gewiss nicht maßgebend, darüber müssten wir uns gerade als Analytiker im klaren sein. Ich mache mir Vorwürfe, dass ich seinerzeit nicht energischer darauf bestanden habe, Sie zu veranlassen, wenigstens vorübergehend, für 1 oder 2 Jahre, studienhalber hierher zu kommen, wie Sie es ja auch erwogen haben. Wie viel leichter hätten Sie es heute auch mit Ihrem Jugendlichen-Hilfsprogramm und Sie und Ihre Frau hätten die Möglichkeit gehabt (viel mehr und nachhaltiger als Ihre Frau in England), sich auf eine für jeden nachweisliche und ersichtliche Beendigung Ihrer eigenen Ausbildung zu berufen, was Ihnen der Fachorganisation und offiziellen Stellen gegenüber in der ganzen Welt einen anderen Rückhalt gegeben hätte. Die Geltung der Wiener Gruppe wäre mit 2, rsp. 3 Lehranalytikern nicht mehr in Frage gestellt worden und nötige Unterstützung Ihrer Bestrebungen hätte sich von selbst ergeben, ohne dass die negative und kritizistische Haltung eines ihrer früheren Mitglieder hier den Erfolg immer wieder verhindert hätte.[181] Sie werden damit auch die Widerstände besser verstehen, mit denen ich hier in dieser Sache zu kämpfen habe.

Wie weit Sie diese meine wirklich nur im besten Sinn gemeinte Stellungnahme zu würdigen wissen und was da im Augenblick noch zu machen ist, kann ich schwer beurteilen. Wir leben natürlich in verschiedenen Welten, aber es ist kein Zweifel, dass sie heute mehr zueinander gehören und zueinander streben als je, wenn ich Ihren optimistischen Aspekten (allerdings ist seither wieder ein halbes Jahr vergangen) auch nicht zustimmen kann und wenn ich auch weiß, wie schwierig es ist, sich über den Ozean zu verständigen. Ich muss Sie einfach bitten, mir zu glauben, dass ich die Verhältnisse objektiver beurteilen kann, als es für Sie in Ihrer Umgebung und ihren lokalen Einflüssen ausgesetzt praktisch auch nur möglich ist, trotz Amsterdam; denn ein Kongress ist im Grunde eine gesellschaftliche Veranstaltung und was Sie dort sehen und erfahren, ist nur das konventionelle Bild (im Englischen heißt ein Kongress bezeichnenderweise „Convention“); über die Differenzen erfahren Sie nichts oder so wenig, dass sie Ihnen bedeutungslos erscheinen müssen. In Wirklichkeit aber sind sie weit größer als Sie in der Lage sein, sich vorstellen zu können. Ich kann Ihnen somit nur nochmals – als Ihr Freund – raten, mir zu glauben und in Ihren Entschlüssen meine Feststellungen ins Kalkül zu ziehen.

Ich bin kein Illusionist und ich weiß wohl, dass für solche Pläne die Realität im Augenblick wenig entgegenkommend sein dürfte. Das heißt also, dass ich gar nicht erwarte, dass S8ie mir „aufs Wort“ folgen. Aber da ist etwas, was seine peinliche Wirkung auf mich nicht verfehlt und einen eigentlich hoffnungslos machen müsste, nämlich Ihre Bemerkung über die Latenz der alten Spannungen in Ihrer Vereinigung, die „nach heftigen Kämpfen“ zwar „einen passablen Ausgleich“, einen „demokratischen“ modus vivendi gefunden haben, aber im Grunde weiter bestehen und der Tätigkeit und Arbeitsfähigkeit der Organisation natürlich nicht förderlich sind. Nun ist die Vereinigung augenblicklich das einzige, worauf sich dein Progress der psychoanalytischen Arbeit und Schulung stützen kann; und dieser Apparat versagt augenscheinlich (Sie hätten mir sonst nicht mitgeteilt: „Wissenschaftliche Sitzungen gab es fast gar nicht“). Lässt sich dagegen den gar nichts unternehmen? Sie wollen Psychoanalytiker sein, aber der Geist, der sie beherrscht, lässt offenbar nicht drauf schließen, sonst müssten sie alle wissen, dass solche persönliche und kleinliche Auseinandersetzungen, wie sie leider allzu menschlich sind und überall, auch in der aufgeklärtesten Gesellschaft vorkommen, den Geist der Arbeit selbst nicht gefährden dürfen, wenn diese Ihnen wirklich wichtig ist. Aber man muss leider den Schluss daraus ziehen, dass sie den meisten von ihnen nicht wichtig genug ist oder dass sie eben nicht weit genug sind, ihren Geist zu begreifen. Das etwa ist mein Gesamteindruck, wie ich ihn oben schon aufzuzeigen suchte, und wenn dieser zweifellos nicht unbegründete Verdacht sich bestätigt, sind die notwendigen Schlussfolgerungen daraus in meinen Augen tragisch. Bleuler hat nicht ohne Grund den „autistisch undisziplinierten Charakter“ gekennzeichnet und ich brauche Sie gewiss nicht darüber zu belehren, was ein solches Verhalten für einen Analytiker bedeutet. Nicht mehr und nicht weniger jedenfalls, als dass man ihm die Fähigkeit absprechen muss, es zu sein, zumindest er nicht selbst durch seine eigene Analyse gelernt hat, eine objektive Haltung zu bewahren, d. h. zu verstehen und nicht zu kritisieren, und seine Beziehungen seinem Verständnis anzupassen. Nur dann nämlich wird er nicht durch seine persönlichen Empfindlichkeiten oder seinen „Willen zur Macht“ die allgemeine Situation verkennen oder in Gefahr bringen. Sie haben meiner Schilderung entnommen, dass wir auch hier unerfreuliche persönliche Erfahrungen machen. Aber ich muss zur Ehrenrettung aller, die hier beteiligt sind, betonen, dass solche Differenzen immer persönlich geblieben sind und niemals auf unsere Arbeit übergegriffen haben. Man spricht sich offen aus, bleibt im Dienst sachlich und verhält sich privat, wie es einem richtig erscheint. Dr. Fleischmann’s Verhalten hatte die logische Folge, dass er und seine Frau privat isoliert sind und sie sich damit als einer Tatsache abzufinden haben. Auf unsere Zusammenarbeit hat das niemals auch nur den geringsten Einfluss gehabt. Dienstlich gibt es keine „privaten“ Auseinandersetzungen und es denkt niemand daran, aus persönlichen Angelegenheiten irgendwelche dienstliche Folgerungen zu ziehen, weil jedem von uns die Arbeit als solche wichtiger erscheint. Damit wird weder die persönliche Freiheit noch das persönliche Interesse verletzt, denn jeder kann, wenn es ihm günstiger erscheint, seinen Platz aufgeben und seine Arbeit, unter Wahrung der Verantwortlichkeit, anderwärts fortsetzen. Das ist die Lage, in der ich mich augenblicklich befinde; aber wenn auch die Foundation von meiner Absicht, zu kündigen, nicht begeistert ist, so legt sie mir keine Steine in den Weg, weil ich vorgesorgt habe, dass sie nicht geschädigt wird. Ich sehe keinen rechten Grund, warum man sich in Wien nicht ähnlich verhalten und anpassen kann. Sie haben mir über die Machenschaften der beiden Aufreiter geschrieben und ich habe mich gewundert, warum man sie angehen lässt und ihnen ein Recht einräumt, das sie sich nie erworben haben. Wir kommt Dr. Aufreiter, noch dazu unter diesen Voraussetzungen, in den Lehrausschuss? Sie müssen verstehen, dass man gegen diese Art Betrieb immer Einwendungen haben wird und dass es daher dringend nötig erscheint, der Organisation auf die Beine zu helfen. Die Kardinalfrage ist, wie Ihnen dabei behilflich sein, und dringend wichtig ist, dass Sie sich nicht selbst dadurch isolieren, dass Sie unter sich Ämter verteilen, für die Sie sich nicht oder nicht genügend ausweisen können. Das ist auch einer der wesentlichsten Gründe, wenn auch nicht der einzige, warum es so schwierig ist, die Unterstützung Ihrer Bestrebungen durchzusetzen. Man erwidert mir immer wieder, die Wiener Gruppe existiert nur auf dem Papier, weil nach den Stauten ein Institut nur dann errichtet werden kann und arbeitsfähig ist, wenn wenigstens 4 anerkannte, den Vorschriften gemäß ausgebildete und ernannte Lehranalytiker vorhanden sind. Zum Lehranalytiker kann aber vorschriftsmäßig nur ernannt werden, wer nach der vorgeschriebenen vollendeten Ausbildung – abgeschlossene und erfolgreiche Lehranalyse, ein Minimum von 200 Kontrollstunden bei dafür befugten Lehranalytikern und an wenigstens 3 Fällen, und Approbation durch den befugten Lehrausschuss – wenigstens 5 Jahre praktische  und wissenschaftliche Tätigkeit als anerkannter Analytiker nachweisen kann. In den By-Laws der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung heißt es ferner, dass niemand sich selbst zum Lehranalytiker vorschlagen kann, sondern dass nur das Institut bei eigener Verantwortung einen solchen Vorschlag machen darf, sämtliche Institute und Gruppen der Internationalen Vereinigung davon Kenntnis haben müssen und der Exekutiv-Ausschuss dazu seine Einwilligung geben muss. Sind diese Bedingungen nicht erfüllt, so kann es geschehen, dass jemand das Recht, zu analysieren oder zu lehren, abgesprochen wird – beides habe ich hier schon erlebt – und, was die Sache noch verantwortungsvoller macht, dass Analysen und Krontollen, die sie durchgeführt haben, als ungültig erklärt werden, ein Risiko, das schon der materiellen Schädigung wegen und des Eindrucks, den es auf die Betroffenen machen muss, vermieden werden sollte.

Ich glaube, es werden Ihnen erst jetzt die Motive klar sein, die Anlass zu den prinzipiellen Einwendungen gaben, die man gegen eine Unterstützung der Wiener Gruppe erhob. Und das ist ein wesentlicher Grund, warum ich mich der undankbaren Aufgabe unterziehe, Ihnen die Situation so offen als möglich darzustellen. Ich muss betonen, dass sich das in keiner Weise gegen Sie persönlich richtet, die ich nicht nur als meine Freunde schätze. Aber Sie sind nun einmal ein Teil, und zwar eine wesentlicher, der Wiener Gruppe und ich möchte nicht, dass Ihre offenbar ungenügende Kenntnis dieser Gegebenheiten Sie mit Ihrer Gruppe früher oder später in Ungelegenheiten bringt. Ich weiß natürlich und trete auch dafür ein, dass man Wien nicht so sehr aus historischen, sondern aus Gründen der besonderen und nicht durch die Gruppe verschuldeten Lage notwendigerweise eine Sonderstellung einräumen müsste, aber muss gestehen, dass meine Versuche in dieser Richtung bisher auf wenig Verständnis gestoßen sind. Das hat nicht nur mit dem Charakter und der Einstellung der Amerikaner zu tun, sondern mehr noch mit der prinzipiellen Überlegung, dass diese Satzungen in ihrer strengen Form und mit ihren hohen Anforderungen geschaffen wurden, um eine Verwässerung der Analyse zu verhüten, wie man es früher, solange man nachsichtiger war, und auch heute noch, trotz der exakten Ausbildungsbedingungen, wenigstens gelegentlich erlebt, da man immer noch zu sehr von den mehr oder weniger subjektiven Urteilen der lehrenden und kontrollierenden Analytiker abhängig bleibt, denen wir vertrauen müssen. Man kann also, wenn man dieses Vertrauen voraussetzt, niemand verübeln, wenn er es von den gleichen Forderungen abhängig macht, die man von ihm verlangt hat. Ich habe anfangs Dezember auf dem Midwinter-Meeting in New York als Bevollmächtigter of the Board on Professional Standards versucht, vor diesem als der zuständigen Stelle die Frage einer gesonderten Behandlung der Wiener Gruppe mit dem Ziel ihrer Anerkennung aufzuwerfen. Ich bin dabei auf so harten Widerstand gestoßen, dass ich es aufgeben musste. Bei nachträglicher Erörterung dieses Problems untereinander riet man mir, die Wiener Gruppe darauf aufmerksam zu machen, dass man von ihr zuerst den Beweis erwarte, dass sie sich an die gegebenen Bestimmungen der Ausbildung und der Approbation halte und sich damit ausweise, dass sie an den Problemen der Bewegung praktisch und wissenschaftlich beteiligt ist. Es existieren z. B. keine regelmäßigen Veröffentlichungen über die wissenschaftlichen und Geschäftssitzungen und über Diskussionen der Wiener Vereinigung in einer dazu bestimmten Fachzeitschrift (z. B. „The International Journal of Pscho-Analysis“, London), eine Verpflichtung, die für alle Gruppen der International Association besteht und immer bestanden hat. Was das heißt, ist klar: Sie müssen erst den eigenen Stall kehren. Es ist, verzeihen Sie mir, eine naive Auffassung, seine eigenen Wege zu gehen oder sich zu isolieren, wenn man andererseits auf andere angewiesen ist. Und es ist eine selbstverständliche Forderung an eine Fachgruppe die eine wissenschaftliche und eine Lehraufgabe vertreten soll, dass sie mit den Fachgruppen gleichen Zieles zusammenarbeitet und sich der Gesamtorganisation unterstellt, nicht nur nominell, sondern durch statutengemäße Mitarbeit. Es ist sonst unausweichlich, dass sie den Zusammenhang mit der Organisation und den Überblick über sachliche, methodische und wissenschaftliche Fortschritte und Veränderungen von Anschauungen und Handhabungen, wie sie sich in der Entwicklung jedes Faches ergeben, verliert. Die Kenntnis der Literatur etwa genügt nicht, um eine Gruppe bei so delikatem Material auf dem Laufenden zu halten, sie muss sich selbst am Research und an dem lebendigen Ablauf dieser Entwicklung und Vorwärtsbewegung beteiligen. Sonst bleibt sie zurück und produziert Stückwerk, das sie immer mehr von der Gesamtbewegung entfernen muss und schließlich für sie wertlos macht.

Ich habe den Tätigkeitsbericht der August-Aichhorn-Gesellschaft und der Beratungsstelle für Mittelschüler in New York, so gut es ging, verdolmetscht und diese Darstellung hat viel Anklang gefunden. Es wurden aber auch Fragen sehr prinzipieller Natur, vom Standpunkt eines psychoanalytischen Kongresses gesehen, laut. Sie bezogen sich insbesondere darauf, dass aus den berichten nicht hervorgeht, in welchem Zusammenhang Ihre Child-Guidance-Clinic eigentlich mit der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung steht. Es wurde vermerkt, dass daraus nur für eine Minderzahl der Mitarbeiter hervorgeht, dass sie Mitglieder der Vereinigung sind, ob die anderen überhaupt psychoanalytisch geschult sind, ist nicht ersichtlich. Es ist wieder dasselbe Problem, dass für die Psychoanalytic Association nur eine wirklich psychoanalytisch tätige Gruppe, die mit ausgebildeten Kräften arbeitet und Kräfte ausbildet, von Interesse ist. Ich konnte darüber keine exakte Auskunft geben und habe gesagt, dass ich bei Ihnen anfragen werde. Man hat sich dann nach Ihrem und dem Ausbildungs-Curriculum der anderen Mitglieder der Wiener Vereinigung erkundigt und ich würde Ihnen sehr empfehlen, vom General Secretariat of the International Psychoanalytic Association für jedes Ihrer Mitglieder je 2 Formulare „Application for Membership“ zu erbitten, (mit Ausnahme Dr. Winterstein), sie sorgfältig auszufüllen und je 1 Exemplar an das General Secretariat zurück und eines an ich zu schicken (für den Board on Professional Standards), damit endlich die Frage der Anerkennung und Unterstützung der Wiener Gruppe geklärt werden kann. Ferner muss ich Sie bitten, der Übersetzung des Tätigkeitsberichtes der August Aichhorn Gesellschaft und der Child Guidance Clinic eine Erklärung beizufügen, die die psychoanalytisch eingestellte Arbeit nachweist (unter der Kontrolle der Vereinigung?) und Auskunft über die Einstellung und Vorbildung der Mitarbeiter gibt, die der Vereinigung nicht oder noch nicht angehören. Alle diese Fragen, ihnen voran die des Tätigkeitsnachweises und des Nachweises der genügenden, d. h. der vollständigen Ausbildung, müssen geklärt werden, wenn die Wiener Vereinigung wieder in die „Gesellschaft der Societies“ aufgenommen und in ihr eine Rolle spielen will. Erweist sich die Ausbildung des einen oder anderen der Mitglieder als ungenügend, so müsste dem auf irgendeine Weise abgeholfen werden; und will sich ein Mitglied dem nicht fügen, so bliebe nichts anderes übrig, als es auszuschließen. Niemand in der American Association würde einen anderen Weg gutheißen oder auch nur begreifen, da sich jedes ihrer Mitglieder diesen Bedingungen voraussetzungslos unterworfen hat. Sie müssen auch wissen, dass der Tätigkeitsbericht der Aichhorn-Gesellschaft und die wissenschaftliche und Arbeitsleistung jedes einzelnen unter Ihnen nicht als Beweis für die Tätigkeit der Vereinigung gilt. Die Vereinigung muss wirkliche und regelmäßige Arbeit machen und diese Arbeit muss legal und verbucht sein. Hier gilt zu allgemein der grundastz, dass, wer sich nicht am wissenschaftlichen leben aktiv beteiligt, den Zusammenhang mit ihm verlieren muss; darum gewinnt die Kontrolle der Arbeitsleistung hier eine so wesentliche Bedeutung. Nirgends gilt der Grundsatz mehr, dass „quod non est in actis, non est in mundo“.

Sehen Sie, das ist durchaus typisch für das Leben hier: Ich habe diesen Brief an Sie am 28. Dezember begonnen und komme erst heute, am 15. Jänner, wieder dazu, ihn fortzusetzen. Der Konsum an Arbeit ist manchmal so beträchtlich, dass jedes private Leben ausgeschaltet ist, wenigstens eine zeitlang. Ich habe durchgeflogen, was ich damals geschrieben habe, und den starken Drang verspürt, den Brief zu vernichten. Aber dann hat mir Überlegung gesagt, dass ich damit, dass ich Ihnen Tatsachen verschweige, die eminent wichtig werden können, nur um Sie nicht zu beunruhigen, nichts Gutes für Sie täte. Ich glaube wirklich, dass Ihnen ein Maßstab für das fehlt, was man hier voraussetzt. Amerika ist nun einmal der Boden geworden, auf dem sich die Entwicklung der Psychoanalyse in einem ungeahnten Ausmaß vollzieht, man kann nicht mehr von ihrer Anerkennung sprechen, sie ist selbstverständlich geworden und an der Mehrzahl der Universitäten als Studienfach zugelassen, als „postgraduate training“ für die Ausbildung von Psychiatern, klinischen Psychologen, Soziologen und fallweise auch für andere Fachkategorien. Ihre Technik hat mit der enormen Erweiterung ihrer Anwendungsgebiete und der neuen Erfahrungen, z. B. in der Behandlung der Schizophrenie, Veränderungen und eine solche Vielfältigkeit erfahren, dass für ihre Beherrschung und Indikation in der Psychiatrie allein ein eigenes sorgfältiges Studium und viel Erfahrung nötig geworden sind. In Wien habe ich davon nur wenig gewusst und ich muss annehmen, dass darüber die Wiener Vereinigung auch heute noch sehr lückenhaft informiert ist. Denn ohne sich von diesen Umwälzungen selbst überzeugt zu haben, ist es äußerst schwer und nur unvollkommen möglich, sich ein Bild darüber zu machen; und zusammenhängende Darstellungen gibt es darüber noch nicht. Es ist nur natürlich, dass bei diesen immer komplizierter werdenden Voraussetzungen die verantwortliche zentrale Vereinigung an den strengen Ausbildungsbedingungen festhält und eher Verschärfungen als Ausnahmen zulässt, da bei der Kompliziertheit des Gegenstandes sonst ein Chaos zu gewärtigen wäre. Darin sind die akademischen Stellen in völliger Überstimmung mit uns. Gleichzeitig wird der Druck auf die Internationale Vereinigung immer stärker, diesen Ausbildungsgrundsätzen allgemeine Geltung zu verschaffen, und es besteht kein Zweifel, dass sie sich der weitaus größten und leistungsfähigsten Gruppe, der amerikanischen, fügen wird. Die Folge wird die Diskreditierung aller sein, die die Mitarbeit verweigern. Ich kann nicht behaupten, dass ich in allem mit der Politik der American Association übereinstimme. Manches in ihrer Politik fordert nicht nur meine Kritik heraus, so ihre Haltung gegen nichtärztliche Analytiker, denen sie die Mitgliedschaft und das Recht der praktischen Ausübung der Analyse als Therapie verweigert, mit der einen Ausnahme der Kinder und Verwahrlosten. Diese Dinge sind wie vieles in unseren theoretischen und praktischen Ausblicken noch ungeklärt und man bemüht sich immer mehr, viele dieser Fragen durch „psychologic research“ und statistische Forschungen auf seriöser Basis möglichst objektiv zu entscheiden. Aber wie immer in solchen Fällen lassen sich unter so vielen Beteiligten Vorurteile einzelner und von Gruppen nicht ausschalten und kleinliche Konkurrenzprobleme werden zu Ideologien gemacht, was besonders die Entwicklung der Laienfrage noch immer nicht sehr hoffnungsvoll gestaltet. Das alles sei Ihnen nicht nur gesagt, weil es Sie interessieren muss, sondern weil es mir wirklich am Herzen liegt, Ihnen alle künftigen Schwierigkeiten so gut als möglich zu ersparen. Sie werden mich und die Gründe, warum ich mich dieser Aufgabe so ausführlich unterziehe, so besser verstehen. Ich habe mit Bedauern feststellen müsse, dass Wien in Vergessenheit gerät und selbst die, die einmal dort waren, kein Interesse mehr für die dortige Bewegung zeigen. Sie werden sich durch Leistungen wieder bemerkbar machen müssen und die sind nur durch eine gemeinsame und einige Arbeit zu erzielen. Wer sich nicht dem Ganzen unterordnen will und die Analyse nur für seine privaten Zwecke ausnützt, muss rücksichtslos ausgeschaltet werden, wie das hier geschieht. Wie weit Sie meinen Ratschlägen sonst folgen und wie Sie sie organisieren wollen, hängt natürlich von Ihnen ab. Ich kann nicht mehr tun als sie Ihnen nahe zu legen und zu begründen.

Eben während ich dies niederschreibe, wird mir Ihre schöne Neujahrskarte in mein Office gebracht. Ich danke Ihnen sehr und meine Frau und ich erwidern Ihre Wünsche aus das herzlichste; und ich bitte Sie, sie auch an alle Kollegen weiterzugeben, insbesondere an Frau Dr. Fried und Dr. Ticho, die mir geschrieben haben. Bitte sagen Sie ihnen, dass es nicht Schreibfaulheit ist, dass ich noch nicht geantwortet habe, ich kann es erst tun, bis ich wider Zeit finde. Ich möchte damit auch das nicht sehr erfreulich, aber gut gemeinte Kapitel abschließen und nur noch hinzufügen, dass ich abwarten will, wie Sie darauf reagieren und was Sie an Vorschlägen und Absichten bereit haben, dem gegenwärtigen Zustand – sagen wir, der Isoliertheit – abzuhelfen. Ihre Bücherwünsche will ich demnächst erfüllen, muss Ihnen allerdings sagen, dass über „Technik“ sehr wenig Brauchbares zusammengefasst ist. Dr. Kaiser und ich sind gegenwärtig bemüht, eine Übersicht über dieses komplizierte Gebiet zu entwerfen, aus der ein brauchbares und systematisches Buch über diesen Gegenstand werden soll. Aber ds wird noch seine Zeit in Anspruch nehmen.

Bevor ich Ihre Frage über meine persönlichen Absichten beantworte, möchte ich Sie um etwas bitten, das ich nur Ihnen überantworten kann, weil Sie dafür die richtige Stelle sind. Ein guter Bekannter von mir, Mr. James M. Cravens, Psychologiestudent im letzten Jahr, sehr begabt, vielseitig interessiert und sympathisch, hat um einen Schloarship für die Wiener Universität, in Psychologie, angesucht, um sich in diesem Fach und wo möglich auch in klinischer Psychologie zu vervollkommnen und auswärtige Aspekte kennen zu lernen. Beiliegend ist eine Photokopie seines „registry“ (Studienganges und Klassifikation) und ein Original-Brief des „Institute for International Education“, aus dem ersichtlich ist, dass er für einen „foreign scholarship“ in Frage gezogen ist. Obwohl seine Aussichten gut sind, wäre es wegen der großen Zahl von Bewerbern von Wichtigkeit für ihn, eine Bestätigung des Wiener Dekanats oder einer anderen maßgeblichen Stelle der Universität in Händen zu haben, dass er auf Grund des Nachweises seiner ausgezeichneten Studienerfolge (ersichtlich aus der Copy des „Permanent Record“ des Office of Registrar der Washburne Municipal University) und gegebenenfalls auf Grund meiner Empfehlung und Garantie für seine intellektuellen und moralischen Qualitäten, der Wiener Universität als Gaststudent willkommen wäre. Ich nehme an, dass es Ihnen durch Ihre Stellung oder Ihre Verbindungen leicht möglich sein wird, eine solche bestätigung zu erlangen und sie möglichst umgehend mir zuzusenden. Sie würden mich mit dieser besorgung zu besonderem Dank verpflichten.

Und nun noch kurz zu meinen persönlichen Angelegenheiten. Ich schrieb Ihnen seinerzeit von dem sehr günstigen Antrag, den mir das Psychiatric Department der State University of Minnesota machte, dass ich im vergangenen Juni in Minneapolis war und dass man mir 1 Jahr Bedenkzeit zubilligte. Meine Bedenken bezogen sich auf das Klima und die Lage, die beide diese sonst sehr schöne, aber zu nördliche Stadt nicht sehr einladend für einen dauernden Wohnsitz machten, und auf die Schwierigkeit, allein eine solche Lehraufgabe und das Starten einer Study Group zu übernehmen. Ich machte daher meinen Entschluss davon abhängig, ob ich Helfer finden würde. Da Minneapolis in das weitere Bereich des Chicago Institute fällt, setzte ich mich mit Dr. Alexander in Verbindung, der mir sehr zuredete, mir diese Gelegenheit, an den gegebenen Entwicklungsbedingungen der Analyse aktiv Anteil zu haben und sie an einer der größten Staatsuniversitäten des Landes einzuführen, nicht entgehen zu lassen. Er konnte mir aber keine Mitarbeiter versprechen und auch in New York hatte ich kein Glück damit, da es zu wenig befugte Traininganalytiker gibt und die, die verfügbar sind, an ihre Stellen gebunden sind. Inzwischen wurde ich von der Los Angeles Psychoanalytic Society eingeladen, an einer Diskussion über das Thema „Depression“ teilzunehmen. Das war im November und der unerwartete Erfolg war, dass mich die Society aufforderte, nach Los Angeles zu kommen und mich ihrer Gruppe anzuschließen. Sie müssen wissen, dass es selbst amerikanischen Psychiatern, die keine California License haben, schwer gemacht wird, sich dort niederzulassen, das das Land und die Stadt sich trotz außerordentlichen Bedarfes gegen eine zu starke Zuwanderung schützen muss, die wegen der besonders günstigen allgemeinen und klimatischen Bedingungen sehr verführerisch ist. Die Society ist daher sehr exklusiv und sucht sich ihre Mitglieder sorgfältig aus. Der Erfolg ist, dass ihr Niveau besonders hoch ist, was der wissenschaftlichen Arbeit und dem Ansehen der Mitglieder zugute kommt. Ich muss sagen, ich habe dort zum ersten Mal, seit ich hier bin, etwas von der Atmosphäre und dem Geist gefühlt, die in der Wiener Vereinigung zu Freud’s Zeiten herrschten. Der Einfluss Fenichels und Simmels ist dort noch nicht erloschen und ich glaube, dass ich es vor allem diesem Umstand zu verdanken habe, dass man mich dort haben möchte. Nach der Spaltung der Los Angeles Gruppe in eine klassische und neofreudianische (Sullivan) hat die erstere auch ein verständliches politisches Interesse daran, jemand „von der Quelle“ zum Mitglied und Lehrer zu haben. Diesem Umstand habe ich es, so glaube ich wenigstens, in erster Linie zu verdanken, dass man sich um mich bewirbt, obwohl ich weiß, dass kurz vor meinem Besuch ein „bodenständiger“ Analytiker aus dem Osten mit gutem Namen, der sich in Los Angeles niederlassen wollte, unverrichteter Dinge zurückkehren musste, weil ihm die Aufnahme verweigert wurde. Deshalb und weil ich vergangenen Sommer eine ähnliche Erfahrung in Seattle machen musste, wo man mir die Leitung des Institutes angeboten hatte, beim Staat Washington aber, wo die Verhältnisse allerdings besonders schwierig liegen, trotz aller Bemühungen meine Autorisierung nicht zu erlangen war, achte ich gar nicht an eine solche Wendung in Los Angeles. Ich habe prinzipiell angenommen, aber erwarte noch die Durchführung von Sicherungen, die ich verlangt habe, obwohl sie nicht unbedingt nötig wären, aber ein Rückhalt für die Zukunft sind, da ich dort, wo ich jetzt hingehe, ein für alle Mal zu belieben wünsche. Gewandert sind wir genug und wir möchten endlich wieder ein Heim haben, wo man sich zu Hause fühlen kann. Bis zum Feber muss die Sache entschieden sein, da ich an diesem Tage meine Resignation einreichen muss, damit wir Ende Juli oder Anfang August übersiedeln können. Meine Bedingungen werden kaum auf Hindernisse stoßen.

Das ist meine gegenwärtige Lage. Minneapolis werde ich nicht entscheiden, bevor ich nicht hundertperzentige Sicherheit habe. Alle anderen Pläne habe ich ausgeschaltet, weil sie sich nicht als günstig genug erwiesen haben. Irgendwo hinzugehen, nur mit dem Ziel, zu verdienen, liegt mir nicht, und eine Stelle auf gut Glück zu erproben, habe ich nicht nötig, auch nicht, mich irgendwo niederzulassen, wo klimatische und sonstige Verhältnisse ein Risiko bedeuten könnten oder einen Aufenthalt auf Dauer in Frage stellen. Dem würde ich vorziehen, hier zu bleiben, wo ich eine schöne und erfolgreiche Arbeit und einen sicheren Verdienst habe, wo man mich braucht und es niemand einfallen würde, meine Existenz zu schmälern. Dass diesen Vorteilen aber auch Bedingungen anhaften, die schwer zu ertragen sind, wissen Sie. Wenn das Projekt Los Angeles sich durchführen lässt – und es sieht ganz danach aus – dann sind wir alle Sorgen dieser Art los. Man kann sich klimatisch kaum einen idealeren Platz denken, maritimes subtropisches, aber im Durchschnitt mildes Klima, im Sommer nicht zu heiß, einen Winter gibt es eigentlich nicht, nur von Ende November bis Ende Jänner etwa mehr oder weniger Regen bei lauen Temperatur, die fast nie dem Nullpunkt nahe kommt. Mitte November, als wir dort waren, war alles voll blühender Blumen, die Dattel- und Orangenernte war im Gang und erst zu Beginn der dritten Woche, als wir wegfuhren, hatten wir einen Regentag. In Kansas war um diese Zeit schon Winter. Es gibt kaum eine Vegetationsunterbrechung und die Umgebung ist ausgesucht schön. Man kann sein Weekend am Ozean, im Gebirge, in Wäldern und an Seen, und, wenn man will, auch in der Wüste (desert) verbringen, die hier ihre besonderen Reize hat und im Frühling einem blühenden Kakteen- und Palmengarten gleicht. Die Stadt hat eine riesenhafte Ausdehnung, aber die Wohnbedingungen in der Nähe des Ärzteviertels sind besonders schön. Für unser fach liegen die Arbeitsverhältnisse höchstens noch in New York ähnlich gut, die Stadt könnte die doppelte Zahl an Analytikern brauchen; es gibt niemand, der nicht voll zu tun hätte, ich muss noch mit der Lehrtätigkeit im Institut und der Ausbildung der Kandidaten (Traininganalysen und Kontrollstunden) rechnen. Aber gerade das ist mir wichtig und die Honorierung ist gut. Also hoffen wir, dass es zustande kommt, wir können uns nichts besseres wünschen.

Ich muss dringend Schluß machen, denn eben bekomme ich Memo, einen „report“ über einen Kandidaten auszuarbeiten und die „agenda“ für das nächste Education Committee Meeting mit dem Executive Secretary zu besprechen. Überdies habe ich heute abends mein „Case Group Seminar“. So ist das Leben hier; eine ununterbrochene Kette von Anforderungen und man weiß nie, was Unerwartetes einen morgen erwartet. Das gehört zu den Nachteilen der Organisation hier, dass man ihr jederzeit zur Verfügung stehen muss und es eine Rücksicht auf das private Leben nicht gibt. Man ist ein Sklave der Zeit, statt über sie verfügen zu können, und das ist auch einer der Gründe, die einen Wechsel so notwendig machen. Der neuen Stellung dürfen solche Bedingungen nicht anhaften, sonst wäre ihre Wahl sinnlos.

Dieses Schreiben ist sehr lang geworden. Ich hoffe, dass Sie ihm Ihr Verständnis nicht versagen werden. Sie wissen genau, dass nur die Sorge um Sie und die Zukunft der Wiener Psychoanalyse, falls ihr eine solche, ich meine, auf Grund der allgemeinen Verhältnisse, vergönnt sein wird, mich veranlasst hat, so zu schreiben, wie ich es getan habe, aber Sie sollen auch wissen, dass ich verantwortlich genug war, nicht zu übertreiben, und dass gewisse aktuelle Umstände es mir nötig erscheinen ließen, Ihnen die Augen zu öffnen, damit nicht Unrwartetes an Sie herantritt und Sie die Möglichkeit haben, Ihre Defence, vor allem aber Präventivmittel vorzubereiten.

Während ich diesen Brief abschließe – es ist inzwischen der 19. geworden – habe ich das entscheidende Schreiben von der Los Angeles Psychoanalytic Society bekommen. Alles ist wie vorgesehen geregelt und die Genugtuung ausgedrückt, mich im Sommer aufnehmen zu können. Damit sind die Würfel gefallen und ich konnte Ihnen auch diesen Erfolg noch mitteilen.

Ich hoffe, dass es Ihnen allen weiter gut geht, und sende Ihnen und den „großen“ Kindern die herzlichsten und freundschaftlichsten Grüße, denen sich meine Frau anschließt.

Ihr alter

Dr. Robert H. Jokl

 

Anhang 3:

 

Biographische Skizzen:

 

Ferdinand Birnbaum (1892-1947) war Hauptschullehrer. Als Sohn eines Postbeamten in Wien geboren, besuchte er die Staatslehrerbildungsanstalt und ging 1911 in den Schuldienst. 1914 musste er zum Militärdienst einrücken, erkrankte an Malaria und verbrachte ein Jahr im Spital.

An der Psychoanalyse interessiert, nahm Birnbaum an den von Fenichels „Seminar für Sexuologie Wien“ teil. Um 1920 lernte er Alfred Adler kennen und wurde einer seiner Anhänger. Als engagierter Sozialdemokrat wirkte er bei der Wiener Schulreform mit. Auch seine Zusammenarbeit mit Oskar Spiel, er war mitbeteiligt an der Gründung der individualpsychologischen Versuchsschule, hatte damals begonnen.

Birnbaum betätigte sich als Lyriker und begann ab 1920 – neben seinem Beruf als Hauptschullehrer – Mathematik und Physik zu studieren. Später wandte er sich der Philosophie zu, studierte Soziologie bei Max Adler und Psychologie bei Karl und Charlotte Bühler. 1937 schloss er das Studium mit einem Doktorat an der Philosophischen Fakultät ab.

Als Nachfolger Adlers war er Dozent am Pädagogischen Institut der Stadt Wien. Er hielt außerdem Vorträge im Verein für Individualpsychologie und an Volkshochschulen, sowie zahlreiche Gastvorträge in Linz, Budapest, Karlsbad, Agram (Zagreb), Riga, Düsseldorf und Berlin. 1938 wurde er Mitglied des „Deutschen Institutes für Psychologische Forschung und Psychotherapie.“

Kurz nach der Machtergreifung der Nazis wurde er von der Gestapo einvernommen und beruflich zurückversetzt. Nur seine Krankheit rettete ihn vor der bereits vorgesehenen Deportation nach Polen. 1944 wurde er unter Androhung einer Gefängnisstrafe gezwungen, in einer Munitionsfabrik zu arbeiten, kurz darauf aber wegen Krankheit wieder entlassen (Kenner 2007, S. 78).

Birnbaum nahm an den von Aichhorn geleiteten Sitzungen der Wiener Arbeitsgruppe des „Deutschen Instituts“ Teil. 1942/43 beteiligte er sich an einem Sonderausschuss, der einen Kommentar zu Hans von Hattingbergs „Thesen zur Neurosenlehre“ ausarbeitete und am 2. 6. und 13. 10. 1943 sprach er dort über das Thema: „Gibt es eine Konvergenz der tiefenpsychologischen Lehrmeinungen?“ (vgl. Ash 2012, S. 284ff).

Bereits am 1. 10. 1945 suchte Birnbaum um die Reaktivierung des Vereins für Individualpsychologie bei der Vereinsbehörde an. Mit Bescheid vom 31. 1. 1946 wurde diesem Ansuchen entsprochen und die 1939 vorgenommene Auflösung außer Kraft gesetzt. Am 25. 11. 1946 kam es zur konstituierenden Generalversammlung, in der Birnbaum zum Obmannstellvertreter gewählt wurde (Gstach 2006, S. 43f).

Als Aichhorn Birnbaum geschrieben hatte, an einer psychotherapeutischen Dachorganisation nicht interessiert zu sein, antwortete ihm Birnbaum: „Lieber Freund Aichhorn! Wie mir Dr. Bolterauer gestern erzählt hat, hast Du Deine Meinung in Bezug auf die Dachorganisation ein wenig geändert, was mich sehr freut. Es handelt sich ja nicht um eine Rieseninstitution, zur Not täts auch ein Stammcafé, wo wir von den verschiedenen Sekten von Zeit zu Zeit zusammenkämen und miteinander Ausschau hielten, ob schon irgendwo ein Wundervogel erschiene mit der Verkündigung: aus Sektenglauben beginnt Wissenschaft zu werden. Schließlich haben es die Lutheraner und Calvinisten und Zwinglianer und Böhmischen Brüder und Altkatholiken zu solchen losen Unionen gebracht: warum nicht wir auch? Ob auch da und dort ein praktischer Erfolg zu erzielen wäre, weiß ich nicht; warum nicht, sage ich mir? Im übrigen teile ich ganz und gar Deine Meinung, dass wir jetzt unsere getrennten Organisationen wieder aufbauen sollten; ich habe auch in der ersten Versammlung genau diesen Vorschlag eingebracht; er erschien aber damals anscheinend nicht wichtig.[…] Als Arbeit der Zukunft erscheint mir die ‚Entsektisierung’ der Psychotherapie schon wichtig, ja immer notwendiger. Ich meine auch gar nicht, dass wir Verrat an unseren Schulen zu üben hätten; die Wahrheit liegt meiner Meinung nach in einer Region über und beide hinaus. Was uns Laien betrifft, so möchte ich meinen Standpunkt doch so festlegen: Es gibt unter den Laien einige, die zu ihrer Schule Beiträge geleistet haben, die sich mit den Beiträgen vieler Ärzte leicht messen lassen. Wenn ich z. B. an Deine Beiträge zur Verwahrlostenfrage und, wie ich meine, zur Frage des Narzissmus, zum Hochstaplertum, dann zur Erziehungsberatungsangelegenheit denke, so muss ich sagen: Aichhorn soll unter einen Mediziner gestellt werden, der überhaupt nichts Neues für die Sache geleistet hat. Aichhorn, von dem doch, seinen wir ehrlich, der ganze Ruck ausgegangen ist, der die Neopsychoanalyse mit ihrer stärkeren Berücksichtigung des Ichs und des Überichs kennzeichnet? Eine ähnliche Unbescheidenheit nehme ich bezüglich der IPs in Anspruch. Und schließlich: dass Freud und Adler Ärzte waren, ist überhaupt in gewisser Beziehung für den Aufbau ihrer Systeme ‚zufällig’. Vielleicht erfüllt sich irgendwo einmal mein Traum, dass die Pädagogik gemeinsam mit der Medizin gelehrt wird; dann wird man deutlich erkennen, dass die Psychotherapie eine Wissenschaft ist, an der die Medizin und die Pädagogik gleichen Anteil haben.“[182]

Anlässlich der Ernennung Aichhorns zum Professor schrieb ihm Birnbaum: „Mein lieber Freund! Denk nicht, dass man Deinen Tag der Ehrung übersehen hätte! Man musste doch Deiner Bescheidenheit zuvorkommen und einen Artikel über Dich einsenden, ehe Du ihn verhindern kannst! Warum sollen Deine einstigen Lehrer-Kollegen nicht auch wissen, wer Professor August Aichhorn eigentlich ist?“[183] Aichhorn antwortete ihm: „Mein lieber Freund! Sehr herzlich danke ich Dir über die wohlwollende Beurteilung meiner Arbeit und ich freue mich aufrichtig, dass Du mich zu Deinen Freunden zählst. Musste ein Artikel über mich geschrieben werden? Wenn ich schon herausgehoben wurde, wozu das noch unterstreichen? Sei mir nicht böse, lieber Freund, dass ich so frage. Ich kenne Dich, ich weiß unserer Verbundenheit zu schätzen, aber die gehört uns allein. Je weniger davon in die Öffentlichkeit dringt, umso besser.“[184]

 

Theodor Scharmann (1907-1986) wurde als Sohn eines deutschen Vaters und einer Schweizer Mutter in Kreuzlingen am Bodensee geboren. Er besuchte die Schule zunächst in Konstanz und später in Karlsruhe, wohin die Eltern übersiedelt waren. 1924 trat er in die Odenwaldschule Paul und Edith Geheebs[185] ein, wo er sich vor allem Edith Geeheb angeschlossen hatte. 1926 begann er in Heidelberg Germanistik, Geschichte und Philosophie, mit dem Hauptakzent auf Psychologie, zu studieren. Er setzte sein Studium in Frankfurt am Main fort, unterbrach es aber, um als Hilfslehrer an die Odenwaldschule zu gehen, eine Beschäftigung, die es ihm erlaubte, sich mit dem Existenzialismus und Marxismus zu beschäftigen. 1930 nach Frankfurt zurückgekehrt, fand er Anschluss an eine linke Studentengruppe, die sich im Kampf gegen den Nationalsozialismus engagierte. Außerdem wurde er Mitarbeiter am „Institut für Sozialforschung“ und hörte Vorlesungen bei Theodor W. Adorno, Max Horkheimer und Paul Tillich. Er dissertierte 1932 („Die Saelde (Charisma) in der höfischen Dichtung des 12. und 13. Jahrhunderts“), aber seinem Lehrer, Hans Naumann,[186] gefiel weder seine politische noch seine wissenschaftstheoretische Einstellung: „So kam es immerhin 1932 noch rechtzeitig zur Abgabe der Arbeit und zum Rigorosum, aber auf meinen Plan, die Lehramtsprüfung abzulegen und erst recht auf Naumanns Vorschlag, mich zu habilitieren, mußte ich verzichten, denn im sogenannten ‚Dritten Reich’ war für mich als Lehrer oder Dozent kein Platz“, berichtete Scharmann (Scharmann 1979, S. 297). Das Doktordiplom wurde ihm erst 1935 – nach einem Kampf mit dem Dekanat und der Geheimen Staatspolizei – ausgehändigt.

Scharmann, der sich in der Folgezeit mit psychogalvanischen Hautwiderstandsmessungen beschäftigt hatte, ging nach Zürich, wo er seine Untersuchungen an der Heil- und Pflegeanstalt „Burghölzli“ unter Eugen Bleuler durchführte. Als er in Zürich keine Arbeitserlaubnis bekommen konnte, ging er nach Berlin, wo ihm ein Forschungsstipendium in Aussicht gestellt worden war. Dieses Stipendium wurde, wahrscheinlich seiner politischen „Belastung“ wegen, abgelehnt. Er trat zur Wehrmachtspsychologie und wurde 1938 nach Wien versetzt. Dort arbeitete am Luftwaffenlazarett für Hirnverletzte, wo er Lambert Bolterauer und Wilhelm Solms kennen lernte, 1943 wurde er Leiter der Beratungsstelle für Schwerkriegbeschädigte am Arbeitsamt Wien und 1945, nach der Befreiung Österreichs, wurde ihm vom Bürgermeister Theodor Körner zunächst der Wiederaufbau der Arbeitsverwaltung in Wien und später das Arbeitsamt für Jugendliche und Körperbehinderte übertragen. 

In Wien hatte Scharmann Kontakt zu Aichhorn aufgenommen. Dieser schrieb über ihn: „Herr Dr. Theo Scharmann war bei mir in der Zeit vom 1. 4. 1942 bis 31. 10. 1942 und vom 1. 7. 1945 bis 30. 9. 1946 in Lehranalyse. Während dieser Zeit nahm er auch bis zum Sommer 1944 regelmäßig an den in meiner Wohnung stattfindenden Zusammenkünften teil und beteiligte sich intensiv an den Diskussionen. In der Zeit vom 1. 10. 1945 bis 1. 11. 1946 nahm Dr. Scharmann teils receptiv, teils aktiv am Lehrbetrieb des Wiener Psychoanalytischen Instituts teil, so z. B. an meiner Einführung in die Verwahrlostenbetreuung und Erziehungsberatung. Ferner hielt Dr. Scharmann im Sommer und Herbst 1946 im Hörsaal der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung Einführungsvorträge für Studenten in ‚Die psychoanalytische Denkweise‘. Ich sah Dr. Scharmann wegen seiner Übersiedlung nach Deutschland sehr ungern aus unserem Kreise scheiden.“[187]

Scharmann beschrieb seine Stellung zu Aichhorn in einem Schreiben an Thomas Aichhorn folgendermaßen: „Obwohl mich die Ausbildung durch Ihren Großvater als Psychoanalytiker durchaus befähigt und berechtigt hätte, als Psychoanalytiker zu wirken, habe ich die psychoanalytische Methode nur gelegentlich und quasi privat angewandt, aber ich habe die Erkenntnisse, die ich aus dem Umgang mit Ihrem Großvater gewonnen hatte, tief in meine Lehr- und Forschungsweise als Psychologe und Soziologe integriert bezw. Zu integrieren versucht. So kann ich Ihnen nur empfehlen, zu versuchen, die biographisch-problemgeschichtliche Darstellung des Lebens Ihres Großvaters unter ein möglichst spannungsreiches Motto zu stellen. […] Hier wäre als Spannungsfeld der Gegensatz Pädagogik/Psychoanalyse zu nennen, deren Optimierung Ihr Großvater versuchte und wohl von allen Freudianern am erfolgreichsten verwirklichte. Dieser Gegensatz ist schwerwiegend und ich habe über ihn oft mit Ihrem Großvater gesprochen: Der Psychoanalytiker muss als Psychotherapeut alles verstehen, um im Übertragungsprozess hinter die Ursachen der Neurosen und Perversionen zu kommen; der Pädagoge – und sei er noch so verstehen und liberal – muss im Sinne bestimmter gesellschaftlicher Normen und sozialer Kommunikationsformen erziehen. Auch eine ‚gewaltlose Erziehung’ ist Erziehung! Das hat die Mehrzahl der Psychoanalytiker nicht gesehen: Man darf Verwahrloste mit einem zu schwachen Über-Ich nicht noch weiter enthemmen, wie dies beim Zwangsneurotiker die gegebene Methode ist; aber gerade das haben die Kollegen Ihres Großvaters zunächst praktiziert, ehe er die Psychoanalytische Pädagogik mit begründete. Außerdem waren die Psychoanalytiker, sofern sie nicht systemzerstörende Gesellschaftskritik betrieben haben wie Bernfeld, in erster Linie für die reichen Leute da und kümmerten sich wenig um die sozialen Implikationen der Psychoanalyse. Dies war auch einer der Gründe für den Abfall Alfred Adlers von Freud, der die tiefenpsychologischen Erkenntnisse für die Erziehung aller, also auch der Armen nutzbar machen wollte. Genau das hat auch Ihr Großvater getan, als er sich um die Ottakringer und Fünfhauser[188] Verwahrlosten bemühte, ohne das Grundkonzept der Psychoanalyse aufzugeben, wie Adler dies getan hat. Für mich war August Aichhorn als Sozialpädagoge die Gegenfigur zu Alfred Adler im Kreise der esoterisch und wenig sozial eingestellten Adepten der Psychoanalyse. Adler und Bernfeld waren Sozialisten, letzterer mit Sicherheit sogar Marxist; Ihr Großvater war bei aller Aufgeschlossenheit für die Notwendigkeit des sozialen Wandels und Fortschritts eher ein Konservativer im besten Sinne des Wortes. Diese seine soziale Aufgeschlossenheit für die Probleme der Minderprivilegierten ist es gewesen, die mich mit ihm verbunden hat. […] Ein entscheidender Entwicklungsprozess im Leben Ihres Großvaters war die Tatsache, dass er sein Übertragungsverhältnis zu Freud und seinem Analytiker Federn gelöst hatte und somit der Psychoanalyse, wo es sich nicht um die Methode, sondern um ihre sozialen und pädagogischen Aspekte und Implementierungen handelte, kritisch und souverän gegenüberstand“[189]

Obwohl sich Scharmanns berufliche Situation in Wien günstig entwickelt hatte, entschloss er sich im Dezember 1946 zu Frau und Tochter nach Deutschland zu gehen. Er hatte bereits im Juli desselben Jahres an Aichhorn geschrieben: „Eines ist mir in diesen Tagen klar geworden. […] Das ist die Erkenntnis, dass ich wohl nie ein Österreicher und Wiener werden kann. […] Das Gefühl ist für die Rückkehr in die Heimat. Ich habe mich in den Jahren meiner Jugend angesichts der Verworrenheit unserer Zeit, angesichts der Auflösung aller Bindungen und Masstäbe immer gefragt, was es in unserer Zeit noch an Absolutem gebe, an Erkenntnissen, die gefühls- und verstandesmässig allgemeingültig und richtig sind, die Realitäten im höheren Sinn sind und an die man sich in Zeiten der Entscheidung und des Zweifels halten könne.“[190] Da er am Wert- und Sinnverständnis der Christen nicht habe festhalten können, habe er, nachdem er während seiner Jugend einem verschwommenen Naturbegriff gehuldigt habe, einerseits zur dialektisch-materialistischen Geschichtsauffassung gefunden, andererseits zum Erleben seiner sehnsuchtsvollen  Gebundenheit an den alemannisch-südhessischen Raum. Er sei nur deshalb bereit, die österreichische Staatsbürgerschaft zu erwerben, weil er seiner Frau die Rückkehr nach Wien ermöglichen und seine analytische Ausbildung abschließen wolle, was für ihn bedeute, das zu werden, was ihm als Vollendung seiner Berufsausbildung und seiner Persönlichkeit schon seit sehr langer Zeit vorschwebe. „Damit allerdings ergibt sich noch eine neue Spannung“, setzte er sein Schreiben fort, „die ich aber relativ leicht zu tragen in der Lage bin. Das ist der absolut antideutsche, krampfhaft-chauvinistische österreichische Patriotismus der K[ommunistischen] P[artei], mit der ich sonst durchaus konform gehe. Da diese Einstellung durchaus nicht realitätsgerecht ist und eines Tages mit der Veränderung der politischen Konstellation in Europa, nämlich wenn Russland sich in Eurasien endgültig durchgesetzt hat, von selbst hinfällig werden wird, so stört sie mich nicht weiter. […] Sagen Sie mir, ob Sie es unter diesen Umständen für fair halten, wenn ich mich weiter um die österreichische Staatsbürgerschaft bemühe. Sie müssen damit rechnen, daß ich eines Tages Ihnen, Wien und Österreich valet sage, um meiner grande illusion nachzulaufen, wenn sich dann dieser Plan noch nicht verwirklich lässt. Freud, Sie und Wien wären dann allerdings die entscheidende Begegnung in meinem Leben, aber nicht seine Grundlage.“[191]

In Briefen aus 1947 berichtete Scharmann Aichhorn über seine Bemühungen, in Deutschland eine Anstellung zu bekommen.[192] Er bekam zunächst eine Anstellung als Berufberater in Marburg, war Berater im Bundesministerium für Arbeit in Bonn und habilitierte sich 1955 für Soziologie in Marburg. 1957 erhielt er schließlich eine Berufung für den Lehrstuhl für Psychologie an der Nürnberger Hochschule für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. 1966 ging Scharmann an die Sozial-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Linz. Nach seiner Emeritierung 1977 wurde er an der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Salzburg zum Honorarprofessor am Psychologischen Institut ernannt.

 

Barbara Scharmann (geb. Kinzel) (1909-?) wurde in Kiel geboren; sie war Kinderärztin. 

In einem Akt der Gaulleitung Wien der NSDAP vom Dezember 1939 heißt es: „Dr. Scharmann Barbara ist hierorts erst am 1. 8. 1938 zugezogen aus dem Altreich, politisch konnte während dieser Zeit nichts Nachteiliges erhoben werden, sie soll nationalsozialistisch eingestellt sein.“[193] Es handelte sich bei diesem Schreiben um einen Fragebogen zur politischen Beurteilung, da sich Barbara Scharmann um Zulassung als Hospitantin der „Reichsanstalt für Mutter und Kinderfürsorge“ beworben hatte. In einem Schreiben des „Beauftragten für den Vierjahresplan, der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz“ anlässlich der beabsichtigten „Umwandlung des widerruflichen Beamtenverhältnisses des Regierungsrates Dr. Theodor Scharmann, Arbeitsamt Wien, in ein solches auf Lebenszeit“ steht: „Die Anhörung erfolgt vorsorglich, da in Ihrem Schreiben vom 26. 5. 39 an den Reichsminister der Luftfahrt und Oberbefehlshaber der Luftwaffe insofern Bedenken gegen Dr. Scharmann geäußert worden sind, als seine Ehefrau im Verdacht stand, sich für den kommunistischen Nachrichtendienst zu betätigen.“[194]

Barbara Scharmann wurde von Aichhorn ab 1939/40 als Teilnehmerin am Seminar des „Deutschen Instituts“ angeführt; laut Bericht vom 3. Juni 1944 war sie seit dem 1. 10. 1942 Kandidatin des Instituts: „Lehrbehandlung von Okt. 42 bis Mai 44“. Zum damaligen Zeitpunkt war sie „mit einem Kleinkind evakuiert“.[195]

Barbara Scharmann ist nach Kriegsende nicht mehr nach Wien zurückgekommen. Aus einem Akt der Österreichischen Staatspolizei geht zwar hervor, daß sie um die Österreichische Staatsbürgerschaft angesucht hatte,[196] sie lebte zu dieser Zeit aber im Kreis Biedenkopf, Amerikanische Zone, Hessen, wie aus einem Schreiben an Aichhorn hervorgeht: „Die Sorge um meinen Mann, von dem ich seit 3 Monaten nichts hörte, veranlasst mich zu dieser Karte. Möchten Sie so lieb sein u. mir soweit es Ihre Zeit erlaubt, mitteilen, wie es dem Theo, den Solmsen u. Bolterauers und wie es last not least Ihnen u. Ihrer lieben Frau u. natürlich auch den Enkelkindern geht. Ich wäre sehr glücklich darüber. Sie erleben nun die geistige Befreiung, aber noch bei körperlicher Not, hier ist es umgekehrt. Jedenfalls kann ich meine geistige Befreiung ja nur durch meinen verehrten Lehrer dort in Wien erlangen Ich bin fest entschlossen, auch unter den schwierigsten Bedingungen kommenden Winter in Wien zu sein, eventuell unter Zurücklassung von Brigitte [ihrer Tochter]. Aber um das zu klären ist Rücksprache mit Theo nötig dessen Schweigen mich sehr beunruhigt, umso mehr als ich aus der Schweiz bereits Antwort auf ein Schreiben habe.“[197] Aichhorn antwortete ihr: „Ihre Karte ist vorgestern eingelangt, heute hat sie Ihr Gatte, mit dem ich regelmäßig 3 Mal die Woche zusammenkomme, gelesen. Er hat Ihnen wiederholt geschrieben und bedauert, daß Sie seine Briefe nicht bekommen haben. Seine Zukunft hier ist noch nicht sicher. Er kann daher endgültige Entschlüsse nicht fassen, hofft aber, daß die hangende und bangende Zeit nun doch bald vorüber sein wird. Ich nehme nicht an, daß das Schicksal ihn uns von Wien wegnehmen wird, sondern er wartet zuversichtlich, daß er und mit ihm auch Sie uns als Mitarbeiter erhalten bleiben.“[198]

In einem weiteren Schreiben berichtete Scharmann Aichhorn über ihre Schwierigkeiten, eine Zulassung als Ärztin zu erlangen: „Sollte also Theo jetzt wirklich herkommen, so hängen wir völlig in der Luft. Nach gründlicher Überlegung und Rücksprache mit verschiedenen ‚Ausgebooteten’ hier, die sich seit über einem Jahr um Arbeit bemühen, - vergeblich!-, wollte ich Theo ohnedies sehr herzlich bitten, so schwer es ihm fällt gegen alle Hindernisse u. alle gefühlsmässige Widerstreben unbedingt durchzuhalten, er überschätzt die Möglichkeiten hier und unterschätzt die Überfülle an Menschen jedes Fachgebiets, die sich hier im amerikanischen Sektor zusammendrängen, um wieder eine Existenz aufzubauen.“[199] Aichhorn antwortete ihr: „Wie die Verhältnisse hier liegen hat Ihnen Theo ja ausführlich berichtet. Ich hoffe, dass es nicht mehr sehr lange dauern wird, bis ich Sie in Wien begrüßen kann. Vorläufig müssen Sie sich noch mit Geduld wappnen.“[200]

Als sich Theodor Scharmann Ende 1946 entschlossen hatte, dennoch nach Deutschland zurückzukehren, berichtete er in einem Brief an Aichhorn ausführlich über seine ersten Eindrücke. Er schrieb ihm u. a.: „Von Solms werden Sie wohl erfahren haben, daß ich am 9. 12. hier eingetroffen bin. Der Transport war trotz der herrschenden Kälte wider Erwarten durchaus erträglich. […] Ich traf Brigitte, die mich stürmisch begrüßte im Bett und Bärbel in einem prämorbiden Zustand, sodaß es gut war, daß ich wenigstens in einer guten Verfassung eintraf. Die ersten Tage waren eine Mischung von wirklicher allseitiger Freude und von Gewöhnungsschwierigkeiten, die dann allerdings von Bärbels sehr schwerer Erkrankung […] überdeckt wurden. Im Ganzen bin ich bei aller Skepsis angenehm überrascht, denn es geht in jeder Beziehung besser als ich gefürchtet hatte. Bärbel hat die positiven Seiten ihres Wesens zweifellos stärker entfaltet als ihre negativen Seiten, denen ich freilich im allgemeinen auch sachlicher und sicherer begegne als früher. Sie hat sich hier zu einer wirklich tüchtigen Hausfrau entwickelt, eine ausgedehnte Praxis gegen erheblichen kollegialen Widerstand geschaffen und einen guten Kontakt mit den Einheimischen gefunden, dies alles unter erheblicher Belastung durch die allgemeine und persönlichen Unklarheiten. Sie ist nicht nur als Ärztin von den Leuten gern gesehen, sondern hat unter der bäuerlichen Bevölkerung eine Reihe freundschaftlicher Beziehungen, vermag sich durchaus ungekünstelt auf das Niveau dieser Leute zu begeben, was mir bei weitem nicht so gut aber doch auch besser als früher gelingt. Jedenfalls werden wir beide des vertraulichen ‚Ihr’ in der Anrede gewürdigt, während im allgemeinen die Grenze zwischen den Einheimischen einerseits und den Evakuierten und Flüchtlingen andererseits ziemlich betont wird. […] Wovor man sie schützen muß, ist eine dauernde körperliche Überanstrengung durch die weiten Praxiswege, unregelmäßiges Essen, Haushaltführung, Kindererziehung und Vorratswirtschaft, was für eine Person einfach zu viel ist. Am nächsten Montag tritt daher eine Hausgehilfin (in Dienst) (…) Ich möchte versuchen, im Erziehungswesen eine Anstellung zu finden und ziehe die Rückkehr ins Arbeitsamt erst in letzter Linie in Betracht. Dabei möchte ich diese Tätigkeit mit unserer Arbeit kombinieren. Ich habe mich zu Informationszwecken an das Münchner Institut gewandt, das eine Art zentrale Stellung zu haben scheint, um zu erfahren, wo Arbeits- und Fortbildungsmöglichkeiten bestehen. Es soll Bedarf in Stuttgart und Frankfurt sein. In diesem Zusammenhang bitte ich Sie auch dringend, mir die Adresse von Dr. Schottländer mitzuteilen.(…) es hat mir sehr leid getan, daß meine Abreise so kurzfristig war, daß ich mich nicht mehr von Ihnen allen verabschieden konnte.“[201]

Über den weiteren Lebensweg Barbara Scharmanns nach ihrer Trennung von Theodor Scharmann zu Beginn 1950er Jahre ist nichts bekannt. 

 

Theon Spanudis (1915-1986) wurde in Smyrna (Izmir, Türkei) in einer griechisch-orthodoxen Familie geboren. Sein Vater, George, war Pädiater, seine aus einer wohlhabenden Familie stammende Mutter, Clio Vulgaris, war hochgebildet, sie sprach fließend fünf Sprachen, und literarisch interessiert.

Aufgewachsen ist Spanudis in Athen, wohin die Familie 1922 im griechisch-türkischen Krieg geflohen war. 1932 legte er am Athener Collge, einem amerikanischen klassischen Gymnasium, die Matura ab. 

Spanudis, der den Kommunisten nahe stand, begann, dem Wunsch seines Vaters nachgebend, im selben Jahr ein Medizinstudium. Er selbst, der als Kind gern Priester, Tänzer, Schauspieler, Dichter oder Musiker geworden wäre, wollte ursprünglich klassische Philologie studieren. 

Ab dem Herbst 1933 setzte Spanudis sein Studium in Wien fort, wo zwei Schwestern seiner Mutter lebten. Auch seine Urgroßmutter mütterlicherseits war eine geborene Wienerin (Fallend 2003, S. 109). 1940 beendete er das Studium. Er arbeitete zunächst an der medizinischen Abteilung des Allgemeinen Krankenhauses und im Jänner 1941 wurde er als Assistent im Institut für Geschichte der Medizin der Universität Wien angestellt. Im Jänner 1945 suchte er um Zulassung zur Habilitation an, als sein Spezialgebiet wurde von seinem Vorgesetzten die Geschichte der alten griechischen, insbesondere archaischen Medizin angeführt.[202]

Spanudis, der gegen Ende der 30er Jahre mit der Malerin Susanne Wenger[203] zusammenlebte, war vielseitig künstlerisch interessiert. Als Jugendlicher hatte er Unterricht bei einem impressionistischen Maler genommen, in Wien nahm er Klavierunterricht und studierte Kompositionslehre. Für Rosa Dworschak verfasste er ein Opernlibretto.[204]

Im Mai 1939 hatte Spanudis eine Analyse bei Aichhorn begonnen, die bis 1944 fortgesetzt wurde (nach: Notizbücher A. Aichhorns; NAA).[205] Ab März 1941 war er Kandidat des „Reichsinstituts für Psychologische Forschung und Psychotherapie“, im Juli 1942 wurde er als Praktikant in der Abteilung Ärztliche Psychotherapeuten angenommen. Er begann unter Aichhorns Kontrolle psychotherapeutisch zu arbeiten und hielt in der von Aichhorn geleiteten Arbeitsgruppe des „Deutschen Instituts“ einige Vorträge. Am 10. 3. 1943 sprach er über „Die Schwalbe als Heilmittel in der Antike“ und am 10. 11. 1944 stellte er einen Fallbericht über einen neurotisch verwahrlosten Jugendlichen vor, den er als Beleg für die Richtigkeit der theoretischen Überlegung Aichhorns, dass jeder neurotisch Verwahrloste bestimmte infantile und paranoide Züge zeigt, die aber nicht mit den Mechanismen der Paranoia verwechselt werden dürfen, auffasste (vgl. Ash 2012, S. 383). An zwei Abenden, am 25. 5. und am 2. 6. 1944, sprach er – gemeinsam mit Aichhorn – über „Die Bedeutung der Mutter in der Entwicklung der Persönlichkeit, Kultur und Neurose“ (Zu diesen Vorträgen sind keine Protokolle erhalten).[206]

1946 wurde Spanudis Mitglied der WPV und übernahm die Leitung der wissenschaftlichen Abteilung, seine Analyse setzte er bei Otto Fleischmann fort. 

Im Jänner 1946 gründete Spanudis zusammen mit Gleichgesinnten das „Griechisch-antifaschistische Komitee Wien“, dessen Sekretär er wurde. Ziel des Komitees war es, in Österreich lebenden Griechen über die politischen Verhältnisse in Griechenland objektiv zu informieren und sie zu unterstützen, sowie aus den Konzentrationslagern befreite Griechen bei ihrer Rückkehr zu helfen.

1949 hatte Spanudis am IPV-Konress in Zürich teilgenommen, wo er mit Grete Bibring, damals Sekretärin der IPV, über seine Absicht Wien zu verlassen und in die USA oder nach Kanada auszuwandern, gesprochen haben dürfte. In Zürich hatte er auch einige Brasilianer kennen gelernt, die ihm vorgeschlagen hatten, nach São Paulo‎ zu kommen, um dort als Lehranalytiker zu arbeiten. 

Im November desselben Jahres schrieb Grete Bibring an Anna Freud: „What do you think about Dr. Spanudis from Vienna who turned to us for help with his plans to emigrate? His choice was Canada and we have written to Dr. Prados in Montreal, but I am not quite sure whether it will be possible for technical reasons. In that case he may consider Brazil. My impressions from him personally and from discussion with Dr. Fleischmann were very favourable. I would not know at the moment of anyone else who wanted to go to Sao Paulo and has the qualifications for it.”[207] Anna Freud antwortete ihr: „I do not know anything about Dr. Spanudis from Vienna. Of course, Dr. Fleischmann ought to know. But again, it does not seem right to send anybody as training analyst to a new country who has never done any training in his Home Society. I know this has been done over and over again, but mostly with disastrous results. New countries are not easier to teach than established Societies, very much on the contrary really. The difficulty is that established and successful training analysts usually do not want to emigrate.”[208] Darauf Grete Bibring: „One more word about Dr. Spanudis. I agree with you fully about the qualifications of an analyst who transfers to a new country where pioneer work has to be done. My impression was that Dr. Spanudis is a training analyst in Vienna and was recommended as such by Dr. Fleischmann. He certainly cannot have had this function for a very long time as he had finished his training only eight years ago. But I wonder whether we can suggest somebody who is much more experienced. In his case we have at least reliable recommendations.”[209]

Offensichtlich konnten sich Anna Freud und Grete Bibring einigen, Spanudis kam jedenfalls am 7. Juli 1950 in São Paulo an. Adelheid Koch[210] berichtete im Dezember 1950 Grete Bibring, dass er sich bereits gut eingerichtet habe. Er habe sieben Patienten – teils Kandidaten, teils Privatpatienten –, leite ein Fall- und ein Theorieseminar (über Freud) und supervidiere mehrere Kandidaten und ein Mitglied (nach Füchtner 2006, S. 89).

Spanudis veröffentlichte in Brasilien nur zwei psychoanalytische Arbeiten: „Psychoanalyse als Wissenschaft“ („A Ciência da Psicanálise“, 1952) und „Delinquenz und Psychoanalyse“ („Delinquência e Psicánalise“, 1954), eine Arbeit, in der er weitgehend Aichhorns Ansichten vertreten hat (Füchtner 2006, S. 94f).

1957 hörte Spanudis auf, als Psychoanalytiker zu arbeiten. Für die Behauptung, er sei wegen seiner Homosexualität gezwungen worden, seine Arbeit als Analytiker aufzugeben und die Vereinigung zu verlassen, finden sich keine Belege (Füchtner 2006, S. 95). Fortan war er als Schriftsteller und Dichter tätig (Spanudis 1969, 1977) und war als Entdecker, Förderer und Sammler von Malern – wie vor allem Alfredo Volpi[211] oder José Antonio Da Silva[212] - von hervorragender Bedeutung für das brasilianische Kulturleben. Er veröffentlichte über ihre Werke kritische Essays. 1979 schenkte er seine Sammlung dem Museum für zeitgenössische Kunst der Universität São Paulo.

Seit Anfang der 60er Jahre litt Spanudis unter schizophrenen Schüben. Er gab seine Wohnung auf und zog zu seiner Mutter. Nicht lange nach seiner Mutter starb er im September 1986 an den Folgen eines Schlaganfalls (Füchtner 2006, S. 102).

 

Wilhelm Graf Solms zu Rödelheim (1914 -1996) wurde in Straßburg geboren, wo sein Vater an der Universität Professor für Soziologie war. 1918 zog die Familie nach Deutschland. 1921 starb der Vater. Solms lebte mit seiner Mutter in Frankfurt am Main, besuchte dort ein Gymnasium und begann sein Medizin Studium, das er in Freiburg und Heidelberg fortsetzte. Die Arbeit an seiner Dissertation wurde durch den Krieg und seine Einberufung zum Militär unterbrochen. Er war in Polen, Frankreich und schließlich in Russland eingesetzt, wo er an einer Hepatitis erkrankte, die in Wien ausgeheilt werden sollte. Die Verlegung nach Wien benützte er, um das Studium zu beenden. Er blieb in Wien und arbeitete bis zum Ende des Krieges im Kopfverletzten-Lazarett, wo er mit Lambert Bolterauer und Theodor Scharmann bekannt wurde. Während der Nationalsozialistischen Herrschaft stand er Widerstandgruppen nahe, nach 1945 wurde er Mitglied der Kommunistischen Partei Österreichs. 

Ab März 1944 war er Ausbildungskandidat des „Reichsinstituts für Psychologische Forschung und Psychotherapie“, die Analyse bei Aichhorn hat er bis zu dessen Erkrankung im Frühjahr 1949 fortgesetzt. 1946 wurde er Mitglied der WPV. 

Solms, der deutscher Staatsbürger war, suchte 1946 um die Österreichische Staatsbürgerschaft an. Aichhorn schrieb: „Die von Freud im Jahre 1908 gegründete Wiener Psychoanalytische Vereinigung wurde im Jahre 1938 aufgelöst und nahezu sämtliche Mitglieder mußten aus rassistischen Gründen Wien verlassen. Es bildete sich eine kleine Gruppe von Ärzten, Psychologen und Philosophen, der auch Dr. Wilhelm Solms angehörte. Diese Gemeinschaft hielt trotz des Verbotes die Freudsche Lebensarbeit in Wien lebendig, arbeitete in seinem Sinne therapeutisch und veranlaßte auch die am 1. XII. 1945 erfolgte Widergenehmigung der Wiener psychoanalytischen Vereinigung. Dieser Vereinigung fällt im Auf- und Ausbau der kulturellen Bestrebungen Österreichs eine nicht zu unterschätzende Stellung zu, die sich von selbst aus der auch international gewürdigten Lebensarbeit Freuds ergibt. Um die vorhandenen Probleme lösen zu können, sind persönlich und sachlich hoch qualifizierte Mitglieder notwendig. Dr. med. Wilhelm Solms, der sich schon in der Verbotszeit in langjähriger Mitarbeit verdienstvoll auszeichnete, hat jetzt innerhalb der Vereinigung eine führende Stellung übernommen. Soweit jemand überhaupt unentbehrlich genannt werden kann, ist er wirklich unentbehrlich.“[213]

Solms erhielt die österreichische Staatsbürgerschaft und begann an der Psychiatrischen Universitätsklinik – zunächst unter Otto Pötzl und nach dessen Abberufung unter Otto Kauders – zu arbeiten. Er habilitierte sich 1953. Nach Kontroversen mit Hans Hoff,[214] Kauders’ Nachfolger, verließ er 1959 die Psychiatrische Universitätsklinik und zog sich in seine Privatpraxis zurück. Kurze Zeit später wurde er Direktor des Psychiatrischen Krankenhauses Baumgartner Höhe (jetzt Sozialmedizinisches Zentrum Baumgartner Höhe, Otto-Wagner-Spital), eine Stellung, die er bis zu seiner Pensionierung 1979 innehatte (vgl. Berner 1996, S. 77ff). 

Als sich Solms im August 1949 darauf vorbereitete, zum IPV Kongress in Zürich zu fahren, schrieb ihm Aichhorn: „Ich hoffe sehr, daß Sie auf dem Kongreß einige Ihnen zusagende Menschen finden werden. Schauen Sie sich, bitte, Meng, Sarasin und Dr. Pfister an. Wer Sie von den Engländern und Amerikanern interessieren wird, kann ich nicht ahnen, aber es sind auch unter ihnen recht brauchbare Menschen. Bitte, vergessen Sie nicht Anna Freud meine herzlichsten Grüße zu bringen und sie, da sie ja den ganzen Krankheitsverlauf so genau kennt, zu beruhigen, daß ich doch noch einige Zeit werde mittun können.“[215]   

1954 wurde Solms Lehranalytiker der WPV und von 1957 bis 1971 und nochmals 1978, war er deren Präsident. Er prägte über viele Jahre den theoretisch-wissenschaftlichen und den praktisch-therapeutischen Stil der Vereinigung (zu Solms’ wissenschaftlichen Arbeiten vgl: Berner 1996, S. 80ff u. Schuster 1984). 

Solms war von 1965 bis 1967 Vizepräsident der IPV und begründete (gemeinsam mit Raymond de Saussure) die Europäische Föderation Psychoanalytischer Vereinigungen (EPF), deren Präsident er von 1972 bis 1975 war. Auf seine Anregung gehen auch die Tagungen der deutschsprachigen psychoanalytischen Vereinigungen Mitteleuropas zurück.

 

Lambert Bolterauer (1903-2000) wurde in Molln, Ober-Österreich, als Sohn eines Uhrmachers geboren. Er maturierte 1923 in Linz und studierte in Wien, um in den Fächern Philosophie, Psychologie, Geschichte und Musik Gymnasiallehrer zu werden. Das Hochschulstudium finanzierte er sich mit Nachhilfestunden vor allem aber als Cellospieler in kleinen Orchestern. Das wissenschaftliche Denken führte dazu, dass er sich von seiner kindlichen Religiosität abwandte und zum Agnostiker wurde. Seine Lehrer in Philosophie waren Robert Reininger[216] und Moritz Schlick,[217] der für ihn bestimmende Philosoph aber war Martin Heidegger. Sein Lehrer in  Psychologie war Karl Bühler. Außerdem wurde Bolterauer während seiner Studienzeit Mitglied der ersten deutschen Jugendbewegung, deren Grundsätze für seine Lebensführung bestimmend blieben (Bolterauer 1992, S. 53f). 1928 promovierte er mit der Arbeit „Die Gegenstandstheorie und Erkenntnislehre A. v. Meinongs“[218] in Philosophie, ein Jahr später legte er die Lehramtsprüfung in Philosophie, Geschichte und Musik ab. 

Bolterauer wurde Mittelschullehrer und hielt populäre Vorträge über Philosophie und Psychologie an Volkshochschulen. Seine psychologischen Vorträge waren von der Individualpsychologie Adlers beeinflusst. 

1939 wurde Bolterauer, der Mitglied der Vaterländischen Front gewesen war, von einer Schülerin denunziert. Er hatte in einem Gespräch den Beginn des Krieges als das größte Unglück in der Geschichte des Deutschen Volkes bezeichnet und war von der Schülerin belauscht worden. Bolterauer musste seine Vortragstätigkeit einstellen und wurde an eine Schule versetzt, in die die jüdischen Schüler zusammengezogen worden waren, die vor der Matura standen. Später wurde er an eine andere Schule versetzt und konnte dort, unterstützt durch den Direktor, zwei Jahre lang weiter unterrichten. In der Folge meldete er sich zur Wehrmacht und rückte als Psychologe der Luftwaffe ein. Nach der Auflösung der Luftwaffenpsychologie und auch der Heerespsychologie wurde er im Wiener Hirnverletztenlazarett angestellt, wo er über durch Hirnverletzungen bedingte Schädigungen des Denkens arbeitete. Diese Arbeiten ermöglichten es ihm, sich nach dem Krieg an der Universität Wien in Psychologie bei Hubert Rohracher, der sich besonders für die Hirnabhängigkeit des psychischen Lebens interessierte, zu habilitieren. 

Da Bolterauer seine Entlassung aus dem Schuldienst befürchtet hatte, musste er nach anderen Verdienstmöglichkeiten suchen. Um 1940 erfuhr Hedwig Bolterauer bei einem Aufenthalt in Berlin von der Möglichkeit in Wien, bei Aichhorn, eine Psychotherapieausbildung machen zu können. Lambert Bolterauer begann 1940 seine Analyse, 1941 wurde er Mitglied des „Deutschen Instituts für Psychologische Forschung und Psychotherapie“. Er nahm an den von Aichhorn geleiteten Sitzungen der Wiener Arbeitsgruppe des „Deutschen Instituts teil. Am 2. 5. 1942 berichtete er dort über „Führungsschwierigkeiten in der siebenten Klasse einer Mädchenoberrealschule“, am 17. 11. 1942 sprach er über „Ursachen der Schwererziehbarkeit und deren Behebung“, am 07.07.1943 über „Über den Begriff des Minderwertigkeitsgefühls (individualpsychologische Auffassung)“ und am 13. 10. 1943 über „Kasuistische Darlegung eines Falles von Zwangsneurose“ (vgl. Ash 2012, S. 383ff). 

Bolterauer wurde 1946 Mitglied der WPV, 1954 wurde er Lehranalytiker. 

1947 wurde Bolterauer mit der provisorischen Leitung des Psychologischen Instituts an der Grazer Universität betraut. Er bekam den Lehrstuhl aber letztlich nicht, da er wegen seines Interesses für die Psychoanalyse Rohrachers Unterstützung verloren hatte, und arbeitete wieder als Gymnasiallehrer (Posch 2000).

1950 gründete Bolterauer (zusammen mit Rosa Dworschak) die „August-Aichhorn-Gesellschaft“, die die Aufgabe hatte, Themen der Psychoanalyse in öffentlichen Vorträgen zu verbreiten, und 1952 als deren Außenstelle eine Beratungsstelle für Mittelschüler (Bolterauer 1992, S. 63ff).

Bolterauers 1989 veröffentlichten Fanatismus-Studien (Bolterauer 1989) stellen eine psychoanalytische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus dar.

 

Otto Pötzl (1877-1962), war Facharzt für Psychiatrie und Neurologie. 1911 habilitierte er sich an der Wiener Universität, während des Ersten Weltkriegs war er an der Klinik Wagner-Jauregg tätig, wo Jacob Moreno zu seinen Schülern zählte. 1917 wurde er als Gast in die WPV eingeladen, wo er den Vortrag „Experimentell erregte Traumbilder als Illustration zur Freudschen Traumanalyse“ hielt. Von 1917 bis 1933 wurde er als Mitglied der WPV geführt. 1922 wurde er nach Prag als Professor an die Psychiatrische Klinik berufen, 1928 kehrte er als Nachfolger Wagner-Jaureggs nach Wien zurück. Trotz seiner ambivalenten Einstellung zur Psychoanalyse, unterstützte er, entgegen der bis dahin vorherrschenden Verleugnung der Psychoanalyse an Klinik und Universität, die Schüler Freuds. Er führte an seiner Klinik eine Vorlesung über Psychoanalyse ein und richtete eine psychotherapeutische Ambulanz ein. 1928 ernannte ihn Viktor Frankl zum Ehrenpräsidenten seiner Jugendberatungsstelle, an der auch Aichhorn mitarbeitete. 

Pötzl trat der NSDAP im Dezember 1943 bei. 1938 befürwortete er die Sterilisierung von Geisteskranken und 1946 behauptete er in einem Gutachten, ihre Tötung mit Giftspritzen sei eine „besonders humane Vorgangsweise gewesen“. 1945 hatte er in einem Entnazifizierungsverfahren seine Stellung als Vorstand der Wiener Universitätsklinik verloren. Bei den Feiern zu Freuds 80. und 100. Geburtstag in Wien beteiligte er sich als Vortragender (Pytell 1997, S. 105ff). 

Kohut an Aichhorn: „Wer ist übrigens jetzt Professor für Neurologie und Psychiatrie an der Universität. Immer noch Pötzl? Ich erinnere mich noch genau wie ich (während meiner Analysenzeit bei Ihnen) bei ihm Prüfungen ablegte und er mit dem grossen Parteiabzeichen herumstolzierte. Na, darauf kommt’s wohl nicht an und er war wahrscheinlich nicht einer der Ärgsten“ (H. Kohut an A. Aichhorn, Brief vom 7. 3. 1947, Original: NAA).

Aichhorn an Kohut: „Sie wollen wissen, wer Prof. für Neurologie und Psychiatrie an der Wiener Universität ist. Pötzl war als ‚Anwärter’ (er hatte angesucht, Mitglied der nationalsozialistischen Partei zu werden) politisch nicht tragbar. Sein Nachfolger ist Kauders geworden, der aus Graz kam. Sie haben recht, Pötzl ist sicher nicht einer der ärgsten, sondern einer der vielen Mitläufer“ (A. Aichhorn an H. Kohut, Brief vom 1. 8. 1947; Kopie: NAA).

 

Otto Kauders (1893-1949), Psychiater und Neurologe, zählte zu den engsten Mitarbeitern von Wagner-Jauregg. Nach seiner Habilitation im Jahr 1932 wurde er Primarius der Neurologischen Abteilung der Wiener städtischen Poliklinik und der neurologischen Abteilung des Versorgungsheimes Lainz. 1935 übernahm er den Lehrstuhl für Psychiatrie und Neurologie in Graz. Von den Nationalsozialisten entlassen, übernahm er, nachdem Otto Pötzl im Rahmen der Entnazifizierung seiner Funktionen enthoben worden war, 1945 die Leitung der Wiener Psychiatrisch-Neurologischen Universitätsklinik. Auf ihn gehen eine große Anzahl experimenteller und klinischer Studien über Impfmalaria zurück. Kauders war der Psychoanalyse und Aichhorn gegenüber freundlich eingestellt. 

Heinz Kohut an Aichhorn: „Übrigens hoffe ich, dass Sie bald einen genauen Bericht über unser Leben usf. von einem Augenzeugen erhalten werden. Professor Kauders ist gerade in Chicago und wir hatten ihn vorgestern abends zum Nachtmahl eingeladen. Ich hoffe, daß er Ihnen von uns erzählen wird. Ich war recht besorgt, zuerst, als Kauders uns erzählte, daß Sie sich eine Zeitlang nicht wohlgefühlt hätten. Er hat uns aber andererseits gleich gesagt, daß Sie bald wieder vollkommen auf der Höhe sein werden mit Ihrem Gesundheitszustand, und das hat uns natürlich wieder beruhigt. Bitte, lassen Sie mich nur recht bald wissen wie es Ihnen geht! […] Kauders hat sich im Ganzen hier sehr nett benommen. Es kommt mir vor, daß er ein guter Neurologe ist, daß er aber für dynamische Psychiatrie sehr wenig Verständnis hat. Er betont freilich immer, daß er sehr tolerant der Psychoanalyse gegenübersteht und das ist ja doch immerhin etwas. An unserer Universität ist das freilich eher umgekehrt. Wir nehmen junge Ärzte nur dann an unserer Abteilung auf, wenn das Psychoanalytische Institut sie als Kandidaten zuerst akzeptiert hat.“[219]

Solms an Aichhorn: „Hier ist nun eine ziemliche Verwirrung, weil Professor Kauders an einer septischen Embolie nach einer Venenentzündung plötzlich gestorben ist. […] Für die Klinik bedeutet es nun natürlich eine Fülle Arbeit.“[220]

Aichhorn an Solms: „Ihr Brief vom 9. August, der gestern ankam, hat mich etwas aus dem Gleichgewicht gebracht. Die Nachricht vom Tode Kauders wirkte als Schock. Später erfuhr ich, daß sein Tod schon in der Zeitung gemeldet wird. Nach dem mir Mitgeteilten nehme ich an, daß er während einer Vortragsreise plötzlich starb. War er schon krank und hatte sich nicht geschont? Was mich an seinem Tod so erschüttert ist der Umstand, daß er eine Amerikareise gesund überstand und einem wahrscheinlich lächerlichen Zufall zum Opfer fiel.“[221]

 

Aufreiter, Gottfriede (Friedl) (geb. Zwickl) (1915-2003), wuchs in Wien auf, wo ihre Eltern Inhaber eines Gasthauses waren. Nach ihrer Matura, 1934, studierte sie an der Wiener Universität Medizin. Mitglied der Hochschulgemeinschaft Deutscher Frauen (Antrag 18. Juni 1938: ÖStA,). Sie schloss 1939 ihr Studium ab und arbeitete von 1940 bis 1946 an der Ambulanz der Universitätsklinik für Psychiatrie und Neurologie unter dem Vorstand Otto Pötzl. 

1942 Heirat mit Hans Aufreiter.

Ab dem Winter 1938/39 hatte sie an dem von Aichhorn zunächst privat geleiteten Seminar teilgenommen und im Anschluss daran nahm sie an der von Aichhorn geleiteten Arbeitsgruppe des „Deutschen Instituts“ teil, wo sie am 9. 4. 1942 zum Thema „Ein zwangsneurotischer Grenzfall“ sprach (vgl. Ash 2012, S. 388).

Aichhorn schrieb 1949: „Frau Dr. med. Gottfriede Aufreiter, geb. Zwickl, Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie, […] unterzog sich vom Dezember 1939 bis Juni 1941 bei mir einer Lehranalyse. Während ihrer Lehranalyse besuchte sie auch die von mir in kleinem Kreis gehaltenen Vorlesungen über Neurosenlehre und über Verwahrlostenbehandlung. Frau Dr. Aufreiter war eine der ersten jenes Kreises, der sich um mich in der nationalsozialistischen Zeit sammelte und dessen Aufgabe darin bestand, die Forschungsarbeit Freuds für die Zukunft auch in Wien lebendig zu erhalten. Anschließend an ihre Lehranalyse unterzog sie sich bei ihren 6 ersten analytischen Fällen einer Kontrollanalyse bei mir mit ungefähr 200 Kontrollstunden. […] Seit Wiederaufrichtung der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung am 10. April 1946 ist sie deren Mitglied.“[222] 

Aufreiter arbeitete in privater Praxis, am Ausbildungsprogramm der WPV beteiligte sie sich nicht, da sie an den Abenden für drei kleine Töchter zu sorgen hatte. 

Friedl Aufreiter, die gut englisch sprach, hatte in der Nachkriegszeit vor allem amerikanische Patienten, von denen einige der CIA angehörten. Sie fürchtete, nahe der russischen Besatzungszone wohnend, verhaftet zu werden (Interview in London/Ontario; Mai 1997: F. Früh, Th. Aichhorn). 

1948 schrieb Hans Aufreiter an K. R. Eissler: „…den Facharzttitel bekomme ich erst 1949 und weiß auch nicht, wie weit er mir drüben helfen kann. Meine Frau wird da sicherlich leichter unterkommen, da sie Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie ist und die Sprache beherrscht. Sie hat englische Analysen durchgeführt. Allerdings erwartet sie im Oktober ein zweites Kind und ich möchte als Kinderfrau, da meine Frau ja arbeiten wird, meine Schwiegermutter mitnehmen.“ [223] 

1954 wurde Friedl Aufreiter zur Lehranalytikerin der WPV ernannt, 1955 ging sie mit ihrem Mann nach Montreal, Kanada, wo sie zusammen mit W. Clifford Scott im Januar 1955 ein von der IPV anerkanntes Ausbildungsprogramm ins Leben riefen (International Psychoanalysis, Jg. 9, Heft 1, 2000, S. 29).

Ihre letzten Lebensjahre verbrachte Friedl Aufreiter in London/Ontario: „Gottfriede Aufreiter (known to her friends as Friedl) was the last surviving member of the group (consisting of Scott, her husband, and herself) who initiated psychoanalytic training in Canada at the Allan Memorial Institute in 1955. She had the rank of assistant professor of psychiatry. […] She was a superb clinician and a teacher who had the unusual talent of making complicated matters seem simple. She was a dedicated psychoanalyst who practiced what she preached. […] In 1971, Friedl and her husband, who had recovered from a heart attack, moved to London (Ontario) where Johann worked at the university and, until recently, she practiced psychoanalysis” (Canadian Journal of Psychoanalysis, Vol. 11, No 2).

 

Hans (Johann) Aufreiter (1916-2001) ist in Wien, Ottakring in einem sozialistischen Elternhaus aufgewachsen. Er hatte Aichhorn bereits 1932 als jugendlicher Patient in der Erziehungsberatungsstelle der WPV kennengelernt (Akt: NAA). Er war von Aichhorn zu K. R. Eissler in Behandlung geschickt worden, 1937 hatte er eine Analyse bei Rosa Walk begonnen, die er nach ihrer Emigration bei Aichhorn fortsetzte (Interview in London/Ontario; Mai 1997: F. Früh, Th. Aichhorn).

Auf Eisslers Frage, ob es sich bei Aufreiter um den früheren Patienten der Erziehungsberatungsstelle handle, antwortete Aichhorn: „Natürlich ist Dr. Aufreiter  unser früherer Patient von der Erziehungsberatung. Er hat eine Jahrgangs-Kollegin von der Universität geheiratet, die ich in Lehranalyse hatte. Er war bei der Luftwaffe eingerückt und wurde dort Stabsarzt (Hauptmannsrang). Gegenwärtig ist er, wie Du aus der Mitgliederliste entnommen haben wirst, auf der Klinik Lauda. Er und seine Frau waren mit 2 anderen die ersten, die schon im Herbste 1938 ihre Lehranalyse begannen. Da er erst im Jahre 1942 von Wien weg kam, konnten wir seine Ausbildung noch beenden.“[224] 

Aichhorn schrieb über Aufreiter 1949: „Herr Dr. med. Hans Aufreiter […] war vom Jänner 1938 bis Juni 1940 bei mir in Lehranalyse. Vorher unterzog er sich durch 2 Jahre einer Analyse bei Dr. Kurt R. Eissler, derzeit New York […] und Frau Dr. med. Walk. Während seiner Lehranalyse besuchte er auch die von mir in kleinem Kreis gehaltenen Vorlesungen über Neurosenlehre und über Verwahrlostenbehandlung. Herr Dr. Aufreiter war einer der ersten in jenem Kreis, der sich um mich in der nationalsozialistischen Zeit sammelte und dessen Aufgabe darin bestand, die Forschungsarbeit Freuds für die Zukunft auch in Wien lebendig zu erhalten. Die Berliner Psychoanalytische Vereinigung, die als Gruppe des Deutschen Instituts für psychologische Forschung und Psychotherapie, in Berlin weiter bestand, gab Dr. Aufreiter die Möglichkeit, von Mai 1941 bis August 1942 an seiner weiteren Ausbildung zu arbeiten. Er beschäftigte sich dort mit der Aufnahme und Nachuntersuchung der poliklinischen Patienten, besuchte die psychoanalytischen Ausbildungsseminare und unterzog sich Kontrollanalysen bei Dr. med. F. Böhm und Dr. Carl Müller-Braunschweig. Nach Kriegsschluß arbeitete er an seiner theoretischen und praktischen Ausbildung intensiv weiter: Kontrollanalysen bei mir, besuch von Seminaren und Vorträgen. Er selbst hielt Einführungsvorträge in die Psychoanalyse für Kindergärtnerinnen. Sein besonders Interesse gilt den Problemen der psychosomatischen Medizin. Seit Wiederaufrichtung der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung am 10. April 1946 ist er deren Mitglied.“[225] 

Aufreiter war ab 1941 Mitglied des „Deutschen Instituts“(vgl. Ash 2012, S. 374). 1946 wurde er Vorstandsmitglied der WPV, 1949 wurde er in den Lehrausschuss gewählt und 1950 als Lehranalytiker bestätigt. Vom Wintersemester 1949/50 bis zum Wintersemester 1953/54 hielt er die theoretischen und technischen Ausbildungsseminare der WPV. 

Im März 1948 hatte Aufreiter an K. R. Eissler geschrieben, dass er entschlossen sei, Europa zu verlassen: „Wie Sie aus meinen früheren Briefen wissen, habe ich schon Erkundigungen einzuziehen versucht und sehe die Möglichkeiten nicht gerade rosig, lasse auch den sauer erworbenen Besitz nur ungern zurück. Ich sehe aber die Zukunftsmöglichkeiten so schwarz, Hunger, Bomben und Deportierung, dass ich zumindest versuchen will, herauszukommen. […] Ich mache mir über den schweren Anfang keine Illusion, arbeite aber auch hier meine 10-12 Stunden täglich und möchte endlich eine gewisse persönliche Sicherheit haben. Autoritäre Staaten und Kriege habe ich bereits kennengelernt und bin einmal davongekommen, ich möchte diese Situation unter für uns noch ungünstigeren Bedingungen wenn möglich vermeiden.“[226]

Auf Eisslers Frage, was Aichhorn von ihnen, Aufreiter und seiner Frau, halte, antwortete dieser: „Was Aufreiters anlangt, kann und will ich mich ihnen gar nicht in den Weg stellen, wenn sie überzeugt sind, in Amerika eine bessere Lebensmöglichkeit zu finden. Hinter ihrem Bestreben steckt selbstverständlich ein Stück Angst, die Verhältnisse könnten sich hier ungünstig entwickeln. Er ist ernster zu nehmen als seine Frau. Er hat wissenschaftliches Interesse, namentlich die psychischen Determinierungen organischer Erkrankungen aufzuspüren, geht dabei eigene Wege, von denen ich nicht weiß, ob sie richtig sind. Ich freue mich über sein ernstes Bemühen. Seine Frau ist Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie, praktisch recht tüchtig, ist wissenschaftlich nicht sehr interessiert. Ihr Hauptbemühen geht darauf hinaus, Geld zu verdienen. Dadurch, daß sie recht gut englisch spricht, hat sie hier auch Amerikaner in Analyse und ist durch die weitaus höhere Bezahlung als sie von Wiener Patienten erhalten würde, verwöhnt. Beide sind aber anständige Menschen, die nicht viel Anschluß suchen, sondern mehr für sich leben.“[227]

Im September 1948 schrieb Aufreiter an K. R. Eissler: „In Europa wird es immer unruhiger und zweifelhafter, ob die friedlichen Tendenzen durchdringen. Ich würde es als grosses Wunder betrachten, wenn ich hier mit heiler Haut heraus und nach den Staaten käme und Sie werden sich meine und unser aller Gefühle bei dieser Art von Leben vorstellen können. Unsere gesamte Auslandspost geht durch die russische Zensur, weshalb ich immer durch Bekannte meine Briefe aufgeben lasse.“[228] 

Eisslers Bemühungen blieben offensichtlich ohne Erfolg. Im Archiv der WPV liegen Kopien von Briefen, in denen der damalige Obmann der WPV, Winterstein, um Auskünfte über Hans und Friedl Aufreiter ersucht wurde: Edith Buxbaum (Juli 1950) schrieb aus Seattle, Grete Bibring (Oktober 1950), damals Sekretärin der IPA, im Auftrag von Kemper, Rio de Janeiro. Freunden Friedl Aufreiters gelang es schließlich, für sie eine Anstellung in Montreal zu finden. Im November 1953 übermittelte Otto Fleischmann eine Anfrage W. Clifford M. Scotts, in der dieser sich nach der beruflichen, analytischen Qualifikation der Aufreiters erkundigte. Winterstein antwortet ihm, daß er sie zwar erst nach dem Krieg kennen gelernt habe, daß sie aber während dieser letzten Jahre niemals irgendwelche Bemerkungen gemacht hätten, die Sympathie für Nazis oder Kommunisten gezeigt hätten.[229]

Da es zu dieser Zeit weder eine von der IPA anerkannte Gruppe noch Lehranalytiker in Kanada gab, wurde das Ehepaar Aufreiter Mitglieder und Lehranalytiker der British Psycho-Analytical Society, die die Schirmherrschaft über die kanadische Gruppe übernommen hatte. Ab Jänner 1955 haben sie zusammen mit W. Clifford M. Scott begonnen in Montreal ein Lehrinstitut aufzubauen. Da die übrigen kanadischen Analytiker keinen Lehranalytiker-Status hatten, mussten die Kandidaten zu den Neuankömmlingen wechseln. Hans Aufreiter erhielt einen Lehrstuhl für Psychiatrie, 1968 wurde er an das Royal Victoria Hospital berufen (International Psychoanalysis, Jg. 9, Heft 1, 2000, S. 29).

Als ihnen die politische Lage im französischen Teil Kanadas zu unruhig wurde, übersiedelten Aufreiters nach London, Ontario, wo Hans Aufreiter 10 Jahre lang Fakultätsmitglied des Department of Psychiatry der University of Western Ontario war. Sie wurden zu „Life Members“ der Kanadischen Vereinigung ernannt.

In James Naimans Nachruf für H. Aufreiter steht zu lesen: „Hans became my second analyst. At one point, I asked him how I could tell him everything, since he comprised one-third of the training committee. He replied promptly by asking what good it would do me to become an analyst if the price to pay was to retain my neurosis. He was skilful and empathic, and he was a gentleman. His theoretical orientation had been greatly influenced by Bowlby, but he respected mine, which was different. He remained at the Allan when Scott resigned in 1959, and initiated closed-circuit television interviews of patients, in which a number of us participated for the benefit of residents. […] Hans was interested in clinical work and teaching. To my knowledge, he had two papers published: “Psychoanalysis and Consciousness” [Aufreiter 1960] […] and the other, “The dilemma with aggression” [Aufreiter 1969]. […] He continued to teach in London, and to some extent in Toronto, and was the first president of the Southwestern Ontario Branch of the Canadian Psychoanalytic Society, serving from 1982 to 1985” (Canadian Journal of Psychoanalysis, 9, 2000: 117-118). Von einer dritten Arbeit, “Attachment and relational theories and their significance for psychoanalysis”, ist nur die Zusammenfassung erhalten (Aufreiter 2000).

 

Hedwig Bolterauer (geb. Fuchs) (1902-2001) wurde in Berlin geboren. Ihr Vater, der königlich-preußischer Hoflieferant war, führte eines der bekanntesten Delikatessengeschäfte im Zentrum Berlins. Ihre Mutter, eine Sängerin, geistig und musisch interessiert, unterhielt mit vielen Persönlichkeiten des Berliner Kulturlebens Kontakt. 1918 starb der Vater plötzlich an einer Embolie, die Familie verarmte schnell. 

Nach dem Abitur studierte Bolterauer Philosophie und Psychologie – zunächst in Berlin und dann in Wien, wo vor allem Karl und Charlotte Bühler für sie wichtig wurden. 1927 schloss hat sie ihr Studium „summa cum laude“ mit einer Dissertation über das Thema „Die Sprache der Jugendlichen im Tagebuch“ ab. Ihre Dissertation wurde in der Zeitschrift für angewandte Psychologie 1929 veröffentlicht. 

Ein Jahr lang unterrichtete sie an einer Frauenoberschule, kam dann in Kontakt mit Romano Guardini[230] und der katholischen Jugendbewegung und lernte hier Lambert Bolterauer kennen. 1929 heirateten die beiden, 1931 wurde eine Tochter, 1935 und 1938 wurden zwei Söhne geboren.

Von 1930 bis 1931 absolvierte Hedwig Bolterauer eine Ausbildung zum wissenschaftlichen Bibliothekarsdienst an der Österreichischen Nationalbibliothek, 1934 bis 1939 war sie Büchereileiterin bei den städtischen Büchereien und Vorstandsmitglied des Vereins für Arbeiterbüchereien. Von 1939 bis 1942 war sie Bibliothekarin an der Heeresbibliothek Wien.

Bolterauer hatte sich schon während ihrer Studienzeit in Berlin für Psychoanalyse interessiert und Seminare Melanie Kleins besucht. Ihre Analyse bei Aichhorn begann sie im Herbst 1941. Sie war Kandidatin des „Deutschen Institutes für Psychologische Forschung und Psychotherapie“ und musste im Rahmen ihrer Ausbildung mehrmals für einige Wochen nach Berlin reisen. 

Hedwig Bolterauer nahm an den von Aichhorn geleiteten Sitzungen der Wiener Arbeitsgruppe des „Deutschen Instituts teil. Am 15. 12. 1943 und am 19. 1. und 16. 2. 1944 berichtete sie dort über die Behandlung eines 20jährigen Zwangsneurotikers (vgl. Ash 2012, S. 383).

1946 wurde Hedwig Bolterauer Mitglied der WPV. Sie arbeitete zusammen mit Rosa Dworschak an der Child Guidance Clinic der WPV und besuchte Seminare bei Anna Freud in London. Ab 1950 arbeitete sie zusammen mit ihrem Mann an der Beratungsstelle für Mittelschüler. 1954 wurde sie Lehranalytikerin. Als Kassierin war sie jahrelang im Vorstand der Vereinigung tätig. Bis ins hohe Alter geistig aktiv, arbeitete sie – über ihren 90. Geburtstag hinaus – als Analytikerin und Lehranalytikerin (Aichhorn Th. und Mühlleitner 2003, Bolterauer Ch. 2001).

 

Tea Genner (geb. Erdheim) (1906-1977) wurde in Wien geboren (vgl. Erdheim 2006). Sie promovierte 1932 im Fach Medizin an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien. Von 1932 bis 1933 war sie Ärztin an der Neurologisch-Psychiatrischen Klinik der Universität Wien, von 1934 bis 1938 Sekundarärztin an der Nervenheilanstalt Maria-Theresien-Schlössel. Sie spezialisierte sich in den Fächern Psychiatrie und Neurologie und begann eine psychoanalytische Ausbildung bei Eduard Hitschmann und Jeanne Lampl-De Groot. 

Soweit wir bisher wissen, dürfte von den Kandidaten nur Tea Genner-Erdheim in Wien geblieben sein. Es fehlten ihr noch zwei Jahre Psychiatrie für den Facharzt, wofür sie als „Mischling“, ihr Vater war Jude, keine Stelle mehr finden konnte. Auch ihre Analyse konnte sie nicht fortsetzen, da ihre Analytikerin, Jeanne Lampl de Groot, nach Holland emigriert war. Ihre Enkelin, Diana Rosdolsky, hat mir Einblick in den Briefwechsel gestattet, den Genner-Erdheim mit Lampl de Groot 1938/39 führte. Ihm ist zu entnehmen, daß sie zunächst vorhatte, in die Schweiz zu flüchten, aber wegen der Finanzierung des Aufenthaltes große Bedenken hatte. Lampl-de Groot schrieb ihr im August 1938: „Ich habe in Paris von zwei Seiten versucht, eine Intervention bei der Schweizer Fremdenpolizei für Ihren Aufenthalt in Münsingen zu erwirken. Ich hoffe, daß das Erfolg haben wird und Sie die dreimonatige Aufenthaltsbewilligung dort bekommen werden. Was das Finanzielle dieser Angelegenheit betrifft, darüber brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Es gibt ein[en] Fonds, [der] Ihnen das zur Verfügung stellen wird[,] ohne die geringste Schwierigkeit. Sie brauchen nur an Dr. Jones zu schreiben und sich auf mich berufen. Ich habe mit ihm bereits darüber gesprochen. Es ist von Amerika ein Affidavit für Sie unterwegs, das hat man mir mit Bestimmtheit gesagt. Ich hoffe, es wird das Alles wirklich klappen.“[231]

Genner-Erdheim konnte sich, obwohl sie schließlich ein Affidavit bekommen hatte, nicht dazu entschließen Wien zu verlassen. Es  ist wohl anzunehmen, dass sie sich weder von den Eltern noch von ihrem Lebensgefährten trennen wollte. 

Genner-Erdheim arbeitete von 1938 bis 1941 in ihrer Privatpraxis, von 1941 bis 1944 wurde sie als Kriegsdienstleistung zur Übernahme einer Allgemeinpraxis verpflichtet. 

Ende 1944 gelang es ihr sich und ihre Töchter auf dem Land in Sicherheit zu bringen. 1945 wurde ihr Mann Laurenz Genner, er war Mitglied der Österreichischen Kommunistischen Partei, Landeshauptmann-Stellvertreter von Niederösterreich und in der ersten Österreichischen Nachkriegsregierung Unterstaatssekretär für Landwirtschaft.

Tea Genner gehörte der Gruppe, die Aichhorn während der nationalsozialistischen Zeit um sich gesammelt hatte, nicht an. Aichhorn war aber offensichtlich über ihren Aufenthaltsort informiert. Er schrieb ihr bereits im Sommer 1945, wie aus seinem Briefverzeichnis hervorgeht. Bereits im Oktober 1945, einen Monat nachdem Aichhorn und Winterstein einen ersten Antrag auf Widergenehmigung der WPV einbracht hatten, brachte sie zusammen mit Lambert Bolterauer und Kurt Fellner einen zweiten Antrag ein. 1946 gehörte sie zu den ersten Mitgliedern der wiederbegründeten WPV. 

Im Juni 1946 schrieb Ruth Eissler an Aichhorn: „Du fragst, ob Du Dich um jemanden, der uns nahe steht, kümmern kannst. Von allen mir lieben Menschen in Wien mag nur eine einzige Freundin übrig geblieben sein. Ich weiß nicht, was aus ihr geworden ist. Sie ist ein Mischling, Nichte von Prof. Erdheim. Sie heißt Dr. Thea Erdheim und ist vielleicht noch in Wien. Wenn Du etwas von ihr erfahren und mir Nachricht geben könntest, wäre ich Dir sehr dankbar. Es sind so wenige Freunde in Europa noch geblieben und nicht viel mehr ist uns geblieben als Jahre des Trauerns.“[232] Aichhorn antwortete ihr: „Frau Thea Erdheim lebt nicht nur, sie ist verheiratet, hat zwei Kinder, ist Mitglied der Vereinigung, beendet bei mir ihre Lehranalyse und analysiert unter meiner Kontrolle. Sie freute sich ungemein, als ich ihr von Deiner Anfrage Mitteilung machte und wird Dir selbst ausführlich schreiben.“[233]

1948 wurde Genner-Erdheim als Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie an der psychiatrischen Universitätsklinik angestellt. Nach dem Tod von August Aichhorn war sie im provisorischen Lehrausschuss der Vereinigung tätig, 1954 wurde sie Lehranalytikerin und Mitglied des Lehrausschusses der WPV. Sie unterrichtete jahrelang in den Ausbildungskursen des Lehrinstituts der WPV und war eine ihrer beliebtesten und angesehensten Analytikerinnen.

 

Emma (Emmy) Miklas (1914-1993) wurde in Graz geboren. Ihr Vater war Bahnbeamter, ihre Mutter starb als sie 6 Jahre alt war. 1933 legte sie am Mädchen Realgymnasium in Graz die Reifeprüfung ab und im selben Jahr begann sie ihre Berufslaufbahn bei der Stadtgemeinde Graz. Von 1932 bis zum Verbot der Partei durch den austrofaschistischen Staat 1934 war sie Mitglied der Sozialdemokratischen Partei.[234] 

Bereits im Mai 1934 wurden von der „Dienstellenorganisation der Vaterländischen Front“ disziplinäre Vorerhebungen gegen Miklas angestrengt. Sie wurde daraufhin vom Bürgermeister mündlich gerügt.[235] 1935 wurde ihr der Reisepass entzogen: „Das Bürgermeisteramt richtet an die Bundespolizeidirektion das Ersuchen, den Pass der Beamtenanwärterin Emma Miklas nicht auszufolgen, da eine öftere Ausreise der Genannten nach Jugoslavien mit Rücksicht auf ihre früher linksorientierte politische Einstellung aus staatspolitischen Gründen nicht tunlich erscheint.“[236] 

Im April 1938, nach dem „Anschluss“, stellte das Personalamt der Stadt Graz ein vom Bürgermeister der „Stadt der Volkserhebung“, den Titel hatte Graz von den Nazis bekommen, unterzeichnetes Ersuchen an den Sicherheitsdienst der SS, Außenstelle Graz, die Beamtin Emma Miklas „unauffällig zu beobachten, insbesondere in der Richtung, ob sie sich auch kommunistisch betätigt und das Ergebnis anher mitzuteilen, da bei Vorliegen einer derartigen Betätigung die nötigen Schritte zu ihrem Ausscheiden aus dem städt. Dienst eingeleitet werden müßten.“ Begründet wird dieses Ersuchen mit der Feststellung, dass sie „ihrer Weltanschauung nach Kommunistin (sei) […] und fast ausschließlich in kommunistisch-jüdischen Kreisen“ verkehre. Am 5. 11. 1938 wurde sie gemäß §4 Abs. 1 (der „Verordnung zur Neuordnung des österreichischen Berufsbeamtentums“ vom 31. 5. 1938) aus dem Dienst entlassen.[237] Miklas an den Oberbürgermeister der Stadt Graz: „Ich erlaube mir an Sie, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, die höfliche Bitte zu richten, eine Überprüfung der Angelegenheit, die zu meiner Entlassung führte, veranlassen zu wollen. […] Ich gebe zu, dass ich immer Sozialdemokratin war und mich nicht plötzlich der neuen Zeit anpassen konnte, versichere aber, dass ich mich seit Auflösung der sozialdemokratischen Partei im Feber 1934 nicht mehr politisch betätigt habe. Die Entlassung trifft mich umso härter, als mir ihr Grund den ganzen weiteren Lebensweg erschweren wird.“[238] 

Miklas wurde nicht wieder eingestellt. In einem Schreiben aus 1946, in dem sie um eine Wiedereinstellung in den Dienst der Stadtgemeinde Graz ansuchte, schrieb sie: „In der Zwischenzeit war ich zunächst in Privatunternehmen als Beamtin beschäftigt, dann wurde ich Erzieherin in staatl[ichen] Schülerheimen in Graz u. Wien, in Wien ausserdem nebenbei Hilfslehrerin für Italienisch an der Wirtschaftsoberschule Wien 8. […] 1941 wurde ich von der genannten Schule wiederum aus rein politischen Gründen entlassen. […] Neben meiner beruflichen Tätigkeit beendete ich mein Philosophiestudium.“[239]

Miklas hatte 1934/35 zwei Semester an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Graz studiert und zwischen 1935 und 1940 weitere sechs Semester Philosophie, Psychologie und Orientalistik an den Philosophischen Fakultäten der Universität in Graz und zwei Semester in Wien. Ihre Dissertation mit dem Titel „Die Bedeutung des Darwinismus für die deutsche Naturphilosophie“ reichte sie am 13. 3. 1943 an der Philosophischen Fakultäten der Universität in Graz ein, die Doktoratsprüfung bestand sie am 31. 3. 1943 (Hauptfach Philosophie, Nebenfächer Deutsche und Romanische Philologie)[240] und an den Universitäten Graz und Wien. 1943 promovierte sie mit der Dissertation „Die Bedeutung des Darwinismus für die deutsche Naturphilosophie“. Miklas verfügte offenbar über außergewöhnliche Sprachkenntnisse. Sie gab an, außer Französisch, Italienisch und Englisch, auch Arabisch, Latein, Hebräisch und Assyrisch zu beherrschen.

Einem Schreiben der „Gemeindeverwaltung des Reichsgaues Wien, Hauptabteilung F Jugendwohlfahrt und Jugendpflege“ ist zu entnehmen: „Die Abteilung F 1 hat am 4. 5. 1943 die Kündigung der Erziehungsberaterin Dr. Edeltrud Baar[241] […]beantragt. Als Ersatz für die Genannte ist die Einstellung der Frau Dr. Emmy Miklas in Aussicht genommen. […] Die Dienstleistung der Dr. Baar als Erziehungsberaterin in den Bezirksjugendämtern war seit jeher unzureichend und nicht zufrieden stellend, sodaß es wiederholt zu dienstlichen Konflikten und Auseinandersetzungen kam. Dr. Baar selbst strebte schon seit jeher ihre Verwendung bei Kleinkindern an, die jedoch im Rahmen des  Gaujugendamtes nicht möglich war und auch heute noch nicht möglich ist. Aus diesen Gründen bestand schon seit langem die Absicht, Dr. Baar zu kündigen. […] Der Kündigungsantrag [konnte] nicht früher eingebracht werden […] weil es […] erst jetzt gelang, eine seit vielen Monaten gesuchte Ersatzkraft sicherzustellen. […] Ich bitte daher […] der Anstellung der Dr. Miklas mit 1. 6. 1943 zuzustimmen, da Gefahr besteht, daß Dr. Miklas durch das Arbeitsamt zu einem anderen Einsatz herangezogen wird.“[242] Miklas, die an der Universität Wien ein Psychologiestudium begonnen und Mitglied der NSV geworden war, wurde vom Personalamt am 1. 6. 1943 zunächst als Aushilfsangestellte (Erziehungsberaterin) und ab dem 1. 9. 1943 in das ständige Angestelltenverhältnis übernommen.[243]   

Den Status einer Ausbildungskandidatin des „Deutschen Instituts für Psychologische Forschung und Psychotherapie“ hatte Emma Miklas seit dem 30. März 1944, ein erstes Mal hatte sie an einem der Seminare in Aichhorns Wohnung bereits am 13. Oktober 1943 teilgenommen. Gustav Richard Heyer,[244] damals Ausbildungsleiter des Instituts, schrieb ihr anlässlich ihrer Zulassung als Ausbildungskandidatin: „Wenn ich Ihnen gleichzeitig durch unser Sekretariat die Bestätigung als Ausbildungskandidatin des Instituts zugehen lasse, möchte ich das nicht tuen, ohne Ihnen persönlich gesagt zu haben, dass mich Ihre Arbeit über die Bedeutung des Darwinismus für die Naturphilosophie lebhaft interessiert und gefreut hat. […] Also, kurz und gut, sehr geehrte Frau Doktor, ich gratuliere zu dieser hervorragenden Arbeit […] Ich hoffe, Sie gewinnen Freude an der Seelenheilkunde und begrüsse Sie mit besten Wünschen für Ihre Studien.“[245]

Miklas beteiligte sich an den Bemühungen zur Wiedereröffnung der WPV im Herbst 1945, ihr Name scheint in der Liste des Proponenten-Komitees vom 20. 9. 1945 auf. In der Liste der Mitglieder der WPV, die im International Journal of Psycho-Analysis von 1946 veröffentlicht wurde, scheint sie zum letzten Mal als Mitglied der WPV auf. 

In den letzten Kriegs- und ersten Nachkriegsjahren bis 1948 führte Miklas eine Lebensgemeinschaft mit dem Journalisten Hassan Cumburoglu, der zwei Kinder entstammten: Käthe Lebwohl, geb. 1945, und Prof. Dr. Heinz Miklas, geb. 1958, Professor für Slawistik an der Universität Wien.[246]

Im März 1946 teilte Miklas dem Personalamt der Stadt Wien mit, dass sie vom Bürgermeister der Stadt Graz mit der Aufgabe betraut wurde sei, in Graz eine Erziehungsberatung in Graz aufzubauen. Da ihr dadurch im Wege der Wiedergutmachung eine leitende Position geboten werde, habe sie sich entschlossen, den Antrag anzunehmen.[247] In einem Schreiben an den Bürgermeister von Graz beschrieb Miklas ihre Tätigkeit folgendermaßen: „Meine Tätigkeit in dieser Beratungsstelle umfasst: Psychologische Begutachtung von Kindern und Jugendlichen mit Erziehungsschwierigkeiten und abartigen psychischen Symptomen und Beratung der Eltern und Erziehungsberechtigten auf Grund der durch wissenschaftliche Diagnostik gewonnen Einsichten, ferner Begutachtung von schwierigen Kindern in den städt[ischen] Heimen und psychologische Diagnostizierung krimineller Jugendlicher, insbesondere aller Jugendlichen, die sich in Untersuchungshaft befinden, außerdem psychologische Kurzbehandlungen in Form von Beeinflussungsversuchen bei Kindern und Eltern. […] Aus dieser Schilderung ist wohl zu ersehen, dass über mein Philosophiestudium hinaus Sonderfachstudien notwendig waren, um dieses Tätigkeit überhaupt ausüben zu können. Ich möchte hier meine umfangreichen Studien einschlägiger Fachliteratur und eine halbjährige Hospitantenzeit an der heilpädagogischen Abteilung der Wiener Kinderklinik anführen. Ausserdem wurde ich auf Grund meiner Doktor-Dissertation […] zu Beginn des Jahres 1944 als Ausbildungskandidatin des Deutschen Institutes für Psychologische Forschung und Psychotherapie aufgenommen. Bein einzigen österreichischen Vertreter dieses Institutes, dem verstorbenen Prof. Aichhorn in Wien, besuchte ich 1 Jahr lang […] ein Seminar über Tiefenpsychologie. […] Ich besitze nach dem Opferfürsorgegesetz v. 4. 7. 1947 den Opferausweis ,,8…] und habe aus diesem Grunde Anspruch auf bevorzugte Behandlung in dienstrechtlicher Hinsicht.“[248]

Am 24. Juni 1964 beantragte „Magistratsrat Dr. Emma Miklas“ ihre Versetzung in den dauernden Ruhestand. Der Senat der Stadt Graz erkannte ihr eine Vorrückung in eine höhere Gehaltstufe und den Titel „Obermagistratsrat“ nicht zu, obwohl sie eine Dienstbeschreibung mit „sehr gut“ aufzuweisen hatte. In der Stellungnahme des Jugendamtes steht zu lesen: „Frau MR Dr. Emma Miklas [stand] im städt. Jugendamt als Erziehungsberaterin in Verwendung. Als solche hatte sie die Aufgabe, Eltern von Erziehungsschwierigen oder verhaltensgestörten Kindern durch psychologische Begutachtung zu beraten. Weiters mußte sie auch bei Anträgen der Fürsorgerinnen auf gerichtliche Erziehungshilfe, Fürsorgeerziehung und ähnlichen Fällen über deren Wunsch die betreffenden Kinder begutachten. Sie hat vor allem auch in der Jugendgerichtshilfe durch fallweise Erstattung von Gutachten mitgewirkt. Ursprünglich arbeitete sie auch als Psychologin in der heilpädagogischen Beratungsstelle mit, ist aber dann dort wieder ausgeschieden und wurde durch eine Psychologin ersetzt. Im letzten Jahr war sie auch noch mit der Durchführung  von Elternabenden in den städt. Kindergärten und Horten betraut und hat auch selbst Vorträge gehalten. Es handelt sich bei der Tätigkeit der Erziehungsberaterin um eine psychologische Facharbeit, deren Qualität wieder nur von Fachleuten genau beurteilt werden kann, wobei es auch wieder die verschiedensten Richtungen gibt.“[249] Der Senat der Stadt Graz entschied, dass „nach den bestehenden Richtlinien hinsichtlich der Zuerkennung a[ußer]o[rdentlicher] Vorrückungen und hinsichtlich der Verleihung von Amtstiteln keine Veranlassung besteht, Mag. Rat Dr. Emma Miklas eine Auszeichnung zuzuerkennen.“[250]

 

Alfred Robert Friedrich v. Winterstein (1885-1958) wurde in Wien geboren. Er entstammte der katholischen Aristokratie, sein Vater, Friedrich Freiherr v. Winterstein, war Geheimer Rat, Sektions-Chef und Vize-Gouverneur der Österreichisch-Ungarischen Bank.

Winterstein besuchte ein humanistisches Gymnasium und studierte zunächst Jus, später Philosophie und Kunstgeschichte. 

Winterstein berichtete, dass er Freud im Winter 1907/08 kennengelernt habe: „Eine Reihe von Jahren vorher hatte ich die ‚Traumdeutung’ zum erstenmal gelesen, die auf mich so aufwühlend wirkte, daß sie der schwankenden Magnetnadel in meinem Inneren eine Richtung auf Lebenszeit wies. […] Als ich ihm [Freud] in seinem Arbeitszimmer gegenübertrat, war ich keineswegs befangen. Sein Aussehen, sein verhalten wirkten auf mich nicht viel anders als das anderer Medizinprofessoren unserer Universität, bei denen ich gewesen war. Die Unterredung verlief sehr freundlich und dauerte nur kurz. Ich wurde von Professor Freud aufgefordert, seine Vorlesung zu besuchen. Ohne seine Erlaubnis durfte man nicht daran teilnehmen“ (Winterstein 1995, S. 6f). 

Im Herbst 1910 wurde Winterstein Mitglied der WPV. Er begab sich, nachdem er im Herbst 1911 am Kongress der IPV in Weimar teilgenommen hatte, an das Psychologische Institut der Universität Leipzig, das damals unter der Leitung Wilhelm Wundts stand. Anschließend ging er nach Zürich, wo er sich bei C. G. Jung einer Analyse unterzog. Zurückgekehrt nach Wien, nahm er an den wissenschaftlichen Sitzungen der WPV teil, in deren Rahmen er „Über das Schuldgefühl“[251] und „Zur Psychoanalyse des Reisens“[252] sprach. Am 11. 12 1912 hielt er den Vortrag „Psychoanalytische Bemerkungen zur Geschichte der Philosophie“[253], den Freud als den Beginn der Anwendung der Psychoanalyse auf philosophische Systeme und Persönlichkeiten ansah.[254] 

1914 war Winterstein als Sekretär des „Österreichischen Handelsmuseums“[255] in den Staatsdienst eingetreten, den er nach 9 Jahren verließ, um sich ganz seiner schriftstellerischen Tätigkeit zu widmen. Während des ersten Weltkriegs war er als Kavallerieoffizier zum Militär eingezogen worden.

Nachdem Winterstein Arthur Schnitzler Proben seiner Lyrik geschickt hatte, lernte er ihn 1906 kennen. Nach dem ersten sympathischen persönlichen Eindruck entstand eine über viele Jahre dauende Beziehung. Schnitzler schrieb über ihn, er sei „klug und geschmackvoll“ und brachte auch Hugo von Hofmannsthal, dem die Gedichte „sehr gut“ gefielen, dazu, sich für ihn einzusetzen.[256] Was Schnitzler an Winterstein gefiel, war dessen Offenheit und Vielseitigkeit. Er schrieb u. a. über ihn: „Ein Mensch von Zukunft“ und „sehr klug und witzig“.[257]

Karl Kraus veröffentlichte Gedichte Wintersteins in der „Fackel“, 1925 erschien im Internationalen Psychoanalytischen Verlag sein Buch „Der Ursprung der Tragödie“[258] und 1928 „Die Pubertätsriten der Mädchen und ihre Spuren im Märchen. Eine psychoanalytische Studie“.[259] Außerdem rezensierte er psychoanalytische Veröffentlichungen in der „Neuen Freien Presse“ und veröffentlichte dort zahlreiche Artikel zur Psychoanalyse der Literatur und über parapsychologische Phänomene ein Thema, über das er auch Vorträge in der Wiener Urania hielt.[260] 1937 veröffentlichte er das Buch „Telepathie und Hellsehen“,[261] in dem er seine Erkenntnisse zur Parapsychologie zusammenfasste. Freud dürfte das Interesse Wintersteins am Okkulten eher abgelehnt haben. So schrieb er etwa an Federn: „Ihr Vorschlag mit Winterstein scheint mir nicht glücklich. Er ist allen, auch mir fremd, genießt keine Sympathien und wir wissen nicht inwieweit er in seiner Beziehung zum Okkultismus kritisch geblieben ist.“[262]

1938, nach der Auflösung der WPV durch die Nazis, war Winterstein, obwohl er jüdische Vorfahren hatte, in Wien geblieben. Wie es scheint finanziell abgesichert, dürfte er sich ins Privatleben zurückgezogen und vor allem an einer psychoanalytischen Studie über Adalbert Stifter[263] gearbeitet haben.[264]

Wie Winterstein Nazi-Herrschaft und Krieg erlebte, ist Briefen aus den Jahren 1943-46, die er an Alexander Mette[265] schrieb, zu entnehmen. Er schrieb ihm über seine Stifter-Arbeit, die er bereits 1943 abgeschlossen hatte, über literarische und philosophische Themen, über seinen schlechten Gesundheitszustand, über seine Schwierigkeiten, produktiv zu arbeiten und über die Auswirkungen der Kriegsereignisse auf seine Lebensgestaltung. So schrieb er etwa im Jänner 1943: „Wie ich anzunehmen Ursache habe, sind Sie bisher von den Terrorangriffen nicht stark betroffen worden. Hier werden alle möglichen Vorkehrungen getroffen; ich selbst habe verschiedenes weggeschafft, einiges in die Kellerräume meines Hauses verlegt. Ihre guten Wünsche haben sich bislang leider nicht erfüllt, weder was die Gesundheit noch was die Produktivität betrifft. Meine Musterung soll im April stattfinden; mit meiner Coronarsklerose, Spondylathrose und meinem Lungenemphysem dürfte ich wohl kaum tauglich befunden werden [Winterstein wurde nicht eingezogen, allerdings wurde er als „arbeitsverwendungsfähig“ erklärt].“[266] Im Februar 1944 schrieb er: „Ich bin gegenwärtig unproduktiv und lese dies und das, nicht so sehr um durch den Inhalt des jeweiligen Buches zum Schaffen angeregt zu werden, sondern vielmehr, um auf einige Zeit dem eigenen Gedankenkreis, dem Banne des bewußten Imperativs, der mich schaffen heißt, zu entgehen. […] Es wird dadurch dem Unbewußten die Möglichkeit geboten, einen zu überraschen.“[267] Und im Mai 1944: „Ihre Zeilen aus Wörishofen vom 28. 4. habe ich mit vielem Dank erhalten. Hoffentlich haben Sie auf diese Weise den letzten Angriff auf Berlin (30. 4.) versäumt. Die Stadt muß ja jetzt einen schrecklichen Anblick bieten! […] Der Röntgen-Befund hat die Diagnose meines Arztes, daß ich auch an einer Spondylathrose leide, bestätigt. Ich habe einen Antrag auf Zulassung zu einer Heilkur in Bad Gastein gestellt, weiß aber nicht, ob ich eine Bewilligung bekommen werde. […] Eine militärische Untersuchung hat bisher nicht stattgefunden, da ehemalige Offiziere meines Alters (ich war im ersten Weltkrieg Rittmeister) vorläufig wenigstens nicht gemustert zu werden scheinen.“[268] Im Juni desselben Jahres schrieb er: „Die Kurverwaltung in Gastein hat mir einen vierwöchigen Aufenthalt bewilligt; ich habe mir bereits für September ein Zimmer gesichert. Man weiß freilich nicht, was sich bisdahin ereignen wird! Am Pfingstmontag fielen Bomben in nicht allzu großer Entfernung von meinem Hause. […] Der Himmel war nach dieser Seite schwarz wie eine Gewitterwand und man hörte stundenlang Detonationen: ein Munitionszug war in die Luft geflogen.“[269] Und im Juli schrieb er: „Seit meinem letzten Brief […] hatten wir eine ganze Reihe heftiger Angriffe durchzustehen, die auch außerhalb der Industriebereiche argen Schaden anrichteten. Ich sah mir einige Stätten der Zerstörung an und war stark beeindruckt. Wegen der häufigen Alarme traut man sich schon vormittags kaum vom Hause weg. Unser Villenviertel ist bisher verschont geblieben, dafür gibt es da und dort bei uns schon Einquartierungen. Haben Sie etwas von den Ereignissen des 20. Juli etwas bemerkt? Auf die von Dr. Goebbels angekündigten Maßnahmen bin ich gespannt.[270] Ob es wohl zur Reise nach Gastein kommen wird? Ich bezweifle es.“[271] Winterstein konnte letztlich nach Gastein fahren. Er schrieb im September 1944 aus Gastein: „Ein Glück, daß ich schon am 9. [9.] von Wien abreiste, sonst hätten mich die Bilder der Zerstörung, die der Terrorangriff hervorrief noch lange hier verfolgt! Mein Bruder sandte mir einen genauen Bericht und gab die Zahl der Obdachlosen mit ca. 10.000 an. Einem Bewohner Berlins wird diese Ziffer vielleicht nicht imponieren. In unserer Wohnung haben wir Einquartierung – gottlob nur eine junge Frau mit ihrem kleinen Sohn. […] Ich musste nach vier Bädern die Kur abbrechen, da mein Herz revoltierte.“[272] Nach Wien zurückgekehrt schrieb Winterstein: „In der letzten Zeit hatten wir neuerlich starke Angriffe, die mich und mein Haus zwar verschonten, aber zahlreiche Bekannte ‚ausbombten’. Sehr betrübt bin ich über die Verwüstungen im schönen Salzburg. […] Ich schreibe diese Zeilen in einen Mantel gehüllt; daher die schlechte Schrift. […] Mit Ausnahme der Schlafzimmer wurden alle Räume der Villa vom Gauquartieramt für Luftkriegsgeschädigte beschlagnahmt. Von Rechts wegen hätten ich und mein Bruder in ein Zimmer ziehen müssen. Nur dem ‚Schriftsteller’ machte man das Zugeständnis eine allein bewohnten Raumes.“[273] Im Juni 1946 schrieb Winterstein schließlich: „Im Vorjahr habe ich Schreckliches mitgemacht und auch gesundheitlich ging es mir sehr schlecht. Ich verbrachte im Winter zwei Monate in einer Heilanstalt, wo ich Strophantin-Injektionen erhielt, die mich wieder etwas herstellten. Ich befinde mich jetzt in der warmen Jahreszeit wohler. Auch beruflich sind Lichtblicke da: mein Stifter-Werk dürfte in einigen Wochen erscheinen, ein zweites Buch soll folgen, anderes ist noch in Schwebe. Die Wiener Psychoanalytische Vereinigung wurde am 10. April in Gegenwart des Unterrichtsministers und andren Spitzen wiedereröffnet; ich hielt die Gedenkrede auf Freud. Aichhorn ist Obmann, ich Obmannstellvertreter der Vereinigung. Jetzt finden Einführungskurse statt, im Herbst sollen weitere folgen. Mit England (Anna Freud) und Amerika stehen wir in Fühlung.“[274]

Im Dezember 1947 schrieb Thomas Mann an Winterstein über dessen Stifter-Arbeit: „Es ist für mich kein Zweifel, daß die bisherige Stifter-Kritik viel zu sinnig und gutmütig war, um ihrem durchaus seltsamen und oft recht unheimlichen Gegenstand gerecht zu werden. Diesen aber nun der strikten psychoanalytischen Methode unterworfen zu sehen, ist auch wieder nicht recht nach meinem Geschmack, nicht weil ich diese Methode pietätlos finde, obgleich freilich das analytische Vokabular in einem krassen und oft komischen Widerspruch zur Bewunderung steht, – sondern weil ich nicht umhin kann, den Gesichtspunkt als einigermaßen eng und doktrinär zu empfinden. Eine solche Kritik erinnert mich an gewisse streng kommunistische Betrachtungen des Geistigen und Dichterischen. Ich möchte die Tiefenpsychologie nicht als allein seligmachend auf alle großen Erscheinungen der Literatur angewandt sehen. […] Das alles hindert mich nicht, daß ich in Ihrer so fleißigen, gründlichen und offenkundig liebevollen Arbeit einen interessanten kritischen Beitrag sehe und Ihnen zu Dank verbunden bin, dass Sie mir die Bekanntschaft damit gewährten.“[275]     

Im Oktober 1946 schrieb Winterstein an Anna Freud: „Meine Zeilen bezwecken in erster Linie, Sie auf meine soeben erscheinende Stifter-Biographie aufmerksam zu machen, die erste psychoanalytische Schrift, die in Österreich veröffentlicht wird (wenn man von den ‚Fünf Vorlesungen’ Ihres verehrten Vaters absieht, die Deuticke in neuer Auflage herausgebracht hat). Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie Dr. Jones hievon Kenntnis geben wollten, da seine Ermittlungen bei Betrachtung des Analcharakters Stifters wesentlich verwertet wurden. Sind Ihnen die Adressen Dr. Hitschmanns, Dr. Hartmanns und Dr. Berglers bekannt? Ich möchte nämlich auch diese Herrn auf mein Buch hinweisen. […] Auch ich habe während der Naziherrschaft hier psychoanalytisch gearbeitet und wurde deswegen 1941 der Gestapo vorgeführt. Meine psychoanalytische Bibliothek wurde beschlagnahmt, aber zum Glück nicht fortgeschafft, weil das Auto der Gestapo nicht groß genug war, um die Koffer mit den Büchern aufzunehmen. Seit 1942 leide ich an einer Coronarsklerose und an Arthritis, so daß ich in meiner Leistungsfähigkeit gehemmt bin, was mich auch im Hinblick auf meine Funktion als Obmannstellvertreter der Wiener Vereinigung schmerzt. Bei der Eröffnungsfeier am 10. April d. J. hielt ich die Gedenkrede auf Ihren Vater. Das Jahr 1945 war ein Inferno für mich; nun steht wieder ein Winter vor der Tür mit Hunger und Kälte im Gefolge! Ich hoffe, Sie haben weniger Unangenehmes zu berichten.“[276] Anna Freud antwortete ihm: „Ich habe mich sehr gefreut, nach so langer Zeit von Ihnen zu hören, wenn auch Ihre Nachrichten nicht sehr erfreulich waren. […] Von Ihrer Teilnahme an der Neugründung der Vereinigung hat Aichhorn mir geschrieben. Wenn Sie mich wissen lassen, welche Lebensmittel für Sie am wichtigsten wären, so werde ich versuchen, sie durch die analytische Vereinigung auf dem Wege über Amerika schicken zu lassen. Von hier aus ist es leider nicht erlaubt. Der Krieg in England war keine leichte Zeit. Wir haben den Luftangriffe auf London alle mitgemacht und den ganzen Krieg über London nie verlassen. Aber es ist unserem Haus nichts geschehen und nichts, was hier vorgegangen ist, war auch nur zu verglichen, mit dem was bei Ihnen war.“[277]

Aichhorn hatte sich offenbar gleich nach Kriegsende mit Winterstein in Verbindung gesetzt und ihn zur Mitarbeit in der wiedereröffneten WPV gewonnen. Winterstein wurde Obmannstellvertreter und Leiter der wissenschaftlichen Abteilung. Im Juni 1947 schrieb er an Aichhorn: „Ich sehe mich aus gesundheitlichen Gründen veranlasst, Sie um Enthebung von der Stelle eines Leiters der wissenschaftlichen Abteilung zu ersuchen. In der Hoffnung, daß Sie mir meine Bitte nicht übel nehmen und bald einen würdigeren Nachfolger für diesen Aufgabenkreis finden werden.“[278] Aichhorn antwortete ihm: „Aus Ihrem Brief vom 26. Juni laufenden Jahres entnehme ich mit größtem Bedauern, daß Sie aus gesundheitlichen Gründen von der Stelle des Leiters der wissenschaftlichen Abteilung enthoben sein wollen. Ich muß mich Ihrem Wunsche fügen und danke Ihnen außerordentlich für Ihre Hilfe, die Sie mir im Auf- und Ausbau der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung bisher angedeihen ließen. Darf ich, lieber Herr Doktor, Sie bitten, in Zukunft uns Ihre Mitarbeit, so weit Ihr Gesundheitszustand dies zulässt, nicht zu versagen.“[279]

Nach dem Tode Aichhorns war Winterstein von 1949 bis 1957 Obmann der WPV. Er nahm an den Kongressen der IPV teil und hielt 1953 in London und 1955 in Genf Vorträge, die im IJ veröffentlicht wurden (Winterstein 1954 u. 1956). 

In seinem Nachruf auf Winterstein schrieb Richard Sterba: „Dr. Winterstein impressed those who knew him personally as the representative of a type which, alas, has become practically extinct in our day. His general behaviour, his accent, his manners, his reserve, and not least the tact and nobility he displayed in his contacts with others typified him as an aristocrat in the best meaning of the word. In him one of the last personifications of a noble and refined era has passed away.”[280]

 

Klara Wolf (geb. 1914) war die Tochter des Buchhalters Moriz Wolf und seiner Frau Cilla. Mit dem Studienjahr 1933/34 begann sie an der philosophischen Fakultät der Universität Wien bei Karl und Charlotte Bühler Psychologie zu studieren. 1938 – die Bühlers waren mittlerweile entlassen worden – promovierte sie mit der Dissertation „Zum Problem der Bewegungswahrnehmung“. Noch im selben Jahr emigrierte sie in die USA, wo sie von 1942 bis 1945 als Research Assistant bei der Community Service Society in New York arbeitete. Von 1945 bis 1947 war sie Administrative Assistant beim US State Department. Zusammen mit Ernst Kris hatte Wolf an der Sammlung von Arbeiten aus der Zeitschrift für Psychoanalytische Pädagogik gearbeitet, um sie für eine Übersetzung und Neuherausgabe zu sichten. 

Als Angehörige der Amerikanischen Armee (Frau Dr. Wolf, Civ.Hq.U.S.F.A. U.S.A.C.A. c/o Postmaster New York City) war sie im Spätsommer 1945 nach Wien zurückgekommen. Mit ihrer Hilfe konnte Aichhorn wieder Kontakt zu den Analytikerkollegen in London (Anna Freud) und in den USA (K. R. und Ruth Eissler, Paul Kramer, Ernst Kris und M. Mahler) aufnehmen. 

Wolf beteiligte sich an den Bestrebungen zur Wiedereröffnung der WPV, gehörte dem Proponentenkomitee an und war Mitglied. In den Unterlagen der WPV taucht ihr Name nur einmal, in der Geschäftssitzung am 17. 4. 1946, auf: „Wegen der Bemerkungen von Frau Wolf gegenüber von Außenstehenden wird festgestellt, daß Sitzungen vertraulich sind und persönliche Eindrücke zu besprechen sind.“[281] 

Im Frühjahr 1946 dürfte Wolf Wien wieder verlassen haben Am 4. 5. 1946 schrieben Heinz Hartmann und Ernst Kris an Aichhorn: „We are writing to you first of all to congratulate you on the reopening of the Institute in Vienna, about which we have had a lively report from Dr. Clara Wolf.”[282]

Von 1947 bis 1949 war Wolf Executive Secretary an der San Mateo County Child Guidance Clinic in Kalifornien, 1950 wurde sie zum Assistant Pofessor und Acting Director an der Child Guidance Clinic am College of Medical Evangelists, Department of Pediatrics, School of Medicine in Los Angeles ernannt. 

Vom 24. März 1951 stammt ein Brief von Klara Wolf an Anna Freud: „About the time that you were visiting the United States, I put to work an idea which I have had for many years namely to select and translate the most important studies from the ‘Zeitschrift für psychoanalytische Pädagogik’ into English. I discussed this and a possible plan of organising this material with both Dr. Ernst Kris, also with Berta Bornstein and everyone thought that it was a timely and welcome plan. Dr. Kris was kind enough to tell Dr. Jackson about this and she too was most helpful in collaborating, provided the final selection was approved by you. When I arrived in Los Angeles, last May, I started to work on it, however because of financial difficulties my personal interests were slowed down and it is only now that I am nearing the end of the phase of selection. Mrs. Ruben has been very helpful and is actively participating with me. We were planning to complete our work and send it to you for your criticism. (…) I was very upset when I heard that Dr. Jackson knowing that this first outline was only sample, had sent it to you without consulting me first.”[283]

In einem weiteren Brief vom 25. 5. 1951 fragt sie bei Anna Freud an, ob sie mit der endgültigen Auswahl einverstanden sei. Dr. Jackson habe außerdem angeregt, dass ein Redaktionskomitee bestehend aus Dr. Hoffer, Mary O’ Neill Hawkins und Kris gebildet werden solle, um die Herausgabe zu überwachen. In der Anna Freud – Edith Jackson Korrespondenz aus den Jahren 1950/51 finden sich zahlreiche Briefe, in denen auf dieses Projekt Bezug genommen wird.[284] 

Sibylle Escalona, Otto Fleischmann und Paul Bergmann wollten einen Aichhorn Artikel über psychoanalytische Erziehungsberatung nicht zuletzt mit der Hoffnung, damit seine Witwe finanziell unterstützen zu können, übersetzen und veröffentlichen, Klara Wolf wollte aber nicht darauf verzichten, die Arbeit in ihre Sammlung aufzunehmen. Anna Freud meinte dazu, die Arbeit könne doch ruhig zweimal erscheinen, es sei umso besser, je mehr Leute Aichhorn lesen könnten. 

Nach Aichhorns Tod meldeten International Universities Press und Basic Books ihr Interesse an einem Aichhorn-Sammelband an. Klara Wolf bezog Hanna Fenichel, Willi Hoffer und Marianne Kris in die Vorbereitungsarbeiten mit ein. Nach 1951 ist von diesen Plänen und Projekten keine Spur mehr zu finden, der Name Klara Wolfs verschwindet aus den bisher gesichteten Briefwechseln.[285]

 

Rosa Dworschak (1896-1990) wurde in St. Peter im Sulmtal in der Steiermark geboren. Ein Onkel ihrer Mutter war der Komponist Robert Fuchs,[286] ihr Vater war Militärkapellmeister, später Ministerialbeamter. Er spielte und unterrichtete Geige und dirigierte eine eigene Salonkapelle, mit der er auch seine Kompositionen aufführte. Ihren ersten Musikunterricht erhielt Dworschak von ihrem Vater. 

Schon als Jugendliche war sie Mitglied der Guttempler, einer Organisation zur Bekämpfung der Trunksucht, und organisierte Ausflüge mit Trinkerkindern. Nach dem Besuch der Pflichtschule und einer Handelsschule besuchte sie die von Ilse Arlt[287] begründeten „Vereinigte Fachkurse für Volkspflege“.

1916 trat Dworschak eine erste Anstellung als Kücheninspektorin im Kriegsflüchtlingslager Gmünd, Niederösterreich, an. 1917 wechselte sie ins Wiener Jugendamt über, wo sie Aichhorn kennen lernte. In einem Interview berichtete sie: „Meine erste Begegnung mit Aichhorn war am 2. 1. 1917, da bin ich ins Jugendamt eingetreten. […] Dann bin ich nach Pottendorf gekommen und zur selben Zeit hat Aichhorn schon die Vorbereitungen gehabt für Hollabrunn. Er hat mich dann schon näher gekannt und hat gesagt, er muß dieses Barackenlager übernehmen, um es verwenden zu können. Es war damals, 1918, noch für Flüchtlinge, ich soll aber mitfahren und ihm dabei helfen Medikamente zu sortieren und anderes. Unterwegs hat er mir Vorträge gehalten und die Schriften von Sigmund Freud vorgelesen. Ich habe gefunden: ein furchtbarer Blödsinn. Ich habe ihm das auch gesagt und er hat in seiner Art - er hatte eine so ruhige Art, er hat nie irgendwie dagegen gesprochen - gesagt: Ja, aber es wird schon was Wahres dran sein! Das habe ich mir gemerkt, es hat auf mich einen großen Eindruck gemacht und ich habe mich dann mehr damit beschäftigt. Dann hat er mir, wie Hollabrunn eröffnet worden ist, gesagt, entweder muß die Baderle-Hollstein[288] oder ich mit hinaus kommen als Fürsorgeleiterin. Ich habe gesagt, nein, ich geh’ von Pottendorf nicht weg und da ist die Trude Baderle gegangen.“[289]

Von 1919 bis 1920 leitete sie das Erholungsheim für Kriegerwitwen und -waisen in Pottendorf, Niederösterreich. Als das Heim geschlossen worden war, kehrte sie ins Wiener Jugendamt zurück und arbeitete an verschiedenen Bezirksjugendämtern. 

Als Aichhorn ab 1923 seine Tätigkeit als Erziehungsberater in den Wiener Bezirksjugendämtern aufgenommen hatte, Dworschak arbeitete damals als Fürsorgerin im Jugendamt Ottakring,  begegneten sie einander wieder. Sie besuchte die pädagogischen Kurse der WPV und war auch einige Zeit bei Aichhorn in Analyse. 

Damals lernte Dworschak Anna Freud, die Aichhorn oft begleitete, und Dorothy Burlingham kennen und sie befreundete sich mit Margaret Mahler-Schönberger, die in einer Schule, der Dworschak als Fürsorgerin zugeteilt war, Schulärztin war. Ein umfangreicher Briefwechsel bezeugt ihre Freundschaft.[290]

In ihrer Arbeit „Sozialarbeit in vergangenen schwierigen Zeiten“[291] berichtete sie über die Zeit des Nationalsozialismus: „Der großen Arbeitslosigkeit folgten verschiedene, durch die wechselnde Politik schwer erträgliche Zeiten. Eine Hilfe, sie nicht resignierend durchstehen zu müssen, war der engere persönliche Zusammenschluß unter den Helfern selbst. […] Die Befürsorgten erlebten in diesen Zeiten und später in der Kriegszeit weniger Not aber viel Angst. Das Versagen wurde sehr ernst genommen von der herrschenden Gesellschaft. […] Versagen der Kinder in der Schule, kleine Diebstähle oder andere Vergehen konnten zu einer Zerstörung der Familie führen. Besonders stark war die Angst bei denen, die bereits einmal mit dem Gesetz in Konflikt geraten waren oder bei Eltern, deren Kinder in einem Heim lebten.“[292] 

In einem Interview berichtete sie über diese Zeit: „Der Fürsorgerinnendienst hatte darin bestanden, daß man aufgepaßt hat. Ich erinnere mich, ich habe auch als Erziehungsberaterin damals gearbeitet; dass ein Mann, obwohl sein Kind immer nur gestohlen hat, gesagt hat, ich geb’ es nicht her, ich geb’ es nicht her! […] Bis ich draufgekommen bin, daß er nicht wütend war, sondern wahnsinnige Angst gehabt hat vor der Polizei usw. und die Fürsorgerin hat mir dann mitgeteilt, daß sowohl er, wie auch schon sein Vater gesessen haben, also schon in Haft waren und er diese Angst hatte, jetzt kommt also der Enkel, dann ist die Familie erledigt. Man hat damals nicht sehr viel Geschichten gemacht in der Lage. […] Die erste Einstellung war, daß Aichhorn gesagt hat, mir ist die Gesellschaft ganz gleichgültig, ich will den Verwahrlosten, den will ich haben, dem will ich zeigen, daß er sich sein Leben verdirbt und nicht seine Wirkung auf die anderen, die ist mir gleichgültig!’ […] Dr. Brainin: ‚Wie war das während des 2. Weltkrieges, was haben Sie da gemacht?’ Prof. D.: ‚Da war es sehr wichtig, welche Beziehung die Menschen herstellen konnten. Ob sie einem vertrauen konnten, man hat also grundsätzlich im Amt nie politisiert.’ Dr. Brainin: ‚Waren Sie im Bezirksjugendamt wie bisher?’ Prof. D.: Ja, ich habe weiter im Jugendamt gearbeitet und die haben mich später als Erziehungsberaterin genommen, was mir sehr unangenehm war. Sie nahmen mich für die gefährdeten Mädchen in den Anstalten. Das waren lauter klösterliche Anstalten noch und die Klosterschwestern haben Angst gehabt und haben mir natürlich die schwierigsten Fälle vorgestellt und ich sollte etwas reparieren, das war eine unangenehme Arbeit.’ […] Dr. Brainin: ‚Ich stelle mir vor, war es doch gerade so in solchen Situationen, wenn die Jugendlichen sehr gefährdet waren, sind sie doch sofort verschickt worden oder in Lager gekommen, etc.’ Prof. D.: ‚Natürlich, sehr häufig. Ganz zum Ende des Krieges hat man im Steinhof [das Psychiatrische Krankenhaus Wiens, in dem eine ‚heilpädagogische Abteilung’, ‚Am Spiegelgrund’, untergebracht war][293] geräumt und zwar die Debilen. Da sind wir, die Fürsorgerinnen, die wir davon erfahren haben, zu den Eltern gegangen und da haben wir zwar nicht politisiert, aber wir haben ihnen gesagt, die Kinder kommen wahrscheinlich nach Deutschland und wenn sie können sollen sie sie herausnehmen. Es ist kein Gerichtsbeschluß da gewesen, sondern die Kinder waren nur zur Erziehung dort. Da sind doch noch sehr viele Kinder dann herausgenommen worden. Das war das einzige, wo wir ihnen helfen konnten. Die anderen sind natürlich verschwunden. Genauso wie ein Vorbestrafter eine schreckliche Angst gehabt hat, daß man ihn auch ausmerzt. […] Was wir gemacht haben? […] Wir haben musikalische Abende gemacht, heben musiziert und wir haben uns alle gut verstanden. Da war kein Nazi dabei. Aber grauslich war der Anfang, wie man auf einmal schon Nazi war, auf einmal eine große Rolle gespielt wurde. […] Und das Ärgste war natürlich der Schulungskurs. Ich denke mir jetzt manchmal, mir könnte man manches vorwerfen, dann wir mußten alle diese Schulungskurse[294] machen. Da kam ein Arzt aus Deutschland, der uns über die Vererbung unterrichtet hat und ganz klar über die wunderbare deutsche Rasse sprach und zum Schluß mußten wir eine Arbeit machen, eine Schlußarbeit, wo wir zeigen mußten, wie  wir die jetzige Zeit einschätzen.“[295]

Dworschak studierte während der Zeit, als  sie als Sozialarbeiterin arbeitete, bei dem Schönbergschüler Paul Pisk[296], bei Ferdinand Rebay[297] und bei Karl Schiske[298] Komposition. Sie hinterließ zahlreiche Kompositionen – u. a. Lieder, Kammermusik, eine Suite für Bariton und Streichorchester, symphonische Musik mit konzertierendem Violoncello, vier Chöre für kleinen gemischten Chor und Streichquartett und „Der Mensch“ für Sopransolo, gemischten Chor, Orgel und Streichorchester – und erste Skizzen für eine Märchenoper, „Das Feuerlied“, nach einem Libretto von Theon Spanudis.[299]

Nach 1945 war Rosa Dworschak eine der einflussreichsten Fürsorgerinnen und Therapeutinnen in der Verwahrlostenbetreuung und trat maßgeblich für die Modernisierung der Fürsorge ein. Im Herbst 1945 begann sie, zusammen mit Friedl Aufreiter und August Aichhorn, den Kurs „Einführung in die Erziehungsberatung für Erziehungsberater des Städtischen Jugendamtes und für Berufsberater des Wiener Arbeitsamtes“, aus dem das von 1946 bis zum Wintersemester 48/49 abgehaltene „Seminar für Psychoanalytische Erziehungsberatung der WPV“ hervorging.[300]

Mit Hedwig Bolterauer baute sie die Erziehungsberatung der WPV auf. Sie sollte ursprünglich für längere Zeit in die USA gehen, um dort die Arbeit an einer Child Guidance Clinic zu studieren. Der dafür nötige Urlaub wurde ihr nicht bewilligt. Stattdessen machte sie 1948 eine Studienreise nach Genf und in die Niederlande. 1949 wurde sie, mit einem Vortrag über ihre Erfahrungen während dieser Studienreise, Mitglied der WPV. Im selben Jahr begründete sie die erste öffentliche Wiener Child Guidance Clinic, das Institut für Erziehungshilfe, an dem sie bis zu ihrer Pensionierung 1962 als Erziehungsberaterin und Therapeutin für Kinder und Jugendliche arbeitete. 1950 gründete sie zusammen mit Lambert Bolterauer die „August-Aichhorn-Gesellschaft“, die die Aufgabe hatte, Themen der Psychoanalyse in öffentlichen Vorträgen zu verbreiten.

Dworschak war eine der Initiatorinnen des „Kurses für psychiatrische Fürsorgerinnen“, sie unterrichtete an der Schule für Sozialarbeit der Caritas und in den Kursen der „Österreichischen Bewährungshilfe“. Noch während ihrer beruflichen Arbeit und auch nachdem sie pensioniert worden war, regte sie in vielen Lehrgängen und Vorträgen in den deutschsprachigen Ländern Sozialarbeiter dazu an, sich mit der Case-Work-Methode vertraut zu machen. Auch nach ihrer Pensionierung blieb sie bis ins hohe Alter als Vortragende und Supervisorin für Sozialarbeiter, Bewährungshelfer und Erzieher tätig. 

Die Liste ihrer veröffentlichten Arbeiten umfasst etwa 24 Titel, ihr 1969 veröffentlichtes Buch „Der Verwahrloste und seine Helfer, aus der Praxis des Sozialarbeiters“[301] ist von ihrem Interesse an den theoretischen Fragen des Verstehens und den praktischen Hilfsmöglichkeiten in Bezug auf Verwahrlosung und Kriminalität getragen. Sie zeigt auf, dass auch beste Kenntnisse nicht zu befriedigenden praktischen Ergebnissen führen können, wenn nicht im Helfer auf Grund seiner persönlichen Reife schöpferisch-intuitive Kräfte wirksam sind. 

Im Juni 1971 schrieb ihr K. R. Eissler über das Buch: „Ich wollt es rasch überfliegen + Ihnen meinen Eindruck übermitteln. Ihre Sprache hat mich aber so gefesselt, dass ich es genau gelesen habe. Ihre Sprache ist sehr anheimelnd + anziehend, man fühlt sich in ihr sehr wohl. Sie erinnert sehr an Gottfried Keller. Man merkt dies besonders an den klinischen Berichten. Gewöhnlich schreiben Autoren zu viel oder zu wenig, wenn sie klinisches Material darstellen. Ihre Art ist bestechend dadurch, dass man sich das Tatsächliche lebhaft vorstellen kann, niemals das Gefühl hat, man müsse mehr wissen, um Ihren Konklusionen folgen zu können oder ungeduldig wird, weil Unnötiges berichtet wird. Eine solche Kongruenz zwischen dargestelltem + Erschlossenen habe ich bei keinem anderen Autor empfunden. Die Kunst Ihrer Sprache erstreckt sich auch auf das Theoretische. Sie stellen Bekanntes so originell dar + treten dabei in den Hintergrund, dass man Bekanntes vermeint zum ersten Male zu hören. […] Sie haben dem Andenken Aichhorns einen großen Dienst erwiesen. Sie haben seine Lehre schöner dargestellt als es ihm je gelungen ist. Sie haben sie weitergeführt + bereichert. Es tut mir weh, dass er das kleine Buch nicht lesen kann, es hätte ihn so gefreut. Wir alle, die von Aichhorn so viel gelernt haben und ihm so viel schulden, sind Ihnen zu Dank verpflichtet, denn Sie haben hier etwas geleistet, was die Pflicht von uns allen ist. Die meisten wandten sich anderen Erkrankungsarten zu. Wer hat den Idealismus bei den Verwahrlosten zu bleiben. Nur wenige wie Sie. So haben Sie dazu beigetragen, das schlechte Gewissen vieler seiner Schüler zu mäßigen. Auch dafür danke ich Ihnen sehr.“[302]

Rosa Dworschak antwortet ihm: „Lieber Dr. Eissler! Können Sie überhaupt ahnen, wie sehr mich Ihr Brief freut? Ich habe ihn mehr als einmal gelesen und jedes Mal ist es mir, als hätten nur Sie völlig verstanden, warum dieses Buch geschrieben wurde. Als Aichhorn starb, hatte ich das Gefühl, nun bliebe mir nur mehr die Identifizierung mit ihm, ein gemeinsames Weiterleben auf seinem Arbeitsgebiet. Damals habe ich begonnen, Vorträge zu halten. Ich war in mehr als dreißig deutschen Städten und habe zu Fürsorgerinnen gesprochen, ich raufte mich mit der deutschen Art herum und konnte mich besser mit den Norddeutschen verständigen. Das Hilfsmittel war das gemeinsame Interesse an der Arbeit. Und dann trieb es mich dazu, niederzuschreiben, was ich durch Aichhorn, durch die Psychoanalyse überhaupt und durch meine praktische Arbeit gelernt hatte. […] Sicher kommen Sie zum Kongreß nach Wien und werden mitten in dem Trubel stecken. [1971 hat der 27. Kongress der IPV in Wien stattgefunden. Anna Freud war damals zum ersten Mal seit 1938 wieder in Wien]. Die Vorbereitungen allein müssen in einem Ausmaß erfolgen, daß mir die Teilnehmer jetzt schon unheimlich sind. Anna Freud tut mir leid, ganz wird sie sich dem nicht entziehen können. Vielleicht, und das hoffe ich, kann ich Sie doch begrüßen und Ihnen persönlich nochmals danken für Ihren Brief.“[303]

In einem Nachruf schrieb Lizzi Mirecki: „Kaum ein anderer verstand es wie sie, die selbst schöpferisch begabt, das eigenständige, intuitive Handeln im anderen zu erkennen und zu fördern. Dem Helfer sowie dem Hilfsbedürftigen konnte sie ein Maß an Sicherheit vermitteln, das ihn befähigte, sein Handeln zu überdenken. Da man sich seiner Handlungsweise nicht mehr schämen mußte, konnte man die eigene Impulsivität und die durch eigenes Vorurteil oder Erlebnis bedingte Befangenheit eingestehen. Immer regte sie zur Reflexion des eigenen Handelns an bzw. half sie, einem Unerklärliches zu erklären. Dazu bediente sie sich einer ähnlichen Geschichte, um der Betroffenheit des Nichtsahnenden Zeit und Raum zu lassen. Das ‚Erleben lassen’ war für Prof. Rosa Dworschak ein sehr wichtiges Element in jeder von ihr angewendeten Gesprächsform. […] Ein auf das sozialarbeiterische Arbeitsfeld passendes Wort möge diese Erinnerungen ausklingen lassen: ‚Merkt auf! Die Zeit ist sonderbar. Und sonderbare Kinder hat sie: Uns! Wer allzu sehr verliebt ist in das Süße, erträgt uns nicht, denn unsre Art ist herb, und unsre Unterhaltung wunderlich.’“[304]

 

Walter Hollitscher (1911-1986) schrieb am 19. März 1936 an Anna Freud: „Der Zweck dieser Beschreibung meines bisherigen Lebenslaufes ist es, mein Ersuchen um meine Aufnahme als Schüler des analytischen Institutes, zu unterstützen. Das Ziel meiner Ausbildung, deren lehranalytischen Teil durchzuführen sich Herr Dr. E. Hitschmann bereit erklärt hat, ist für mich, die theoretischen und praktischen Kenntnisse zu erwerben, die auch zur Ausübung der analytischen Praxis befähigen und berechtigen. Ich wurde am 16. Mai 1911 in Wien geboren. Mein Vater ist Kommerzialrat Paul Hollitscher. Er lebt gegenwärtig in Prag. Wir beide sind österreichische Staatsbürger evangelischer Konfession. Nachdem ich die Volks- und Mittelschule [...] absolviert hatte, inskribierte ich an der Wiener Hochschule; zuerst 4 Semester an der medizinischen Fakultät und dann 4 Semester an der philosophischen Fakultät. [...] Im November des Jahres 1934 [konnte ich] zum Doktor der Philosophie (mit Auszeichnung) promovieren. [...] Das Thema meiner Dissertation: 'Über Gründe und Ursachen des Streites um das Kausalitätsprinzip in der gegenwärtigen Physik'. Mein Lehrer ist Prof. Moriz Schlick. In seinem Institut arbeite ich ständig. Der Gegenstand meiner bisherigen Spezialstudien und –arbeiten: die Logik und die Soziologie und Psychologie des Wissenschaftsbetriebes, hat mir eine intensive Beschäftigung mit der Theorie der Psychoanalyse als notwendig erscheinen lassen. (Mein Interesse für diese Theorie ist seit 6 Jahren äußerst rege.) Die, mir auch durch Herrn Dr. Federn vermittelte, Einsicht dass diese Theorie nur nach der eigenen Analyse hinreichend erfasst werden kann, hat mich schon seit Jahren eine Lehranalyse anstreben lassen. Zu diesen, für mich bereits hinreichenden, theoretischen Grünen ist nun das, für einen, der seinen Lebensunterhalt als Lehrer von Hochschülern erwerben muss, verständliche praktische Motiv hinzugekommen, durch eine Qualifikation als Psychoanalytiker die Chancen eines Verdienstes zu erhöhen. [...] Gleichzeitig möchte ich – wozu mich Herr Dr. Hitschmann aufforderte – die ausdrückliche Erklärung angeben, dass ich mich während der Zeit meiner analytischen Ausbildung jeder vom Gesetz verbotenen politischen Tätigkeit enthalten werde."[305] Hollitscher war bereits mit 13 Jahren der Jugendorganisation der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei beigetreten und 1929 wurde er Mitglied der KPÖ.

Am 4. 5. 1938 schreibt Anna Freud an Ernest Jones: „Bei den Bewerbungen für England habe ich doch noch eine vergessen, wahrscheinlich weil der betreffende Kandidat nicht mehr hier in Wien ist. Das ist der Dr. Walter Hollitscher, Dr. phil. und stud. med. Ich glaube, er würde Dir, wenn Du ihn siehst, besonders gut gefallen; ein sehr anderer Typus als die anderen, ein richtiger Wissenschaftler, sehr gebildet mit sehr guten Formen, zur wissenschaftlichen Hilfsarbeit sehr gut zu gebrauchen. Er war jetzt außer Wälder der einzige Angestellte der Bibliographischen Zentralstelle und ist seit einem Jahr damit beschäftigt, den Index der Zeitschriften etc. zu machen. [...] Er hat während der Analyse das Medizinstudium begonnen, um nicht Laienanalytiker zu werden. Ich weiß nicht, was für eine Art Erlaubnis so jemand für England braucht, eine Studienerlaubnis? [...] Ich glaube tatsächlich, er ist ein junger Mann, von dem man später etwas haben wird.“[306]

1938 floh Hollitscher über Zürich nach London. Er war dort Assistent der British Psychoanalytical Society und hat wesentlich dazu beigetragen, dass der Band 18 der Gesammelten Werke Freuds, das Gesamtregister, zu Stande kam. Er war außerdem Sekretär und Vizepräsident des Austrian P.E.N. in London, Vizepräsident des Austrian Center und er war im Rahmen des Free Austrian Movement tätig.

Am 3. 2. 1946 schreibt Willi Hoffer über Hollitscher an Aichhorn: „Ich muß Dir auch schreiben, dass in etwa zwei Wochen Dr. phil. Walter Hollitscher aus London nach Wien zurückkehren wird. Er war in Wien bei Dr. Grete Bibring in Lehranalyse und ein Kandidat des Wiener Instituts. Er hat nach der Abreise von Bibrings nach Amerika die Analyse bei mir beendet und die volle Ausbildung am hiesigen psychoanalytischen Institut gehabt. Seine Kontrollanalytiker waren Mrs. Dorothy Burlingham und Miss Ella Freeman Sharp, eines der ältesten und angesehensten Mitglieder hier, eine der wenigen Freudianer unter den englischen Analytikern. Er wurde associate Mitglied 1942/43 und hat seither ich glaube 6 Stunden täglich Patienten analysiert, meistens Engländer. Er hätte hier wegen seines theoretischen Wissens und auf Grund seiner leichten Auffassungsgabe sicher eine führende Rolle spielen können, aber er hat sich immer gewünscht nach Österreich zurückzukehren. Das tut er nun und ich hoffe, dass er Dir eine Hilfe sein wird, das Institut aufzubauen und das er dafür einige Zeit sich frei halten wird.“[307] 

Bei der Feier zur Wiedereröffnung der WPV war Hollitscher als Repräsentant der britischen Vereinigung anwesend, und er hat auch an den ersten Geschäftssitzungen der WPV teilgenommen. Er war als Mitarbeiter in der Wiener Volksbildung und des Instituts für Wissenschaft und Kunst tätig, 1947 wurde er Konsulent für Wissenschaft im Amt für Kultur und Volksbildung der Gemeinde Wien. Aus der WPV – er ist auf den Mitgliederlisten bis 1948 eingetragen – ist Hollitscher 1947 ausgetreten. 

Von 1949 bis 1953 war Hollitscher Professor für Logik und Erkenntnistheorie an der Humboldt-Universität Berlin/DDR. Auf einer Tagung in Leipzig – sie hat am 15. und 16. Jänner 1953 stattgefunden – hielt Hollitscher einen der Hauptvorträge. In diesem Vortrag bezeichnete er den Gegensatz zwischen Pawlows Lehren und der Psychoanalyse als unversöhnlich. In der Lehre Freuds hätte das „Unbehagen in der imperialistischen Phase der kapitalistischen Gesellschaftsordnung [...] einen wissenschaftsfeindlichen und antihumanen Ausdruck gefunden.“[308]

Nach seiner politischen bedingten Rückkehr aus Berlin nach Wien wurde Hollitscher Wissenschaftskonsulent des Zentralkomitees der KPÖ, dem er ab 1965 auch als Mitglied angehörte. Ab 1966 war er Gastprofessor für philosophische Probleme der Naturwissenschaften an der Karl-Marx-Universität Leipzig (vgl. Aichhorn Th. 2006).

 

Robert Hans Jokl (1890 – 1975) wurde in Hullein (Hulín), Bezirk Kremsier (Kroměříž), Ostmähren, geboren. Sein Vater war jüdisch, er selbst war römisch-katholisch.[309]

Nachdem Jokl am Staatsgymnasium in Pressburg (Bratislava )  maturiert hatte, inskribierte er im Wintersemester 1910/11 an der Wiener Universität Medizin. Er setzte sein Studium an der Karl Ferdinand Universität in Prag fort, wo er zunächst Meeresbiologie und Philosophie und dann wieder Medizin studierte. Er promovierte 1915. 

Während des Ersten Weltkriegs war Jokl als Arzt in der Österreichisch-Ungarischen Armee, zunächst an der Ostfront, dann in Italien eingesetzt worden. In Italien wurde er gefangen genommen und verbrachte ein Jahr als Kriegsgefangener in Monte Cassino: „In World War I, as a member of the Austro-Hungarian army, he conducted typhus research and was sent to the eastern front to clean up a cholera epidemic. He concentrated typhus fever, narrowly escaping death. Later he was captured by the Italien army and spent a year in Monte Cassino as prisoner of war.”[310]

Nach der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft ging Jokl nach Wien und absolvierte seine psychiatrische Ausbildung unter Julius Wagner-Jauregg und Otto Pötzl. 

In einem Interview, das Jokl Paul Roazen gegeben hat, berichtete er, dass er von Freud zum ersten Mal gehört habe, als er in Zürich bei Bleuler studierte, wohin er als Austauschassistent zur Ausbildung in Neurologie geschickt worden war. Bleuler hätte ihm geraten, Freud aufzusuchen, sollte er jemals nach Wien kommen.[311] Ohne vom Bruch zwischen Freud und Wilhelm Steckel etwas zu wissen, hatte Jokl, der während seiner Gefangenschaft in Italien einen Sohn Wilhelm Steckels kennengelernt hatte, Stekel aufgesucht. Steckel habe ihm geraten, Freud aufzusuchen.[312] Er sei dann, im Frühjahr 1919, zweieinhalb Monate in Analyse bei Freud gewesen: „Freud hatte ihn nur ‚kurze Zeit’ behalten; er hatte ihm schon von vornherein gesagt, daß er ihn an jemand anderen ‚weitergeben’ würde, sobald er genügend Klarheit gewonnen hätte, um zu entscheiden, wer in seinem Fall am besten geeignet war. Als er ihn dann schließlich an einen anderen Analytiker verwiesen hatte, hatte er ihn nochmals daran erinnert, daß er ihm ja von Anfang an gesagt hatte, daß seine Zeit so sehr von Ausländern in Anspruch genommen wurde, daß er Einheimische nur kurze Zeit behalten konnte.“[313] Anschließend an die Analyse bei Freud war Jokl bei Paul Federn in Analyse. Kontrollanalysen machte er bei Eduard Hitschmann und Siegfried Bernfeld.[314]

An den Sitzungen der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung hatte Jokl ab November 1919 teilgenommen, am 8. 12. 1920 hatte er den Vortrag „Zur Psychogenese des Schreibkrampfes“[315] gehalten. Zum Mitglied der WPV wurde er im Herbst 1921 gewählt. Von 1925 bis 1932 war Jokl Schriftführer und 1927 Mitglied des Propagandakomitees der WPV. Im Wintersemester 1923/24 hielt er Lehrveranstaltung im Rahmen des Ambulatoriums der WPV (Klinik und Ätiologie der Berufsneurosen).

Jokl war Mitglied des Vereins für Neurologie und Psychiatrie. Neben seiner Privatpraxis war er bei der Allgemeinen Krankenkasse, beim Invalidenamt, bei den Wiener Straßenbahner und bei der Kasse der Angestellten der Postsparkassen tätig. Jokl war Facharzt beim Jugendgericht und er betrieb Forschungen zur Frage der Regeneration von Nerven unter dem Einfluss von Radium am Lainzer Spital.[316] Unter seinen Analysanden finden sich Grete Bibring, Otto Isakower, Otto Sperling, Jenny Wälder Hall und Robert Wälder.

Am 1. August 1938 floh Jokl ist zusammen mit seiner zweiten Frau Magda, geb. Blumenstein,[317] über die Schweiz nach Frankreich. In einem Schreiben an den „Hilfsfond“ vom 1. 2. 1977 schrieb Magda Jokl: „Mein Mann musste auswandern als Halbjude, und weil er mit mir, einer Jüdin, verheiratet war.“[318]

Im Oktober 1938 schrieb Anna Freud an Paul Federn: „Von Jokl kommen verzweifelte Briefe aus der Schweiz. Er weiß nicht wohin. Hier in England sind die Möglichkeiten für permits wohl erschöpft. Jones wäre auch für Jokl nicht zugänglich. Was soll man mit ihm machen?“[319] Warum Jones für Jokl nicht zugänglich war, konnte bisher nicht geklärt werden. Es ist insofern bemerkenswert, als Jokl, wie er Roazen erzählte, ein Cousin von Jones zweiter Frau Katherine war.[320] An Jokl selbst schrieb Anna Freud im Mai 1939: „Sehr geehrter Herr Doktor! Ich habe mich erkundigt und konnte nur erfahren, daß Ihre Angelegenheit bei dem zuständigen Komité noch in Bearbeitung ist. Sonst konnte ich nichts machen und ich weiß von anderen Fällen, daß es sehr schwer ist, eine offizielle Bestätigung zu erreichen, ehe ein Komité sich entschieden hat, weil so eine Bestätigung eben schon eine Festlegung für das Komité bedeutet. Ich kann nur aus anderen Erfahrungen her sagen, daß die beste Art eine Erlaubnis für hier zu beschleunigen, die Bestätigung für die Möglichkeit der Weiterreise sind. Wenn man die beibringen kann, dann geht es gewöhnlich sehr viel schneller. Wenn Sie so etwas haben, dann schicken Sie es an Dr. Rickman. Vielleicht kann er etwas machen. […] Es tut mir sehr leid, daß ich nicht mehr machen kann. Mit bestem Gruß, Ihre Anna Freud.“[321]

Da es nicht gelungen war, eine Einreiseerlaubnis nach England zu bekommen, flohen Jokl und seine Frau weiter nach Frankreich. Dort lebten sie, jeweils für einige Monate, in Pau, in Nizza, in Avignon und schließlich in Vaison la Romaine. Im Juli 1942 wurden sie verhaftet und in das Lager Noe und anschließend, im November 1943, in das Lager Masseube gebracht, wo sie auch noch nach ihrer Befreiung bis zu Jokl Abreise nach Wien im Mai 1946 geblieben sind. Jokl war im Lagerlazarett von Masseube als Lazarett-Chef beschäftigt. Er hat seinen Dienst auch noch nach der Befreiung freiwillig fortgesetzt.[322]

Im Juni 1946 schrieb August Aichhorn an Anna Freud: „Dr. Jokl, der von Frankreich nach Wien zurückkehrte, war bereits 3 Wochen in Wien, bevor er sich bei mir meldete. Er wußte nicht, daß wir existieren und las zufällig unsere Kursankündigung in der Zeitung. Er ist völlig mittellos, ich borgte ihm 1000,-Schilling. Er ist sehr gealtert. […] Wie er sich einleben wird?“[323]

In einem Schreiben vom 11. Mai 1948 bestätigte Aichhorn: „Herr Dr. Robert Jokl hat seit seiner Rückkehr aus dem Exil im Mai 1946 in der von Prof. Sigmund Freud im Jahre 1908 gegründeten, 1938 von den Nationalsozialisten aufgelösten und von mir im April 1946 wieder ins Leben gerufenen Wiener Psychoanalytischen Vereinigung als Obmann des Lehrausschusses außerordentlich erfolgreich mitgearbeitet. In seinen Arbeitsbereich fielen Lehranalysen, Kontrollanalysen und die theoretische Ausbildung der Ausbildungskandidaten, sowie die theoretische Fortbildung der Mitglieder. Besonders erwähnenswert ist noch seine tätigkeit in den wissenschaftlichen und technischen Seminaren, sowie seine Vortragstätigkeit.“[324]

Jokl konnte sich in Wien nicht mehr einleben. Ein wesentlicher Grund dafür dürfte eine heftige Ehekrise gewesen sein. Magda Jokl war in Frankreich zurückgeblieben und weigerte sich, ihrem Mann nach Wien nachzukommen. Sie weigerte sich, den Anschein zu erwecken, mit ihm in einer guten Beziehung zu leben. Er schrieb an sie: „Die ganzen misslichen Umstände, die uns von Anfang an verfolgt haben, weil wir das Unglück hatten, an dieser misslichen Zeitwende zu heiraten, hast Du bedenkenlos mir zur Last gelegt und damit den Grundstein für alle Zerwürfnisse gesetzt. […] Die Internierung habe ich als Befreiung empfunden und dort auch wieder meinen Mann gestellt und mich durchgesetzt. Daß die Deinen dafür kein Verständnis hatten, hat mich nicht gewundert und nicht irritiert, aber daß Du es mir versagt hast, hat mich nicht weniger verwundet als die frühere Erfahrung, daß Du mich ungerecht beleidigen ließest, ohne meine Partei zu ergreifen. Das war der Anfang unseres Zerwürfnisses und es wurde nur tiefer, als Du mir im Lager bei 100 %-ig gebundenen Händen den Vorwurf machtest, daß ich nie für Dich gesorgt hätte, während ich mich in meiner Hilflosigkeit gewunden habe wie ein Wurm.“[325]

Dazu kamen noch die schwierigen und mühevollen Lebensverhältnisse im Nachkriegs-Wien, mit denen Jokl allein und ohne Magdas Hilfe fertig werden musste. Er schrieb an Magda: „Du [darfst] Dir das nicht so einfach vorstellen, für 90 S bekommst Du nicht einmal einen Sessel, falls er überhaupt aufzutreiben ist. Ich ziehe vor, auf Gelegenheiten zu warten, die Sachen werden billiger werden, wenn der Schilling einmal notiert, und überdies bin ich auf die Einrichtung einer Naziwohnung vorgemerkt und wenn Gott hilft, werde ich sie auch bekommen. […] Tatsache ist, daß Deine eigensinnige Abwesenheit mich, d. h. uns, sozial schwer schädigt. Das macht sich jetzt besonders geltend. Seit einer Woche ist in der Praxis eine Stagnation eingetreten, die sich allgemein schon längst bemerkbar gemacht hat. Hätte ich nicht zu meiner Berufsarbeit noch die ganze Bürde der wirtschaftlichen Verpflichtungen zu tragen, die es mir unmöglich machen, die Vormittage regelmäßig auszunützen, hätte ich mindestens 3 solche Behandlungen mehr und eine vorübergehende Stagnation würde gar keine Rolle spielen. So aber ist der Ausfall empfindlich. Ich brauche Zeit für die Ambulatoriumsarbeit, denn von dort her werde ich meine besten Fälle beziehen, wodurch sie sich auch reichlich bezahlt machen wird, vorausgesetzt, daß ich die Zeit dazu finde. […] Die kommende Woche werde ich die Vormittage wieder okkupiert haben, weil ich mich um die Holzbeschaffung kümmern muß. Ich muß in die Ärztekammer und wenigstens zweimal auf das Wirtschaftsamt. Die diesbezüglichen Verhandlungen mit der Kammer sind jetzt erst perfekt geworden. Die Formalitäten beim Kohlenhändler wird mir die Wirtschafterin erledigen. Einen Vormittag werde ich wieder für das Wohnungsamt brauchen.“[326] Und im Oktober 1947 schrieb er an Magda: „[…] Seit einer Woche liegt meine Wirtschafterin mit einer schweren Polyneuritis und ich bin gerade jetzt wieder so gut wie ganz auf mich angewiesen, wo ich alle Hände voll zu tun habe. Gerade daß eine Bedienerin mir an den Wochentagen vormittags flüchtig mein Zimmer in Ordnung bringt, mehr war nicht zu erreichen. Ein Problem ist schon das Einlassen der Patienten, da meine Ordination vom Eingang weit entfernt ist und ich das Läuten kaum höre. Überdies bin ich ständig gestört. Mir abends etwas zu kochen fehlt es mir an Zeit und Möglichkeit und so müssen die Konserven dran glaube, die rasch zusammenschmelzen. In einigen Wochen soll ich meinen Vortrag halten. Er führt den Titel: ‚Probleme der Psychoanalyse und ihre Indikation als Behandlungsmethode‘ Ich muß ihn ganz ausarbeiten, da er in der „Wiener Medizinischen Wochenschrift“ oder als Broschüre erscheinen soll. Nächste Woche habe ich noch eine Unterredung mit Prof. Kauders. Ferner musste ich mich verpflichten, noch in diesem Wintersemester ein Kolleg über ‚Freuds Neurosenlehre und Probleme der Technik’ zu beginnen, nur für Studenten, 1 mal wöchentlich je 1 ½ Stunden, ¾ Stunden Vortrag und ¾ Stunden Seminar, bzw. Diskussion. Es gibt also genug zu tun und wie ungelegen mir gerade jetzt die Erkrankung meiner Wirtschafterin gekommen ist, wirst Du jetzt begreifen. Heute war ich schon um ½ 7 Uhr früh auf den Beinen. Ich hatte eine Vorladung zum ‚Verband der Abstammungsverfolgten’ […] und musste als Nichtjude eine politische Unbedenklichkeitserklärung mitbringen, die ich mir vorher beim Magistratischen Bezirksamt beschaffen musste. Morgen habe ich mich mit sämtlichen Personaldokumenten und der Registrier-Bestätigung des Verbandes für Abstammungsverfolgte bei der Registrierabteilung der Amerikanischen Militärregierung einzufinden. Pakte wird man von nun an nur gegen Vorweis des Registrierscheines ausgefolgt erhalten. Das kostet mich wieder jedes Mal einen Vormittag.“[327]

Schon bald nach seiner Ankunft in Wien hatte Jokl begonnen, sich bei seinen ehemaligen, jetzt in den USA lebenden Schülern, nach Arbeitsmöglichkeiten dort zu erkundigen. Im September 1947 schrieb er an Karl Menninger, den Leiter der Menninger Klinik in Topeka, Kansas. Er hatte erfahren, dass Menninger auf der Suche nach einem Psychoanalytiker war und bewarb sich um eine Anstellung bei ihm: „Wie ich hier und von amerikanischen Kollegen erfahren habe, suchen Sie für Ihren klinischen Betrieb einen geeigneten Mitarbeiter. Man riet mir, mich an Sie zu wenden und, Sie zu bitten, wenn Sie Wert auf jemand aus dem engsten Kreise Freuds legen, mir die Art der Stellung und die Bedingungen mitzuteilen. Ich habe auf dem Weg zu Freud nach London durch den Kriegsausbruch die Überfahrt verpasst und mich bis zum Frühjahr vorigen Jahres in Frankreich aufgehalten. Von dort bin ich nach Wien zurückgekehrt, um am Geburtsort der Psychoanalyse an ihrem Wiederaufbau mitzuarbeiten. Ich beurteile die Aussichten für meine Mission hier nicht günstig und wäre darum unter Umständen bereit, mit einem Arbeitsfeld zu tauschen, das mir und meinem wissenschaftlichen Ehrgeiz mehr Möglichkeiten eröffnet (oder: bietet). Ich habe durch viele Jahre dem Vorstand der ‚Wiener Psychoanalytischen Vereinigung’ als Sekretär, zuletzt als ihr Vizepräsident angehört. Meine zahlreichen Kollegen und Freunde, die jetzt in Amerika sind, wie Dr. Waelder und Dr. Bibring, die Ihr Institut, wie ich höre, gelegentlich besuchen, werden Ihnen gerne Auskunft über mich geben. Im Falle einer Einigung müsste ich nur die Gewähr haben, daß alle Formalitäten der Überfahrt für meine Frau und mich von drüben erledigt würden – von hier aus wären sie selbst im Falle einer Berufung vorläufig kaum durchführbar – und daß mir eine gewisse Frist zur Beherrschung der Sprache im Lande selbst eingeräumt würde, da meine Kenntnisse durch meinen achtjährigen Aufenthalt in Frankreich naturgemäß gelitten haben. Ich erwarte mit Spannung Ihre Antwort und empfehle mich Ihnen, sehr geehrter Herr Doktor, ergebenst Ihr“[328] Die Verhandlungen verliefen günstig und Magda Jokl hatte sich aus Gründen, die aus den erhaltenen Briefen nicht hervorgehen, entschlossen, mit ihm nach Topeka zu gehen. Der Arbeitsvertrag mit der Menninger Foundation ist mit dem 6. 2. 1948 datiert.[329]

Im August 1948, kurz vor seiner Abreise nach den USA, erreichte Jokl ein Schreiben des Finanzamts für den Ersten Bezirk: „Zu meinem maßlosen Erstaunen erhalte ich mit Datum vom 5. 8. 48 eine Aufforderung zur Entrichtung eines Pers.-St. Restes im Betrage von S 319.77 zuzüglich Säumniszuschlägen und Zwangsvollstreckungskosten. […] Abgesehen davon, daß ich niemals vorher an einen solchen Rückstand erinnert worden bin, obwohl ich mich wieder 2 ½ Jahre in Wien befinde, ist diese Forderung wohl ein Unicum, die ihresgleichen suchen muß. Die Fälligkeit dieses angeblichen Steuerrückstandes, der in keiner Weise näher detailliert ist, muß nämlich mehr als 10 Jahre zurückliegen. Ich habe Wien, nachdem ich von der Gestapo 14 Tage widerrechtlich in Haft genommen worden war, am 1. August 1938 mit einer von Ihrem Amt ausgestellten Steuerunbedenklichkeitserklärung verlassen, die ich nach restloser Ordnung meiner Steuerangelegenheiten erhalten hatte und die mir ohne eine solche niemals ausgestellt worden wäre. […] Ich durfte nur das notwendigste, 30 kg Gepäck und einen kleinen Geldbetrag, mitnehmen. Alles was meine Frau und ich besaßen, die ziemlich wertvolle Wohnungseinrichtung, Kunstgegenstände, Schmuck und meine restlichen Ersparnisse, wurden von der Gestapo ‚beschlagnahmt, versteigert und zugunsten des Reichsfiskus veräußert’, wie es in dem bei der Spedition Oberhuber, I., Teinfaltstraße 3, aufliegenden Originalakt wörtlich heißt. Österreich hat mir also nicht nur jeden Schutz verwehrt, ich bin nicht nur um meine Existenz und um alles, was ich besaß, gekommen, sondern der Staat hat sich selbstherrlich mit einem Vielfachen meiner Steuerverpflichtung entschädigt, das mich von rechtswegen noch heute jeder Steuerschuld entheben müßte. Dazu kommt, daß mein Einkommen im letzten Jahr auf ein Minimum zusammengeschmolzen war, weil ich durch den politischen Zwang auch beruflich immer mehr ausgeschaltet wurde. Woher also von damals eine Steuerschuld datieren soll, ist rätselhaft. Nachdem ich im besetzten Frankreich u.a. 33 Monate in Konzentrations- und Internierungslagern zugebracht hatte, folgte ich im Mai 1936 [es soll wohl 46 heißen] voll Vertrauen dem Ruf, der an mich ergangen war, und kehrte in die Heimat zurück, weil ich mich verpflichtet fühlte, an ihrem Wiederaufbau meinen Teil beizutragen. Ich fand nicht nur nichts mehr vor von dem, was ich in jahrelanger ehrlicher Arbeit erworben und erspart hatte, mußte also ohne Mittel mit Schulden von vorne beginnen, sondern es war auch gar keine Rede davon, daß sich der Staat auch nur im mindesten um meine Existenzmöglichkeiten kümmerte oder durch eine teilweise oder wenigstens allmähliche Wiedergutmachung seine moralische Schuld abzutragen suchte und bei der Neugründung meiner Existenz irgendwie behilflich gewesen wäre. […] Bis heute [habe ich] noch immer keine Wohnung und [muß] mich auf die Untermiete eines Ordinations- und Warteraumes auch zu Wohnzwecken beschränken. […] Aus all den angeführten Gründen, denen ich noch weitere ebenso sachliche hinzufügen könnte, geht hervor, daß ich, selbst wenn ich gewillt wäre, Ihre Forderung nach einer mehr als 10 Jahre zurückliegenden, demnach verjährten und nicht einmal nachgewiesenen Steuerschuld zu erfüllen, dazu praktisch nicht imstande wäre, weil alles, was ich verdiene, auf die beträchtlichen Regien, auf den Lebensunterhalt, auf Schuldzinsen und die Rückzahlung meiner Schulden aufgeht und ich Ersparnisse oder ein Kapital nicht besitze, von dem ich abschöpfen könnte. Sollten Sie sich aber wider Erwarten mit diesem wohlbegründeten Einspruch nicht zufrieden geben, würde ich davor nicht zurückschrecken, es der Öffentlichkeit und der zuständigen Rechtsbehörde zu überlassen, ihr entscheidendes Urteil darüber zu fällen, ob es keinen Schutz des Staatsbürgers gegen Zumutungen gibt, die nicht nur meiner Ansicht nach jedem Rechtsempfinden und jeder objektiven Moral zuwiderlaufen.“[330]

Jokl war schwer enttäuscht, als er die Stelle des Institutsdirektors an der Menninger Klinik, auf die er gehofft hatte, nicht bekam. Diese Enttäuschung war der Hauptgrund, warum er sich endgültig dazu entschlossen hatte, Topeka zu verlassen. Dazu kam, dass er sich im kleinstädtischen, abgelegenen Topeka und in der Enge der Klinik, deren Atmosphäre ihm wegen kleinlicher Differenzen und Eifersüchteleien und einer bedrückenden Abhängigkeit von Menninger verleidet war, zunehmend unwohler fühlte und sich bemühte, einen anderen Wirkungskreis zu finden.

Jokl verließ Topeka im Sommer 1952. Er war anschließend in Los Angeles als Lehranalytiker und in seiner privaten Praxis tätig, 1974 ging er in den Ruhestand. Am 4. Dezember 1975 ist Jokl in Los Angeles gestorben.[331]

 

Otto Fleischmann (1896-1963). Seine Witwe berichete über ihn: „Otto Fleischmann was borne in a small village by the name of Mór in Hungary, then Austrian-Hungarian Monarchy. The family owned well known vineyards in the vicinity and the wine business has been in the family for some generations. He went to the country school for 4 years and then entered a Jesuit Gymnasium, the only possibility for higher education, where his formal training in the humanities started. His father died when he was 12 years old and the family moved to Vienna, where he went to the humanistic Gymnasium. After his graduation he attended the University of Vienna, majoring in philosophy. World War I interrupted his studies. He served in the Austrian-Hungarian army as an officer of the mounted cavallery, a regiment of great distinction. After the war he resumed his studies in psychology and philosophy and received his doctorate in philosophy in 1920. At this time he was not decided what professional field would [?] his intellectual and sociological interests. Greatly he was influenced by [?] Schlick, [?]. While he entered the family wine business, it left him unfulfilled. He became interested in psychoanalysis between 1928 – 30 at a time where the analytical movement became widely known among Viennese intellectuals and started his first analysis to make analysis his professional carrier [seine erste Analytikerin war Anna Freud]. He contemplated whether or not to study medicine and started his premedical education but finances did not let him complete his training. He was accepted however for training analysis in 1936 and started an analysis with Dr. August Aichhorn. It was in 1938 when the Vienna Psychoanalytic Society was dissolved. […] Dr. Fleischmann left for Budapest [1939] where he became member of the Budapest Psychoanalytic Society, training analyst [1942] and member of the International Psychoanalytic Association. In Budapest too his carrier was interrupted with the establishment of a [?] regime. He managed to go underground when the persecution of the Jews became systematized. He found shelter and protection by the Swedish delegation in Budapest. Together with the Swedish [Raoul Wallenberg] he helped to liberate Jews from the Budapest Ghetto exposing himself to considerable dangers. He returned to Vienna in 1946 and helped to build up the Vienna Psychoanalytic Society and became director of the Institute. During the period between 1946 – 1950 he worked closely together with Aichhorn and their professional association developed into a sincere and lasting friendship. His interests in the post-war youth with its aspects of delinquency became a prime interest. Through Dr. Jan Frank the Topeka Psychoanalytic Institute became interested to persuade him to move to the U. S. It was a hard decision to make, but finally he decided to accept the invitation and joined the Topeka Institute as a training analyst in 1950. It seemed natural, that he became interested in the B. I. S. [?] and agreed to become a consultant. He contributed to many administrative changes and gave [?] to organize the boys into groups, changing a primarily penal institution into a treatment fertility. It was during a seminar on delinquency when I presented the treatment of a boy of B. I. S. as a continued care during this seminar, that I became more closely acquainted with Dr. Fleischmann and we married in 1951. […] In 1962 after a sabbatical year back in Vienna, Dr. Fleischmann decided to move to New York. Unfortunately after just having established himself in private practice he died very suddenly from heart infect in January 1963.”[332]

Mit Aichhorn, der bis 1943 mehrere Male in Budapest war, war Fleischmann in Verbindung geblieben. Aichhorn schreibt bereits im November 1945 an Anna Freud: „Dr. Fleischmann, der seit 1938 in Budapest lebt, möchte wieder nach Wien übersiedeln. Er kam vorübergehend hierher und berichtete von den Budapester Analytikern, daß diese augenblicklich in einer wirtschaftlich recht ungünstigen Situation leben, so weit sie überhaupt in Budapest geblieben sind."[333]

Fleischmann nahm als Repräsentant der ungarischen Vereinigung an der Eröffnungsfeier der WPV teil. Auch bei der ersten Geschäftssitzung der Vereinigung war er anwesend. Endgültig nach Wien gekommen ist er, von Aichhorn ungeduldig erwartet, im Sommer 1946, wo er – zusammen mit Jokl – die Leitung des Ausbildungsinstituts der WPV übernahm.

Fleischmann war zu dieser Zeit Aichhorns wichtigster Mitarbeiter. Er hatte nicht nur die Ausbildungsseminare der WPV übernommen, sondern er gab auch Kurse und Seminare für Lehrer, Erziehungsberater, Kindergärtnerinnen und Sozialarbeiter und begleitete Aichhorn auf seine Vortragsreisen. Er nahm auch an dem Treffen Aichhorn – Anna Freud im Frühjahr 1948 in Lausanne teil und hielt zusammen mit ihnen Vorträge und Kurse.

Aichhorn schrieb 1948: „Als Präsident der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung bestätige ich hiermit, daß Herr Dr. Otto Fleischmann seit der Wiederaufrichtung der Vereinigung im April 1946 Direktor des Wiener Psychoanalytischen Institutes ist und als Lehranalytiker die gesamte praktische und theoretische Ausbildung der Studenten leitet und durchführt.“[334]

Aichhorn an Kata Lévy: „Bitte antworte mir sehr rasch, weil im September noch eine gewaltige Auslandstournee zu bewältigen ist, die Dr. Fleischmann und ich unternehmen müssen. Du hast keine Ahnung, wie vielbegehrte Menschen wir geworden sind, die Leute wollen uns immer beide zugleich haben. Das Dioskurenpaar Castor und Pollux. Wir beide strahlen solche Energien aus, dass die Menschen schon Tage vorher das Elmsfeuer zu sehen bekommen. Ich nehme an, dass Du weißt, in welchem Zusammenhang Elmsfeuer und Castor und Pollux stehen. Du darfst, wenn Du es nicht weißt, keine Minderwertigkeitsgefühle bekommen, wegen meiner Gescheitheit. Vor 5 Minuten wusste ich auch nichts davon. Wir haben im Lexikon nachgesehen. Dir gegenüber bin ich so analytisch ehrlich, von den anderen Menschen lasse ich mich wegen meiner ‚Gelahrtheit’ bewundern, obwohl Dr. Fleischmann nicht damit einverstanden ist und mich immer zur Bescheidenheit veranlassen will. Das ausgenommen, ist er der glänzendste Reisebegleiter, den ich mir vorstellen kann, da ich Einschränkungen meiner persönlichen Freiheit gewohnt bin.“[335]

Aichhorn wollte, dass ihm Fleischmann als Obmann der WPV nachfolgen sollte. Er schrieb im März 1949 an Fleischmanns Mutter: „Mir geht es recht gut, durch die Hilfe, die ich von Otto bekomme. Ich wüsste ohne ihn nicht, die Vereinigung zu führen. Er ist mir nicht nur ein lieber Freund, sondern wirklich meine einzige Stütze. Seit er hier ist, bin ich auch viel ruhiger, da ich weiß, daß er nach mir die Vereinigung halten und führen wird.“[336]

Bereits im September 1948 hatte Lajos Lévy an Anna Freud nach Aichhorn Schlaganfall in Budapest geschrieben: „Heute steht und fällt diese [die Arbeit in der WPV nämlich] mit Aichhorn. Würde es mit der Zeit nicht möglich, dass er sie führt und für sie handelt, so ist kein entsprechender Ersatz da. Dr. Fleischmann, wenn ich ihn recht beurteile, ist nur durch die Person Aichhorns gebunden und ich glaube, dass mit Ausscheiden A's er seine Libido sofort abziehen wird. Real angesehen ist er auch schon von den äußeren Umständen her nicht der geeignete. Als Nichtarzt, Halbausländer und Jude könnte er nicht der sich behauptende Obmann sein. Ich habe von Aichhorn gehört, dass erst Pötzl, dann der ignorante Kauders danach strebten. Es wäre daher sehr nützlich ruhig zu überlegen und ganz im Stillen vorzubereiten, ob nicht jemand von den früheren Analytikern oder von den Jüngeren öst. Abstammung nach Wien zurückkehren wollte. Das weiß ich, vielleicht am besten, dass Aichhorn vorläufig nicht zu ersetzen ist. Doch wäre es ein Jammer, wenn die alte Stätte ganz versiegen würde."[337] Und im April 1949, Aichhorn hatte einen zweiten Schlaganfall erlitten, von dem er sich nicht mehr vollständig erholen sollte, schrieb Lévy an Anna Freud: „Sie wissen ja aus meinem September-Brief, wie ich den ganz leichten Anfall hier beurteilte und heute kann ich noch viel weniger optimistisch sein. Dass Dr. Fleischmann mir bis heute überhaupt nicht schrieb, verwundert mich etwas. Seit Langem scheint mir, dass er dadurch, dass Aichhorn ihn so zusagen als Manager hinstellte, das richtige Maß für die eigene Person nicht richtig fand. [...] Nebenbei bemerkt, war er Ende März hier und machte den Eindruck, dass er in eine geographische Angst geraten ist, die sachlich gar nicht begründet ist. Er wäre, meiner Meinung nach gar nicht der richtige Vertreter Aichhorns, wenn A. überhaupt nicht weiter arbeiten sollte und könnte.“[338] Im Oktober 1949 antwortet ihm Anna Freud, zurückgekehrt aus Zürich vom ersten Kongress der IPV seit dem Kongress in Paris 1938: „Dr. Fleischmann habe ich auf dem Kongress gesprochen. Seine Unsicherheit rührt daher, dass er dringende amerikanische Auswanderungspläne hat, sie Aichhorns wegen verschiebt und sich darüber in einem großen inneren Konflikt befindet.“[339]

1949, nach Aichhorns Tod, ging Fleischmann an die Menninger Klinik in Topeka. 1961 übersiedelte er nach New York, wo er 1963 gestorben ist.[340]

1964 ist das von Fleischmann zusammen mit Paul Kramer und Helen Ross herausgegebene Buch „Delinquency and Child Guidance, Selected Papers by August Aichhorn erschienen.[341]

 

Paul Kramer (1908-1982) wurde in Ventspils, deutsch Windau, einer an der Ostsee gelegenen Hafenstadt in Lettland geboren. Seine Ausbildung hatte Kramer in Riga begonnen, das Medizinstudium in Berlin; 1932 ging er nach Wien. 

In der Besprechung des Lehrinstituts der WPV vom 13. 1. 1932 heißt es: „Mediziner im 7. Semester aus Riga meldet sich, will auf einige Zeit nach Wien kommen zur Lehranalyse. [Paul] Kramer. Möchte zu Aichhorn in Lehranalyse. Diskussion darüber, ob Aichhorn Lehranalysen macht. Entscheidung: Anfrage bei Aichhorn, ob er es übernimmt.“[342] Und im Protokoll der Lehrausschusssitzung vom 12. 10. 1933 steht zu lesen: „Aichhorn hat vor 2 Jahren den Mediziner Kramer übernommen. Möchte, dass er jetzt Kurse besucht. Ja, muss sich nur bei Frau Dr. Deutsch melden. Aichhorn möchte, dass er für das letzte Halbjahr zu einem anderen Lehranalytiker geht.“[343]

Samuel D. Lipton berichete über Kramers Analyse bei Aichhorn: „Paul was never distracted by irregularities in arrangements or formalities, nor by unconventional interventions of the analyst. His open-mindedness in this respect may have had a source in his own analysis. An incident he told me of, while minor, may connote the ambience of that analysis. During one of Paul’s sessions, there was a banging on the door. Before Aichhorn could respond, a young boy opened the door, marched in, plunked a paper bag on the desk, and marched out, slamming the door behind him. As Paul paused, in stunned silence, Aichhorn said, ‘My lunch’”[344] 

1934 beendete Kramer sein Studium, 1936 ging er zusammen mit seiner Frau nach Chicago,[345] wo er 1939 die Ausbildung zum Psychoanalytiker beendete. Kramer, der mit Bruno Bettelheim und Ruth und K. R. Eissler[346] befreundet war, zählte nach 1945 zu Aichhorns bevorzugten Briefpartner, mit dem er auch theoretische Fragen diskutierte.

Als Aichhorn über die Wiedereröffnung der WPV berichtet hatte, schrieb ihm Kramer: „Es ist besonders erfreulich dass die Wiener Psychoanalytische Vereinigung durch Deine Bemühungen wieder ins Leben kommt. Die Geburtsstadt der Psychoanalyse, die nach einer zeitweiligen Rückkehr zum brutalsten Mittelalter wieder den Anspruch erhebt, ein Kulturzentrum zu werden, sollte nicht ohne Vertretung der psychoanalytischen Wissenschaft bleiben, einer Wissenschaft, die zum Höchsten gehört, das in Wien geschaffen wurde. Dass Du die neue Vereinigung leiten wirst, gibt die Gewähr, daß es im Sinne Freuds geschehen wird. Viel Erfolg dazu, lieber Vorstand.“[347]

1965 erlitt Kramer einen schweren Herzanfall, gab die analytische Praxis auf und übersiedelte 1967 nach Kalifornien, wo er in Palo Alto starb.

Über Kramers Ansichten und seine Position im psychoanalytischen Institut in Chicago berichtete Lipton in seinem Nachruf: „Paul’s lifelong conviction was that Freud had discovered and described the basic principles of psychoanalysis, and he attempted to follow them, while at the same time being careful not to claim that his knowledge was definitive or superior. He believed too that Freud knew how to conduct analyses and was sceptical about the later claim that Freud was inept or that he changed his technique drastically in his later years. He studied ostensible advances carefully to try to determine if some basic principle was being sacrificed. In fact, he did conclude that the concept of the corrective emotional experience, as advanced by Alexander, French, and their colleagues did sacrifice basic principles, and, true to his convictions, he declined an invitation to join the Institute staff, stating that both theoretical and clinical differences prevented him from identifying himself with the Institute. […] In that controversy, Paul was one of a small group of experienced analysts who opposed Alexander’s views, whose opinions had special value for me and other students at the time, who were confronted with the problem of repudiating some of the official teaching of senior analysts. While Paul’s position was unequivocal, his criticisms of those he differed with, in both this and later issues were objective, impersonal, and not bitter.”[348] 

 

Oskar Spiel (1892-1961) wurde in Wien als Sohn eines Schuhmachers geboren. 1911 legte er an der Wiener Lehrerbildungsanstalt die Matura ab und trat 1912 in den Schuldienst. 1916 bestand er die Lehrbefähigungsprüfung für Volksschulen, 1932 die für Hauptschulen (für die Gegenstände Deutsch, Geschichte und Erdkunde).[349] Angeregt durch seine Frau begann sich Spiel für Kunst und Literatur zu interessieren. Er nahm Klavierunterricht und besuchte als außerordentlicher Hörer an der Wiener Universität Vorlesungen aus Pädagogik, Psychologie, Geschichte und Kunstgeschichte. Seit früher Kindheit stark kurzsichtig wurde er nicht zum Militärdienst eingezogen. Noch während des Ersten Weltkriegs schloss er sich der sozialdemokratischen Partei an und hörte Vorlesungen Max Adlers[350] am Wiener Karl-Marx-Institut. Zusammen mit Ferdinand Birnbaum besuchte er auch die Vorlesungen Freuds.[351] 1921 lernte Spiel Alfred Adler kennen. Er war von ihm derart beeindruckt, dass er Mitglied des Vereins für Individualpsychologie wurde. Er war im Vorstand des Vereins tätig und hielt zahlreiche Vorträge im In- und Ausland. 

Bereits Mitte der 1920er Jahre führte er zusammen mit Birnbaum und Franz Scharmer[352] in verschiedenen Schulen nach individualpsychologischen Methoden Unterrichtsversuche durch. 1931 wurde ihnen schließlich im 20. Wiener Gemeindebezirk, Brigittenau, Staudingergasse, eine Schule für einen Schulversuch zur Verfügung gestellt. Ein wesentliches Anliegen dieses Versuchs war es, die Sozialisationsfähigkeit der Kinder zu fördern, die Eltern in schulische Belange einzubinden und Chancengleichheit für aus unterprivilegierten Schichten stammende Kinder herzustellen Als 1934 die Aktivitäten der Individualpsychologen, die in Verbindung mit der sozialdemokratischen Partei gestanden hatten beendet werden mussten, wurde auch der Schulversuch abgebrochen (vgl. Mende & Aichhorn 1983, S. 121ff; Kenner 2007, S. 205f). In seinem Buch „Am Schaltbrett der Erziehung“ berichtete Spiel über seine Erfahrungen in der Versuchsschule.[353]

Spiel, der von 1921 bis 1934 der Sozialdemokratischen Partei angehört hatte und Mitglied des Zentralvereins der Wiener Lehrerschaft gewesen war, sah sich in Folge der damaligen politischen Neuordnung in Österreich veranlasst, wieder der katholischen Kirche beizutreten und Mitglied der neuen Einheitspartei, der „Vaterländischen Front“ zu werden, um einer drohenden Entlassung aus dem Schuldienst zu entgehen. Die Erfahrung, dass ihm im Februar 1934 seine Lehrtätigkeit an der Volkshochschule Brigittenau durch die Leitung der Wiener Volkshochschule gekündigt worden war, obwohl erst Anfang Februar sein Kurs zu „Moderne Erziehungsmethoden mit besonderer Berücksichtigung der Individualpsychologie“ bewilligt worden war,[354] mag ihn zu diesem Schritt veranlasst haben.

Auch das nationalsozialistische System ab 1938 übte politischen Druck auf Städtische- und Bundesbeamte aus. Beamte jüdischer Herkunft wurden aus dem Dienst entlassen, frühere Sozialdemokraten scheinen im einfachen oder und mittleren Dienst weiterhin „tragbar“ angesehen worden zu sein. Viele von ihnen hatten sich während der beiden aufeinander folgenden Regimes zur Anpassung bereitgefunden, manche waren 1934 aus politischen Gründen entlassen und 1938 von den Nationalsozialisten wieder eingestellt worden. Ihr politisches Verhalten wurde einer strengen Kontrolle unterzogen, ein verschärftes Dienstrecht suchte den Anpassungsdruck auf die Beamten zu erhöhen. Bald schon war die Mitgliedschaft bei der NSDAP oder bei einem der ihr angeschlossenen Verbände zwingend. Mit Juni 1938 trat Spiel dem NS-Lehrerbund bei, mit November 1938 der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV)[355]. Im August 1939 stellte er ein Ansuchen im Sinne des Heilpraktikergesetzes.[356]

Spiel war Mitglied des von M. H. Göring geleiteten „Deutschen Instituts für Psychologische Forschung und Psychotherapie“ und beteiligte sich auch an der von Aichhorn geleiteten Arbeitsgruppe des Instituts:[357] „Es wird sie vielleicht interessieren, dass in der Nazizeit Birnbaum und ich Verbindung mit Aichhorn aufgenommen haben und in vielen Zusammenkünften in Aichhorns Wohnung die beiden Richtungen [Psychoanalyse und Individualpsychologie] einander verstehen lernten“, schrieb er im Februar 1948.[358]

Im September 1938 suchte Spiel um Urlaub an, um an einem von Göring initiierten Fortbildungskurs für die Wiener Mitglieder des „Deutschen Instituts“ teilzunehmen.[359] Göring hatte ihm geschrieben: „Unser Institut beabsichtigt, speziell für die österreichischen Mitarbeiter, von Montag d. 3. bis Samstag d. 8. Oktober einen Fortbildungskurs in Berlin abzuhalten. Darf ich Sie bitten, hiervon auch Herrn Dr. Birnbaum und Frau Seidler[360] in Kenntnis zu setzen. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie drei zu diesem Kursus kommen würden. Er wird genauso gehandhabt werden, wie der Kursus, den wir im Frühjahr für unsere auswärtigen Mitglieder hatten, d.h. von 9-10 Uhr werden juristische Fragen mit mir besprochen werden, abends von 4-5 Ohr wird Prof. I. H. Schultz über autogenes Training und Hypnose sprechen; in der Zwischenzeit wird ein Fall besprochen und von allen drei Schulen beleuchtet werden. Mittags ist gemeinsames Essen im Institut. […] Dr. v. Kogerer, Dr. Thumb und Herr Aichhorn haben ihre Teilnahme schon fest zugesagt, es wäre schön, wenn Sie drei auch kämen. Wir würden dann mit Dr. v. Kogerer zusammen alle die in Wien noch offen stehenden Fragen besprechen können.“[361] Was anlässlich dieses Treffens besprochen wurde, ist nicht bekannt. Den nachfolgenden Schreiben ist zu entnehmen, dass Spiel weder zu diesem Treffen – noch zu einem im April 1939 anberaumten – Urlaub gewährt wurde.[362]

Nach 1945 bekam Spiel die Möglichkeit, wieder eine individualpsychologische Schule einzurichten. In einer „Beurteilung“ Spiels aus dem Jahre 1954 heißt es: „Herr H[auptschul] Direktor Oskar Spiel ist der Vertreter der Individualpsychologie auf dem Boden Wiens, er und Dr. Birnbaum setzten die begonnene Arbeit Alfred Adler’s nach 1945 fort. In seinen Werken gibt er den Eltern, Erziehern und Lehrern die Grundlagen zur Umerziehung jener Kinder, die Verhaltensschwierigkeiten zeigen und daher einer besonders intensiven Betreuung bedürfen. […] Herr Prof. Spiel ist nicht nur Theoretiker, er ist auch Praktiker. Seine [Schule] ist allen Lehrern Wiens, aber auch allen Lehrern Österreichs, auch dem Ausland bekannt. Erst kürzlich konnte der 3000ste Besucher begrüßt werden. In jeder Klasse sitzen Schüler mit Verhaltensschwierigkeiten, die aus allen Schulen Wiens über die ‚Schulpsychologische Beratungsstelle’, über die Erziehungsberatungen, über die Universitätskliniken eingewiesen werden. Trotz dieser großen Erziehungsprobleme werden in den Versuchs- und Besuchsklassen viele Unterrichtsvorführungen gehalten, die methodische Fragen behandeln. […] Herr Prof. Spiel ist Dozent des Pädagogischen Institutes und hält auch im Inspektionsbezirk im Rahmen der Arbeitsgemeinschaften Kurse, die der Fortbildung der Lehrer dienen, ihnen vor allem helfen, Kinder mit Kontaktschwierigkeiten in die Klassengemeinschaft einzubauen.“[363]

Neben seinen Bemühungen um die Versuchsschule war Spiel wesentlich am Wiederaufbau der Individualpsychologie in Österreich beteiligt. Für den Verein für Individualpsychologie war er Vorstandsmitglied, ebenso für die Gesellschaft für Heilpädagogik und für die Österreichische Gesellschaft für Psychohygiene.

 

Norbert Thumb (1903-1993) war der Sohn eines Wiener Staatsbeamten. Er besuchte in Wien ein Humanistisches Gymnasium und ab 1922 die Technische Hochschule (Ingenieurdiplom – Maschinenbau). Es folgte eine Anstellung als Assistent am Psychotechnischen Institut in Wien (Konstrukteur und Dolmetscher für Englisch und Französisch). Ab 1930 studierte er an der Wiener Universität Philosophie mit dem Hauptfach Psychologie und Pädagogik; 1936 Promotion zum Dr. phil. Assistent des Psychologischen Instituts der Universität Wien. Als Mitglied der „Deutschen allgemeinen ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie“ und (ab 1938) der Wiener Gruppe des „Deutschen Instituts für psychologische Forschung und Psychotherapie“ war er als praktischer Psychologe und Psychotherapeut tätig.[364]

Thumb nahm regelmäßig an den Treffen der von Aichhorn geleiteten Wiener Arbeitsgruppe des „Deutschen Instituts“ teil. Am 21.4. und am 6. 5. 1943 hielt er in diesem Rahmen den Vortrag „Die Persönlichkeit im Lichter der Erbbiologie“.[365]

In einem Bericht aus 1945 schrieb Richard Meister: „…Von den Angehörigen des Instituts ist derzeit nur der Oberassistent Priv. Doz. Dr. Norbert Thumb vorhanden; er tut seinen Dienst als Assistent, zur Lehrtätigkeit als Privatdozent ist er für dieses Semester noch nicht zugelassen.“ Thumb war im September 1941 zum Oberassistenten ernannt worden. Diesem Bericht schloss Meister auch eine politische Beurteilung des während der NS-Zeit im Bereich der Philosophie, Psychologie und Pädagogik tätig gewesenen Lehrpersonals an. In der Psychologie waren die Assistenten Norbert Thumb und Sylvia Klimpfinger[366] als ehemalige Parteimitglieder nach dem „Verbotsgesetz“ registrierungspflichtig.[367] Beide hielt Meister für politisch zuverlässig und – vorläufig zumindest – für im Universitätsdienst weiter verwendbar. Im Dezember 1945 fand eine politische Überprüfung Thumbs durch die Sonderkommission der Universität statt, im Juni 1945 wurde ihm die Venia aberkannt. Die Sonderkommission II gelangte allerdings zu dem Schluss, dass er – wie die Formel für einen positiven Urteilsspruch lautete – „nach seiner bisherigen Betätigung die Gewähr dafür bietet, er werde sich jederzeit rückhaltlos für die unabhängige Republik Österreich eintreten.“ Begründet wurde die Entscheidung damit, dass sich Thumb bloß um seines Fortkommens willen bei der Partei um die Aufnahme beworben und keine engere(n) Bindungen an diese gehabt habe. Mit Rücksicht auf seine seinerzeitige Zugehörigkeit zur freien Gewerkschaft seien ihm die Gedankengänge des heutigen Österreichs jedenfalls nicht fremd. Das positive Sonderkommissionsurteil nutzte Thumb wenig. Es wurde ihm von Hubert Rohracher nahe gelegt, seine Assistentenstelle mit Jahresende von sich aus aufzukündigen, ansonsten hätte er den ungeliebten Mitarbeiter wegen Unfähigkeit entfernen müssen, wie Rohracher Jahre später dem Unterrichtsministerium mitteilte. Thumb, den Rohracher offenbar auch seiner politischen Vergangenheit wegen wenig schätzte, sei fachlich völlig ungeeignet. An diesem Votum Rohrachers waren Thumbs Bemühungen um eine Wiederverleihung der Venia an der Universität Wien gescheitert. Zwei Jahre später schien Rohracher seine Meinung über Thumb gründlich revidiert zu haben. Thumbs Habilitation an der TH Wien wurde von ihm nun unterstützt. Rohracher beteiligte sich am Kolloquium Thumbs, das zufrieden stellend verlief. Rohracher hatte erklärt, dass die Habilitationsschrift auch bei der Anlegung strenger Maßstäbe vollkommen den notwendigen Bedingungen entspricht. Die Bestätigung der Habilitation für „Arbeitskunde und Berufseignungsdiagnostik“ erfolgte mit Erlass des Bundesministeriums für Unterricht im September 1950. Thumb hatte in den fünfziger Jahren Lehraufträge sowohl an der Technischen Hochschule als auch an der Hochschule für Welthandel in Wien inne. Mit Entschließung des Bundespräsidenten vom 3. Dezember 1964 wurde er schließlich an der Technischen Hochschule Wien zum o. Prof. für Betriebswirtschaft ernannt.[368]

Im Oktober 1946 schrieb Thumb an die WPV: „Wien, 29. 10. 1946, an die Wiener Psychoanalytische Vereinigung, Wien I., Rathausstraße 20: Der Unterzeichnete ersucht um die Aufnahme in die Wiener Psychoanalytische Vereinigung und verweist bezüglich seiner erson auf seine Zugehörigkeit zum Kreise um Herrn Vorstand August Aichhorn seit dem Jahre 1939. Dr. Norbert Thumb“.[369]

Thumbs’ Antrag wurde in der Mitgliedersitzung vom 5. 12. 1946 behandelt: „Ansuchen Dozent Dr. Thumb als Ausbildungskandidat wird wegen seiner politischen Vergangenheit abgelehnt.“ (Anwesend: Obmann Aichhorn, Dr. Hans Aufreiter, H. u. L. Bolterauer, Dr. Fleischmann, Dr. Hollitscher, Dr. Jokl, Prof. Nentwich, Dr. Solms, Dr. Spanudis).[370]

 

Hedy Schwarz-Braham (1902-1991) stammt aus Wien. Sie machte bei Lili Roubiczek und Maria Montessori eine Ausbildung zur Montessori-Pädagogin und legte 1928 ein Kindergärtnerinnen-Examen ab. Sie war Mitglied der Wiener Montessori-Arbeitsgemeinschaft und gehörte zu den Mitarbeiterinnen Lili Roubiczeks in dem von ihr 1922 in Wien eröffneten „Haus der Kinder“, einer nach der Montessori-Pädagogik konzipierten Einrichtung für Arbeiterkinder. Von 1930 bis 1934 leitete sie den städtischen Montessori-Kindergarten im Goethehof, an dessen Gestaltung durch die Bauhaus-Architekt:innen Franz Singer und Friedl Dicker sie beteiligt war. 1934 wurde sie entlassen und der Kindergarten von Austrofaschisten teilweise zerstört.

Schwarz-Braham begann in Wien eine psychoanalytische Ausbildung. 1926 machte sie eine kurze Analyse bei Jeanne de Groot und nahm in den 1930er Jahren an Anna Freuds psychoanalytischen Seminaren für Erzieherinnen teil. 

1938 emigrierte Schwarz-Braham nach London. Sie wurde 1943 Mitglied der British Psychoanalytical Society und 1951 Lehranalytikerin.

Am 24. 4. 1943 schrieb sie an Otto Fenichel: „Wie immer, antworte ich auf Briefe in der nächsten Jahreszeit. Dein Brief, den ich vor mir habe, ist vom 1. November. Ich fühle die selben Schwierigkeiten wie Du, mit dem Schreiben wieder anzufangen. Hundertmal in dieser Zeit habe ich mir gewünscht Dich da zu haben, mich mit Dir zu beraten, Dir zu erzählen, von Dir zu hören. Die Zeiten sind nicht leicht, hier wie überall, und abgesehen von den grossen Schwierigkeiten, gibt es natürlich auch viele kleine. Da es leichter ist über die grossen Ereignisse zusprechen, fange ich damit an. Das erste und wichtigste große Ereignis, ich werde im Mai (menschlicher Voraussicht nach) mit der Ausbildung fertig. Du bist einer der wenigen Menschen, die wissen wie lange und wie sehr ich mir diese Ausbildung gewünscht habe, ja mehr als das, Du bist verantwortlich für mein Interesse an der Analyse überhaupt. Danke schön. Ich bin schrecklich glücklich in der Arbeit und es ist noch viel interessanter als ich es mir je vorgestellt habe. Ich habe bisher drei erwachsene Fälle behandelt, zwei davon behandle ich noch jetzt. Der dritte, ein Verwahrloser, hat nach sechs Monaten die Analyse abgebrochen. Er war discharged von der Armee, mit diesem Schicksal sehr zufrieden, ohne jede Krankheitseinsicht und kam nur Behandlung, weil ihm der Arzt, der ihn aus der Armee entlassen hatte, aufgetragen hatte in Behandlung zu gehen. Von den anderen beiden Fällen, ist der eine eine ausserordentlich interessante Hysterie mit einer Train_phobia über die ich unlängst ein Referat gehalten habe.[371] (Eine der vielen Gelegenheiten, wo ich Dich gerne hier gehabt hätte.) Das Referat war nach allgemeinem Urteil ausserordentlich gut und interessant. Ich finde den Fall so unglaublich interessant und ich weiss nicht, ob ich Dir nicht eine Kopie des Referats schicken werde, aber dazu ist es vielleicht zu anfängerisch und es ist nur ein Aspekt herausgegriffen. Der zweite Fall ist eine 44jährige Frau, die wegen Frigiditaet in Analyse kam, mein 1. Fall. Sie hat sich als eine schwere Charakter-Fehlentwicklung entpuppt, mit der man sehr viel Geduld haben muss und bei der man oft zweifelt, ob Analyse das richtige Mittel ist, ihr zu helfen. Aber Dr. Hoffer, mit dem ich den Fall kontrolliere, seit Grete Bibring nach Amerika gegangen ist, ist viel optimistischer als ich und gar nicht unzufrieden mit dem Gang der Analyse.

Mit meinem ersten Kinderfall war ich sehr unglücklich, er hat sich nach vier Monaten Analyse als Schizophrenie herausgestellt. Dagegen ist der zweite Fall, den ich noch jetzt behandle, ein reizender Latenz-Bub, der auf die Analyse besonders gut anspricht. Hoffentlich wird dieser Fall den weisen Männern und Frauen genügen, um mich freizusprechen und zwar für Erwachsenen- und Kinder-Analyse. Ich möchte nicht gerne Kinder-Analyse allein machen und es wäre ausserdem unmöglich sich hier im Moment eine Kinderpraxis aufzubauen, da alle Kinder aus besseren Kreisen evakuiert sind. Ueberhaupt macht mir der Beginn einer eigenen Praxis grosse Sorgen. Es ist schrecklich schwer eine Wohnung zu finden, besonders eine kleinere, und die meisten Sachen kann man nicht einmal kaufen. Glücklicherweise habe ich meine eigenen Möbel, aber da sie von Franz Singer stammen, muss man sie erst an Ort und Stelle Aufbauen und dazu gehören Handwerker, die fast nicht existieren. Ich werde versuchen mir hier von der Klinik Geld auszuleihen, weiss aber nicht, ob ich etwas bekommen werde, da ein Gerücht geht, dass ein für solche Zwecke existierender Fond bereits erschöpft ist. Zu viele heimatlose Kandidaten haben ihn gebraucht. Die letzte war Frau Gerö. Du hast mir etliche Male und in mancher schwierigen Stunde Geldhilfe angeboten, jetzt wäre der Moment, wo Du mit wirklich sehr helfen könntest, Du könntest es mit gutem Gewissen ein Darlehen nennen, wenn auch auf lange Sicht. Auf jeden Fall würde es mich auch unabhängiger von den hiesigen Autoritäten machen und das wäre unter den gegebenen Umständen ein grosses Glück. Ich weiß nicht, ob Du weißt, daß hier große Auseinandersetz. stattfinden, so genannte scientific meetings, in denen Klein’sche Theorien mit Freud’schen Theorien diskutiert werden. Grosse Veränderungen haben sich vollzogen. Dr. Gl[over] ist vollkommen auf unserer Seite und die Stimmung ist zwar nicht angenehm, aber viel klarer. Diese scientific meetings werden wörtlich niedergeschrieben und vervielfältigt und ich habe von Anfang an den Wunsch gehabt, Dir diese Protokolle zu schicken. Ich weiss wie Dich das interessieren würde. Ich habe Dr. H.[offer] gefragt ob ich dies tun soll, oder tun darf, und er hat gesagt, er hat denselben Wunsch sie Dir zu schicken, glaubt aber nicht, dass jetzt schon die Zeit dafür ist und dass gerade ich mir jetzt nicht erlauben soll etwas gegen die Vorschriften der Gesellschaft zu tun. Ich habe das Gefühl, dass nach Abschluss der Diskussion die Berichte vielleicht gedruckt werden. Auf jeden Fall, wenn ich freigesprochen bin, schicke ich sie Dir, erlaubt oder nicht erlaubt. Mrs. K.[lein] ist sehr schlecht auf mich zu sprechen und hat sich einmal nach einem Seminar, das sie für Kandidaten gehalten hat über mich beschwert, aber ich konnte nicht anders diskutieren, wie ich diskutiert habe, denn es war zu haarsträubend, was sie uns vorgesetzt hat. Das Kinderseminar bei A.[nna] F.[reud] ist lange Zeit eine private Vereinigung gewesen, zu der wir jetzt auch englische Gäste einladen.

Bitte schreibe mir doch ein bischen was Ihr in Los Angeles macht, und wenn Du irgendwelche Notizen von Seminaren hast, bitte schicke sie mir. Wann werden wir wieder miteinander reden können? Ich bvin oft mit Frau Gerö zusammen, die auch etwas wie ein link mit Dir ist, sie hat ausserdem auch die Erfahrung mit A.F.’s Kinderheim und sie gehört zu den wenigen Leuten, mit denen man ehrlich und ohne sich fürchten zu müssen auch kritisieren darf, wo so viel zu kritisieren ist. Das ist nämlich die andere Seite der Medaille, dass in unserem eigenen Kreis eine grässliche Abhängigkeit von A. F. besteht und dass kein Mensch sich traut seine Meinung ehrlich und offen zu vertreten, wenn sie nicht bis zum I Tüpferl die offizielle ist.

Nach Deinem Brief zu schliessen, sind die Verhältnisse in Amerika nicht nur, nicht angenehmer, sondern eher unangenehmer. Ich habe einigen guten Freunden von Deinem lieben Geständnis, dass du so „terribly orthodox“ bist, dass Du z. B. noch an den Kastrationskomplex glaubst, erzählt. 

Zwischen Deinem Brief und heute, habe ich auch noch einmal ein Paket von Euch bekommen, für das ich Dir und Hanna herzlich danke. Die Weihnachtskarte von Hannerl fand ich einfach reizend und ausserordentlich begabt. Bitte schicke mir die Adresse von Mädi Olden in New York, und vielleicht ist es besser, wenn ich das weiss; ist sie in Freundschaft von Euch weg nach New York gegangen, oder gab es da auch Schwierigkeiten? Ich sehe, dass ich über die grossen Probleme der Welt nichts geschrieben habe und was könnte ich auch schreiben? Es ist ein grosser struggle und kein einzelner Mensch kann mehr tun, als das kleine bischen das auf ihn kommt.

Ich mache jetzt Schluss, sonst mute ich mir wieder zu viel zu und der Brief geht gar nicht weg, ausserdem finde ich, man wird mehr und mehr verzweifelt, wenn man versucht einem Menschen, den man so gut kennt, wie ich Dich, von sich auf diese Entfernung und in solchen Zeitabständen zu erzählen. Ich denke sehr oft an Dich und wünsche Dir das allerbeste.

Alles Liebe!“[372] 

Als Anna Freud 1941 in London das Kriegskinderheim Hampstead War Nurseries eröffnete, wurde Hedy Schwarz dort leitende Kindergärtnerin und unterrichtete die Mitarbeiterinnen in Montessori-Pädagogik. Sie war Vorsitzende der Delinquency Research Group an der Hampstead Clinic und die Behandlung delinquenter Jugendlicher bildete einen Schwerpunkt ihrer Arbeit.

Ende der 1940er Jahre hielt Hedy Schwarz mehrere Vorträge in Wien (vgl. Aichhorn Th. 2012, S. 413, 427). In den 1970er Jahren begleitete sie Anna Freud bei ihren Besuchen in Wien. 

Hedy Schwarz adoptierte in ihren 1950er Jahren zwei Mädchen, Emily (1954) und Olivia (1957). 1957 heiratete sie den Geschäftsmann Hans Abraham. Nach der Trennung von ihm änderte sie ihren Namen in Schwarz-Braham.  

 

Ernst Ticho (1915-1997) studierte an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien. 1938/39 war er in den Konzentrationslagern Dachau und Buchenwald, bis es seinem Vater gelang, ihn aus dem Lager freizukaufen. Er emigrierte über die Schweiz nach Palästina, wo er bei Eitingon in Analyse war. In Jerusalem schloss er sein Jusstudium ab.[373]

1946 kam Ticho nach Wien zurück, wo ihn Aichhorn als einen der ersten Ausbildungskandidaten der WPV akzeptierte. Ticho nahm zudem ein Psychologiestudium in Graz auf.[374]

1950 wurde Ticho Mitglied der WPV; 1954 ging er nach Topeka. 1973 übersiedelte er nach Washington, DC, eröffnete psychoanalytische Praxis und wurden Mitglied der Washington Psychoanalytic Society. 

Gertrud und Ernst Ticho hielten den Kontakt mit der WPV aufrecht, sie kamen immer wieder zu Vorträgen nach Wien zurück und blieben Mitglieder der Wiener Vereinigung. 

 

Gertrude Ticho (geb. Höllwarth) (1920-2004) studierte an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien. Sie hat ihr Studium mit der Dissertation „Über Ranula“ bei Professor Emil Wessely 1944 abgeschlossen. Anschließend wurde sie an eine Klinik nach Leipzig versetzt, von wo sie bei Kriegsende über Tirol nach Wien zurückkehrte. In Wien arbeitete sie an der Psychiatrischen Universitätsklinik unter Otto Kauders, der der Psychoanalyse und einer psychoanalytischen Ausbildung gegenüber aufgeschlossen war. 

Im Mai 1949 wurde sie als Ausbildungskandidatin in die WPV aufgenommen. Sie und ihr späterer Mann Ernst Ticho, waren die ersten, die als Kandidaten der wiedereröffneten WPV ihre Ausbildung abgeschlossen haben. Die Lehranalytiker Gertrude Tichos waren Otto Fleischmann, nach dessen Abreise in die USA, Alfred Winterstein. Das Seminar für die Mitglieder (sie waren damals verpflichtet, die Seminare zu besuchen) und Ausbildungskandidaten (zum damaligen Zeitpunkt Gertrude Höllwarth und Ernst Ticho) leitete bis zum Sommersemester 1949 Otto Fleischmann (wöchentlich abwechselnd das theoretische und das technische Seminar) und dann Hans Aufreiter (das theoretische Seminar) und Tea Genner (das technische Seminar). Gastvorträge hielten Frederik J. Hacker aus Los Angeles und Hedy Schwarz aus London. Im Juni 1951 wurde Gertrude Höllwarth nach ihrem Probevortrag „Probleme der Deutung im Einleitungsstadium der Analyse“ einstimmig zum Mitglied der WPV gewählt. 

Noch im selben Jahr wanderte sie aus Abenteuerlust, wie sie später erzählte, nach São Paulo, Brasilien, aus, wo ihr in der ersten Zeit nach ihrer Ankunft der schon 1950 nach Brasilien gekommene Theon Spanudis hilfreich zur Seite stand. Alfred Winterstein schrieb im Juli 1951 an den Vorsitzenden der psychoanalytischen Arbeitsgemeinschaft in São Paulo: „Mit diesen Zeilen erlaube ich mir, Frau Dr. med. Gertrude Höllwarth, ein ordentliches Mitglied unserer Wiener Vereinigung, Ihrem Wohlwollen wärmstens zu empfehlen. Frau Dr. Höllwarth ist eine begabte, strebsame Analytikerin, die, wie ich hoffe, durch Ihre Gesellschaft die nötige Förderung innerhalb der ihr ganz neuen Umgebung erfahren wird. Indem ich der Erwartung Ausdruck gebe, daß sich Frau Dr. Höllwarth als wertvoller Zuwachs zu Ihrer Arbeitsgemeinschaft, der ich schönsten Erfolg wünsche, erweisen wird, verbleibe ich mit kollegialen Grüßen.“[375]

Gertrud Ticho berichtete Alfred Winterstein am 9. 12. 1951 aus São Paulo‎: „…von den Leuten der Vereinigung hier bin ich sehr nett aufgenommen worden. Dr. Koch, die erst vor drei Wochen aus Europa zurückkam, ist ein sehr anständiger Mensch und ebenfalls sehr entgegenkommend. Dr. Spanudis hat mir in sehr (fast zu) großzügiger Weise geholfen, die ersten Schwierigkeiten zu überwinden. Ich habe inzwischen eine sehr nette Wohnung im Zentrum der Stadt gefunden und arbeite mit 6 Patienten, was mir bereits eine auch für die hiesigen Verhältnisse über dem Durchschnitt stehende materielle Lage bietet. Die Leute der Vereinigung sind ausbildungsmäßig nicht überragend, aber sehr interessiert und aufgeschlossen und vor allem menschlich sehr anständig. Durch Dr. Koch besteht eine starke Neigung zum ‚Kleinianismus’, dem bietet Dr. Spanudis das Gegengewicht. (…) Die idealste Situation wäre alle die Möglichkeiten dieses Landes in Wien haben zu können.“[376] 

1954 entschloss sich Gertrud Höllwarth nach Topeka, Kansas, zu übersiedeln, wo Ernst Ticho seit 1953 an der Menninger Clinic arbeitete. In den USA heirateten die beiden. Gertrud Ticho übernahm die Leitung des Instituts, Ernst Ticho leitete die Ambulanz. In den folgenden Jahren kam es zu einer engen Zusammenarbeit zwischen den Tichos und Otto Kernberg, dem Leiter der Klinik (Interview: Th. Aichhorn & Friedl Früh am xxxx in Washington DC). 

1973 übersiedelte sie nach Washington DC, eröffnete eine psychoanalytische Praxis und wurde Mitglied der Washington Psychoanalytic Society. Ihre berufliche Karriere setzte Gertrud Ticho als Clinical Professor an der George Washington University fort. 

 

Otto Spranger (1901-1984) führte ein abwechslungsreiches Leben. Als Kind reiste er mit einer zehnköpfiger Schauspielerfamilie von Ort zu Ort. Nach Ablegung der Gymnasialmatura 1920 ging er für 5 Jahre zum Theater. Er erwarb 1925 das Philosophiedoktorat an der Universität Wien, war Direktor der Arbeiterbüchereien und unterrichtete Geschichte an verschiedenen Wiener Gymnasien. Während dieser Zeit trat er in Verbindung mit der Psychoanalytischen Vereinigung und unterzog sich bei Robert Wälder einer Analyse. 1938 war er von Robert Wälder, der nach den USA emigriert war,  an Aichhorn verwiesen worden. Aichhorn schreibt am 23. Juni 1947: „Hiermit wird bestätigt, dass Herr Professor Dr. Otto Spranger im Frühjahr 1937 zu einer Lehranalyse im Wiener Psychoanalytischen Institut zugelassen wurde, die seinerzeit von Dr. Robert Wälder im April 1937 begonnen und nach dessen Ausreise im Mai 1938 von mir bis Ende September 1938 fortgesetzt wurde.“[377] 

Spranger emigrierte zunächst in die Schweiz, wo er als Psychologe an einer Privatschule arbeitete. Anschließend ging er nach England. 1940 ließ er sich in New York nieder und eröffnete eine Praxis. Er war Mitglied des von Reik gegründeten psychoanalytischen Vereins (National Psychological Association for Psychoanalysis - NPAP), dessen Vizepräsident er 1952/53 war. Er unterrichtete Psychologie an der New York University und an der Adelphi Universität in Long Island. 1980 ist sein Buch Steinige Straßen,[378] es sind seine Erinnerungen an Kindheit und Jugend, erschienen.

Am 1. Jänner 1946 schrieb Spranger an Aichhorn: „Es war eine ungeheure Freude für mich zu hören, daß Sie diese schrecklichen Jahre überstanden haben. Peter Blos erzählte es mir, und Ihre jetzige Adresse bekam ich durch Dr. Kris. Ich vor einigen Monaten versucht Sie durch ein Tracing Bureau zu erreichen, scheinbar ohne Erfolg. […] Von meinen Leuten in Wien und Wiener Neustadt habe ich Nachricht erhalten; leider sehr traurig. Meine Mutter ist gestorben, ein Bruder von mir ist seit 1943 in Polen verschollen, ein anderer Bruder ist in russischer Kriegsgefangenschaft. Ein Neffe ist gefallen, ein anderer ist in englischer Kriegsgefangenschaft. Das Haus, in dem meine Familie lebte, ist zerstört, und meine zwei Schwestern sind nach Rohr im Gebirge evakuiert worden. […] Ich habe hier sehr viel zu tun; vier vormittags Jobs, eines davon an der New York University (Lese Störungen), zwei an Schulen und eines in einer Fürsorge Agency. Am Nachmittage arbeite ich privat. Sie haben meine analytische Weiterentwicklung noch zuletzt in der Schweiz bestimmt, als Sie mich mit Dr. Bally bekannt machten. Er stellte mich Dr. Erich Fromm vor, der damals gerade in Zürich war. Durch ihn lernte ich Dr. Witt, meinen späteren Analytiker, kennen. Alle diese Leute haben eine reichlich unorthodoxe Haltung und durch sie bin ich ins gleiche Fahrwasser geraten. Ich denke, der weniger dogmatische und meiner Meinung nach mehr wissenschaftliche Gesichtspunkt dieser Gruppe würde Ihnen gut passen. – Hier gibt es gegenwärtig vier verschiedene Schulen, die einander sehr hassen. Meine eigene Analyse hat lange gedauert, aber ich denke sie war ein anständiges Stück Arbeit von beiden Seiten. Jedenfalls hat sie mir eine Unabhängigkeit gegeben, die ich früher nicht besaß. Diese Unabhängigkeit und das vollständige Fehlen das Laien-Inferioritäts-Komplexes (Analyse ist für mich im wesentlichen Erziehung und Nacherziehung und ihr Zusammenhang mit der Medizin scheint mir lose) macht natürlich die Rechtgläubigen gelegentlich wütend; wenn sie schon einen Laien dulden, dann sollte er sich wenigstens fürchten und bescheiden sein. Über alle diese Dinge möchte ich schrecklich gerne mit Ihnen reden. Meine Zukunftspläne stehen noch nicht ganz fest. Augenblicklich scheint es mir am besten noch etwa fünf Jahre hier zu bleiben und mir genug zu ersparen, daß ich in Österreich oder sonst irgendwo bescheiden leben und mich dem Schreiben widmen kann.“[379] 

Aichhorn antwortete ihm: „Was Sie mir von Ihren ‚jobs‘ schreiben, zeigt, Ihre Arbeitsfähigkeit und daß Sie sich nicht mehr ‚fürchten und bescheiden‘ sind, mitunter auch ‚Rechtgläubige‘ wütend machen können beweist, daß Sie auch Ihre Minderwertigkeitsgefühle abgelegt haben. Schön finde ich Ihre Zukunftspläne, die ja in Aussicht stellen, daß wir in absehbarer Zeit hier über manches und unterhalten werden. Ich würde Sie sehr gerne in Wien begrüßen. Recht traurig ist das Schicksal Ihrer Angehörigen. Es ist so schrecklich, daß man hier über das viele furchtbare eigene Erleben und Erleben in der unmittelbaren Umgebung hart wird und nicht mehr richtig abmisst, was der andere leidet.“[380]

Im Mai 1946 schrieb Spranger an Aichhorn: „Ich hätte Sie natürlich eine ganze Menge zu fragen, will mich aber so weit als möglich beschränken. Was mich vor allem interessiert ist natürlich wie es Ihnen persönlich ergangen ist. Es scheint so unglaublich, daß Sie alle diese Jahre in der Schönbrunnerstrasse gesessen und analysiert haben sollen. Oder hat man Sie gestört? Ich hörte, daß Sie zuletzt in Vöslau waren. Stimmt das? Die bloße Tatsache Ihrer Existenz und Ihrer Arbeit unter den Nazis scheint mir eine der abenteuerlichsten Geschichten unserer Zeit. Ich weiß nicht bis zu welchem Grade Sie sich bewusst sind, wie viel Ihr Name hier unter den social worker (Fürsorge-Arbeitern) bedeutet. Ich fand Ihr Buch in einer Menge von Bibliotheken, und jedermann, dem ich erzählte, daß ich mit Ihnen in Berührung gewesen war, scheint davon stark beeindruckt. In Wirklichkeit verdanke ich ja das meiste, was ich von praktischer Arbeit weiß, der kurzen Periode meiner Zusammenarbeit mit Ihnen, und ich hoffe etwas Ordentliches daraus gemacht zu haben. Sie haben mir nicht nur die Courage gegeben analytisch zu arbeiten, sondern meine weitere Laufbahn noch durch Ihren letzten Besuch in der Schweiz bestimmt. Daß mein Weg dann über Dr. Bally und Dr. Fromm von der klassischen Analyse wegführte, kann ich nicht bedauern. Sie haben mir aber auch, und das ist mehr als alles, ein Stück Glauben an die Menschheit gegeben in einer Zeit wo ich das verdammt brauchte. […] Schließlich haben Sie im 38-er Jahr klarer als ich gesehen, und mir ohne Rücksicht auf klassische analytische Haltung den Fußtritt gegeben, der mich über die Grenze beförderte. Und ich habe diesen Fußtritt damals sicher gebraucht.“[381]

Aichhorn antwortete: „In meiner Arbeit in der Schönbrunnerstraße wurde ich nur soweit gestört, daß die Ausübung der Psychoanalyse verboten war und ich unter dem Titel #psychotherapeutischer Behandlung‘ arbeiten durfte. Als behandelnder Psychologe war mir das möglich. Einigen Briefe aus Amerika entnehme ich, daß ich einem bestimmten Kreis in Amerika recht bekannt sei und wundere mich jedes Mal über die Nachricht. Daß ich Ihnen einiges helfen konnte, macht mich froh und gerne erinnere ich mich an unser Zusammentreffen in der Schweiz.[382] Ohne das Stück ‚Glauben an die Menschheit‘ geht die analytische Arbeit nicht. Ich habe seit 1938 junge Ärzte und akademische Psychologen in Lehranalyse gehabt und jedes Mal war es mir am Wichtigsten, zuerst die menschlichen Qualitäten jener die Analytiker werden wollen, zu erkennen. Ohne die richtigen Beziehungen können wir Menschen die in Not sind mit dem Wissen allein nicht helfen. Sie haben recht, daß die beste Form den Dank nicht mir sondern der Analyse abzustatten der ist, das zu tun, was die Menschen brauchen. In solchen Fällen leiste ich wirklich auf klassische analytische Haltung Verzicht. Der eine bekommt den ‚Fußtritt‘, der andere wird ‚in Watte eingewickelt‘.“[383]

Im Juli 1947 schrieb Aichhorn: „War Ihr Freund Dr. Matejka[384] auch Mittelschulprofessor? Ich glaube, daß er uns sehr wohlgesinnt gegenüber steht. Es ist für uns von recht großer Bedeutung, daß er als amtsführender Stadtrat das Kulturreferat der Gemeinde Wien führt. Dr. Hollitscher arbeitet mit ihm. Innerhalb der Vereinigung wird Dr. Hollitscher vorwiegend in der wissenschaftlichen Abteilung beschäftigt sein, da er infolge anderweitiger Innanspruchnahme für therapeutische Arbeit kaum Zeit finden wird. In Berlin scheinen Nachwirkungen des Deutschen Instituts für Psychologische Forschung und Psychotherapie in der Form sich geltend zu machen, daß Spaltungen merkbar werden. Dr. Müller-Braunschweig sammelt um sich was sich noch zur freudschen Analyse bekennt. Mit der Budapester Vereinigung haben wir schon Verbindung und in Prag macht ein Arzt Anstrengungen eine psychoanalytische Bewegung zu entfachen.[385]

Hier in Wien wurde wirklich ein großes Stück Arbeit geleistet, wenn man die gegebene Situation berücksichtigt. Recht viel Mühe machte schon eine Wohnung zu finden, in einem zerbombten Viertel, Räume, die vorher von Soldaten als Quartier benützt und dementsprechend behandelt worden waren. Stellen Sie sich bloß vor, daß in der glaslosen Zeit 90 m2 Fensterglas aufgetrieben werden mussten, eingetretene Türen instand zu setzen waren und dann die Räume jeder Einrichtung entbehrten. Wenn die Post die Beförderung von Fotografien übernimmt, schicke ich Ihnen einige Bilder aus denen Sie dann entnehmen werden, daß die Vereinsräume jetzt schöner eingerichtet sind, als seinerzeit in der Berggasse. Die Kosten waren natürlich enorm und wären nicht aufzubringen gewesen, wenn nicht jemand (mit sehr viel Geld), der seinerzeit lange Jahre an einer schweren Zwangsneurose gelitten hat, durch die Behandlung bei mir völlig gesundete, das Geld dafür zur Verfügung gestellt hätte. Den organisatorischen Aufbau, der den gegenwärtigen Verhältnissen Rechnung trägt – wir können die Arbeit nicht so fortsetzen, wie sie 1938 aufgehört hat – enthält eine Drucksache, die ich im gesonderten Umschlag mit gewöhnlicher Post schicke.“[386]

Im Februar 1948 schrieb Aichhorn an Spranger: „Sind nicht alle nichtärztlichen Analytiker in derselben Situation wie Sie? Ich könnte mir vorstellen, daß sich durch relativ geringen Propaganda Aufwand eine Vereinigung aller dieser Menschen herstellen ließe. In dem Augenblick, in dem eine größere Gruppe nichtärztlicher Analytiker sich an die amerikanische Analytische Vereinigung wendet, muß sich doch die Möglichkeit finden, diese Gruppe einzureihen. Ich könnte mir auch vorstellen, daß wenn die amerikanische Vereinigung Schwierigkeiten macht, daß eine Eingabe an die Internationale Vereinigung von Erfolg begleitet sein dürfte. […] Ich kann mir vorstellen, daß der Hauptwiderstand der sein wird, die nichtärztlichen Analytiker zur Behandlung von Erwachsenen zuzulassen. Irgendeine Vereinbarung dürfte sich doch finden lassen. Wenn Sie sich nun an die Spitze dieser Bewegung stellten, wird man Sie gewiß nicht mehr als Außenseiter auffassen können und je größer die durch Sie angefachte Bewegung wird, umso mehr muß und wird man auch mit Ihrer Person rechnen. Ich interessiere mich sehr, wie Sie zu dieser Angelegenheit Stellung nehmen. […] Wenn Sie meine Meinung, als Austausch Professor nach Wien zu kommen, nicht teilen, sondern sich darauf einrichten, 1950 mit Ersparnissen nach Wien zu kommen, dann werde ich mich natürlich über Ihre Mitarbeit freuen.“[387]

Im Februar 1948 schrieb Aichhorn: „Vor allem bitte, nehmen Sie zur Kenntnis: ich verbiete meinen Freunden mich mündlich oder schriftlich in Briefen mit  ‚Professor‘ anzusprechen. Auch innerhalb der Vereinigung weiß man das und hält sich danach. Die Verleihung dieser Auszeichnung ist mir persönlich nicht wichtig, dazu bin ich schon zu alt geworden. Sie ist von Bedeutung durch ihre Begründung. In der Verständigung, die mir Unterrichtsminister Dr. Hurdes zuschickte hieß es: ‚Der Herr Bundespräsident hat Ihnen in Anerkennung hervorragender Verdienste um die Seelenheilkunde und die Jugendfürsorge den Titel Professor taxfrei verliehen‘: Damit ist von oberster österreichischer Staatsstelle zum ersten Male ausgesprochen, daß die Seelenheilkunde nicht eine ausschließliche Domäne des Arztes ist und das wird sich in dem Kampfe, den nicht ärztliche Psychoanalytikern die Praxis zu ermöglichen, günstig auswirken.“[388]

Nachdem Spranger Aichhorn im Sommer 1948 in Bad Gastein besucht hatte, schrieb ihm dieser: „Wenn Sie mir mitteilen, daß Sie sich über unser Zusammensein freuten, so geben Sie nur einem Gefühl Ausdruck, das gleicherweise auch mich beherrscht. Die Tage unseres Zusammenseins waren sehr schön. Ich verstehe Sie sehr gut, daß die Heimat Sie nicht loslässt. Ich kann mir auch nicht vorstellen, mich in Amerika wohlzufühlen. Wir sind beide irgendwie zu sehr mit dem Boden verwurzelt. Mir würden Sie natürlich große Freude machen, wenn Sie 1950, bei Beibehaltung Ihrer amerikanischen Staatsbürgerschaft, zu gemeinsamer Arbeit nach Wien kämen. Zu tun gibt es eine Unmenge. Wie sich die Lage materiell gestalten wird, weiß ich nicht, sicherlich hält die Verdienstmöglichkeit hier, mit der in Amerika einen Vergleich nicht aus.“[389]

Im September 1949 schrieb Spranger an Aichhorn: „Es ist mir natürlich unendlich schmerzlich gewesen, daß Sie an unseren weiteren Sitzungen infolge Ihrer Krankheit nicht mehr teilnehmen konnten. Mittwoch früh fliege ich wieder ab. Dr. Fleischmann hat mich ersucht, die Bedingungen zu präzisieren, unter denen ich bereit wäre, für drei Jahre zum Aufbau und zur Leitung des geplanten Instituts [„Forschungs- und Behandlungsinstitut für seelische gestörte Kinder“] nach Wien zu kommen.

Ich denke, daß ich dazu nur bereit wäre, wenn Sie die geistige Oberleitung behielten und uns nach Maßgabe Ihrer Kräfte mit Ihrem Rat unterstützten. Ich fühle, daß es im beiderseitigen Interesse liegt, für den Fall meiner Rückkehr meinen Aufgabenkreis klar zu umschreiben, bevor ich mich zu einem so schwerwiegenden Schritte entschließe. Ich nehme an, daß ich als Direktor des zu gründenden Institutes nach Wien käme. Als meine Obliegenheiten würde ich die Vertretung der Klinik nach außen, die Organisation der Arbeit, die Finanzgebarung und Einfluß auf die Auswahl der auszubildenden Kandidaten betrachten. Lassen Sie mich bitte wissen, ob Ihnen meine Mitarbeit unter diesen Bedingungen angenehm ist.“[390]

Nach Aichhorns Tod wurden alle diese Projekte nicht weiterverfolgt.

 

Friedrich Hacker (1914-1989) wuchs in Wien auf. Er floh 1938 vor den Nazis zunächst in die Schweiz, wo er sein bereits in Wien begonnenes Medizinstudium 1939 abschließen konnte. 1940 verließ er Europa und ging in die USA, wo er zunächst an mehreren Kliniken angestellt war und 1945 die Hacker Psychiatric Clinic (Beverly Hills und Lynwood, Kalifornien) gründete sowie die Hacker Foundation (Beverly Hills). Er arbeitete mit den emigrierten Mitgliedern der Frankfurter Schule zusammen, unter anderem an der Untersuchung über den „autoritären Charakter“.

In späteren Jahren war er Professor an der University of Kansas und an der Universität von Südkalifornien in Los Angeles. 

1968 begründete Hacker in Wien die Sigmund-Freud-Gesellschaft, als deren erster Präsident er maßgeblich dazu beitrug, die Wohnung Sigmund Freuds zu erhalten. Heute ist dort das Sigmund Freud-Museum untergebracht. 

Hacker war 1976 Gründer und wissenschaftlicher Leiter des „Instituts für Konfliktforschung“ in Wien. Hackers Rat wurde in den USA und in Europa in spektakulären Verbrechensfällen gesucht und er war als Sachverständiger mit diversen, aufsehenerregenden Mordprozessen befasst. Seine Bücher erreichten Millionenauflagen. 

1948 war Hacker in Wien, wo er bei Aichhorn, mit dem er schon vor 1938 bekannt gewesen sein dürfte, in Behandlung war. Er schrieb an Aichhorn: „Selten ist es mir noch so schwer gefallen, in geschriebenes Wort zu übersetzen was mir so sehr das Herz erfüllt, obwohl, oder vielleicht gerade weil [es] mir doch sonst so leicht kommt, meine Gedanken in wohltönenden Phrasen zu formen. Aber gerade das will ich eben diesmal vermeiden, denn nichts wäre Ihnen weniger willkommen oder meinen eigenen Gefühlen entsprechend, wenn ich in anstrudelnder Weise und in geschwollenen Worten meine Anerkennung ausdrücken würde. Und doch drängt es mich, Ihnen zu sagen, was ich sagen muß, nämlich daß mir die kurze analytische Arbeit mit Ihnen ein Erlebnis von weitreichender Bedeutung in meinem Leben gewesen ist, daß ich Ihre Genialität und Ihr schlaues Wissen ebenso bewundere wie Ihre Kunst der Menschenbehandlung und Ihre Wärme, die Sie dann besonders beweisen, wenn Sie sie am meisten abzustreiten bemüht sind. Sie haben mir wirklich ungeheuer geholfen, soweit ich das wenigstens schon jetzt absehen kann, es hat sich sehr vieles in mir und um mich geändert und ich bin sehr froh darüber. Absichtlich will ich mich in diesem Augenblick von jeder Übertreibung fernhalten und schließlich bleibt ja noch genug Zeit später, um die Endresultate gerechter als dies jetzt möglich wäre, einzuschätzen, wen ich mir auch bewusst bin, daß das bisher geleistete keineswegs genügend gewesen sein wird und ich fest entschlossen bin, nächstes Jahr die mit Ihnen begonnene Arbeit mit Ihnen fortzusetzen. Aber schon jetzt kann man sagen, daß mir die mit Ihnen verbrachte Zeit nicht nur große Erleichterung gegeben hat, sondern meinen Blick für so viele andere, scheinbar unpersönliche Probleme entscheidend gewandelt hat, es ist halt doch durch den Bauch gegangen.“[391]

Aichhorn antwortete ihm: „Mit dem Brief haben Sie mir viel Freude gemacht, weil ich daraus entnehme, daß wir in den paar Tagen, in denen wir beisammen waren, gemeinsam manches erarbeiten konnten, was für Ihre Weiterentwicklung von Bedeutung ist. Sie wissen, wie sehr ich Wert darauf lege, dass es in der Analyse zu einem wirklichen Erleben kommt und das scheint der Fall gewesen zu sein.“[392]

Im März 1949 schrieb Hacker an Aichhorn: „Bezüglich der hiesigen Projekte, die wir seinerzeit in Wien besprachen, kann ich leider nicht viel neues berichten, ich habe mit unzähligen Funktionären der psychoanalytischen Gesellschaft bezüglich Organisation einer größeren Aktion für die Wiener Gesellschaft gesprochen, hatte aber bisher wenig Glück. Ich freue mich daher, daß wenigstens Eissler und mein guter lieber Jekels eine Gesellschaft gegründet haben, die funktioniert,[393] obwohl ich von diesen Plänen nichts wusste, bis ich durch ein Prospekt davon erfuhr.“[394]

Im Sommer 1949 war Hacker abermals nach Wien gekommen. Er schrieb Aichhorn: „Nochmals wollte ich Ihnen vor allem herzlichst danken für all die Mühe, die Sie sich wiederum mit mir genommen haben, es ist benahe unnötig zu betonen, daß auch diesmal das arbeiten mit Ihnen ein wunderbares und einmaliges Erlebnis war, für das ich niemals aufhören werden, dem Schicksal und Ihnen dankbar zu sein. Sie haben mir unzweifelhaft wieder sehr geholfen in jeder Hinsicht, ich fühle mich momentan großartig, bin aber davon überzeugt und zwar aus vielen Gründen, daß diesmal der Erfolg ein anhaltender und wirklich einschneidender sein wird. Dies ist letztlich Ihrer Wärme und Ihrem psychologischen Genie zuzuschreiben und Sie sollen wissen, daß trotz aller Schimpferei ich das weiß und nicht vergessen werde.“[395]

Daraufhin Aichhorn: „Sie bedanken sich in Ihrem Brief vom 16. 7. für die Mühe, die ich mir wiederum mit Ihnen genommen habe. Das stimmt nicht. Wenn Sie selber nicht so bei der Sache gewesen wären, hätte all mein Unternehmen keine Früchte tragen können. Lieber Doktor, Sie kennen doch meinen alten Satz, nicht wahr? Er heißt: Sie allein können nichts, ich allein kann auch nichts, aber wir beide zusammen werden die Arbeit bewältigen. Auch ich habe, so wie Sie, ein recht gutes Gefühl für die Zukunft. Das Sie geschimpft haben, hat ja den Erfolg gebracht und deswegen freue ich mich heute noch über Ihre Schimpferei.“[396]

Im September 1949 schrieb Hacker: „Ich denke ungemein oft an Sie und erzähle auch ununterbrochen allen von Ihren wunderbaren Eigenschaften und Ihrem Wesen und kann es schon jetzt kaum erwarten, Sie hoffentlich nächstes Jahr in bester Gesundheit in Wien wieder zu sehen.“[397]

Dieser Brief blieb unbeantwortet; Aichhorn starb am 13. 10. 1949. 

 

Quellen:

 

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Archiv des Freud Museums, London.

Archiv des Wiener Stadtschulrats.

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Archiv Th. Aichhorn, Wien.

Archiv der Stadt Graz. 

AWPV = Archiv der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung. 

BAK = Bundesarchiv Koblenz.

EKP/LoC = Ernst Kris Papers im Archiv der Library of Congress, Washington.

NAA = Nachlass August Aichhorn, Archiv Th. Aichhorn, Wien.

NLB = Nachlass Lambert Bolterauer.

NOF = Nachlass Otto Fleischmann im Archiv der Library of Congress, Washington. 

NRD = Nachlass Rosa Dworschak im Archiv Thomas Aichhorn, Wien.

ÖStA = Österreichisches Staatsarchiv.

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Otto Fenichel Papers im Archiv der Library of Congress, Washington.

 

Literatur:

 

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[1] Vortrag am 21.11.2018 im Rahmen der Vorlesungsreihe „ZUR GESCHICHTE DER PSYCHOANALYSE - TEIL 3 – Zweiter Weltkrieg und Nachkriegszeit in Wien“. Erweiterte Fassung.

[2] Im Nachlass Aichhorns findet sich ein Schreiben vom 5. 6. 1945 „An das Staatsamt für Volksaufklärung, für Unterricht und Erziehung und für Kultusangelegenheiten“ betreffs der Umwandlung der Wiener Zweigstelle des ehemaligen Reichsinstituts für Psychologische Forschung und Psychotherapie in ein ‚Österreichisches Institut für Psychologische Forschung und Psychotherapie’“. In diesem Schreiben heißt es, dass im April 1945 eine provisorische kommissarische Leitung für das Institut bestellt worden sei – als Adresse des Instituts wird Wien I., Wollzeile 9 angegeben. Im Mai hätten nun die Mitglieder des Instituts einen provisorischen Vorstand gewählt, der beauftrag sei, die Wiener Zweigstelle des ehemaligen Reichsinstituts in ein ‚Österreichisches Institut für Psychologische Forschung und Psychotherapie’ umzuwandeln. Das Institut stelle sich die Aufgabe, die Tradition der Wiener psychotherapeutischen Schulen wiederaufzunehmen und wolle daher die theoretischen Erkenntnisse der Tiefenpsychologie pflegen und sie praktisch nutzbar machen. Auch solle so bald als möglich die Verbindung mit der internationalen allgemeinen ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie wiederhergestellt werden. Das Schreiben schließt mit dem Absatz: „Wir bitten um baldige Erledigung unseres Ansuchens und erlauben uns, mit folgendem Hinweis zu schließen: Österreich ist das Geburtsland der modernen Tiefenpsychologie. Als die Bücher von Freud und Adler während der ersten Tage des dritten Reiches in Berlin verbrannt wurden, erhob sich in der Kulturwelt ein Ruf der Entrüstung. Es gehört daher wohl zu Österreichs Ehrenpflicht, sich auch auf dem Gebiet dieser Wissenschaft wieder die Stellung zu sichern, die seiner großen Tradition würdig ist“ (Schreiben vom 5. 6. 1945; Kopie: NAA. Die Kopie ist nicht unterzeichnet).

[3] F. Birnbaum an A. Aichhorn, Brief vom 20. 6. 1945; Original: NAA.

[4] Birnbaum suchte am 1. 10. 1945 um Reaktivierung des Vereins für Individualpsychologie an. Am 25. 11. 1946 kam es schließlich zur ersten Generalversammlung des Vereins, bei der die Vereinsstatuten beschlossen und der Vorstand gewählt wurde. Der erste Obmann war Karl Nowotny, sein Stellvertreter Ferdinand Birnbaum (Gstach 2006, S. 43f)]

[5] Lajos Lévy berichtete Anna Freud, dass Otto Pötzl, der von 1917 bis 1933 Mitglied der WPV gewesen war, und Otto Kauders beabsichtigt hätten, ihrerseits einen psychoanalytischen Verein zu begründen: „Ich habe von Aichhorn gehört, dass erst Pötzl, dann der ignorante Kauders danach strebten“ (L. Lévy an A. Freud, Brief vom 11. 9. 1948; Original: AFP/LoC).

[6] A. Aichhorn an F. Birnbaum, Brief vom 27. 6. 1945; Kopie: NAA) .

[7] Dem Proponentenkomitee gehörten Aichhorn, Friedl und Hans Aufreiter, Hedwig und Lambert Bolterauer, Tea Genner-Erdheim, Emmy Miklas, Barbara und Theodor Scharmann, Wilhelm Solms-Rödelheim, Theon Spanudis, Alfred Winterstein und Klara Wolf an. Als sich dieses Komitee als provisorischer Vereinsvorstand konstituiert hatte, fungierte Aichhorn als Obmann, als sein Stellvertreter Winterstein, Kassier war Lambert Bolterauer und Bibliothekar Spanudis. In einer späteren Fassung kamen dann noch Hans Aufreiter und Solms-Rödelheim als Schriftführer hinzu (Kopien der Dokumente: NAA).

[8] Proponenten-Komitee an das Staatsamt für Unterricht, Schreiben vom 27. 6. 1945; Kopie: AWPV.

[9] Dass die Auflösung der WPV formal nicht rechtskräftig war, die dazu notwendigen Bescheide konnten 1938 nicht zugestellt werden, da die Empfänger alle schon emigriert waren, ist damals offenbar niemandem aufgefallen.

[10] Anna Freud hatte geschrieben: „If you think that it is possible to have an Institute again, then I am sure you are right. Anyway, I would always trust your judgment of any situation” (Aichhorn, Th. 2012, S. 168).

[11] Aichhorn war allerdings Mitglied der D.A.F. (Deutsche Arbeitsfront), des N.S.V. (Nationalsozialistische Volkswohlfahrt) und des R.L.B. (Ziviler Luftschutz). Mitgliedschaften, die wohl im Zusammenhang mit seinen Versuchen, seinen Sohn zu unterstützen, und seiner Berufsausübung als „Behandelnder Psychologie“ zu verstehen sind (Akt: ÖStA).

[12] Kopie: NAA. 

[13] Der Kurs fand noch im Rahmen des „Österreichischen Instituts für psychologische Forschung und Psychotherapie“, Wien I., Wollzeile 9, statt. Aichhorns Beitrag wurde in „August Aichhorn – Vorlesungen“ 2015 veröffentlicht (vgl. Aichhorn 2015). 

[14] Bereits in seinem allerersten Brief hatte Eissler geschrieben: „I heard about you + saw your picture + both touched me deeply and I felt grateful that you went through the horror of the last seven years unharmed. The gentle + kind expression on your face taught me that you have not changed that that generosity + and warm feeling for mankind which I admired + cherished so much. […] I wish you could break your ties to Vienna + could come here. There is a vast field + you would be welcomed by a large number of people. In the treatment of delinquents this country is not adequate + your contribution would be of greatest importance. I guess it will be difficult for you to make such a change, but I think you should do it. I think it was my greatest lesson to see how people live here. It is entirely different from the ways we were accustomed. You can imagine how deeply hurt I felt about what I experienced in Vienna + I must admit that I don’t want to go ever back. You are the only ray of light I can remember + I am most desirous to meet you as son as possible” (K. R. Eissler an A. Aichhorn, Brief vom 1. 11. 1945; Aichhorn Th. & Schröter 2007, S. 16f).

[15] A. Aichhorn an K. R. Eissler, Brief vom 8. 2. 1946; Aichhorn Th. & Schröter 2007, S. 24. 

[16] A. Aichhorn an K. R. Eissler, Brief vom 17. 5. 1946; Aichhorn Th. & Schröter 2007, S. 30.

[17] A. Aichhorn an K. R. Eissler, Brief vom 17. 6. 1946; Aichhorn Th. & Schröter 2007, S. 33.

[18] A. Aichhorn an K. R. Eissler, Brief vom 17. 3. 1946; Kopie: NAA.

[19] R. Eissler an A. Freud, Brief vom 2. 2. 1946; Original: AFP/LoC.

[20] A. Freud an R. Eissler, Brief vom 2. 3. 1946; Kopie: AFP/LoC.

[21] K. R. Eissler an A. Aichhorn, Brief vom 26. 4. 1946; Original: NAA und Aichhorn Th. & Schröter 2007, S. 29.

[22] Der Vorstand des psychologischen Instituts der Wiener Universität, Hubert Rohracher, hatte die Einladung zur Teilnahme an der Festsitzung abgelehnt. Er hatte an Aichhorn geschrieben: „Ich danke Ihnen nochmals für Ihre freundliche Einladung zur Eröffnungsfeier, zu deren Besuch ich mich aus Gründen, die ich Ihnen mündlich dargelegt habe, nicht entschliessen kann. Ich wünsche Ihnen und Ihrer Vereinigung Glück und Erfolg“ (H. Rohracher an A. Aichhorn, Brief vom 9. 4. 1946; Original: NAA).

[23] E. Kris an A. Aichhorn, Brief vom 11. 12. 1945; Original: NAA. 

[24] „Wien, am 1. Dezember 1945, Wiener Magistrat, Magistratsabteilung VII/2, im staatlichen Wirkungskreis; Herrn August Aichhorn, behandelnder Psychologe […] Bescheid: Auf Grund des am 25. September 1945 von Ihnen gemeinsam mit Dr. phil. Alfred Winterstein und am 20. Oktober von Dr. Phil. Lambert Bolterauer, Dr. med. Tea Genner-Erdheim und Dr. med. Kurt Fellner gemäß § 1, Absatz 2, des Verfassungsgesetzes vom 31. Juli 1945, St.G.Bl.Nr.102, über vereinsrechtliche Maßnahmen (Vereinsreorganisationsgesetz) eingebrachten Antrages ergeht folgender Spruch: Die Auflösung des Vereins Wiener Psychoanalytische Vereinigung mit dem Sitz in Wien, die auf Antrag des Stillhaltekommissars für Vereine, Organisationen und Verbände vom 25. August 1938, Az.IV AD 9A IV/a, auf Grund des Gesetzes vom 14. Mai 1938, Gesetzblatt für das Land Österreich Nr. 136/1938, vom Wiener Magistrat mit Bescheid vom 1. September 1938, M.-Abt.2/5624/39, angeordnet wurde, wird außer Kraft gesetzt. Der Verein darf jedoch seine Tätigkeit erst aufnehmen, bis der provisorische Vereinsvorstand gemäß § 6, Absatz 1, des bezogenen Verfassungsgesetzes behördlich bestellt ist“ (Typoskript im NAA).

[25] Aichhorn an Paul Kramer: „Mir macht augenblicklich außer meiner Alltagsarbeit die Wiederinbetriebsetzung der Wiener psychoanalytischen Vereinigung viel Arbeit. Ich sorge nicht nur für den inneren Aufbau, sondern mit Hilfe eines Mäzens, der mir die Mittel zur Verfügung stellt, schaffe ich der Vereinigung auch ein wirklich würdiges Heim. Es ist hier nicht leicht, von den Fensterscheiben, die alle zerbrochen sind, bis zur fertigen Einrichtung […] alles zu beschaffen. Man macht sich bei Euch wahrscheinlich keine Vorstellung was es heißt, Maurer, Tischler, Tapezierer, Schlosser, Glaser u.s.w. in Bewegung zu setzen und das Material zu beschaffen. Es ist nicht leicht, Menschen zu geregelter beruflicher Arbeit zu finden, in einer Zeit, in der durch den Schleichhandel so viele Menschen durch ungeheuren Verdienst demoralisiert werden. Es macht mir aber große Freude über die Hindernisse hinwegzukommen und das Werk langsam wachsen zu sehen“ (A. Aichhorn an P. Kramer, Brief vom 24. 2. 1946; Kopie: NAA).

[26] Aichhorn berichtete: „Für die Vereinigung, das Ambulatorium und die Erziehungsberatung waren Räume zu finden. Da meine Wohnung in der Schönbrunnerstraße durch 2 Bombenvolltreffer im Hinterhaus und den Zerstörungen durch eines in meinem Arbeitszimmer während der Kampftage explodierten Artilleriegeschosses unbewohnbar geworden war, fasste ich den Entschluß, meine Wohnung und das Heim der Vereinigung zusammenzulegen. Auf einem recht langen Leidensweg gelang es, in der Rathausstraße 20 eine sehr schöne 6 ½ Zimmer Wohnung zu bekommen. 3 Räume verwende ich für mich, 3 ½ Räume bekommt die Vereinigung als mein Untermieter. Einer der Räume, 8.70 m lang und 5.80 m breit, wird als Sitzungs- und Kurszimmer für 40 – 50 Personen eingerichtet. Ich fand einen Gönner, der die Einrichtung dieses großen Raumes durch Prof. Haerdtl* besorgen lässt (Im Februar soll der Raum eingerichtet sein). Die restlichen 2 Zimmer, die wenn es notwendig werden sollte in 4 Räume abgeteilt werden können, sind Behandlungsräume, das Kabinett wird für den Leiter des Ambulatoriums eingerichtet, Küche und Dienerzimmer, die nebeneinander liegen, werden als Bibliothek verwendet. Das Vorzimmer ist der Warteraum. Der besondere Vorteil dieser Wohnung ist, daß sie 2 getrennte,   gegenüberliegende Eingänge hat, so daß der Ambulatoriumsbetrieb sich völlig ungestört von meiner Privatwohnung abspielen kann“ (A. Aichhorn an M. Mahler-Schönberger, Brief vom 13. 12. 1945; Kopie: NAA).

* Oswald Haerdtl (1899-1959), studierte an der Wiener Kunstgewerbeschule. Haerdtl ermöglichte mit seiner Lehr- und Bautätigkeit sowie durch internationale Verbindungen (besonders nach Italien und Frankreich) die Kontinuität der klassischen Wiener Moderne im Wiederaufbau der Nachkriegszeit.

[27] Die Konstituierende Generalversammlung, bei der der provisorische Vereinsvorstand bestätigt wurde, fand am 29. Mai 1946 statt (Protokoll: AWPV).

[28] In der (unveröffentlichten) Festschrift zur Wiedereröffnung am 10. April 1946 heißt es: „Professor Sigmund Freud gründete im Jahre 1908 die Wiener Psychoanalytische Vereinigung. Nach 30jährigem Bestehen beantragte am 25. 8. 1938 der ‚Stillhalte Kommissar für Vereine, Organisationen und Verbände’ die Auflösung der WPV, die vom Magistrat mit Bescheid vom 1. 9. 1938 […] angeordnet wurde. Am 4. 1. 1946 verlautbarte die MA VII […], daß die Auflösung außerkraft gesetzt wird. Die nun bestehende WPV ist daher keine Neugründung, sondern setzt nach 8jähriger Unterbrechung die Vereinstätigkeit fort“ (Typoskript: NAA).

[29] Typoskript: NAA. Die Ansprache Aichhorns anlässlich der Festsitzung wurde veröffentlicht in: Aichhorn Th. 2012, Anhang 2, S. 450-455. 

[30] Protokoll der Festsitzung, Reden, Briefe und Telegramme: AWPV.

[31] Aichhorn, Th. 2012, S. 179. 

[32] Da die Auflösung der WPV außer Kraft gesetzt worden war, waren nach der damals gültigen Regelung auch alle „alten“ Mitglieder der WPV Mitglieder der „neuen“ WPV. Von dieser Regelung konnte allerdings nicht Gebrauch gemacht worden, da jedes Mitglied der IPV nur einer Zweigvereinigung angehören konnte und zwar derjenigen, die ihm räumlich am nächsten ist. 

[33] P. Federn an A. Aichhorn, Brief vom 12. 3. 1946; Original: AWPV.

[34] „On behalf of the American psychoanalytic Association and of the psychoanalysts of America, permit me as President to express our satisfaction that the analytic Society and Institute of your city are preparing to resume the functions unfortunately interrupted by the German occupation and the war. We deeply sympathize with the trial which you have undergone and trust that the reopening of the Institute is an augury of brighter times to come. Be assured of our sympathetic and continued interest in your undertaking. The old Vienna Society was the glory of the whole analytic movement and not simply of local importance. It was truly international. May the old tradition guide the new beginning” (B. D. Lewin an A. Aichhorn, Brief vom o. D.; Original: AWPV).

[35] R. Sterba an A. Aichorn, Brief vom 18. 3. 1946; Original: NAA. 

[36] A. Aichhorn an R. Sterba, Brief vom 5. 5. 1946; Kopie: NAA.

[37] A. Aichhorn an E. Jones, Brief vom 10. 7. 1946; Kopie: NAA.

[38] E. Jones an A. Aichhorn, Brief vom 26. 7. 1946; Original: NAA. Jones’ Beschluss wurde anlässlich des nächsten Kongresses der IPV, der 1949 in Zürich abgehalten wurde, bestätigt (IJ Vol. XXX, 1949, S. 186).

[39] A. Aichhorn an E. Jones, Briefe vom 27. 7. und 26. 10. 1946; Kopien: NAA. 

[40] Worcester State Hospital an WPV, Brief vom 20. 5. 1946; Original: NAA.

[41] E. Jones an A. Aichhorn, Brief vom 4. 11. 1946; Original: NAA.

[42] Abgesehen von diesen Mitglieder-Kandidaten, suchte als erster Raoul Schindler wegen einer Ausbildung zum Psychoanalytiker bei Aichhorn an (R. Schindler an A. Aichhorn, Schreiben vom 28. 11. 1945; Original: AWPV).

[43] Jokl nahm bereits an der Mitgliedersitzung vom 18. 7. 1946 teil. Bei dieser Sitzung wurde beschlossen, ein Statut für den Lehrausschuss auszuarbeiten, ein Ambulatorium (Jokl, Genner und Fleischmann), eine Erziehungsberatungsstelle (Aichhorn, Hans Aufreiter, Theodor Scharmann) zu eröffnen und eine wissenschaftliche Abteilung (Winterstein, Hollitscher, Lambert Bolterauer und Spanudis) einzurichten. Den Vorschlag Jokls, das Lehrinstitut der Universalität anzugliedern, lehnte Aichhorn mit der Begründung ab, dass dann die Gefahr bestünde, „Abteilung eines anderen Instituts mit anderen Zielen zu werden“ (Protokoll: AWPV).       

[44] In der ersten Lehrausschusssitzung vom 5. 12. 1946, an der Aichhorn, Fleischmann und Jokl teilnahmen, wurde Jokl zum Vorsitzenden gewählt. Als Jokl im Winter 1948 Wien wieder verlassen hatte, übernahm Fleischmann diese Position (Protokoll: AWPV). 

[45] Während jener ersten Jahre sind einige ehemalige Mitglieder, Kandidaten und Teilnehmer der Pädagogenkurse der alten WPV zu Besuch aus dem Exil nach Wien gekommen und haben Kontakt mit der WPV aufgenommen: Friedrich Hacker, Anna Mänchen-Helfen, Hedy Schwarz, die Vorträge in der Vereinigung gehalten hat, Otto Spranger und Nuschi Plank, die einige Zeit wieder in Wien gearbeitet hat. Auch unter den ersten Kandidaten der WPV waren Rückkehrer: Hedda Eppel, die aus London, und Ernst Ticho, der aus Jerusalem zurückgekommen ist.

[46] Aichhorn an Eissler: „Die Leitung des Ambulatoriums wird Dr. Jokl übernehmen, der augenblicklich die vorbereitenden Schritte im Gesundheitsamt unternimmt“ (A. Aichhorn an K. R. Eissler, Brief vom 25. 10. 1946; Kopie: NAA).

[47] R. H. Jokl an J. Frank, Brief vom 1. 8. 1951; Kopie: AWPV.

[48] R. H. Jokl an O. Sperling, Brief vom 20. 8. 1951; Kopie: AWPV.

[49] Kramer hatte Aichhorn geschrieben: „Die Psychoanalyse in Amerika entfernt sich mit Riesenschritten von Freud und seinen Lehren, organisatorisch, in praktischer Therapie und in theoretischem Denken ist vieles in der offiziellen Analyse hier auf dem Stadium wiederangelangt, auf dem die Psychiater ihre Kämpfe gegen Freud zu Beginn des Jahrhunderts geführt haben. Täglich werden ‚Neuentdeckungen’ gemacht, die in aller Naivität (?) ein Stückchen, nie das Ganze, von Dingen verwerten, die Freud vor Jahrzehnten beschrieben oder vorgeschlagen hat, und den Anlaß ergeben, alles wirklich Fundamentale an Freuds Arbeit zu verwerfen“ (P. Kramer an A. Aichhorn, Brief vom 3. 8. 1946; Original: NAA).

[50] Eissler hatte u. a. an Aichhorn geschrieben: „Franz Alexander (Chicago) ist vollkommen weg von Freud + gebraucht das Wort Psychoanalyse als Markennamen. Rado (N. Y) ist weit weg von Freud. Jeder versucht zu beweisen, dass er besser als Freud ist + die Psychoanalyse hat eine gefährliche Verwässerung + Entstellung erhalten. Jeder versucht eine neue + kurze Behandlungsmethode zu erfinden + die Technik hast nichts mehr mit Psychoanalyse zu tun. Deswegen glaube ich Du solltest herkommen. Es ist viel zu kämpfen, zu überzeugen + zu werben“ (K. R. Eissler an A. Aichhorn, Brief vom 17. 4. 1946; Original: NAA.

[51] A. Aichhorn an P. Kramer, Brief vom 19.9.1946; Kopie: NAA.

[52] Im Vortrag Die Psychoanalyse Sigmund Freuds (Aichhorn 1946c), den Aichhorn am 16. 10. und am 6. 11. 1946 in der Volkshochschule Wien Hietzing vortrug, sagte er: „Freud hat mit seiner Lebensarbeit einen Block aus einem Felsmassiv herausgebrochen, in dem eine Menge wertvolles Gestein  eingesprengt ist. Wir, seine Nachfahren, sind Kärner am Wege, die nicht mehr leisten können, als diesen Felsblock zu zerkleinern und daraus das wertvolle Gestein herauszusuchen. Nun gibt es zweifellos befähigte Schürfer, denen eines der wertvollen Körner besonders auffällt. Unter dem Druck eines verständlichen Strebens nach selbstständiger, eigener Arbeit, wird dieses Korn herausgegriffen, damit aber auch aus dem Zusammenhang gelöst. Auf Kosten der anderen wird es überschätzt und der Bau, der auf ihm entsteht, wird als Ganzes, selbstständiges genommen, trotzdem er nur ein Nebengebäude ist. Bescheiden wir uns! Freud hat uns so viel zu leistende Kleinarbeit hinterlassen, bei der wir im Ausbau der Psychoanalyse auch zur vollen Befriedigung kommen können. Warten wir geduldig, bis der Welt wieder ein Geist geschenkt wird, wie Freud es war, dann erst wird eine wirkliche Fortsetzung der freudschen Lebensarbeit möglich sein“ (Aichhorn 1946, S. 10).

[53] Vgl. Eissler 1950.

[54] A. Aichhorn an L. Lévy, Brief vom 26. 10. 1946; Kopie: NAA.

[55] In der Mitgliedersitzung der WPV vom 18. 7. 1946 stellte Aichhorn fest, dass jede Analyse als therapeutische zu beginnen habe. Die Anmeldung von Ausbildungskandidaten habe über den Leiter des Lehrausschusses zu erfolgen, der sie den Lehranalytikern ohne Befragung des Vorstandes zuteilt. Erst nach der Erklärung des Lehranalytikers wird jemand als Kandidat dem Lehrausschuss vorgeschlagen (Protokoll: AWPV).

[56] K. R. Eissler an A. Aichhorn, Brief vom 26. 4. 1946; Original: NAA. Aichhorn Th. & Schröter 2007, S. 28f.

[57] K. R. Eissler an A. Aichhorn, Brief vom 24. 6. 1946; Original: NAA. Aichhorn Th. & Schröter 2007, S. 33f.

[58] Aichhorn an Otto Spranger: „Sind nicht alle nichtärztlichen Analytiker in derselben Situation wie Sie? Ich könnte mir vorstellen, daß sich durch relativ geringen Propaganda Aufwand eine Vereinigung aller dieser Menschen herstellen ließe. In dem Augenblick, in dem eine größere Gruppe nichtärztlicher Analytiker sich an die amerikanische Analytische Vereinigung wendet, muß sich doch die Möglichkeit finden, diese Gruppe einzureihen. Ich könnte mir auch vorstellen, daß wenn die amerikanische Vereinigung Schwierigkeiten macht, daß eine Eingabe an die Internationale Vereinigung von Erfolg begleitet sein dürfte. Freilich müssten Sie nichtärztliche Analytiker, die sich in Amerika schon durchgesetzt haben, so z. Beispiel Redl, gewinnen. Ich kann mir vorstellen, daß der Hauptwiderstand der sein wird, die nichtärztlichen Analytiker zur Behandlung von Erwachsenen zuzulassen. Irgendeine Vereinbarung dürfte sich doch finden lassen. Wenn Sie sich nun an die Spitze dieser Bewegung stellten, wird man Sie gewiß nicht mehr als Außenseiter auffassen können und je größer die durch Sie angefachte Bewegung wird, umso mehr muß und wird man auch mit Ihrer Person rechnen. Ich interessiere mich sehr, wie Sie zu dieser Angelegenheit Stellung nehmen“ (A. Aichhorn an O. Spranger, Brief vom 7. 1. 1949; Kopie: NAA).

[59] Blos an A. Aichhorn, Brief vom 12. 8. 1946; Original: NAA.

[60] Am 2. Oktober 1947 hatte Aichhorn den Titel „Professor“ verliehen bekommen.

[61] A. Aichhorn an P. Federn, Brief vom 27. 1. 1948; Kopie im NAA. 

[62] A. Aichhorn an die Magistratsabteilung 15, Gesundheitsamt; Schreiben vom 19. 1. 1948; Kopie: NAA.

[63] K. R. Eissler an A. Aichhorn, Brief vom 25. 2. 1948; Original: NAA. 

[64] A. Aichhorn an P. Blos, Brief vom 30. 12. 1946; Kopie: NAA.

[65] An Ruth Eissler schrieb Aichhorn: „ Ich selbst bin jetzt mit der Organisation der Vereinigung sehr beschäftigt, sie ist viel umfangreicher als die der alten Vereinigung, da wir viel mehr Kontakt mit der Außenwelt haben, da wir einen Teil unserer Arbeit den Verwahrlosten zuwenden, gibt es eine Menge mit dem Stadtschulrat, Jugendgericht, Jugendamt, den politischen, unpolitischen und konfessionellen Jugendfürsorge-Vereinigungen zu tun. Da wir auch Lehrer, Erzieher, Fürsorgerinnen und Berufsberater des Arbeitsamtes in psychoanalytisches Denken einführen wollen, sind entsprechende Kurse einzurichten. Die Hauptlast habe jetzt noch ich zu tragen, da die Vereinsmitglieder erst in einiger Zeit mir einen Teil der Arbeit werden abnehmen können. Aber ich fühle mich erst wohl, wenn recht viel zu tun ist und bedauere mich schon jetzt, wenn man mich nach und nach aufs Eis legen wird. Stelle Dir mich auf dem Eis liegend vor!“ (A. Aichhorn an R. Eissler, Brief vom 17. 4. 1946 (Kopie: NAA).

[66] Zu anderen Plänen und Projekten der WPV bzw. Aichhorns vgl. Aichhorn Th. 2012, S. 229ff, 386. 

[67] An Heinz Kohut schrieb Aichhorn über diesen Einführungskurs: „Über das Neueste aus unserem Vereinsleben sind Sie gewiß noch nicht orientiert: Zur Einführung in die psychoanalytische Denkweise I. Teil, haben wir jetzt einen 10stündigen Kurs hinter uns. Es haben sich 192 Interessenten angemeldet, die wir in 4 Gruppen aufteilten; erste Gruppe: Akademiker, Vortragender: Dr. Hollitscher; zweite Gruppe: Universitätsstudenten, Vortragender: Dr. Scharmann; dritte Gruppe: das Volk, Vortragender: Dr. Bolterauer; vierte Gruppe: die Eingeweihten (solche, die schon ein Stück Vorbildung mitbringen), Vortragender: Aichhorn“ (A. Aichhorn an H. Kohut, Brief vom 21. 7. 1946; Kopie: NAA; in englischer Übersetzung:  Cocks 1994. S. 49ff).

[68] Veröffentlicht in: Aichhorn Th. & Fallend, K. (Hg.) (2015):  August Aichhorn – Vorlesungen, Einführung in die Psychoanalyse für Erziehungsberatung und Soziale Arbeit. Wien: Löcker.

[69] Die Protokolle des Seminars veröffentlicht in: Aichhorn, Th. (Hg.) (2001): Die Protokolle des „Seminars für Psychoanalytische Erziehungsberatung“ der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung aus den Jahren 1946/47. Psychoanalyse für Pädagogen. Wien: Picus Verlag, S. 147-241. 

[70] Typoskript: NAA.

[71] Zu Pfingsten 1947 fand eine Zusammenkunft der europäischen Psychoanalytiker in Amsterdam statt (vgl. Aichhorn Th 2012, S. 219ff.

[72] O. Fleischmann an Th. Wagner-Simon, Brief vom 15. 6. 1948; Kopie: NAA.     

[73] Rathaus-Korrespondenz vom 20. 7. 1948: NAA.

[74] Wissenschaftlicher Pressedienst der Rathaus Korrespondenz vom 26. 7. 1948: NAA.

[75] Auf das Schreiben des Ministers für Soziale Verwaltung, des damaligen Vizekanzlers Adolf Schärf, antwortete Aichhorn: „Erlauben Sie mir, dass ich Ihnen und dem Bundesministerium für soziale Verwaltung meinen herzlichsten Dank für die Glückwünsche zu meinem 70. Geburtstag ausspreche. Es ist mir eine besondere Ehre und Genugtuung gerade von Ihrer Seite meine Arbeit, die in Wien durch Jahrzehnte nicht nur nicht beachtet, sondern sehr gehemmt worden ist, so außerordentlich gewürdigt zu sehen. Ich danke Ihnen, Herr Vizekanzler, wirklich sehr herzlich und bitte Sie, den Ausdruck meiner vorzüglichsten Hochachtung entgegen nehmen zu wollen“ (A. Aichhorn an A. Schärf, Brief vom 27. 7. 1948; Kopie: NAA).

[76] Briefe und Dokumente im NAA.

[77] Th. Körner an A. Aichhorn, Brief vom 26. 7. 1948; Original: NAA.

[78] A. Aichhorn an Th. Körner, Brief vom 30. 7. 1948; Kopie: NAA. 

[79] A. Aichhorn an K. R. Eissler, Brief vom 12. 8. 1948; Kopie: NAA.

[80] A. Aichhorn an K. R. Eissler, Brief vom 15. 9. 1948; Kopie: NAA.

[81] K. R. Eissler an A. Aichhorn, Brief vom 22. 9. 1948; Original: NAA.

[82] Freud, A. 1949.

[83] Eissler 1949.

[84] A. Freud an A. Aichhorn, Brief vom 19. 7. 1948. In: Aichhorn Th. 2012, S. 348ff.

[85]Aichhorn, A. 1948. Vgl. Aichhorn Th. S. 363ff.

[86] Aichhorn an Wagner-Simon: „Der Sepegtag am 20. Juli verlief hier in Wien sehr schön. Ich war recht überrascht, über die mir gewordene Ehrung, die ich in diesem Ausmaß nicht erwarten konnte, da ja meine Arbeit bisher in Wien von offizieller Seite kaum Beachtung fand. Ich spreche gar nicht über die Schwierigkeiten, die vor Jahrzehnten nicht zu überwinden waren und die mich veranlassten, mich völlig aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen“ (A. Aichhorn an Th. Wagner-Simon, Brief vom 29. 7. 1948; Kopie: NAA). 

[87] Auch van der Sterren nahm an der Geburtstagsfeier teil. Er schrieb an Anna Freud: „Ende Juli war ich vierzehn Tage in Wien und im Salzkammergut; es hat mich sehr gefreut, wieder einmal in Österreich zu sein, obwohl ich mit Bedauern gespürt habe, daß es im im kulturellen Leben grosse leere Stellen gibt. Ich habe Aichhorn, Hollitscher, Frl. Erdmann [wohl Tea Genner- Erdheim] und Nuchi Plank dort getroffen. Am Mittwoch hatten wir eine Sitzung der Wiener Vereinigung: es waren Kollegen aus Schweden und Palästina anwesend“ (H. A. van der Sterren an A. Freud, Brief vom 22. 8. 1948; Original: AFP/LoC).

Anna Freud antwortete ihm: „Ich kann mir vorstellen, wie sehr Aichhorn sich mit Ihnen gefreut hat. Ich habe ihn ja im Frühjahr in der Schweiz getroffen und ich weiss, wie hungrig er nach Besuchen, Vorträgen und Anregungen aus dem Ausland ist. So war es sicher eine grosse Freude für ihn, Sie bei einer Sitzung zu sehen. Jetzt wird er ja bald bei Ihnen zu seinem Vortrag eintreffen. Wenn ich nicht erst heute von den Ferien zurückgekommen wäre und meine Patienten solange vernachlässigt hätte, hätte ich das als Gelegenheit benutzt, auch wieder nach Holland zu kommen. Aber so geht es leider nicht“ (A. Freud an H. A. van der Sterren, Brief vom 1. 9. 1948, Kopie: AFP/LoC).

[88] Aichhorn an Pfister: „Über die Gründe der Auflösung ‚Oberhollabrunns’ und meine Rückkehr in die Zentrale des Jugendamtes äußere ich mich lieber nicht. Tatsache ist, daß es nach mir weder in Oberhollabrunn noch anderswo eine in ähnlichem Sinn geführte Anstalt gab“ (A. Aichhorn an O. Pfister, Brief vom 21. 11. 1947; Kopie: NAA). 

[89] An Heinz Kohut schrieb Aichhorn: „Der ‚Kelch’ der Geburtstagsfeierlichkeiten ist an mir vorübergegangen, es gab sehr viel zu schreiben. Mit welcher Verlogenheit die Menschen die wirkliche Realität verkennen und tun, als ob sie vergangene Zeiten vergessen hätten. Aber genau so wenig wie mich seinerzeit die Missachtung gestört hat, begeistern mich jetzt die Lobpreisungen“ (A. Aichhorn an H. Kohut, Brief vom 29. 9. 1948; Kopie: NAA). Hans Aufreiter schrieb an K. R. Eissler: „Professor Aichhorns Geburtstag ist in ausserordentlich schöner und würdiger Form verlaufen und er ist gestern erschöpft von Empfängen und Vorträgen in seinen Urlaub gefahren. Leider ändert sein Ansehen nur wenig an der Unwissenheit und Ablehung gegenüber der Analyse, in nahezu allen Kreisen. Jeder Versuch mit analytischen Methoden zu arbeiten, stösst auf eine Mauer von Desinteressment oder Dillettantismus psychotherapeutischer Sektierer“ (H. Aufreiter an K. R. Eissler, Brief vom 2. 8. 1948; Original: mit Dank an B. Reiter).

[90] A. Aichhorn an A. Freud, Brief vom 24. 7. 1948. In: Aichhorn Th. 2012, S. 350f. 

[91] H. Hoffer an A. Aichhorn, Brief vom 19. 7. 1948; Original: NAA. 

[92] Anna Freud und Aichhorn hatten einander im Frühjahr 1948 in Lausanne getroffen (vgl. Aichhorn Th. 2012, S. 281ff).

[93] An Kris hatte Hoffer geschrieben: „Anna hat Federn zum Aichhornbuch zugesagt, so werde ich es auch tun. Heute habe ich mir gedacht, ich möchte dafür eine Arbeit schreiben mit dem vorläufig unmöglichen Titel: The utopic bi-phasic treatment of the delinquent. Es war immer Aichhorn’s Idee, dass die Analyse des Verwahrlosten aus einer Verwahrlostenanalyse und einer echten Analyse bestehen soll, wenn es gelungen ist, aus dem Verwahrlosten-Perversen einen Neurotiker zu machen. Die Analyse des Aktuellen, Agierten und Übertragenen soll durch eine Analyse der Infantilgeschichte ergänzt werden. Gemacht ist es noch nicht worden, aber vielleicht sollte es gerade jetzt gesagt werden“ (W. Hoffer an E. Kris, Brief vom 24. 10. 1947; Original: EKP/LoC).

[94] Hoffer 1949.

[95] W. Hoffer an A. Aichhorn, Brief vom 16. Juli 1948; Original: NAA.

[96] M. Mahler-Schönberger  an A. Aichhorn, Brief vom 27. 7. 1948; Original: NAA.

[97] M. Freud an A. Aichhorn, Brief vom 27. 7. 1948; Original: Manuskript mit Zensurstempel; Kopie: AFP/LoC). Aichhorn Th., S. 291.

[98] A. Aichhorn an M. Freud, Brief vom 31. 7. 1948; Kopie: NAA. Aichhorn Th., S. 291.

[99] A. Aichhorn an K. R. Eissler, Brief vom 3. 9. 1948; Kopie: NAA.

[100] H. Lampl an A. Aichhorn, Brief vom 26. 12. 1947; Original: NAA. 

[101] A. Aichhorn an H. Lampl, Brief vom 24. 1. 1948; Kopie: NAA.

[102] H. Lampl an A. Aichhorn, Brief vom 8. 2. 1948; Original: NAA.

[103] Aichhorn an H. Lampl, Brief vom 6. 7. 1948; Kopie: NAA.

[104] F. Schottlaender an A. Aichhorn, Brief 17. 7. 1948; Original: NAA. 

[105] An Schottlaender schrieb Aichhorn: „Schade, daß Sie im Juli nicht nach Wien kommen konnten! Da hätten wir uns wenigstens sicher gesehen! Allerdings wußten wir zu dieser Zeit noch nicht, daß uns das Schicksal einen Strich durch die Rechnung mach und mir die Teilnahme an der Pädagogischen Woche in Stuttgart vereiteln wird. Die Sache verhielt sich nun so: Mein alter Freund, Dr. Levy in Budapest, wohin ich nach Gastein zu einem Vortrag fuhr, den ich in der dortigen psychoanalytischen Vereinigung hätte halten sollen, untersuchte mich wieder nach einer 5jährigen Unterbrechung gründlich und stellte als Ergebnis dabei fest, daß ich mich viel schonen muß. Fürs erste darf ich keine Reisen unternehmen, keine Vorträge halten und soll jede, nicht unbedingt notwendige Arbeit zurückstellen. Sie werden verstehen, lieber Herr Doktor, mit welch schwerem Herzen wir beide, Dr. Fleischmann und ich, auf Stuttgart, wie auch auf Amsterdam verzichteten. Ich bin aber sicher, daß – sowie sich mein Zustand gebessert haben wird, hoffentlich schon im nächsten Frühjahr, wir doch noch nach Stuttgart kommen werden. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben! Dr. Fleischmann und ich danken noch vielmals für Ihre liebe Einladung, bei Ihnen wohnen zu dürfen, und senden herzlichste Grüße“ (A. Aichhorn an F. Schottlaender, Brief vom 24. 11. 1948; Kopie: NAA).

[106] L. Lévy an A. Freud, Brief vom 11. 9. 1948; Original: AFP/LoC.

[107] A. Freud an L. Lévy, Brief vom 15. 10. 1948; Kopie: AFP/LoC.

[108] Aichhorns Schreibversuche blieben in seinem Nachlass erhalten.

[109] Aichhorn schrieb an Dworschak, die sich damals auf einer Studienreise in die Schweiz und nach Holland befand, einen etwa gleichlautenden Brief (A. Aichhorn an R. Dworschak, Brief vom 16. 9. 1948; Original: NRD). 

Einige Tage später schrieb er ihr: „Mittlerweilen hast Du ja schon meinen Brief bekommen, aus dem Du den wirklichen Grund meiner Absage entnommen hast. Ich kann darüber den Leuten natürlich nichts schreiben. Sorgen brauchst Du Dir aber nicht zu machen. Es ist alles wieder in Ordnung. Arg war es nur die 24 Stunden, in denen mich die Angst quälte arbeitsunfähig zu werden und deswegen auch die ungeheure Anstrengung die Kontrolle über mich zu gewinnen. Ich bin überzeugt, dass es hysterische Lähmungserscheinungen waren und daß ich ohne Analyse verloren gewesen wäre. Erinnerst Du, was ich Dir über die Schwester meines Vaters, die Mutter des Kapellmeisters Mayer-Aichhorn* erzählte? Sie war ungefähr im selben Alter, fing eines Tages lallen an und die Ärzte konstatierten einen Schlaganfall. Zehn Jahre quälte sie ihren Sohn immer mehr, bis er sie zum Schluß auf den Nachttopf setzte. Welches mein Motiv war, weiß ich nicht, aber irgendetwas spielte sich ab. Warum hatte ich den Zustand auch in Budapest? Weil Lajos zur Stelle war!!! In Wien hätte ich doch keinen Arzt rufen können. Analytiker für mich gibt es keinen und das spürte ich genau, dass es nichts sei, wo man einen Arzt wie etwa Lauda oder Pötzl holen könnte. Für mein sicheres Gefühl war es nichts Organisches“ (23. 9. 1948 NRD). 

* Josef Mayer-Aichhorn, 1890-1976, Kapellmeister und Komponist, Dirigent an der Volksoper Wien und im Carltheater, 1920–38 musikalischer Leiter des Volksbildungshauses Wiener Urania. Er komponierte vor allem Unterhaltungsmusik und Wiener Lieder.

[110] Lajos Lévy an Anna Freud: „Meinen besten Dank für Ihren ausführlichen Brief, aus dem ich entnehme, dass mein Brief über Aichhorn doch bei Ihnen angekommen ist. Ich ahnte, dass er aus Wien Ihnen schreiben wird und wollte mit realer Beschreibung ihm zuvorkommen. Seitdem teilt er mir mit, dass Sie ihm auf einen Bericht eine ‚wundervolle’ Antwort geschrieben haben. Sowohl er, wie Dr. Fleischmann, der ihm treu beisteht, schreiben mir, dass es ihm gut ergeht. Einmal sprach ich A. telephonisch, er hatte seine frühere Stimme und Ton wieder. Wie Fl. schreibt, hat er sich eine psychologische Theorie gestaltet, die ihn über seine sonst auch bestehende körperliche Angst hinweg hilft. Es war mir immer merkwürdig, wie ein Mensch von seiner Geistigkeit fast magisch Angst und Vertrauen zu Medikamenten und ärztl. Verordnungen haben kann. Nun will ich hoffen, dass ein neuer Anfall oder sonstige Folgen recht lange ausbleiben werden. Doch nemo nescit“ (L. Lévy an A. Freud, Brief vom 25. 10. 1948; Original: AFP/LoC).

[111] Aichhorn, Th. 2012, S. 368f.

[112] Aichhorn, Th. 2012, S. 372f.

[113] P. Federn an A. Aichhorn, Brief vom 17. 12. 1947; Original: NAA.

[114] A. Aichhorn an P. Federn, Brief vom 27. 1. 1948; Kopie: NAA.

[115] O. Fleischmann an W. Hoffer, Brief vom 4. 2. 1948; Kopie: NOF.

[116] A. Aichhorn an K. R. Eissler, 6. 2. 1948; Kopie: NAA.

[117] K. R. Eissler an A. Aichhorn; Brief vom 17. 6. 1948; Original: NAA.

[118] Vgl. O. Fleischmann an O. Isakower, Brief vom 20. 4. 1948; Entwurf: NOF.

[119] A. Aichhorn an K. R. Eissler, Brief vom 6. 7. 1948; Kopie: NAA.

[120] Th. Berthel an K. R. Eissler, Brief vom 9. 11. 1948; Original: mit Dank an Bettina Reiter.

[121] Th. Berthel an K. R. Eissler, Brief vom 27. 11. 1948; Original: mit Dank an Bettina Reiter.

[122] An Kramer schrieb Aichhorn. „Kurt hat seinem Brief vom 15. Februar [1949] den Briefkopf des August Aichhorn Fund und ein Kuvert beigelegt, das jedem Brief an die zukünftigen Spender beigelegt ein wird, und in dem er dem Fonds seinen Scheck schicken kann. Aus dem Briefkopf entnehme ich, und ich freue mich außerordentlich darüber, daß Du der Sekretär des Fond bist. Ich danke Dir schon jetzt für die viele Mühe, die Dir die Korrespondenz machen wird und kann mir leicht denken, wie viele Briefe abgehen müssen, bis einer mit einem Scheck zurückkommt. Wenn Dich Groll überwältigen wird, daß Du meinetwegen so viel Mühe und Unannehmlichkeiten auszustehen hast, dann bitte schimpfe gehörig und schreibe mir einen groben Brief. Ich werde sehr mit Dir fühlen“ (A. Aichhorn an P. Kramer, Brief vom 23. 2. 1949; Kopie: NAA).

[123] Da die Gründung einer Child Guidance Clinic der WPV letztlich nicht zustande gekommen kam, gründete Rosa Dworschak 1949 die erste öffentliche Wiener Child Guidance Clinic, das „Institut für Erziehungshilfe“.

[124] A. Aichhorn an K. R. Eissler, Brief vom 12. 12. 1948; Kopie: NAA.

[125] Th. Berthel an K. R. Eissler; Brief vom 16. 12. 1948; Original: mit Dank an Bettina Reiter.

[126] A. Aichhorn an K. R. Eissler; Brief vom 14. 1. 1949; Kopie: NAA.

[127] A. Aichhorn an O. Spranger, Brief vom 4. 10. 1948; Kopie: NAA.

[128] An Eissler schrieb Aichhorn: „Wenn die Zahlung wirklich monatlich regelmäßig einläuft, so ist mir jeder Weg recht [Aichhorn bezieht sich hier auf die Zahlungen aus dem von Eissler errichteten Aichhorn-Fond]. Wir haben aber schon mir der child guidance clinic begonnen und ich muß daher die auflaufenden Kosten so lange nichts einlangt, aus eigenem decken. Das kann ich natürlich nur für einige Zeit übernehmen. Ich bin natürlich überzeugt, dass bis dahin die Geldanweisung geregelt sein wird“ (A. Aichhorn an K. R. Eissler, Brief vom 23. 2. 1949; Kopie: NAA).

[129] A. Aichhorn an O. Spranger, Brief vom 7. 1. 1949; Kopie: NAA.

[130] O. Spranger an A. Aichhorn, Brief vom 12. 9. 1949; Original: NAA.

[131] L. Bolterauer an O. Spranger, Brief vom 6. 10. 1949, Kopie: NLB.

[132] O. Spranger an L. Bolterauer, Brief vom 17. 10. 1949; Original: NLB.

[133] Vgl. Brainin 2001.

[134] R. Dworschak an A. Aichhorn, Brief vom 15. 7. 1949; Original: NRD.

[135] R. Dworschak an A. Aichhorn, Brief vom 19. 7. 1949; Original: NRD.

[136]L. Sallmann, T. Hollstein & R. Dworschak an A. Aichhorn, Brief vom 11. 8. 1949; Original: NRD.

[137] Das „Institut für Erziehungshilfe“ besteht bis heute (vgl. Brainin 2001). Der Trägerverein ist die Österreichische Gesellschaft für Psychische Hygiene, Landesgesellschaft für Wien, subventioniert wird es vom Jugendamt der Gemeinde Wien. Es hat 5 Standorte und ist eine Einrichtung, die psychologische Diagnostik, psychosoziale Beratung und tiefenpsychologisch orientierte psychotherapeutische Behandlungen von Kindern und Jugendlichen, mit begleitender Betreuung von Eltern oder Erziehungsberechtigten durchführt. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Institute sind Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen, ausgebildet in einer anerkannten Psychotherapiemethode mit unterschiedlichen Herkunftsberufen (Psycholog/Innen, Ärzt/Innen, Sozialarbeiter/Innen, Pädagog/Innen etc.).

[138] K. R. Eissler an A. Freud, Brief vom 15. 4. 1949; Original: AFP/LoC.

[139] A. Freud an K. R. Eissler, Brief vom 8. 6. 1949; Kopie: AFP/LoC.

[140] Anna Freud an Fleischmann: „Warum schreiben Sie mir nicht über Aichhorn? Ich habe aus drei verschiedenen Ländern, zum Teil von ganz Fremden, die Gerüchte gehört, daß er sehr krank ist. Sie denken sicher, es ist besser, wenn man es nicht weiß, aber er ist doch eine zu bekannte Person als daß es sich geheim halten läßt. Bitte schreiben Sie mir! Ich bin sehr bestürzt und sehr traurig über die Nachricht“ (A. Freud an O. Fleischmann, Brief vom 1. 5. 1949; Original: NOF).

Otto Fleischmann an Anna Freud: „Liebes, gnädiges Fräulein Freud! Nachträglich bin ich froh, dass ich meinen Bericht an Sie hinausgeschoben habe, denn er muß heute nicht mehr so Schwarz in Schwarz ausfallen.  Um mit dem Schwersten zu beginnen: Aichhorn hat vor 3 Wochen einen schweren Schlaganfall erlitten – Sie wissen, daß dem einer im letzten Herbst in Budapest vorangegangen ist – in den letzten Tagen hat sich sein Zustand glücklicherweise fortschreitend gebessert, daß wir begründete Hoffnung für eine Wiederherstellung haben können. […] Anfangs hat er es abgelehnt, an anatomische Veränderungen zu glauben, er wollte Alles als hysterische Symptome auf seine frühere Neurose zurückführen. Die psychischen Störungen sind zum großen Teil geschwunden, er hat einen heroischen Kampf geführt, die Synthese seines Ich wiederherzustellen, was ihm bis zu einem gewissen Grade auch wunderbar gelang und er führt ihn noch weiter. Wie weit wir mit der Erlangung der vollen Arbeitsfähigkeit rechnen können, muß noch offen bleiben. Daß er nochmals der wird, der er vor den beiden Anfällen war, wage ich nicht zu glauben. Vor einigen Tagen hat er sich schon erkundigt, ob ich Ihnen geschrieben hätte. Ihren letzten Brief hat er sich von mir vorlesen lassen. Ich bin jetzt täglich mehrere Male bei ihm, damit er sich Einiges vom Herzen reden kann“ (O. Fleischmann an A. Freud, Brief vom 24. 4. 1949; Original: AFP/LoC. 

[141] Aichhorn an Lajos Lévy: „Stelle Dir vor, lieber Lajos: Ich sitze wieder aufrecht, außer Bett und diktiere. Was mit mir los war, hat Dir sicherlich Dr. Fleischmann geschrieben. Ich kann Dir nicht mehr dazu sagen, als dass ich in der Stunde am 2. 4. zwischen 2 und 3 Uhr plötzlich ohne jedes Übelbefinden ein so eigenartige Gefühl bekam, dass ich Dr. Solms (Neurologe), der gerade eine ‚Stunde’ bei mir hatte, ersuchen musste, mich auf den Diwan hinlegen zu lassen, und dann ging’s los. Ich sah doppelt, mit geschlossenen Augen aber hatte ich keinerlei Beschwerden. […] ch verlor keinen Augenblick das Bewusstsein, nur die Realität und die Traumwelt konnte ich schwer auseinander halten. Man erzählt mir, dass ich auch ganze Vorträge hielt. Ich weiß nur noch, dass mir in den ersten Tagen der Gedanke an die materielle Situation sehr viel Sorge machte; das ging dann vorbei“ (A. Aichhorn an L. Lévy, Brief vom 4. 5. 1949, Kopie: NAA).

[142] An Ruth und K. R. Eissler schrieb Aichhorn: „Meine Lieben, macht Euch bitte keine Sorgen um mich, ich werde alles dazu beitragen, um die Zeit, die mir noch zum Leben vergönnt ist, nach Möglichkeit zu verlängern. Ich halte die Anordnungen der Ärzte strikte ein, werde bestimmt vor dem Herbst nicht an die Arbeit gehen und auch dann nur wenig. Was sagst Du, lieber Kurt, dazu, daß ich das Rauchen nicht nur vollständig eingestellt habe, sondern auch weiß, daß ich nie mehr rauchen werde“ (A. Aichhorn an R. u. K. R. Eissler, Brief vom 16. 5. 1949; Kopie: NAA).

[143] Aichhorn Th. 2012, S. 411f.

[144] Enkelin Aichhorns.

[145] Hietzing ist der XIII. Wiener Gemeindebezirk.

[146] Es war Aichhorn immerhin gelungen, wieder ein „Pädagogisches Fortbildungsseminar“ für Lehrer, Erzieher und Sozialarbeiter einzurichten, mit dem die Tradition des Lehrganges für Pädagogen wieder aufgenommen werden sollte. Die Vortragenden waren – neben Aichhorn – Lambert Bolterauer, Otto Fleischmann und Wilhelm Solms (Dokument: NAA).

[147] Aichhorn Th. 2012, S. 415.

[148] Marie Bonaparte.

[149] Aichhorn Th. 2012, S. 416.

[150] A. a. O., S. 417.

[151] An Anna Freud schrieb Eissler: „There is no reason to worry about him, concerning his financial situation, since a few month ago an August Aichhorn Fund was established here and he will be provided with regular contributions which should suffice for his living-expenses. I only fear that he will hesitate to use this money for personal expenses, but will feel to be under the obligation of using the money for research” (K. R. Eissler an A. Freud, Brief vom 8. 6. 1949; Original: AFP/LoC).

[152] Th. Berthel an K. R.  Eissler, Brief vom 23. 5. 1949; Original: mit Dank an Bettina Reiter.

[153] K. R. Eissler an A. Aichhorn, Brief vom 29. 5. 1949; Original: NAA.

[154] A. Aichhorn an K. R. Eissler, Brief vom 21. 9. 1949. Kopie: NAA.

[155] O. Fleischmann an A. Freud, Telegramm vom 13. 10. 1949; Original: AFP/LoC.

[156] O. Fleischmann an K. R. Eissler, Telegramm vom 13. 10. 1949; Kopie: NOF.

[157] „Aichhorn’s death came as a shock in spite of all the knowledge we have had beforehand. In his last letter to me he complained about the emptiness of his present life and the inability to work as before” (A. Freud an R. Eissler, Brief vom 23. 10. 1949; Kopie: AFP/LoC).

[158] „Aichhorn’s death has of course affected us very strongly, especially since the news came after a very positive letter written only a very short time before. In this letter he expressed the feeling that he made a good recovery, had an excellent vacation, was able to work part-time and that even his eye symptoms had receded. We took our consolation from this letter, thinking that if he actually was in an optimistic mood, death coming at that time spared him much anxiety and suffering. But the loss of Aichhorn as a friend and teacher is irreparable to us” (R. Eissler an A. Freud, Brief vom 6. 11. 1949. Original: AFP/LoC).

[159] “Did you hear that Aichhorn in Vienna has been very ill with a sort of stroke and is only recovering slowly?” (A. Freud an E. Jones, Brief vom 22. 6. 1949; Kopie: AFP/LoC).

[160] „I have had news from Vienna that Aichhorn died suddenly on the 13th of this month. As you know, he had been ill for some time, but his death seems to have come unexpectedly from the heart. I am very sad about it and it means another heavy item added to your Congress list (A. Freud an E. Jones, Brief vom 17. 10. 1949; Kopie: AFP/LoC).

[161] „So many people die nowadays that I was not surprised to hear the sad news from Vienna. We have known Aichhorn for a great many years, but of course you knew him far better than I did and I am sure you are grieved at his loss. I wonder who will replace him in Vienna. It is a pity he did not live a few years longer to consolidate things there.”(E. Jones an A. Freud, Brief vom 19. 10. 1949; Original: AFP/LoC).

[162] Vgl. Aichhorn Th. 2012, S 296ff und 386ff.

[163] K. Regele an K. R. Eissler, Brief vom 19. 10. 1949; Original: mit Dank an Bettina Reiter.

[164] Die erste Besprechung zur Gründung der August Aichhorn Gesellschaft fand am 3. 11. 1949 in Aichhorns ehemaligem Arbeitszimmer statt (Typoskript: NLB).

[165] A. Aichhorn Gesellschaft an K. R. Eissler, Schreiben vom 4. 11. 1949; Kopie: Archiv Th. Aichhorn.

[166] Typoskript: Archiv Th. Aichhorn.

[167] Vgl. Anhang 1: Briefwechsel Jokl/Aichhorn (Original im Archiv Th. Aichhorn).

[168] „May I draw your attention at the same time to a further point which will probably have to come up at the next Congress. It may be wise to prepare for it beforehand. This concerns the Vienna Society which has lost its founder and leader with Aichhorn’s death. We know nothing about the development there, and I wonder whether you have had any news. Who is the new chairman of the Society? Are there sufficient members fully trained? Dr. Fleischmann in Topeka may be able to judge whether the people in charge there are a guarantee for the proper functioning of the Society or not” (A. Freud an G. Bibring, Brief vom 9. 12. 1950; Kopie: AFP/LoC).

[169] Anna Freud war im Frühjahr 1950 zum ersten Mal in den USA gewesen.

[170] A. Winterstein an A. Freud, Brief vom 24. 4. 1950; Original: AFP/LoC.

[171] A. Freud an A. Winterstein, Brief vom  19. 7. 1950; Kopie: AFP/LoC.

[172] Vgl. Anhang 2, Brief Jokls an Bolterauer vom 28. 12. 1951 (Original: Nachlass L. Bolterauer. Mit Dank an Johanna Bolterauer). Der Brief Bolterauers, auf den Jokl antwortete, ist nicht auffindbar.

[173] A. Winterstein an A. Freud, Brief vom 13. 4. 1957; Original: AFP/LoC.

[174] A. Freud an W. Solms & A. Winterstein, Brief vom April 1958; Original: AWPV.

[175] Briefe im Nachlass A. Aichhorns.

[176] Raoul Schindler.

[177] Hedda Eppel.

[178] Original: Nachlass L. Bolterauer. Mit Dank an Johanna Bolterauer. Der Brief Bolterauers, auf den Jokl antwortete, ist nicht auffindbar.

[179] Zusatz Bolterauer: „Völliges Missverständnis!“

[180] Zusatz Jokl: „mit Ausnahme Dr. Fleischmann“

[181] Zusatz Bolterauer: „Fleischmann?“

[182] F. Birnbaum an A. Aichhorn, Brief vom 5. 7. 1945; Original: NAA.

[183] F. Birnbaum an A. Aichhorn, Brief vom 10. 10. 1947; Kopie: NAA.

[184] A. Aichhorn an F. Birnbaum, Brief vom 15. 10. 1947; Kopie: NAA.

[185] Paul Geheeb (1870-1961) und seine Frau Edith, geb. Cassirer (1885-1982) gründeten 1910 die nach reformpädagogischen Grundsätzen geführte Odenwaldschule. 1934 emigrierten Paul und Edith Geheeb mit ca. 25 Schülern und einigen Mitarbeitern in die Schweiz und gründeten dort 1944 die Ecole d’ Humanité. 1939 beantragte der Reichsarbeitsdienst die Übernahme der Odenwaldschule, da sie der nationalsozialistischen Erziehungsidee widerspreche. Die Odenwaldschule wurde 1946 unter neuer Leitung wiedereröffnet, die Geheebs blieben in der Schweiz.

[186] Hans Naumann (1886-1951), war von 1921 bis 1931 Professor für Ältere Germanistik und Volkskunde an der Universität Frankfurt am Main und von 1932 bis 1945 Ordinarius an der Universität Bonn. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten trat er 1933 der NSDAP bei. Er war einer der Hauptakteure und Redner bei der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933. 1934 war er für ein halbes Jahr Rektor der Universität Bonn und gehörte zu den Gründern des Ausschusses für Rechtsphilosophie an der von Hans Frank initiierten NS-Akademie für Deutsches Recht. 1946 wurde Naumann als Professor entlassen.

[187] A. Aichhorn, Schreiben vom 11. 6. 1949, Kopie: NAA.

[188] Zwei der Wiener Arbeiterbezirke. 

[189] Th. Scharmann an Th. Aichhorn, Brief vom 12. 5. 1979; Original: ThA.

[190] Th. Scharmann an A. Aichhorn, Brief vom 30. 7. 1946; Original: NAA. 

[191] Th. Scharmann an A. Aichhorn, Brief vom 30. 7. 1946; Original: NAA.

[192] Th. Scharmann an A. Aichhorn, Briefe vom 18. 2., 13. 3. , 1. 5. u. 6. 10. 1947; Originale: NAA. 

[193] Schreiben der NSDAP Gauleitung Wien, Hauptstelle für politische Beurteilung, vom 7. 12. 1939; ÖStA.

[194] Berlin, Jänner 1945: Schreiben des „Beauftragten für den Vierjahresplan, der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz“ an den Leiter der Partei-Kanzlei München; ÖStA. 

[195] Tätigkeitsbericht A. Aichhorns an M. H. Göring vom 3. 6. 1944; Kopie: NAA. Ash 2012; S. 374. 

[196] Akt: ÖStA. 

[197] B. Scharmann an A. Aichhorn, Postkarte vom 8. 5. 1946; Original: NAA.

[198] A. Aichhorn an B. Scharmann, Brief vom 26. 5. 1946; Kopie: NAA.

[199] B. Scharmann an A. Aichhorn, Brief vom 27. 5. 1946; Original: NAA.

[200] A. Aichhorn an B. Scharmann, Brief vom 21. 7. 1946; Kopie: NAA.

[201] Th. Scharmann an A. Aichhorn, Brief vom 15. 1. 1947; Original: NAA.

[202] Schreiben des Instituts für Geschichte der Medizin an den Dekan der medizinischen Fakultät vom 16. 1. 1945, Archiv der Universität Wien. Mit Dank an Birgit Johler.

[203] Susanne Wenger (1915-2009), wurde als Tochter schweiz-österreichischer Eltern geboren. Sie besuchte in Graz die Kunstgewerbeschule und studierte anschließend in Wien Malerei. Wenger war Mitarbeiterin der kommunistischen Kinderzeitschrift „Unsere Zeitung“ und Mitbegründerin des Wiener Art-Clubs. Der Art-Club war eine der fortschrittlichsten Plattformen für junge Maler, Bildhauer, Autoren und Musiker, lange Zeit war sein künstlerisches Erscheinungsbild von einem friedlichen Nebeneinander von Surrealisten, der Wiener Schule des Phantastischen Realismus, und Abstrakten geprägt. 1946 veröffentlichte Spanudis eine Arbeit über den Surrealismus (Spanudis 1946). Nach Aufenthalten in Italien und der Schweiz ging Wenger 1949 nach Paris, wo sie ihren Ehemann, den Sprachwissenschafter Ulli Beier, kennenlernte. 1950 wanderte das Paar nach Nigeria aus. Wenger erkrankte an Tuberkulose und wandte sich in der Folge der nigerianischen Yoruba-Religion zu. Sie wurde Yoruba-Priesterin und Gründerin der archaisch-modernen Kunstschule „New Sacred Art“, sowie Erbauerin des Heiligen Hain der Göttin Osun.

[204] „Das Feuerlied“ (Tiposkript: NRD). 

[205] Auch sein Bruder Solon (1922-1981) war Analysand Aichhorns. Er war ihm nach Wien und später auch nach Brasilien nachgefolgt. Solon Spanoudis, wie er seinen Namen schrieb, war Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. 1973 gründete er eine daseinsanalytische Vereinigung, deren Präsident er bis zu seinem Tod war (Füchtner 2006, S. 90f).

[206] Tätigkeitsbericht A. Aichhorns an M. H. Göring vom 3. 6. 1944; Kopie: NAA. Ash 2012, S. 374.

[207] G. Bibring an A. Freud, Brief vom 5. 11. 1949; Original: AFP/LoC.

[208] A.  Freud an G. Bibring, Brief vom 11. 11. 1949; Kopie: AFP/LoC.

[209] G. Bibring an A. Freud, Brief vom 17. 11. 1949; Original: AFP/LoC.

[210]Adelheid Koch (geb. Schwalbe) (1896-1980), wurde in Berlin geboren. Ihr Vater war Julius Schwalbe, ein deutsch-jüdischer Arzt und Schriftleiter der „Deutschen Medizinischen Wochenschrift“. 

Koch studierte während der 1920er Jahre in Berlin Medizin, sie promovierte 1927. 1923 hatte sie den Rechtsanwalt Ernst Koch (1892-1984) geheiratet, der ein Enkel des Verlegers Leopold Ullstein war.

1929 begann Koch eine Ausbildung am Berliner Psychoanalytischen Institut. Ihre Lehranalyse machte sie bei Otto Fenichel, die Kontrollanalytikerinnen waren Therese Benedek und Salomea Kempner. 1935 hielt sie ihren Aufnahmevortrag, wurde jedoch nicht mehr in die DPG aufgenommen, sondern Direktmitglied der IPV.

Ermutigt durch Jones emigrierte Koch im November 1936 mit ihrer Familie nach Brasilien und ließ sich als Lehranalytikerin in São Paulo nieder. Mit den ersten Lehranalysen ab Juli 1937 und dem allmählichen Aufbau der psychoanalytischen Gesellschaft begann ihre sehr erfolgreiche Karriere. 1944 gründete sie die Sociedade Brasileira de Psicanálise de São Paulo (SBPSP), die 1951 von der IPV anerkannt wurde. Theoretisch orientierte sich Koch an Melanie Klein, deren Seminare sie 1948 in London besuchte (Füchtner 2008). 

[211] Alfredo Volpi (1896-1988) wurde in Lucca, Italien, geboren. Er kam als kleines Kind nach Brasilien, wo er zu einem der wichtigsten Maler der brasilianischen Moderne wurde.

[212] José Antonio Da Silva (1909-1996), brasilianischer Maler. 

[213] A. Aichhorn, Schreiben vom 25. 1. 1946; Kopie: NAA.

[214] Hans Hoff (1897-1969), arbeitete nach dem Abschluss seines Medizinstudiums unter Wagner-Jauregg an der Klinik.1932 wurde er Privatdozent und Facharzt für Psychiatrie und Neurologie. 1936 erfolgte seine Ernennung zum Vorstand der Neurologischen Abteilung der Poliklinik in Wien. 

1938 musste Hoff Wien verlassen. Er emigrierte zunächst in den Irak, wo er Professor für Neurologie und Psychiatrie an der Royal Medical School in Bagdad wurde. 1942, nach seiner Übersiedlung in die USA, wurde er Assistenz-Professor an der Columbia University in New York. Während seines Militärdienstes wurde Hoff im Mittleren Osten eingesetzt und bereiste im Auftrag der US-Regierung Afghanistan und den Iran. Nach dem Krieg wirkte Hoff am Goldwater Memorial Hospital und an der Columbia University in New York. 1949 erfolgte seine Rückkehr nach Österreich, wo er ab 1950 Vorstand der Universitätsklinik für Psychiatrie und Neurologie der Universität Wien wurde.

[215] A. Aichhorn an W. Solms, Brief vom 4. 8. 1949; Kopie: NAA.

[216] Robert Reininger (1869-1955), Professor für Philosophie an der Universität Wien, gilt als Vertreter der Immanenzphilosophie, der sich vor allem in der Nachfolge Kants mit erkenntnistheoretischen und ethischen Fragen beschäftigte. 

[217] Moritz Schlick (1882-1936), studierte Naturwissenschaft und Mathematik in Heidelberg, Lausanne und Berlin. 1904 promovierte er bei Max Planck. 1918 erschien sein Hauptwerk, die Allgemeine Erkenntnislehre. 1922 übernahm Schlick den Lehrstuhl für Naturphilosophie an der Universität Wien. Der dort 1924 von ihm gegründete Diskussionszirkel ist als der „Wiener Kreis“ in die Philosophiegeschichte eingegangen. 1936 wurde er im Gebäude der Wiener Universität von einem ehemaligen Studenten erschossen.

[218] Alexius Meinong, Ritter von Handschuchsheim (1853-1920), war ein österreichischer Philosoph und Psychologe, der von seinem Lehrer Franz Brentano beeinflusst war. 

[219] H. Kohut an A. Aichhorn, Brief vom 18. 5. 1949; Original: NAA.

[220] W. Solms an A. Aichhorn, Brief vom 9. 8. 1949; Original: NAA.

[221] A. Aichhorn an W. Solms, Brief vom 12. 8. 1949; Kopie: NAA.

[222] Tiposkript: NAA.

[223] H. Aufreiter an K. R. Eissler, Brief vom 13. 3. 1948; Original: mit Dank an B. Reiter.

[224] A. Aichhorn an K. R.  Eissler, Brief vom 7. 7. 1946; Kopie: NAA.

[225] Tiposkript: NAA.

[226] H. Aufreiter an K. R. Eissler, Brief vom 13. 3. 1948; Original: mit Dank an B. Reiter. Um die Zensur zu umgehen, hatte Aichhorn diesen Brief in Zürich aufgegeben (Beifügung Aichhorns).

[227] A. Aichhorn an K. R. Eissler, Brief vom 19. 6. 1948; Kopie: NAA.

[228] H. Aufreiter an K. R. Eissler, Brief vom 8. 9. 1948; Original: mit Dank an B. Reiter.

[229] A. Winterstein an C. Scott, Brief vom 23. 11. 1953; Kopie: AWPV.

[230] Romano Guardini (1885-1968), wurde in Verona geboren, 1886 übersiedelte die Familie nach Mainz. Nachdem er zunächst Chemie und Nationalökonomie studierte hatte, beschloss er Priester zu werden und studierte Theologie. Er arbeitete in der katholischen Jugendbewegung und war von 1927 bis Mitglied der Bundesleitung. Von 1923 bis zu der von den Nazis 1939 erzwungenen Emeritierung war er Professor für Religionsphilosophie an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität. 1945 wurde er nach Tübingen berufen und 1948 nach München, wo er bis 1962 lehrte.

[231] J. Lampl de Groot an T. Genner-Erdheim, Brief vom 8.8.1938 (Original bei Diana Rosdolsky, Wien).

[232] Ruth Eissler an Aichhorn, Brief vom 10. 6. 1946; Original: NAA.

[233] A. Aichhorn an Ruth Eissler, Brief vom 10. 7. 1946; Kopie: NAA.

[234] Vgl. Fallend & Körbitz 2014.

[235] Bürgermeisteramt Graz, 11. 5. 1934; Akt Miklas: Archiv der Stadt Graz (mit Dank an Michael Reichmayr, der die Unterlagen im Archiv der Stadt und der Universität Graz aufgefunden und zur Verfügung gestellt hat). 

[236] Schreiben des Bürgermeisteramtes Graz an die Bundespolizeidirektion vom 15. 7. 1935; Akt Miklas: Archiv der Stadt Graz.

[237] Nach Michael Reichmayr; Unterlagen im Archiv der Stadt Graz. 

[238] E. Miklas an den Oberbürgermeister der Stadt Graz, Schreiben vom 14. 11. 1938; Akt Miklas: Archiv der Stadt Graz. 

[239] E. Miklas an den Magistrat Graz, Schreiben vom 7. 10. 1946; Akt Miklas: Archiv der Stadt Graz. 

[240] Laut Promotionsprotokoll im Archiv der Universität Graz.

[241] Edeltrud Baar war eine Schülerin Charlotte Bühlers. Sie verfasste psychologischer Gutachten im Rahmen der Kindereuthanasie „Am Spiegelgrund“, indem sie Kleinkinder mit dem Bühler-Hetzer-Verfahren testete (Rudolph 2008; Benetka & Rudolph, 2008).

[242] Hauptabteilung F an das Hauptpersonalamt, Schreiben vom 27. 5. 1943; Original: Akt Miklas, WStLA.

[243] Schreiben der Gemeindeverwaltung des Reichsgaues Wien vom 19. 8. 1943;  Original: Akt Miklas; WStLA.

[244] Gustav Richard Heyer (1890-1967), der einer der ersten an Psychosomatik und Atemtherapie interessierten Ärzte war, stand dem Kreis um Stefan George nahe. 1930 begann er eine Analyse bei C. G. Jung, mit dem er sich auch anfreundete. Anfänglich dem Nationalsozialismus kritisch gegenüber stehend, trat er 1937 in die Partei ein. 1939 wurde er als Leiter der Ausbildungsabteilung und als Jungianisches Gegengewicht zu dem starken Freudianischen Einfluss ans „Deutsche Institut“ berufen. Auch noch nach 1945 gehörte er zu den meistgelesenen Autoren psychotherapeutisch wirkender Ärzte (Lockot 1985, S. 161ff). 

[245] G. R. Heyer an E. Miklas, Brief vom 30. 3. 1944; Orginal: Nachlass E. Miklas; mit Dank an ihren Sohn, Prof. Dr. Heinz Miklas.

[246] Mit Dank an Prof. Dr. Heinz Miklas. 

[247] E. Miklas an das Personalamt des Jugendamtes der Stadt Wien, Schreiben vom 31. 7. 1946; Original: Akt Miklas, WStLA.

[248] E. Miklas an den Bürgermeister von Graz, Schreiben vom 25. 2. 1955; Original: Archiv der Stadt Graz.

[249] Bericht an den Stadtsenat vom 25. 9. 1964; Original: Archiv der Stadt Graz. 

[250] Bericht an den Stadtsenat vom 25. 9. 1964; Original: Archiv der Stadt Graz. 

[251] Nunberg & Federn 1962, Bd. 3, S. 132ff.

[252] Nunberg & Federn 1962, Bd. 4, S. 58ff.

[253] Nunberg & Federn 1962, Bd. 4, S. 126ff.

[254] Freud 1914d, S. 78.

[255] Das 1875 gegründete „Orientalische Museum“, 1887 wurde es in das „k.k. Österreichische Handelsmuseum“ umbenannt, sollte sich vor allem dem Handel Österreich-Ungarns mit dem Orient widmen. Die Entwicklung der Weltwirtschaft gegen Ende des 19. Jahrhunderts verlangte eine Ausweitung des Handelsmuseums, schließlich wurde die „k.k. Export-Akademie des Handelsmuseums“ gegründet, die im Oktober 1898 den Lehrbetrieb aufnahm. 1919 wurde die Export-Akademie in die „Hochschule für Welthandel“ umgewandelt, 1975 in die „Wirtschaftsuniversität Wien“.

[256] 1911 erschien im Verlag Hugo Heller eine Sammlung „Gedichte“ (Winterstein 1911). 

[257] Weinzierl 1994, S. 106f.

[258] Winterstein 1925

[259] Winterstein 1928.

[260] Tichy & Zwettler 1999, S. 162ff.

[261] Winterstein 1937.

[262] S. Freud an P. Federn, Brief vom 8. 6. 1932; Original: SFP/LoC. Mit Dank an Michael Schröter.

[263] Adalbert Stifter (1805-1869), bedeutender österreichischer Schriftsteller, Maler und Pädagoge. 

[264] Winterstein 1946.

[265] Alexander Mette (1897-1985), war nach seinem Medizinstudium in München zunächst in Leipzig und Halle ärztlich tätig. 1926-1927 macht er seine Lehranalyse bei Therese Benedek und wurde u. a. von Karen Horney supervidiert. 1928 wurde er Mitglied der DPG, von 1928-1946 war er als Nervenarzt und Psychoanalytiker in Berlin tätig, nach 1945 übernahm er leitende Positionen in der im Aufbau begriffenen Gesundheitsverwaltung der DDR und betrieb  noch bis Juni 1951 eine deutlich ambivalente Kontaktpflege mit der DPG in Westberlin. Nach seiner Etablierung als leitender Mitarbeiter des Gesundheitsministeriums der DDR führten ihn seine politischen und theoretischen Auffassungen deutlich von der Psychoanalyse weg und er wurde einer der Wegbereiter des Pawlowismus in der DDR.

[266] A. Winterstein an A. Mette, Brief vom 28. 1. 1944; Original: BAK. Für die Überlassung der Kopien der Briefe Wintersteins an Mette: Dank an Christiane Rothländer. 

[267] A. Winterstein an A. Mette, Brief vom 20. 2. 1944; Original: BAK. 

[268] A. Winterstein an A. Mette, Brief vom 3. 5. 1944; Original: BAK. 

[269] A. Winterstein an A. Mette, Brief vom 7. 6. 1944; Original: BAK. 

[270] Der nach dem Attentat Claus Schenk von Stauffenbergs gegen Hitler geplante Staatsstreich vom 20. Juli 1944 scheitert nicht zuletzt an Goebbels’ schnellem Handeln. Er verkündete über den Rundfunk das Misslingen des Anschlags und wandte das missglückte Attentat auf Hitler propagandistisch gegen die oppositionellen Offiziere und Zivilisten und zog so unentschlossene Mitglieder der Wehrmacht auf Hitlers Seite.

[271] A. Winterstein an A. Mette, Brief vom 29. 7. 1944; Original: BAK. 

[272] A. Winterstein an A. Mette, Brief vom 28. 9. 1944; Original: BAK. 

[273] A. Winterstein an A. Mette, Brief vom 4. 12. 1944; Original: BAK. 

[274] A. Winterstein an A. Mette, Brief vom 26. 6. 1946; Original: BAK. 

[275] Th. Mann an A. Winterstein, Brief vom 6. 12. 1947; in: Th. Mann 1991, S. 104.

[276] A. Winterstein an A. Freud, Brief vom 19.10.1946; Original: AFP/LoC.

[277] A. Freud an A. Winterstein, Brief vom 31. 10. 1946; Kopie: AFP/LoC.

[278] A. Winterstein an A.  Aichhorn, Brief vom 26. 6. 1947; Original: NAA.

[279] A. Aichhorn an A.  Winterstein, Brief vom 3. 7. 1947; Kopie: NAA.

[280] Sterba 1959, S. 59.

[281] Protokoll im Archiv der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung.

[282] Hartmann, H. & Kris, E. an A. Aichhorn, Brief vom 4. 5. 1946; Original: NAA.   

[283] K. Wolf an A. Freud, Brief vom 24. 3. 1951; Original: AFP/LoC..

[284] K. Wolf an A. Freud, Brief vom 25. 5. 1951; Original: AFP/LoC.

[285] Vgl. Aichhorn Th. und Mühlleitner 2003, 93ff.

[286] Robert Fuchs (1847-1927) studiert am Wiener Konservatorium Komposition; von 1875 bis 1912 war er dort Professor für Theorie. Seine berühmtesten Schüler waren Leo Fall, Richard Heuberger, Gustav Mahler, Erich Wolfgang Korngold, Richard Strauss, Hugo Wolf, Jean Sibelius, Franz Schmidt, Franz Schreker und Alexander von Zemlinsky. Von 1894 bis 1905 war er zudem Organist der Wiener Hofkapelle. Im Laufe seines Lebens schrieb er Opern, Sinfonien, Streichquartette, Kammermusik und Lieder. Die erste seiner fünf Serenaden, mit der er berühmt wurde und die ihm zu seinem Spitznamen "Serenaden-Fuchs" verhalfen, schrieb er 1874. Zu seinen Förderern zählte vor allem Johannes Brahms.Auch sein Bruder Johann Nepomuk Fuchs (1842-1899) war Komponist.

[287] Ilse von Arlt (1876-1960) hatte 1912 in Wien die „Vereinigten Fachkurse für Volkspflege“ als erste Fürsorgeschule Österreich-Ungarns gegründet. 1938 wurde ihr Lebenswerk von den Nationalsozialisten zerstört, die Schule geschlossen, ihre Bücher eingestampft und ihr privater Besitz beschlagnahmt. Zudem erhielt sie Schreibverbot. Nach Kriegsende konnte sie die Schule 1945 wieder eröffnen, musste sie aber bereits nach drei Jahren auf Grund finanzieller Schwierigkeiten endgültig zu schließen (vgl. Keinzel & Korotin 2002, S. 23ff).

[288] Trude Baderle-Hollstein.

[289] Interview vom 10. 5. 1986 (Elisabeth Brainin, Margarete Grimm und Vera Ligeti; Tiposkript: NRD.

[290] Briefwechsel M. Mahler/R. Dworschak im NRD.

[291] Dworschak 1982.

[292] A. a. O, S. 11. 

[293] Vgl.: Berger 2007; Czech 2003; Dahl 2004; Gabriel & Neugebauer 2002.

[294] Im Beurteilungsbogen dieses Lehrgangs steht über Dworschak zu „Weltanschauliche Festigkeit“ zu lesen: „macht noch einen unklaren Eindruck, muss noch an sich arbeiten“. Und zum „Gesamturteil (mit besonderer Eignung als Führer)“: „zum Führer etwas zu wenig Schwung und politisch noch zu unklar“ (Personalakt R. D; WStLA).

[295] Interview vom 10. 5. 1986 (Elisabeth Brainin, Margarete Grimm und Vera Ligeti; Tiposkript: NRD).

[296] Paul Amadeus Pisk (1893-1990) promovierte 1916, im Jahr darauf begann er privaten Unterricht bei Arnold Schönberg in Mödling zu nehmen. Im Verein für musikalische Privataufführungen war er als Vorstandsmitglied, Sekretär und Pianist tätig. Er unterrichtete Musiktheorie, war einer der Mitbegründer der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik und 1920-28 war er Mitherausgeber der Musikblätter des Anbruch. 1936 emigrierte er in die USA. Er unterrichtete an der University of Redlands, California, an der University of Texas in Austin und an der Washington University. Schließlich hat er sich in Los Angeles niedergelassen, wo er unterrichtete und komponierte. Er war ein viel beachteter Musikkritiker und hinterließ 36 Werke, Streichquartette, Volkstänze und Werke für Klavier und Chor.   

[297] Ferdinand Rebay (1880-1953) war Pianist, Klavierpädagoge, Chormeister, Sängerknabe am Stift Heiligenkreuz, ab 1901 Studium der Komposition bei Robert Fuchs und Klavier am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. Er war als Privatlehrer für Klavier und Theorie tätig. 1904-20 Chormeister des Wiener Chor-Vereins, 1915-20 Chormeister des Schubertbunds, ab 1921 Klavierunterricht an der Akademie für Musik und darstellende Kunst in Wien. 1938 wurde sein vertrag zwangsweise nicht erneuert. Ab 1945 unterrichtete er wieder. 

[298] Karl Schiske (1916-1969) studierte an der Wiener Musikakademie Komposition und Musikwissenschaft an der Wiener Universität. Er war einer der einflussreichsten Komponisten der österreichischen Musikgeschichte nach 1945, setzte sich mit Hindemith, Strawinsky, Schönberg, Webern, Stockhausen und Cage auseinander. Als Lehrer an der Wiener Musikakademie waren alle wichtigeren österreichischen Komponisten derFolgegeneration entweder seine Schüler oder sie standen mit ihm in Verbindung. Über einige Schüler aus dem Ausland und durch Gastprofessuren wurde er auch über Österreich hinaus wirksam.

[299] Ein Tiposkript des Librettos findet sich im Nachlass Rosa Dworschaks. 

[300] Aichhorn, Th. 2001

[301] Dworschak 1969.

[302] K. R. Eissler an R. Dworschak, Brief vom 16. 6. 1971; Original: NRD. 

[303] R. Dworschak an K. R. Eissler, Brief vom 24. 6. 1971; Kopie: NRD. 

[304] Mirecki, Sozialarbeit und Bewährungshilfe, 4/90, S. 6. 

[305] W. Hollitscher an A. Freud, Schreiben vom 19. 3. 1936 (Original im Archiv des Freud Museums, London).

[306] A. Freud an E. Jones, Brief vom 4. 5. 1938 (Original im Archiv der British Psychoanalytical Society, London).

[307] W. Hoffer an A. Aichhorn Brief vom 3. 2. 1946; Original: NAA.

[308] zit. nach: Bernhardt & Lockot 2000, S. 173. 

[309] „As for Hans Jokl, yes he was a half Jew; his father was a Jew. But he didn't identify himself that way and Magda has never spoken of him as a Jew.  (It is on his passport.)  She actually used to speak of his being in a concentration camp as resulting from his desire to help as a doctor!  Nothing to do with his ethnicity/race, of course“ (Briefliche Mitteilung Carol Aschers, die mit dem Ehepaar Jokl gut bekannt war, an Th. Aichhorn vom 24. 10. 2004).

[310] Vgl. Walsh 1976, S. 299.

[311] Roazen 1999, S. 133.

[312] A. a. O., S. 134.

[313] A. a. O., S. 125.

[314] Vgl.: Interview Jokls mit K. R. Eissler, 2. Mai 1953. Freud Papers: Interviews and Recollections, 1914-1998; Set B, 1939-1974; Interviews; Jokl, Robert H., 1953; Seite 20f.

[315] Jokl, R.H. (1922). Zur Psychogenese des Schreibkrampfes. Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse, 8(2):168-190.

[316] Brief R.H.Jokl an H. Ebner vom 3.7.1975; Kopie im Archiv der WPV.

[317] Jokl, der verwitwet war, hatte Magda, geb. 26. 11. 1913, im August 1937 geheiratet. Jokl erste Frau, Lilli Bardas, geb. am 18 März 1893, war mit Anna Freud befreundet. Ihre Mutter war vor allem mit Martha Freud gut bekannt. Lilli Bardas ist im Mai 1935 an Krebs gestorben. (Todesanzeige in der „Neuen Freien Presse“ vom 29. 5. 1935) (Vgl.: Interview Jokls mit K. R. Eissler, 2. Mai 1953. Freud Papers: Interviews and Recollections, 1914-1998; Set B, 1939-1974; Interviews; Jokl, Robert H., 1953; Seite 20f. . 

[318] Schreiben Magda Jokl an den Hilfsfond vom 12.2.1977; Kopie im Archiv der WPV.

[319] Anna Freud an Paul Federn, Brief vom 22. 10. 1938; zit. nach Mühlleitner 1992, S. 173. 

[320] Roazen 1999, S. 139.

[321] Anna Freud an R. H. Jokl, Brief vom 31. 5. 1939; Original im Archiv der WPV.

[322] Bescheinigung des Direktors des Unterkunftlagers von Masseube vom 7. 5. 1946 (beglaubigte Übersetzung aus dem Französischen): „Ich […] bescheinige, daß Herr Dr. Jokl im Lagerlazarett in der Zeit vom November 1943 bis Mai 1945 als Lazarett-Chef beschäftigt war. Während dieser Zeit hat er nur zufrieden stellende Leistungen in seinem Dienst aufzuweisen, indem er sich Tag und Nacht den Lagerkranken widmete. Seine Freundlichkeit, seine Rechtschaffenheit und seine weisen Bemühungen werden von Allen im Allgemeinen, und von der Direktion im Besonderen vermisst werden. Ich füge hinzu, daß er nach seiner Befreiung vom Lager im Jänner 1946 freiwillig seinen Dienst im Lazarett fortgesetzt [hat]. Er scheidet mit dem heutigen Tag aus seinem freien Willen aus seinem Dienst, da er wegen persönlicher Angelegenheiten nach Wien (Österreich) heimkehren muß. […] Der Chef des Auffanglagers und Unterkunft für die soziale Fürsorge der Ausländer; Kopie im Archiv der WPV).

[323] Aichhorn Th. 2012, S. 200.

[324] Nach einer Kopie im Nachlass A. Aichhorns, Archiv Th. Aichhorn.

[325] R. h. Jokl an M. Jokl, Brief vom 22. 9. 1946, Original im Archiv der WPV.

[326] R. H. Jokl an M. Jokl, Brief vom 4. 10. 1946; Original im Archiv der WPV.

[327] Robert Hans Jokl an Magda Jokl, Brief vom 15. 10. 1946; Original im Archiv der WPV.

[328] Schreiben Jokls an K. Menninger vom 28. 9. 1947, Kopie des Konzepts und der englischen Übersetzung im Archiv der WPV.

[329] 6. 2. 1948, Arbeitsvertrag mit der Menninger Foundation, Kopie im Archiv der WPV.

[330] Schreiben Jokls an das Finanzamt für den I. Bezirk vom  9. 8. 1948; Kopie im Archiv der WPV.

[331] Vgl. Aichhorn Th. 2006.

[332] Typoskript im Archiv Th. Aichhorn. 

[333] A. Aichhorn an A. Freud, Brief vom 16.11. 1945; Aichhorn Th, 2012, S. 170.

[334] A. Aichhorn, Schreiben vom 20. 11. 1948; Kopie: NAA.

[335] A. Aichhorn an K. Lévy, Brief vom 5. 7. 1948; Kopie: NAA. 

[336] A. Aichhorn an O. Fleischmanns Mutter, Brief vom 7. 3. 1949; Kopie: NAA.

[337] L. Lévy an A. Freud, Brief vom 11. 9. 1948; Original im Archiv der Library of Congress, Washington.

[338] L. Lévy an A. Freud, Brief vom 26. 4. 1949; Original im Archiv der Library of Congress, Washington.

[339] A. Freud an L. Lévy, Brief vom 6. 10. 1949; Original im Archiv der Library of Congress, Washington.

[340] Vgl. Aichhorn Th. 2006.

[341] Aichhorn, A. 1964.

[342] Original im Archiv des Freud Museums London.

[343] Original im Archiv des Freud Museums London.

[344] Lipton 1982.

[345] 1937 schrieben Maria und Paul Kramer an den Lehrausschuss der WPV: „Wir möchten heute dem Lehrausschuß von unserer vor einigen Tagen erfolgten Vermählung Mitteilung machen. Bei dieser Gelegenheit drängt es uns, dem Lehrausschuß noch einmal unseren aufrichtigen und herzlichen Dank auszudrücken, sowohl für die wertvolle Ausbildungsmöglichkeit wie auch für die freundliche Aufnahme als Gäste in dem anregenden Kreis der Wiener Vereinigung. Mit sehr herzlichen Grüßen, Maria + Paul Kramer“ (M. & P. Kramer, Schreiben an den den Lehrausschuss der WPV vom 14. 5. 1937; Original im Archiv des Freud Museums London). Sie erhielten folgende Antwort: „Liebe Kollegen, Im Namen des Lehrausschusses der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung (aber trotz dem offiziellen Charakter dieses Schreibens auch im eigenen Namen) danke ich Ihnen für die freundliche Verständigung von Ihrer Vermählung und übermittle Ihnen unsere herzlichsten Glückwünsche. Wenn ich recht informiert bin, haben Sie beide sich erst in Wien und sozusagen auf dem Boden des Lehrinstitutes kennen gelernt. Dieser – wahrscheinlich zu Recht vermutete Umstand – hat die Freude des Lehrausschusses an Ihrem Schicksal nicht unwesentlich erhöht. Allerdings bedauern wir es bei dieser Gelegenheit, gleich zwei hoffnungsreiche Kandidaten verloren zu haben. Immerhin mag uns der Gedanke trösten, dass wir, wenn wir Sie auch für Wien verloren haben, Sie so doch (hoffentlich dauernd) für die Analyse gewonnen haben. Mit den besten Grüssen von uns allen, Ihr“ (Lehrausschuss der WPV an M. & P. Kramer, Schreiben vom 22. 6. 1937; Original im Archiv des Freud Museums London).

[346] Kramer an Aichhorn: „Vor einigen Wochen verbrachte ich ein Wochenende mit Eisslers in New York. Es war ein schönes Erlebnis – es spricht sich mit niemandem so gut wie mit Kurt, und beide waren besonders reizend zu mir. Wir erwarten sie zu einem kurzen Besuch über Weihnachten in Chicago, und freuen uns sehr auf sie. Kurt’s Vertrauen in meine Fähigkeiten scheint mir Mut zu geben, ihnen selber mehr zu vertrauen – im Resultat gewinnen meine Patienten dabei. Es ist jetzt etwa zweieinhalb Jahre seit ich die analytische Arbeit nach meiner Rückkehr aus der Army wiederaufgenommen habe, und die Erfolge beginnen sich langsam einzustellen. Ein schönes Gefühl!“ (P. Kramer an A. Aichhorn, Brief vom 17. 12. 1948; Original: NAA).

[347] P. Kramer an A. Aichhorn, Brief vom 1. 4. 1946; Original: NAA.

[348] Lipton 1982, S. 3f.

[349] Akt Spiel: Archiv des Wiener Stadtschulrates.

[350] Max Adler (1873-1937), war ein österreichischer Jurist, Politiker und Sozialphilosoph. Er war ein maßgeblicher Theoretiker des Austromarxismus. Ab 1919 unterrichtete er im Rahmen der von Max Winter im Schloss Schönbrunn gegründeten Erzieherschule. 1920 habilitierte er an der Universität Wien und wurde a.o. Professor für Soziologie und Sozialphilosophie. Von 1919 bis 1921 war er sozialdemokratischer Abgeordneter zum Niederösterreichischen Landtag.

[351] Kenner 2007, S. 204.

[352] Franz Scharmer (1891-1984), war Lehrer. Mit Spiel und Birnbaum beteiligte er sich an Otto Glöckels Schulreform und an der Versuchsschule. Ab 1934 hatte er sich ins Privatleben zurückgezogen; 1945 wurde er Direktor einer Lehrerbildungsanstalt, beteiligte sich im individualpsychologischen Verein und hielt Vorträge und Seminare am Pädagogischen Institut der Stadt Wien (Kenner 2007, S. 182f).

[353] Spiel 1947.

[354] Volkshochschule Wien Volksheim an Oskar Spiel, 8.2.1934 und 24.2.1934, Privatarchiv Lona Spiel (mit Dank an Birgit Johler). 

[355] Eine Mitgliedschaft bei der NSV war die Mindestanforderung. 

[356] Akt Spiel: ÖStA.

[357] Vgl. Ash 2012.

[358] O. Spiel an R. Seidler, Brief vom 5. 2. 1948; Kopie: Privatarchiv Lona Spiel. Mit Dank an Birgit Johler. 

[359] O. Spiel an den Stadtschulrat für Wien, Schreiben vom 20. 9. 1938; Original: Akt Spiel, Archiv des Wiener Stadtschulrats.

[360] Regine Seidler (1895-1967), lernte Adler in den Frühen 1920er Jahren kennen. Wie ihrer Lehrerkollegen Birnbaum, Spiel war sie aktiv daran beteiligt, individualpsychologische Ideen und Methoden im Bereich Schule anzuwenden und bekannt zu machen. Sie errichtete eine der ersten Erziehungsberatungsstellen an einer Schule. Von 1926 bis 1932 war sie Vorstandmitglied des Vereins für Individualpsychologie. Auf Grund ihrer jüdischen Herkunft verließ sie Wien; laut Meldeunterlagen ist sie mit 21. 10. 1939 abgemeldet, als Zielort ist USA angegeben. Dort arbeitete sie zunächst in Rochester, New York, später auch an der Universität von Syracuse. 1947 ging sie nach Des Moines, Iowa, wo sie als Psychologin an einer Erziehungsberatungsstelle arbeitete (Kenner 2007, S. 190f). Wie Seidler an Spiel schrieb, hatte sie auf Grund der Ereignisse ihren Glauben an positive Veränderungsmöglichkeiten verloren: „Wir haben 20 Jahre lang ‚Schulreform’ betrieben, d. h. wir haben in dem Wahn gelebt, dass wir die Kinder im Arbeitsunterricht zum Selbstdenken und unabhängigen Urteilen erziehen – und al unsere Arbeit war ohne Erfolg“ (zit. nach: Kenner 2007. S. 192).

[361] M. H. Göring an O. Spiel, Brief vom 9. 8. 1938; Original: Akt Spiel, Archiv des Wiener Stadtschulrats.

[362] Schreiben im Akt Spiel, Archiv des Wiener Stadtschulrats. 

[363] Bezirksschulinspektorin W. Benesch an den Stadtschulrat für Wien, Schreiben vom 27. 3. 1954; Original: Akt Spiel, Archiv des Wiener Stadtschulrates.

[364] Lebenslauf: Antrag zur Aufnahme in die Reichsschrifttumskammer vom 29. 12. 1938 (ÖStA).

[365] Vgl. Ash 2012.,

[366] Sylvia Bayr-Klimpfinger (1907-1980) studierte im Anschluss an ihre Ausbildung als Lehrerin Psychologie bei Karl und Charlotte Bühler an der Universität Wien. 1932 promovierte sie bei Karl Bühler, 1940 wurde sie Assistentin an der Psychologischen Abteilung des Instituts für Philosophie und habilitierte 1943. 1945 erhielt sie die Stelle einer Assistentin am Pädagogischen Seminar der Universität Wien und stand zunächst informell, nach ihrer Ernennung zur ao.Prof. auch formell der neu gegründeten Abteilung für Kinder- und Jugendpsychologie vor. In ihrer wissenschaftlichen Arbeit setzte Bayr-Klimpfinger die kinder- und jugendpsychologische Forschungstradition des Bühler-Instituts fort. Sie entwickelte die beobachtungsbezogene Feldforschung zur Lebensraumforschung weiter und machte sich um die Integration ethnologischer Forschungsergebnisse in die Entwicklungspsychologie verdient. Ihr wichtigster Arbeitsschwerpunkt betraf die konsequente Einbeziehung kinder- und jugendpsychologischer Forschungsergebnisse in pädagogische Anwendungskontexte. 

[367] Norbert Thumb war seit Anfang Mai 1938 „Anwärter“ und seit 1. Juli 1940 Parteimitglied (Mitgliedsnummer 8,117.362). Sylvia Klimpfinger wurde mit 1. Jänner 1941 als ordentliches Mitglied in die Partei aufgenommen (vgl. Benetka 1998).

[368] Vgl. Benetka 1998.

[369] N. Thumb an die WPV, Schreiben vom 29. 10. 1946; Original im Archiv der Wiener Psychoanalytischen Vreinigung.

[370] Protokoll im Archiv der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung.

[371] Zusatz: Im Kandidaten Seminar natürlich.

[372] H. Schwarz-Braham an O. Fenichel, Brief vom 24. 4. 1943; Original: Otto Fenichel Papers im Archiv der Library of Congress, Washington.

[373] Interview: Th. Aichhorn & Friedl Früh in Washington DC. 

[374] Zu Ernst Ticho in Graz: Posch 2000. 

[375] A. Winterstein an die psychoanalytische Arbeitsgemeinschaft in São Paulo, Brief vom Juli 1951; Kopie im Archiv der WPV.

[376] G. Ticho an A. Winterstein, Brief vom 9. 12. 1951; Original im Archiv der WPV.

[377] Kopie im NAA.

[378] Spranger 1980.

[379] O. Spranger an A. Aichhorn, Brief vom 1. 1. 1946; Original: NAA.

[380] A. Aichhorn an O. Spranger, Brief vom 22. 4. 1946; Kopie: NAA.

[381] O. Spranger an A. Aichhorn, Brief vom 28. 5. 1946; Original: NAA.

[382] Im Oktober 1938 hielt Aichhorn in Zürich  auf Einladung Gustav Bally einen Vortrag: „ Sonntag 9. 10.: Reise nach Zürich; Zürich: Vortrag Zürich bis Donnerstag 13. 10.; Freitag 14. 10. Rückreise nach Wien“ (nach Notizen in Aichhorns Taschenkalender: NAA). Die in Genf und Luzern geplanten Vorträge, die u.a. von Jean Piaget veranstaltetet werden sollten, kamen nicht zustande. 

[383] A. Aichhorn an O. Spranger, Brief vom 15. 6. 1946; Kopie: NAA.

[384] Viktor Matejka (1901-1993) war Politiker und Schriftsteller. Er hatte zunächst Chemie, dann Geschichte und Geografie studiert. Ab 1926 betätigte er sich als Vortragender zu wirtschaftspolitischen Themen an Wiener Volkshochschulen. 1938 wurde er ins KZ Dachau, anschließend ins KZ Flossenbürg deportiert. 1945 wurde Matejka von der KPÖ als Stadtrat für Kultur und Volksbildung nominiert, ein Amt, das er bis 1949 innehalte. Als KPÖ-Abgeordneter blieb er noch bis 1954 Mitglied des Gemeinderates.

Als Kulturstadtrat richtete Matejka eine Einladung an die vom NS-Regime Vertriebenen, aus dem Exil nach Österreich zurückzukehren. Er war der einzige österreichische Politiker, der diese Einladung aussprach.

Nach seiner Pensionierung im Dezember 1966 trat Matejka aus der KPÖ aus.

[385] Vgl. den Briefwechsel Aichhorn – Theodor Dosužkov (im Druck).

[386] Aichhorn an Spranger (27. 7. 1946):

[387] A. Aichhorn an O. Spranger, Brief vom 7. 1. 1948; Kopie. NAA.

[388] A. Aichhorn an O. Spranger, Brief vom 13. 2. 1948; Original: NAA.

[389] A. Aichhorn an O. Spranger, Brief vom 4. 10. 1948; Kopie: NAA.

[390] O. Spranger an A. Aichhorn, Brief vom 12. 9. 1949; Original: NAA.

[391] F. Hacker an A. Aichhorn, Brief vom 26. 6. 1948; Original: NAA.

[392] A. Aichhorn an F. Hacker, Brief vom 27. 7. 1948; Kopie: NAA.

[393] K. R. Eissler hatte einen „Aichhorn-Fonds“ ins Leben gerufen, dessen Präsident Ludwig Jekels war (vgl. Aichhorn Th. 2012, S. 296ff).

[394] F. Hacker an A. Aichhorn, Brief vom 27. 3. 1949; Original: NAA.

[395] F. Hacker an A. Aichhorn, Brief vom 16. 7. 1949; Original: NAA.

[396] A. Aichhorn an F. Hacker, Brief vom 3. 8. 1949; Kopie: NAA.

[397] F. Hacker an A. Aichhorn, Brief vom 16. 9. 1949; Original: NAA.