Marianne Kris - Biografie: Sabine Zaufarek

Marianne Kris wurde am 27. Mai 1900 in Wien als Tochter jüdischer Eltern geboren.
Ihr Vater, der Kinderarzt Oskar Rie, war ein Freund und Kollege von Sigmund Freud und wie dieser am 1. Öffentlichen Kinder-Krankeninstitut von Max Kassowitz beschäftigt. Außerdem war er der Kinderarzt der Familie Freud, arbeitete zusammen mit Sigmund Freud an dessen Studien zur zerebralen Kinderlähmung und Aphasie und war auch Freund und Tarockpartner.
Ihre Mutter Melanie Rie, geborene Bondy, war künstlerisch begabt und die Schwester von Ida Bondy, einer ehemaligen Patientin von Josef Breuer, die 1892 Wilhelm Fließ geheiratet hatte.
Marianne Kris’ Schwester Margarethe ließ sich von Freud analysieren und heiratete später den Analytiker Hermann Nunberg.
Marianne Kris besuchte das Lyceé francaise und inskribierte nach der Matura an der Medizinischen  Fakultät der Universität Wien.
1925 promovierte sie und begann anschließend auf Anraten Sigmund Freuds ihre analytische Ausbildung am Berliner Lehrinstitut. Sie absolvierte ihre Analyse bei Franz Alexander und kehrte 1927 nach Wien zurück, wo sie im selben Jahr den Kunsthistoriker und Psychoanalytiker Ernst Kris heiratete.
Eines ihrer Kinder wurde nach Anna Freud benannt, eines nach Kata Levys Bruder Anton von Freund.
1928 wurde sie außerordentliches Mitglied der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung und blieb dies bis zu ihrer Emigration 1938.
Ihre Kontrollanalyse absolvierte sie bei Anna Freud, deren Freundin sie wurde. Außerdem nahm sie regelmäßig am kinderpsychoanalytischen Seminar teil. Sigmund Freud nannte sie „meine Tochter“.
Im Jahr 1932 veröffentlichte Marianne Kris ihre erste Arbeit „Ein Märchenstoff in einer Kinderanalyse“ in der „Zeitschrift für psychoanalytische Pädagogik“.
Sie emigrierte 1938 gemeinsam mit ihrem Mann nach England und wurde dort Mitglied der British Psychoanalytical Society. 1940 gingen beide zuerst nach Kanada und ließen sich schließlich in New York nieder.
1944 wurde Marianne Kris Mitglied der New York Psychoanalytic Society und der American Psychoanalytic Association. Gemeinsam mit Berta Bornstein war sie eine der wenigen Lehranalytikerinnen für Kinderanalyse. Sie bot ein fortlaufendes Seminar an, das nicht nur Ärzten, sondern auch Interessenten anderer Berufsgruppen offen stand.
Außerdem wendete sie die psychoanalytische Therapie auch außerhalb der klassischen Behandlungsform in ihrer Arbeit mit Erziehern und Sozialarbeitern am „Jewish Board of Guardians“ an und nahm an den Studien über Kibuzzkinder (gemeinsam mit Peter Neubauer) teil.
Weiters wurde sie Mitglied des Western New England Institute for Psychoanalysis und des Psychoanalytischen Instituts an der Columbia University, und war auch Charter Member und Life Fellow der American Academy of Child Psychiatry.
Als 1957 ihr Mann starb, wurde die Beziehung zu Anna Freud noch enger, Marianne Kris war oft in Maresfield Gardens, ihrem „zweiten Heim“, zu Gast.
Nach dem Tod ihres Mannes übernahm sie die Mitherausgeberschaft der Zeitschrift „Psychoanalytic Study of the Child“.
Ab 1958 beschäftigte sich Marianne Kris mit der Forschungsarbeit an einer Studie über die gleichzeitig Psychoanalyse mehrerer Familienmitglieder am Yale University Child Study Center. Diese Ergebnisse stellte sie 1972 in „The Psychoanalytic Study of the Family“ am New York Psychoanalytic Institute anlässlich der Annual Sigmund Freud Lecture vor.
Als strenge Anhängerin der offiziellen Historiographie von Sigmund Freud hinderte sie ihre Analysandin Marilyn Monroe daran, das Angebot von John Huston anzunehmen, in dessen  Film „Freud, geheime Leidenschaften“ an der Seite von Montgomery Clift die Rolle der Anna O. zu spielen.
Der Film wurde 1962 nach dem Drehbuch von Jean-Paul Sartre gedreht und handelte von den Anfängen der Psychoanalyse. Der Regisseur war von Anna Freud abgewiesen worden, die nicht die geringste Abweichung von der offiziellen Freud-Hagiographie duldete.
Marianne Kris nahm ihrerseits die gleiche Haltung ein und weigerte sich sogar, Sartres Drehbuch oder John Hustons Exposé zu lesen.
Vor ihrem Tod hatte Marilyn Monroe an Marianne Kris eine bedeutende Geldsumme für ein Projekt ihrer Wahl übergeben, das diese der Hampstead-Klinik spendete.
1965 wurde Marianne Kris die erste Präsidentin der Association for Child Psychoanalysis in New York.
Sie trat immer wieder für die Aufnahme von Laienanalytikern ein.
Freundschaftlichen Kontakt pflegte sie mit Anna Freud, Jeanne Lampl-de Groot und Dorothy Burlingham.
Gemeinsam mit Jeanne Lampl-de Groot und Muriel Gardiner nahm sie 1979 und 1980  an Anna Freuds Hampstead Symposium teil.
Marianne Kris verstarb am Morgen nach dem Zweiten Internationalen Seminar der Hampstead Clinic am 23. November 1980 im Haus von Anna Freud, im ehemaligen Zimmer von Martha Freud. Anna Freud schrieb über sie an Edna Mingo, die Haushälterin der Familie Kris in New York: „Ich vermisse sie sehr.“

Text: Sabine Zaufarek, 2008
Redaktion: Christian Huber, 2010