1908 Salzburg - I. Internationaler Psychoanalytischer Kongress
Gliederung
I. Das wichtigste zusammengefasst 1910-1941
II: Quellen, Literatur, Editorisches zum Korresponenzblatt
III. Kongressbericht im Korrespondenzblatt
I. Das wichtigste zusammengefasst 1910-1941
Ein Überblick über und historische Hintergründen zum ersten inernationalen psychoanalytischen Treffen in Salburg findet sich in der psyalpha-Dokumentation zur Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung 1910-2010 / IPV-Kongresse
II: Quellen, Literatur, Editorisches zum Korresponenzblatt
Editorischen Angaben zum Korresponenzblatt und zu dessen psyalpha-Bearbeitung finden sich unter:
IPV-Korrespondenzblatt 1910-1941: Editorische Anmerkungen, Quellen, Literatur
III. Kongressbericht im Korrespondenzblatt
CZ / I / 1910 / 125-130
Aus Vereinen und Versammlungen.
Bericht über die I. private Psychoanalytische Vereinigung in Salzburg am 27. April 1908.
Referate von Otto Rank (Wien).
1. Prof. S. Freud (Wien): Kasuistisches.
Der
Vortragende macht an Hand eines analysierten Falles von schwerer
Zwangsneurose einzelne Mitteilungen über die Genese und den feineren
Mechanismus der seelischen Zwangsvorgänge. Insbesondere weist er zum
ersten Mal auf das
eigenartige Gefühls- und Triebleben der
Zwangsneurotiker hin und hebt als den häufigsten, ausgesprochensten und
bedeutsamsten Charakter der Zwangsneurose ein chronisches Nebeneinander
von Liebe und Hass gegen dieselben Personen hervor. Er gibt die
Aufklärung, daß die Bedingung dieser befremdlichen Konstellation des
Liebeslebens eine frühzeitig, in den prähistorischen Kindheitsjahren
erfolgte Scheidung der beiden Gegensätze mit Verdrängung des einen
Anteils, gewöhnlich des Hasses, zu sein scheine. In solchen Fällen von
unbewußtem Hasse sei die sadistische Komponente der Liebe
konstitutionell besonders stark entwickelt gewesen, habe darum eine
vorzeitige und allzu gründliche Unterdrückung erfahren, und nun leiten
sich die Phänomene der Zwangsneurose einerseits von der durch Reaktion
in die Höhe getriebenen bewussten Zärtlichkeit, anderseits von dem im
Unbewußten als Hass fortwirkenden Sadismus ab.
Steht einer
intensiven Liebe ein fast ebenso starker Hass bindend entgegen, so muß
die nächste Folge eine partielle Willenslähmung sein. Damit ist die
Herrschaft von Zwang und Zweifel, wie sie uns im Seelenleben der
Zwangskranken entgegentreten, gegeben. Der Zweifel entspricht der
inneren Wahrnehmung der Unentschlossenheit, der Zwang ist ein Versuch
zur Kompensation des Zweifels und zur Korrektur der unerträglichen
Hemmungszustände, von denen der Zweifel Zeugnis ablegt. Durch eine Art
von Regression treten ferner vorbereitende Akte an die Stelle der
endgültigen Entschließung, das Denken ersetzt das Handeln und irgend
eine Gedankenvorstufe der Tat setzt sich mit Zwangsgewalt durch anstatt
der Ersatzhandlung. Diese Regression vom Handeln aufs Denken wird durch
das frühzeitige Auftreten und die vorzeitige Verdrängung des sexuellen
Schau- und Wißtriebes begünstigt. (Eine ausführliche Publikation findet
sich im „Jahrbuch für psychoanalytische und psychopathologische
Forschungen 1909“ unter dem Titel: Bemerkungen über einen Fall von
Zwangsneurose).
2. Ernest Jones (London): Rationalisation in every-day life.
Eines
der bedeutsamsten Ergebnisse der Freudschen Untersuchungen ist die
Tatsache, daß eine Reihe von geistigen Prozessen ihren Ursprung Motiven
verdankt, die dem Individuum nicht zu Bewußtsein kommen. Es ist nun
begreiflich, daß für derartige intellektuelle Erscheinungen, soweit sie
nicht von vornherein als ursachlos und autochthon empfunden werden,
nach einer plausibeln, rationellen Erklärung gesucht wird, die jedoch,
wie die Psychoanalyse ergibt, von der wirklichen Verursachung weit
entfernt ist. Diese Rationalisierungen durchsetzen unser Alltagsleben,
unsere religiöse Gläubigkeit, die ethischen und sozialen Normen, ja
selbst die wissenschaftliche Forschung und es gehört nicht zu den
geringsten zukünftigen Aufgaben der Psychoanalyse dieselben aufzudecken
und auf diese Weise ein tieferes Verständnis der geistigen Phänomene
überhaupt anzubahnen. (Die ausführliche Publikation ist zu finden im
Journal of Abnormal Psychology, August–September 1908.)
3. Franz Riklin (Zürich): Einige Probleme der Sagendeutung.
Vor
etwa 20 Jahren hat Laistner in seinem Werke: „Das Rätsel der Sphinx“ an
Hand eines großen vergleichenden Sagenmaterials das Prinzip
aufgestellt, daß die Sagen in ihrem Kerne dem Traum entstammen und zwar
dem Alptraum, welcher allein den Glauben an die Heimsuchung durch
elfische Dämonen zu erklären imstande sei, von der die Sagen berichten.
War es Laistner nur darum zu tun, für die mythologischen Gebilde eine
sichere biologische Basis zu schaffen (experimentelle Erzeugung des
Alptraumes durch Hinderung der Atemtätigkeit), so wissen wir seit
Freuds Traumdeutung, daß auch diese Reizträume den allgemeinen Gesetzen
der Traumpsychologie und des unbewußten Denkens unterliegen.
Alpträume
sind Angstträume und Angst finden wir im seelischen Geschehen ausgelöst
an jenen Stellen, wo der erotischen Wunscherfüllung ein Hindernis in
den Weg gelegt wird. Dementsprechend trägt die Heimsuchung durch die
elbischen Wesen nicht immer Angstcharakter, sondern auch libidinöse
Züge (Buhlgeister). Die elbischen Wesen sind so gleichsam die
Personifikationen unseres Traumdenkens, des unbewußten Denkens
überhaupt und behandeln das erotische Thema nach Art des Traumes.
Der
Traum reduziert sich in den letzten untersten Schichten auf Funktionen
von Sexualsymbolen, eine Erkenntnis, die zum tiefsten Verständnis der
Sagen notwendig ist, wie Ref. an einer reichlichen Menge
charakteristischer Beispiele zeigt und durch gelegentliche Hinweise auf
Ergebnisse der Neurosenpsychologie stützt. Mit Hilfe der Sexualsymbolik
wird erst der Inhalt dieser Alpsagen im einzelnen verständlich und es
ergibt sich, daß die Sagen gleichsam die typische, episch gehaltene
Form sind, in die sich die sexuellen Angstmotive einer Gegend, eines
Volkes gegossen haben; das elbische Wesen jener Gegend wird als
Verkörperung des Sexualproblems verständlich. Auch in den
Märchenfiguren entdecken wir fast immer Alpwesen mit ihren Attributen,
lediglich neu eingekleidet und überarbeitet. Während jedoch in den
Sagen der Angstcharakter des Sexualproblems dominiert, ringen sich die
Märchen gewöhnlich zur Wunscherfüllung durch. (Die ausführliche
Wiedergabe des Vortrages folgt in einem der nächsten Hefte.)
4. Karl Abraham (Berlin): Die psychosexuellen Differenzen der Hysterie und der Dementia praecox.
Aus
der Beobachtung zahlreicher Fälle von Dementia praecox unter dem
Gesichtspunkt der Freud’schen Sexualtheorie und mit Heranziehung der
Ergebnisse von Psychoanalysen Hysterischer ergibt sich, daß die
Dementia praecox die Fähigkeit zur Sexualübertragung, zur Objektliebe
sowie zur Sublimierung sexueller Energien auf soziale Ziele vernichtet.
Da ein solcher Zustand der Sexualität sonst nur aus der frühen Kindheit
bekannt ist, so besteht die psychosexuelle Eigenart der Dementia
praecox in der Rückkehr des kranken Individuums zum infantilen Zustand
des „Autoerotismus“, worin vornehmlich ihr Gegensatz zur Hysterie
gelegen ist. Die psychosexuelle Konstitution der Dementia praecox
beruht demnach auf einer zum Autoerotismus tendierenden
Entwickelungshemmung. Diese Auffassung wirft auch ein Licht auf das
Verständnis des Verfolgungs- und Größenwahns. Ersterer scheint erogenen
Ursprungs, da die Verfolger in vielen Fällen sich als die
ursprünglichen Sexualobjekte entpuppten. Die Quelle des Größenwahns bei
der Dementia praecox ist die auf das Ich zurückgewandte, reflexive oder
autoerotische Sexualüberschätzung. Die Demenz bei der Dementia praecox
beruht nicht auf einem Versagen der intellektuellen Fähigkeiten,
sondern auf „Gefühlsabsperrung“. (Ausführliche Publikation: im
Zentralblatt für Nervenheilkunde und Psychiatrie, zweites Juliheft
1908.)
5. J. Sadger (Wien): Zur Ätiologie der konträren Sexualempfindung.
Die
Psychoanalyse Homosexueller ergibt, daß auch scheinbar reine Fälle von
Inversion der normalgeschlechtlichen Züge, insbesondere in früher
Kindheit, nicht entbehren. Hinter den Urbildern des homosexuellen
Begehrens tauchen im Verlaufe der Psychoanalyse nicht bloß Männer,
sondern ebensosehr Frauen auf, und zwar besonders häufig die ersten
Objekte der Liebeswahl überhaupt, Mutter und Schwester. Es ist also
nicht der Mann, den der Urning liebt und begehrt, sondern Mann und Weib
zusammen in einer Person und nur durch intensive Unterdrückung der
späteren heterosexuellen Triebrichtung entsteht der Anschein reiner
Inversion. Zur Verdrängung der heterosexuellen Neigung und der Abkehr
vom anderen Geschlecht kommt es in der Regel auf Grund einer schweren
Enttäuschung von seiten des einst geliebten normalen Sexualobjekts. Der
Homosexuelle leidet also an den Folgen der Verdrängung nach zu starken
und vorzeitigen libidinösen Regungen zum Weibe,
gewöhnlich der
eigenen Mutter. Die Päderastie stellt nichts anderes dar, als die
Fortdauer eines infantilen Organtriebes; es kommt in ihr die Analerotik
des Betreffenden zum Durchbruch. (Ausführliche Publikation in:
Medizinische Klinik. 1909. Nr. 2).
6. Wilh. Stekel (Wien): Über Angsthysterie.
Von
der Schwierigkeit der Differentialdiagnose zwischen organisch bedingter
und neurotischer Angst ausgebend, hebt Referent hervor, daß nach seiner
Erfahrung die Fälle der reinen (somatischen) Angstneurose (nach Freud)
sehr selten seien. Meist stecke hinter der somatischen Ursache noch ein
schwerer psychischer Konflikt, so dass im Einverständnis mit Freud
neben der Konversionshysterie als zweiter Typus die Angsthysterie
unterschieden werden müsse, welche dieselben Mechanismen wie die
erstere zeige, jedoch als einziges Symptom die Angst aufweise. Die
Fruchtbarkeit dieser Unterscheidung, die der Vortragende an einer Reihe
von Fällen erweist und erläutert, zeigt sich vor allem darin, daß sie
gestattet, die bisher rätselhaften Phobien als Angsthysterien zu
entschleiern.
Die geeignete Therapie für all diese neurotischen
Angstzustände – Ref. weist noch auf die Genese der Eisenbahn-,
Prüfungs-, Platz-Angst etc. etc. hin – ist die psychoanalytische. (Vgl.
„Nervöse Angstzustände und ihre Behandlung“, Wien und Berlin 1908.)
7. Doz. C. G. Jung (Zürich): Über Dementia praecox.
Vortragender
schildert zunächst die durch die Verwendung der Psychoanalyse auf die
Psychosen sich ergebenden großen Analogien zwischen deutlich
psychogenen Erkrankungen und Dementia praecox, um überzugehen zur
Besprechung aller derjenigen Eigentümlichkeiten der Dementia praecox,
die (damals noch!) der psychologischen Analyse trotzten. Die
Depotenzierung des Assoziationsverlaufes oder abaissement du niveau
mental, das eine durchaus traumartige Assoziationsweise im Gefolge hat,
schien dafür zu sprechen, daß bei der Dementia praecox eine Noxe
mitwirkt, die z. B. bei Hysterie fehlt. Die Erscheinungen des
Abaissements wurden auf die Noxe bezogen, als wesentlich organisch
bedingt aufgefaßt und zu Vergiftungssymptomen in Parallele gesetzt (z.
B. paranoide Zustände bei chronischen Vergiftungen). (Autoreferat).
8. Alf. Adler (Wien): Der Aggressionstrieb im Leben und in der Neurose.
Der
Vortragende erblickt im Sadismus und seinem Gegenstück (dem
Masochismus) den unmittelbarsten, zur nervösen Erkrankung führenden
Faktor. Ging jedoch bisher die Betrachtung dieser Triebregung von
sexuellen Erscheinungen aus, denen Züge von Grausamkeit beigemengt
waren, so entspreche sie vielmehr zweien, ursprünglich gesonderten
Trieben, die späterhin eine Verschränkung erfahren haben, der zufolge
das sadistisch-masochistische Ergebnis zwei Trieben zugleich
entspricht, dem Sexualtrieb und dem Aggressionstrieb. Dieser „Trieb zur
Erkämpfung einer Befriedigung“ von der feindlichen Außenwelt haftet
nicht wie die anderen Triebe unmittelbar dem Organ und seiner Tendenz
zur Lustgewinnung an, sondern gehört als ein übergeordnetes, die Triebe
verbindendes psychisches Feld dem Gesamtüberbau an. In ihn strömt – der
einfachste und häufigste Fall von Affektverschiebung – die unerledigte
Erregung ein, sobald einem der Primär- (Organ-) Triebe die Befriedigung
versagt ist. Der Vortragende bespricht nun neben den reinen Äußerungen
des Aggressionstriebes die, insbesondere durch die „Triebhemmung“,
bedingten Umwandlungen, Verfeinerungen und Spezialisierungen desselben
bis zur Verkehrung in sein Gegenteil, welchen Verwandlungsformen im
sozialen Leben, beim künstlerischen Schaffen sowie in der Neurose große
Bedeutung zukomme. Schließlich wird noch die Angst als eine der Phasen
des gegen die eigene Person gerichteten Aggressionstriebes
hervorgehoben; ihre verschiedenen Formen erklären sich daraus, daß der
der Angst zugrunde liegende Aggressionstrieb sich verschiedener Systeme
bemächtigen könne. (Ausführliche Publikation in: Fortschritte der
Medizin, 10. Juli 1908.)
9. S. Ferenczi (Budapest): Psychoanalyse und Pädagogik.
Referent
hebt aus den bei der Psychoanalyse gewonnenen Erfahrungen hervor, daß
in der Pathogenese der Neurosen und Psychosen krankmachende
Erziehungseinflüsse die größte Rolle spielen. Aber auch den später
gesund Bleibenden wird durch das unzweckmäßige Verhalten der Eltern und
Lehrer viel überflüssiges Leiden aufgebürdet. Die erzieherischen
Einflüsse müßten das in der Kindheit allein herrschende Unlustprinzip
allmählich unter die Herrschaft der Einsicht stellen; statt dessen
schaffen sie durch hochgespannte Verdrängungen die Quellen späteren
sozialen Unglücks (Todesfurcht, Hypochondrie, Aberglaube etc.). Zur
Verhütung all dieses Leidens müßte zunächst die Kindheitsamnesie der
Eltern und Lehrer selbst korrigiert werden. Dann wären die rationellen
Erziehungsmaßregeln besonders für die allerersten Lebensjahre
festzustellen, da in den ersten 5 Jahren der menschliche Charakter fürs
ganze Leben entscheidend (auch psychisch) beeinflußt und bestimmt
werde. Die bisher vernachlässigte Kindheitserotik wäre genau zu
überwachen und zweckmäßig zu regeln. Ferner müßten die Prinzipien einer
der kindlichen Intelligenz angemessenen sukzessiven sexuellen
Aufklärung festgelegt werden. Damit wäre ein gutes Stück von der
erdrückenden Autorität der Eltern aufzugeben, andererseits aber nicht
in den ebenso schädigenden Gegensatz übertriebener Verzärtelung zu
verfallen. Endlich sei der Neigung des kindlichen Trieblebens zur
Sublimierung natürlich stets Vorschub zu leisten, aber doch im Auge zu
behalten, daß nicht alles sublimiert werden dürfe.
Bearbeitung: Christine Diercks, 20. August 2010