Erinnerungen an Gustav Eckstein von Gerda Walther

Gerda Walther (* 18. März 1897 in Nordrach; † 6. Januar 1977 in Dießen am Ammersee)
erinnerte sich in ihrer Autobiografie an Gustav Eckstein, den sie 1913 in Berlin als Mitarbeiter in der von Kautsky herausgegeben Zeitschrift „Die neue Zeit“ kennen lernte.

Gerda Walthers Mutter Ragnhild Bajer (geboren am 28.4.1874 in Kopnhagen), war die Tochter des dänischen Politkers, Pazifisten und späteren Nobelpreisträgers Fredrik Bajer.
Ihre Mutter kam als neunzehnjährige Patientin in die Kuranstalt des Vaters nach Nordach, die beiden wurden ein Paar und heirateten 1895 nach der Scheidung des Vaters von seiner ersten Frau, der aus England stammenden Hope Adams, die wie auch er in Leipzig Medizin studierte.
Gerda Walthers Weg führte sie vom Marxismus zur Psychologie und Philosophie und zur Phänomenologie Husserls, sie zählte am Rande zum Georgekreis, ist eine zeitlang Mitglied der anthroposophisch orientierten Christengemeinschaft und schließlich wendete sie sich der Parapsychologie zu.

1913 besuchte Gerda Walthers Karl Kautsky und dessen Frau Luise in Berlin. Bei dieser Gelegenheit lernte sie auch Gustav Eckstein kennen, der in der Nähe wohnte.  Sie brachte ihn mit zu ihrem Vater, der meinte, sie könne stolz darauf sein, dass sie solche Männer wie Kautsky und Eckstein duzen könne. Über die beiden wurde sie mit dem wissenschaftlichen Sozialismus vertraut.

Ihr Vater Otto Walther war Arzt und Sozialdemokrat, mit  August Bebels, Karl Kautsky, Klara Zetkin, Rosa Luxemburg, Wilhelm Liebknecht bekannt. Dr. Otto Walther betrieb in Nordrach ein Lungensanatorium, das Gustav Eckstein öfter zur Behandlung seiner Tuberkulose aufsuchte. Er besuchte die Familie Walther aber bald auch in ihrem Heim in Leoni. Bei Dr. Walther stand Gustav Eckstein in hohem Ansehen, er schätzt seine Intelligenz, seinen Humor, seine Sensibilität und seine lautere Gesinnung.
„Äußerlich war er von fast grotesker Hässlichkeit mit vorspringendem Oberkiefer, spärlichem rötlichen Haar über der hochgewölbten Stirn – und doch eignete ihm ein großer persönlicher Charme, der wohl nicht nur in seiner österreichischen Art begründet war. […] die wenigsten ahnten wohl, wie krank er war, und daß er mit unendlicher Geduld alles, was er leistete in zähem Ringen seiner schwachen Gesundheit abtrotzen musste.“ (Walther, 133)

Gerda Walther besuchte nach ihrem Abitur und nach dem Ausbruch des 1. Weltkrieges Gustav Eckstein in Wien. Er lud sie ein, bei seiner Schwester Paula Pick in Hietzing zu wohnen und mit ihm nach Seebenstein zu kommen, wo er mit seiner Familie den Sommer zu verbringen pflegt. Sie reist mit der Aspangbahn in Gesellschaft der  Familie Pick und Anna Schlesinger nach Seebenstein, wo die Familie ein Haus besaß. Auf ihren Wanderungen mit den Pick-Kindern und Anna Schlesinger sangen sie Lieder, den Text eines Kriegsliedes gibt die Autorin in ihren Lebenserinnerungen wieder (168f).
Sie lernte auch seine Schwester, die „Genossin“ Therese Schlesinger kennen. Dass sie zu Lebzeiten von Gustav Eckstein beschreibt, wie diese in Strickjacken zu den Parlamentssitzungen ging, ist historisch nicht richtig, weil Gustav Eckstein 1916 in Zürich verstarb und Therese Schlesinger erst ab 1919 als Delegierte und Abgeordnete den Parlamentssitzungen beiwohnte.
Gerda Walther stand mit Gustav Eckstein auch noch in Verbindung, als sie 1915/16 in München die Universität besuchte. Wir lesen, dass er ihr eine Empfehlung schickte und sie sich in einer theoretischen Frage an ihn gewendet hatte (181, 183), von seinem Tod, der auch in diese Zeit fiel, lesen wir nichts.

Es findet sich im Verzeichnis der Library of Congress in Washington ein Brief von Sigmund Freud an Frau Doktor Gerda Walther vom 13.7.1935, der von Ernst Falzeder transkribiert wurde. Darin ist von einem zweibändigen Werk über den Okkultismus die Rede, aber nicht Gerda Walther sonder Fanny Moser, die Tochter von Freuds Patientin Fanny Moser, dürfte die Autorin dieses Werkes sein: Fanny Moser (1935): Okkultismus - Täuschungen und Tatsachen. 2 Bände.

PROF. DR. FREUD
Wien XIX Strassergasse 47
13.7.1935

Sehr geehrte Frau Doktor
Nein, als ich das zweibändige Werk über den Okkultismus erhielt, war ich keinen Augenblick über die Person des Autors im Zweifel.  [ Ich besaß nicht die Adresse, an die ich meinen Dank richten konnte.]  Sie hatten mir ja seit jenem Besuch in der Au [?] wiederholt geschrieben.
Ich kann es Ihnen nicht übel nehmen, daß Sie meinen schlimmen diagnostischen Worten von damals noch nicht verziehen haben.  Nicht nur daß ich noch sehr unerfahren war; unser aller Kunst das seelisch Verborgene zu lesen war noch in den Kinderschuhen.
Zehn, vielleicht fünf Jahre später, hätte ich nicht umhin können zu verraten, daß die unglückliche Frau einen schweren Kampf gegen die unbew. Haßregungen für ihre beiden Kinder führte und sich durch Überzärtlichkeit zu verteidigen suchte.  Diese bösen Geister scheinen sich später zur Oberfläche durchgearbeitet und ihre Handlungen bestimmt zu haben.  Aber damals verstand ich nichts u glaubte einfach ihrer Information.  Von Ihrem Buch habe ich mehrere Abschnitte gelesen.  Ich anerkenne es als tapfere und ehrliche That, einen Schritt auf dem steinigsten Arbeitspfad.  Daß ich die rein theoret. Kapitel Hypnot., Traum, Hysterie, besonders aber das „Unterbew.“ nicht ganz gutheißen kann, wird Sie nicht verwundern.
Mit Dank und besten Wünschen Ihr
Freud

Quellen
Walther, Gerda (1960): Zum anderen Ufer: Vom Marxismus und Atheismus zum Christentum.
Remagen: Otto Reichl (Autobiographie)
https://books.google.at/books?id=p9ygbtSBAtEC&pg=PA133&lpg=PA133&dq=Gustav+Eckstein&source=bl&ots=jcLiEcA23J&sig=aeXv0QY3vBE0oucaJAVYPmWJbac&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwjp_beAyZnRAhWUIFAKHYqmCmc4ChDoAQhbMAk#v=onepage&q=Gustav%20Eckstein&f=false [29.12.2016]

Fanny Moser (1935): Okkultismus - Täuschungen und Tatsachen.
2 Bände. München: Ernst Reinhardt-Verlag.
Nachdruck unter dem Titel Das große Buch des Okkultismus. Mit einem Geleitwort von Hans Bender. Olten: Walter-Verlag, 1974

Redaktion: CD, 29.12.2016