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Die Geschichte der Psychoanalyse in Deutschland und die Gründung der DPV

Etwa von der Jahrhundertwende an wurde die
Freudsche Psychoanalyse als neueste Methode in deutschen
Privatsanatorien angewandt, wobei zumeist die hypnotisch-kathartischen
Frühformen gepflegt wurden. Karl Abraham, der die Psychoanalyse als
Schüler von Eugen Bleuler und C. G. Jung am Züricher Burghölzli
kennengelernt hatte und bis zu seinem frühen Tod in engem
wissenschaftlichen Austausch mit Freud stand, führte die neue
Heilmethode sogleich in seine Berliner nervenärztliche Praxis (ab Ende
1907) ein. Er versammelte bald einen Kreis ärztlicher Interessenten um
sich, der sich 1910 als Berliner Ortsgruppe der Internationalen
Psychoanalytischen Vereinigung etablierte. Abraham gelangen eine Fülle
neuartiger Einsichten in die Genese von Depressionen und Psychosen und
damit einhergehend Funde über die frühesten Entwicklungsstufen der Libido.

 

Mit der Gründung einer psychoanalytischen
Poliklinik (der eine Lehranstalt angegliedert wurde) im Jahre 1920 durch
Karl Abraham, Max Eitingon und Ernst Simmel trat die systematische
Anwendung der Psychoanalyse in der Medizin als therapeutische Methode
ihren weltweiten Erfolgsweg an. 1923 wurde der bis heute gültige
Ausbildungsgang zum Psychoanalytiker standardisiert. Das hohe Lehrniveau
konnte auch nach Abrahams Tod durch Zuziehung von Psychoanalytikern aus
Wien (Hanns Sachs, Theodor Reik, später Siegfried Bernfeld, Otto
Fenichel und Wilhelm Reich) sowie die Einwanderung ungarischer Kollegen
(Sandor Rado, Franz Alexander, Jenö Harnik und Melanie Klein) gehalten
und ausgebaut werden. Neben kriminologischen und pädagogischen
Arbeitsgemeinschaften und publizistischen Aktivitäten einzelner
Mitglieder lag der Schwerpunkt der Institutsaktivitäten auf der
poliklinischen Versorgung der Bevölkerung und der psychoanalytischen
Ausbildung von Fachärzten aus dem In- und Ausland. Von einem ebensolchen
sozialen Anspruch getragen war auch die von Ernst Simmel von 1927-1931
in Berlin geleitete psychoanalytische Klinik im Schloß Tegel. Dagegen
standen beim 1930 von Karl Landauer, Heinrich Meng und Frieda
Fromm-Reichmann u. a. gegründeten Frankfurter Psychoanalytischen
Institut in der Nähe zum (Universitäts-)Institut für Sozialforschung die
vielfältigen geisteswissenschaftlichen Anwendungen der Psychoanalyse
ganz im Vordergrund.

 

1930 markierte die Verleihung des
Goethepreises der Stadt Frankfurt an Sigmund Freud den Höhepunkt an
öffentlicher Wertschätzung der Psychoanalyse in Deutschland in der
ersten Hälfte unseres Jahrhunderts.

Ab 1933 wurden die in der
Mehrzahl jüdischen Psychoanalytiker verfolgt und vertrieben, wobei die
wenigen nichtjüdischen Mitglieder der DPG wie Carl Müller-Braunschweig,
Felix Boehm, Werner Kemper und Harald Schultz-Hencke im Bestreben, das
psychoanalytische Institut und die DPG zu erhalten, zu weitgehenden
Kompromissen mit den national-sozialistischen Machthabern bereit waren.
Trotz ihrer aus Not und Opportunismus geborenen „freiwilligen“
Selbstgleichschaltung gelang es ihnen nicht, ihre organisatorische
Unabhängigkeit zu bewahren. 1936 wurde das Institut einem
schulenübergreifenden Zwangszusammenschluß unter der Leitung von M. H. Göring eingegliedert und mußte fortan an der Entwicklung einer
„Deutschen Seelenheilkunde“ mitarbeiten. 1938 wurde die DPG aufgelöst
und die Verbindung zur IPV bis Kriegsende vollständig unterbrochen. Im
Schutze der am Göring-Institut aktiven Funktionsträger konnten einige
wenige Mitglieder unter großen Einschränkungen in der praktischen
Tätigkeit ihre tiefgehende psychoanalytische Identifizierung mit der
Freudschen Psychoanalyse erhalten und über die Jahre der Nazizeit hinüberretten.

 

Die DPG-Mitglieder Karl Landauer, August
Watermann und Salomea Kempner wurden als Juden verschleppt und ermordet,
John Rittmeister wurde als Widerstandskämpfer hingerichtet.

 

Gleich nach Kriegsende konstituierte sich die DPG von neuem. Das 1947
in Berlin gegründete Institut für Psychotherapie (von Kemper und
Schultz-Hencke) pflegte den schulenübergreifenden Charakter des
Göring-Instituts und gehorchte den sozialpolitischen Erfordernissen
jener Notzeiten im Nachkriegs-Berlin. In den Jahren 1945-1950
differenzierten sich innerhalb der DPG zwei unterschiedliche Strömungen
heraus, die unter der NS-Repression latent geblieben waren und von denen
Müller-Braunschweig und seine wenigen Anhänger mit ihrer Rückkehr zu
Freud einen schnellen Wiedereintritt in die IPV anstrebten, während
Schultz-Hencke die Mehrheit der Mitglieder mit seinem neoanalytischen
Ansatz und als besonders begeisternder Dozent zu fesseln wußte.

 

Die Gründung der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung – DPV – fällt
in die Zeit zwischen den beiden Nachkriegskongressen der
Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung 1949 in Zürich und 1951
in Amsterdam. In Zürich wurde die nach dem Krieg als Verein wieder
eingetragene Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft – DPG – mit 37
Mitgliedern als Provisional Society der IPV bzw. IPA anerkannt. Um der
Wiedergewinnung einer im Dritten Reich verlorengegangenen und
verschütteten psychoanalytischen Orientierung willen wurde im Juni 1950
von sechs Analytikern aus der DPG beim Berliner Magistrat die
Anerkennung der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung beantragt. So
verdankt sich die Gründung der DPV einer fachlichen und
wissenschaftlichen Entscheidung für die Wiederherstellung der
Psychoanalyse in Deutschland. Als Folge dieser Positionsbestimmung
hinsichtlich psychoanalytischer Essentials wurde die DPV auf der
Mitgliederversammlung in Amsterdam 1951 einstimmig als Zweiggesellschaft
der IPA anerkannt. Die vorläufige Anerkennung der DPG wurde nicht
verlängert. Eine neuerliche Bewerbung war von Anna Freud ausdrücklich
als Möglichkeit eingeräumt worden.

 

Nach der Gründung der
DPV lag der Schwerpunkt der psychoanalytischen Ausbildung viele Jahre
im Berliner Psychoanalytischen Institut. Mit dem Namen
Karl-Abraham-Institut wurde die Absicht bekundet, an die Tradition des
berühmten Berliner Instituts vor 1925 anzuknüpfen, das nach dem Wiener
Institut als zweites psychoanalytisches Institut aufgebaut worden war.
Die Gründung fand eine großzügige fachliche und moralische Unterstützung
durch Psychoanalytiker aus dem Ausland.

 

1959 wurde in
Frankfurt am Main des Sigmund-Freud-Institut als Ausbildungszentrum für
Psychoanalyse und Psychosomatische Medizin unter Alexander Mitscherlich
gegründet. Er machte das Sigmund-Freud-Institut zu einem Zentrum
psychoanalytischer Erforschung der unbewußten Aspekte gesellschaftlicher
Entwicklungen und zu einer der größten Ausbildungsstätten der DPV.
Mitscherlich war der Leiter der Psychosomatischen Klinik in Heidelberg,
der ersten psychoanalytischen Institution in der Geschichte der
deutschen Universitäten. Es folgte der Aufbau von heute 14 Ausbildungsinstituten.

 

Die Einführung psychoanalytisch
orientierter Behandlungen in den Bereich der kassenärztlichen Versorgung
– 1967 für akut erkrankte, 1975/76 auch für chronische erkrankte
neurotische Patienten – hatte eine Änderung der Aus- und Weiterbildung
der Ärzte bzw. der Approbationsordnung zur Folge, durch die die
Einrichtung psychotherapeutischer/psychosomatischer Einrichtungen an den
Universitäten erforderlich wurde.

 

Mit der Ablehnung der
Einladung der DPV, den internationalen Kongreß in Berlin für das Jahr
1981 auszurichten, durch die IPA in Jerusalem 1977 wurde eine
tiefreichende Selbsterforschung und ein schmerzlicher Reflektionsprozeß
hinsichtlich der Verstrickungen mit dem Nazi-Regime eingeleitet, so auf
der Tagung der Mitteleuropäischen Psychoanalytischen Vereinigungen in
Bamberg 1980 und der Herbsttagung der DPV 1982, die unter dem Thema
Psychoanalyse damals und heute: ein Vergleich nach 50 Jahren stand.

 

1985 wurde die DPV Gastgeber des 34. Kongresses der IPV in Hamburg.
Eine Ausstellung zeigte Dokumente zur Geschichte der Psychoanalyse in
Deutschland und rekonstruierte die Blütezeit der Psychoanalyse, ihre
Vernichtung im Dritten Reich und die von Widersprüchen und Rissen
gekennzeichnete Zeit seit ihrer Gründung. Sie wurde unter dem Titel
„Hier geht das Leben auf eine sehr merkwürdige Weise weiter …“* in
vielen Ländern gezeigt.

 

* Brecht, K., Friedrich,
V., Hermanns, L. M., Kaminer, I. J., Juelich, D. H. (Hg.) (1985): „Hier
geht das Leben auf eine sehr merkwürdige Weise weiter …“ Zur
Geschichte der Psychoanalyse in Deutschland. Verlag Michael Kellner.

 

Quelle:

Website der DPV

http://www.dpv-psa.de/organisation/geschichte/geschichte-der-organisation/

Stand 31.5.2013

 

Redaktion CD, 31.5.2013