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1910 Nürnberg . II. Internationaler Psychoanalytischer Kongress

Gliederung:
I. Zusammenfassung
II. Quellen, Literatur, Editorisches zum Korrespondenzblatt 1910-1941 der IPV
III. Bericht über den Kongress im
CZ / II / 1912


I. Zusammenfassung

CZ / I / 1910 / 129-134: II. private Psychoanalytische Vereinigung in Nürnberg am 30. und 31. März 1910.
Hier
erfolgte nach einer Initiative von Ferenczi die Gründung der
Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung mit C.G. Jung als
Präsident und Franz Riklin als Sekretär (beide Zürich). Der daraus
entstandene Konflikt mit der Wiener Gruppe wird in den Berichten nicht erwähnt. 


II. Quellen, Literatur, Editorisches zum Korrespondenzblatt der IPV 1910-1941

Die Konflikte zwischen Freud / Ferenczi / Jung und den Wienern (Adler, Stekel) finden in den Protokollend er Wiener Psychoanalytischen Vereinigung (Herausgegeben von Hermann Nunberg und Ernst Feder bei S. Fischer) ihren Niederschlag.

Siehe dazu  weiter die Literaturhinweise bei den edittorischen
Hinweisen zum Korrespondenzblatt und zu dessen psyalpha-Bearbeitung
unter:

IPV-Korrespondenzblatt 1910-1941: Editorische Anmerkungen, Quellen, Literatur


III. Bericht über den Kongress im Korrespondenzblatt

CZ / I / 1910 / 129-135
Bericht über die II. private Psychoanalytische Vereinigung in Nürnberg am 30. und 31. März 1910.

Referate von Otto Rank (Wien).

1. Prof. Dr. S. Freud: Die zukünftigen Chancen der psychoanalytischen Therapie. (Vollständig in Heft II erschienen.)

2. Dr. K. Abraham (Berlin): Psychoanalyse eines Falles von Schuh- und Korsett- Fetischismus.
Der
Fetischist begnügt sich mit der Betätigung des Schautriebes, der jedoch
in eigentümlicher Weise spezialisiert ist auf eine bestimmte
Körpergegend, verschoben vom nackten Körper auf dessen Bekleidung und
idealisiert. Diese Umwandlung kommt durch einen eigenartigen
Verdrängungsmechanismus zustande, von dem besonders die sadistische
Komponente des Sexualtriebes, die Schaulust und die koprophile
Riechlust betroffen werden. (Eine ausführliche Mitteilung folgt im
„Jahrbuch für psychoanalytische und psychopathologische Forschungen“.)

3. Dr. Marcinowski (Haus Sielbeck in Holstein): Sejunktive Prozesse als Grundlage der Psychoneurosen.
Ohne
die Tatsache des Bestehens ausgesprochen infantiler Sexualität bei den
Psychoneurosen in Zweifel zu ziehen, kann Referent im sexuellen Trauma
weder den krankmachenden Faktor noch selbst immer das
krankheitsauslösende Moment sehen. Die Sexualität ist vielmehr nur das
von der Neurose ergriffene Gebiet, weil sie den natürlichen Tummelplatz
für jene angeborene Neigung zu Empfindungskonflikten und
Zwiespältigkeiten (Sejunktionen) abgibt, in denen das eigentliche Wesen
der Neurose erblickt werden muß.

4. Dr. A. Stegmann (Dresden): Psychoanalyse und andere Behandlungsmethoden in der nervenärztlichen Praxis.
Vortragender
bespricht die Hindernisse, die sich oft genug der psychoanalytischen
Behandlung durch ungenügende Schulung des Arztes, aber auch durch
falsche Vorurteile der Patienten und durch mangelndes Vertrauen der
Angehörigen entgegenstellen. Er betont für viele Fälle die
Notwendigkeit unterstützender Kurmittel neben der eigentlichen
Psychotherapie und glaubt auch die Hypnose therapeutisch höher
einschätzen zu sollen, als Freud es tut.

5. Dr. J. Honegger (Zürich): Über paranoide Wahnbildung.
Die
psychoanalytische Betrachtung des Wahnsystems einer paranoiden Demenz
ergibt die Entstehung desselben durch ausgiebige Projizierung der
eigenen Komplexe auf die nächste Umgebung und auf das ganze Weltall,
wobei sich eine ganze Reihe von Neuschöpfungen uralter mythologischer
und philosophischer Vorstellungen nachweisen lassen. Das autochthone
Wiederaufleben derselben stellt sich als eine Regression dar, die bis
auf die Kindheit der ganzen Rasse zurückgeht. Ursache dieser Regression
ist die Introversion der Libido. (Eine ausführliche Darstellung des
Falles wird demnächst im „Jahrbuch“ erscheinen.)

6. Dr. L. Löwenfeld (München): Über Hypnotherapie.
Ungeachtet
mancher Schwierigkeiten, welche eine richtige Beurteilung der
Leistungen der Hypnotherapie bei den Neurosen erschweren, glaubt
Referent auf Grund seiner 24jährigen an einem reichen Material
gesammelten Erfahrung behaupten zu können, dass dieselbe uns doch nicht
berechtige, die Hypnotherapie neben der aufsteigenden Entwickelung der
Psychoanalyse gänzlich zu vernachlässigen. Eine Kombination beider
Methoden werde sich für die Zukunft notwendig erweisen.

7. Dr. C. G. Jung (Zürich): Bericht über Amerika.
Vortragender
sieht in der psychologischen Eigenart des Amerikaners Züge, die auf
energische Sexualverdrängung hindeuten. Die Gründe dafür sind
vornehmlich im Zusammenleben mit dem Neger zu suchen, das suggestiv auf
die mühsam gebändigten Instinkte der weißen Rasse wirkt. Daher sind
stark entwickelte Abwehrmaßregeln nötig, die in den Besonderheiten des
Amerikanismus zutage treten.

8. Dr. Alf. Adler (Wien): Über psychischen Hermaphroditismus.
Vortragender
sieht das Kernproblem der Neurose in der infantilen Unsicherheit der
zukünftigen Geschlechtsrolle und schildert eingehend die Erscheinungen
des psychischen Hermaphroditismus. Dieselben gehen meist von
körperlichen Minderwertigkeitserscheinungen aus, welche Anlaß zu einem
subjektiven Gefühl der Minderheit geben, wodurch sich die Kinder
unmännlich – in der infantilen Wertung gleichbedeutend mit weiblich –
vorkommen. Diese Wertung führt bei Verstärkungen, durch zwangsmäßig
erfolgende Überkompensation zu einem männlichen Protest, aus dem jede
Form inneren Zwanges bei Normalen wie Neurotikern abzuleiten ist. Die
Neurose setzt ein durch das Scheitern des männlichen Protestes auf
einer Hauptlinie. (Ausführliche Publikation in: „Fortschritte der
Medizin“, 1910, Nr. 16.)

9. Dr. A. Maeder (Bad Kreuzlingen): Zur Psychologie der Paranoiden.
Referent
beschränkt sich auf die Aufzeigung des Zusammenhanges der Wahnideen in
einem Falle von paranoider Demenz mit dem Elternkomplex. Der Größenwahn
enthält zunächst eine Genealogie des Pat., dann seine Schilderung als
Held; er entsteht durch Introversion der Libido, wodurch es zu einer
Regression kommt, die das Infantile des Wahns erklärt. Der
Verfolgungswahn läßt sich auf den Vater zurückführen, das physikalische
Verfolgungssystem ist homosexuellen Ursprungs. Neben dem Freud’schen
Mechanismus der Verfolgung durch Projektion des eigenen
negativistischen Wunsches wird eine andere Form skizziert, wo in
Anlehnung an animistische Vorstellungen das Hindernis zur Erlangung
eines Objektes beseelt, personifiziert wird. (Ausführliche Mitteilung
im „Jahrbuch“ II. Bd., 1. Hälfte.)

10. Dr. Wilh. Stekel (Wien): Vorschläge zur Sammelforschung im Gebiete der Symbolik und der typischen Träume.
Referent
belegt die Notwendigkeit einer genauen Kenntnis der Symbolik an
zahlreichen Traumbeispielen, die auf die Symbolik der Farben, der Erde
(kosmische Symbolik), des Fußes und des Gehens, der Eisenbahn etc.
neues Licht werfen. Dabei wird zum ersten Male das Prinzip der
symbolischen Gleichungen des Neurotikers erwähnt und einige Beispiele
davon gegeben, aus denen zu ersehen ist, daß für den Neurotiker oft die
verschiedensten Begriffe adäquat gebraucht werden. Beiträge zur
Sammelforschung auf dem Gebiete der Traum- und Neurosensymbolik werden
zur Einsendung an das dreigliederige, internationale Komitee erbeten:
Dr. Wilhelm Stekel, Wien I., Gonzagagasse 21,
Dr. Karl Abraham, Berlin W., Rankestrasse 24,
Dr. Alphonse Maeder, Konstanz, Bellevue.

11.
Dr. S. Ferenczi (Budapest): Referat über die Notwendigkeit eines
engeren Zusammenschlusses der Anhänger der Freud’schen Lehre und
Vorschläge zur Gründung einer ständigen internationalen Organisation.
Auf
Grund eines summarischen Überblicks über den bisherigen
Entwicklungsgang der Psychoanalyse hält Referent die Zeit zur Gründung
einer „Internationalen psychoanalytischen Vereinigung“ für gekommen und
unterbreitet dem Kongreß einen diesbezüglichen Vorschlag sowie den
Entwurf zu einem Statut.
In der anschließenden Diskussion wird der
Vorschlag von der Mehrheit im Prinzipe gebilligt, der Statuten-Entwurf
mit einzelnen Modifikationen akzeptiert und die „Internationale
Psychoanalytische Vereinigung“ konstituiert.
Zum Präsidenten wird Doz. Dr. C. G. Jung (Zürich-Küsnacht) gewählt, der als Sekretär Dr. Franz Riklin (Zürich) nominiert. 


Sammelforschung für Traumsymbole.

Auf dem zweiten Kongresse der Psychoanalytiker wurde die Sammelforschung für Traumsymbolik beschlossen und ein dreigliedriges Komitee mit der Durchführung der Sammlungen betraut.
Es
handelt sich darum, an schönen beweiskräftigen Beispielen bisher
unbekannte Traumsymbole aufzuklären. Es wird ersucht, das Material an
einen der Unterzeichneten einzusenden. Die Analyse möglichst genau.
Beispiele ohne Analyse können nicht verwendet werden. Die Publikation
erfolgt dann periodisch in einem der uns zur Verfügung stehenden
Organe.
Dr. Karl Abraham, Berlin W., Rankestrasse 34;
Dr. Alphonse Maeder, Kreuzlingen;
Dr. Wilhelm Stekel, Wien I., Gonzagagasse 21.

Barbeitung: Christine Diercks, 15. Augsut 2010