Jeanne Adriana Lampl-de Groot: Biografie (Alix Paulus)

Zwei Umstände haben meiner Meinung nach das Leben und Werk von Jeanne Lampl-de Groot besonders geprägt:
1. ihre Nähe zu Freud
2. ihre Migrationen, die z.T. freiwillig, z.T. auch nicht freiwillig erfolgten

Adriana (so hieß sie eigentlich) de Groot  wurde 1895 in Schiedam bei Rotterdam, als 3. von 4 Töchtern in eine reiche, gebildete und sozial engagierte, nicht jüdische Familie geboren. Bereits  1912, also als 17jährige, las sie Schriften von Freud. Sie studierte Medizin in Leiden und später in Amsterdam. Nach dem Studium bat sie Freud in einem Brief um eine Psychoanalyse. Er nahm sie als Patientin und Schülerin an. Sie hatte 3 Jahre Analyse bei ihm, von 1922 bis 1925, später noch einmal im Jahr 1931 einige Monate. In der ersten Wiener Zeit (eine zweite sollte noch folgen) besuchte sie zusammen mit Anna Freud Kurse und Seminare der WPV und arbeitete am Ambulatorium der Vereinigung mit. Außerdem praktizierte sie an der psychiatrischen Klinik von Wagner-Jauregg. Hatte Freud ihr auf diesen ersten Brief noch mit der Anrede „Geehrtes Frl. Doktor“ geantwortet, so beginnen die zahlreichen Briefe später mit: „Meine liebe Jeanne“. Die Briefe von Freud an Jeanne Lampl-de Groot sind 2012 als Buch erschienen, bisher nur auf Holländisch.

1925 ging sie nach Berlin, wozu Freud ihr geraten hatte, um ihre Ausbildung zur Analytikerin abzuschließen. Dort heiratete sie den jüdischen Arzt und Psychoanalytiker Hans Lampl, der ein Gymnasialfreund von Martin Freud gewesen war. Da er Jude war, musste die Familie in der Folge vor Hitler flüchten.
Hans Lampl war zuerst in Anna Freud verliebt gewesen, ihr Vater Sigmund Freud sei aber gegen die Verbindung gewesen. In einer Tagebuchnotiz vom 31. Oktober 1931 schreibt Freud, Hans leide an paranoider, irrationaler Launenhaftigkeit. Möglicherweise hatte diese Launenhaftigkeit von Hans Lampl aber auch mit Eifersuchtsgefühlen wegen der engen Beziehung zwischen Freud und  Jeanne Lampl-de Groot zu tun.
Jeanne und Hans bekamen 2 Töchter, Harriett und Edith, die 1926 und 1928 geboren wurden. Jeanne hat sich in ihren Berliner Jahren diesen Töchtern viel gewidmet. Sie war aber auch mit zwei Lehrveranstaltungen betraut „Über die Traumdeutung“ und „Über die präödipale Phase“. Außerdem war sie über Empfehlung von Siegfried Bernfeld Konsiliarpsychiaterin an einer child guidance clinic.

1933, nach Hitlers Machergreifung, musste die Familie Lampl zum ersten Mal  flüchten. Jeanne Lampl-de Groot sagte, sie habe gerade Wien als ersten Emigrationsort gewählt, weil dort die Ehepaare Hartmann, Bibring, Waelder, Deutsch und Kris waren. Zusammen hätten sie damals in analytischer Hinsicht eine wunderbare Zeit gehabt, nur politisch sei es schrecklich gewesen. Anna Freud hatte mittlerweile die Kinderanalyse in Wien etabliert, und die neue Einrichtung hat in dieser Pionierzeit floriert (vergl. Verhage-Stins, E.) Jeanne Lampl-de Groot wurde 1933 Mitglied der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung  (sie war bereits vorher Mitglied in der Nederlandse Vereniging voor Psychoanalyse und in der deutschen psychoanalytischer Gesellschaft geworden). 2 Jahre später, 1935, wurde sie in den Lehrausschuss aufgenommen. An den internationalen psychoanalytischen Kongressen, 1932 in Wiesbaden und 1936 in Marienbad, hielt sie jeweils einen Vortrag.

1938, nach dem Anschluss musste die Familie Lampl nach Holland emigrieren. Zunächst nach Den Haag, wo Jeannes Mutter lebte, kurz danach nach Amsterdam. In der Familie wurde wegen der Aggression, die von Hitlerdeutschland ausging, in der Folge nicht mehr Deutsch gesprochen (vergl. Interview Lockot). Die niederländische psychoanalytische Vereinigung war während des Kriegs aufgelöst worden. Die Lampas betrieben die analytische Ausbildung aber im Untergrund weiter, sie gründeten die geheime Amsterdamer psychoanalytische Arbeitsgruppe (Werkgroep). Bei einer Sitzung in ihrem Privathaus wurde 1943 beschlossen, dass ausschließlich 2 Lehranalytiker die Ausbildung übernehmen sollten: Le Coultre und Jeanne Lampl-de Groot. Die bereits vorher in der Vereinigung tätig gewesenen Lehranalytiker fühlten sich durch diese Maßnahme ausgebootet, was zu Spannungen führte und bis heute führt. Ich nehme an, dass sie es aufgrund von Jeanne Lampl-de Groots Nähe zu Freud nicht wagten, sich dagegen zu wehren. Beide Lampls gründeten nach dem Krieg das psychoanalytische Institut in Amsterdam und blieben federführend an allen Aktivitäten, insbesondere der Lehre beteiligt. 1947 fand die erste Zusammenkunft der Psychoanalyse nach dem Krieg in Amsterdam statt.

1958 erlitt das Ehepaar Lampl-de Groot einen schweren Verkehrsunfall bei dem Hans starb und Jeanne schwer verletzt wurde.
Nach dem Tod ihres Mannes widmete Jeanne Lampl-de Groot sich weiterhin der PA, insbesondere der Kinderanalyse. Sie traf regelmäßig die Freundinnen aus der Wiener Zeit: Anna Freud, Dorothy Burlingham und Marianne Kris – sie nannten sich die „four old Ladies“ der Psychoanalyse.

Jeanne Lampl-de Groot  schrieb  insgesamt 47 Artikel, die in diversen Zeitschriften publiziert wurden. Zu ihrem 90. Geburtstag erschien ihr Gesamtwerk unter dem Titel: Man and Mind.
Die Themen umfassen ein weites Spektrum an psychoanalytischen Beobachtungen. Freuds Ermutigung hat ihren Enthusiasmus beflügelt und den Pioniergeist hervorgerufen, der ihr Werk durchdringt. Sie benutzt eine einfache, völlig unprätentiöse Sprache. Allerdings schwingt nach meinem Dafürhalten manchmal ein lehrerinhafter Ton mit. Sie zeigt sich Freuds Funden gegenüber loyal aber setzt durchaus auch eigene Akzente. Sie bezieht sich ansonsten vor allem auf Arbeiten von August Aichhorn, René Spitz, Margaret Mahler, Heinz Hartmann und Anna Freud.

Beschäftigt hat sie sich besonders mit dem Narzissmus und der Struktur des Ich-Ideals. Das Ich-Ideal sieht sie, anders als Freud, vom Über-Ich deutlich getrennt.
Sie beschreibt die ganz frühen Erfahrungen des Säuglings als unerträgliche Erfahrungen von Ohnmacht, die durch Omnipotenzphantasien kompensiert werden. Aber auch diese Größenphantasien werden in der Folge als so peinlich empfunden, dass sie verdrängt werden. Unbewusst gewordene Omnipotenzphantasien können später mit der Realität so stark in Konflikt geraten, dass große Mengen an destruktiver Aggression freigesetzt werden. Z. B. sind Profit- und Machtgier als Derivate von verdrängten Omnipotenzphantasien zu sehen.
Jeanne Lampl-de Groot selbst hat sich, wie sie schreibt, ein Leben lang bemüht um Empathie mit dieser speziellen Not von Kindern, die aus Gefühlen von Hilflosigkeit und Scham besteht. Tendenziell, meint sie, missverstehen Eltern häufig Andeutungen ihrer Kinder an diese narzisstischen Wunden, weil sie selbst nicht gern an eigene Ohnmachtsgefühle erinnert werden. Und Analytikern gehe es mit ihren Patienten ähnlich. Sie betont, dass es für Analytiker deshalb wesentlich ist, in sich den Zugang zu einem Empfinden zu erhalten, das dem Primärvorgang nahe ist.

Wenn man Jeanne Lampl-de Groots Schriften liest, hat man den Eindruck, dass ihr das gelungen ist.

Jeanne Lampl-de Groot ist 1987 91jährig gestorben.

Autorin: Alix Paulus
Redaktion: CD, 9.12.2013