Wissensplattform für Psychoanalyse

 

Sie sind hier

1920 Den Haag - VI. Internationaler Psychoanalytischer Kongress

Gliederung:
I. Zusammenfassung
II. Quellen, Literatur, Editorisches zum Korrespondenzblatt 1910-1941 der IPV
III. Bericht über den Kongress im IZP, VI, 1920

I. Zusammenfassung

IZP / VI / 1920 / 99: Der 6. Internationale Psychoanalytische Kongress ist für 8., 9. und 10. September im Haag anberaumt.
IZP / VI / 1920 / 376-402: Bericht über den VI. Internationalen Psychoanalytischen Kongreß im Haag.
IZP / VI / 1920 / 376-379: Kongreßbericht. Kongreßteilnehmer:
58 Mitglieder, 5 a.o. Mitglieder (Associate Members der „British Society“), 56 Gäste.
IZP / VI / 1920 / 379-387: Bericht Präsident Dr. S. Ferenczi
Seit Budapest 1918 haben sich die British Psycho-Analytical Society (bei
gleichzeitiger Auflösung der Londoner Gesellschaft) und die
Schweizerische Gesellschaft für Psychoanalyse konstituiert, wurden vom
IPV Vorstand interimistisch und auf dem Kongress in Den ‚Haag offiziell
als Zweigvereine in die IPV aufgenommen.
Ferenczi hatte im Gefolge der politische Situation seine Agenden als
Präsident der IPV zunächst an die Wiener Gruppe, sodann an Dr. Ernest
Jones in London abgeben müssen und sich nur noch die Leitung des
Kongresses in Den Haag vorbehalten.
Jones wird nun IPV Präsidenten gewählt, . J. C. Flügel zum Zentralsekretär.
Verstorben: Reginald Allen (Präsident der American Psychoanalytic
Society) und Morris Karpas (New York), beide im WH I gefallen, James
Jackson Putnam, Viktor Tausk, Anton v. Freund
Anton von Freund stellte der Psychoanalyse eine beträchtliche Summe zur
Verfügung. „Prof. Freud bestimmte einen großen Teil dieser Summe zur
Subventionierung unserer beiden offiziellen Zeitschriften, und zwar im
Rahmen eines mit diesem Kapital gegründeten „Internationalen
psychoanalytischen Verlages“. Verlagsleitung:. Otto Rank
Freud setzte einen literarischen Preis aus, der an Karl Abraham, Ernst Simmel, (beide Berlin), und Theodor. Reik (Wien) ging. 
Das „International Journal of Psycho-Analysis“ wurde als weitere
offizielle Zeitschrift der IPV die gegründet (Hg.: Freud, Jones).
1920 wurde die Psychoanalytischen Poliklinik in Berlin gegründet.
Ferenczi weist  darauf hin, „daß der Krieg für die Psychoanalyse einen
großen Erfolg gebracht habe, indem die bei allen Kriegführenden
gewaltige Zahl von Kriegsneurosen endlich auch die maßgebenden
offiziellen Persönlichkeiten auf medizinischem Gebiete von der
Psychogeneität, wenigstens der traumatischen Neurosen, überzeugte.“
Statutenänderungen
Sabina. Spielrein (Lausanne) bietet ihre Mitwirkung bei der Wiederanknüpfung literarischer Beziehungen zu Rußland an.
IZP / VI / 1920 / 391-402: Autoreferate der Vortragenden. u.a.:
Dr. Hermine Hug-Hellmuth hält einen Vortrag: Zur Technik der Kinderanalyse.
Melanie Klein nimmt als Mitglied teil. unter den KongressteilnehmerInnen.
Anna Freud begleitet als Gast ihren Vater.

II. Quellen, Literatur, Editorisches zum Korrespondenzblatt der IPV 1910-1941

Siehe dazu die Literaturhinweise bei den edittorischen Hinweisen zum Korrespondenzblatt und zu dessen psyalpha-Bearbeitung unter: IPV-Korrespondenzblatt 1910-1941: Editorische Anmerkungen, Quellen, Literatur

III. Bericht über den Kongress im IZP, VI, 1920

 

IZP / VI / 1920 / 99
Korrespondenzblatt der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung.

Nr. 5 Januar 1920.
I. Offizielle Mitteilungen.
An die Sekretäre der Ortsgruppen der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung.
Ich erlaube mir Ihnen mitzuteilen, daß ich meine Tätigkeit als Generalsekretär der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung aufgenommen habe.
In dieser Eigenschaft bringe ich Ihnen offiziell zur Kenntnis, daß der 6. Internationale Psychoanalytische Kongreß am 8., 9. und 10. September im Haag abgehalten werden soll. Ich ersuche die Herren Sekretäre, die Mitglieder ihrer Ortsgruppen, die eine Teilnahme am Kongresse beabsichtigen, aufzufordern, sich mit Herrn Dr. J. H. W. van Ophuijsen, Haag, Prinse Vinkenpark 5, in Verbindung zu setzen. Herr Dr. Ophuijsen wird als Sekretär des dortigen Empfangkomitees alle notwendigen Auskünfte über Unterbringung im Haag, Paßvisum und andere Formalitäten, erteilen.
Diejenigen Mitglieder, die Kongreßmitteilungen verbreiten, werden höflich ersucht, mir nähere Angaben darüber an meine untenstehende Adresse zukommen zu lassen.
J. C. Flügel, 11 Albert Road, London NW. 1.

IZP / VI / 1920 / 376-402
Korrespondenzblatt der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung. Nr. 4. 1920.
Bericht über den VI. Internationalen Psychoanalytischen Kongreß im Haag, 8. bis 11. September 1920.

Vorbericht.
Die auf dem V. Budapester Kongreß, September 1918, von der kurz zuvor gegründeten Niederländischen Zweigvereinigung ergangene Einladung zur Abhaltung des nächsten Kongresses in Holland, die damals ziemlich utopistisch klang, konnte dank besonderer Gunst der Verhältnisse durch Abhaltung dieser Tagung im Haag verwirklicht werden. Nach dem letzten Kongreß, der wesentlich ein Kongreß der Mittelmächte gewesen war, empfahl sich ein neutraler Boden zur Veranstaltung des ersten Kongresses nach dem Kriege ganz besonders, und die Psychoanalyse darf sich rühmen, zum erstenmal nach der Kriegszeit einen wirklich international ein Kongreß zu stande gebracht zu haben, an dem sich Vertreter von bis vor kurzem noch feindlichen Nationen zu gemeinsamer wissenschaftlicher Arbeit zusammenfanden.
Der Kongreß, der sich wissenschaftlich wie auch gesellschaftlich zu einem der glänzendsten gestaltete, wurde von der provisorischen Zentralleitung in London (Präsident Dr. Ernest Jones, Schriftführer Mr. J. C. Flügel) im Zusammenwirken mit dem vorbereitenden holländischen Empfangskomitee, bestehend aus den Funktionären der Niederländischen Gruppe: dem Vorsitzenden Dr. J. E. G. van Emden, dem Schriftführer Dr. A. F. Meijer und dem Schatzmeister Dr. J. H. W. van Ophuijsen in vorbildlicher Weise organisiert und vorbereitet.
Am Vorabend des eigentlichen Kongresses, Dienstag den 7. September um halb 9 Uhr abends, fand eine inoffizielle Zusammenkunft der Kongreßteilnehmer statt, bei der Dr. van Emden namens der holländischen Gruppe die Gäste begrüßte und herzlich willkommen hieß.

IZP / VI / 1920 / 376-379
Kongreßbericht.

Der VI. Internationale Psychoanalytische Kongreß fand unter Vorsitz des letzten gewählten Präsidenten der Vereinigung, Dr. S. Ferenczi (Budapest), vom 8. bis einschließlich 11. September im Saale Louis XV. des Gebäudes der Künstlervereinigung „Pulchri Studio“ statt. Als Kongreßsekretär fungierte der derzeitige provisorische Zentralsekretär der Vereinigung Mr. J. C. Flügel (London).
Kongreßteilnehmer:
1. Mitglieder:
Dr. Karl Abraham, Berlin.
Dr. Ludwig Binswanger, Kreuzlingen.
Dr. Felix Boehm, Berlin.
Dr. K. H. Bouman, Amsterd-am.
Dr. Douglas Bryan, London.
Dr. A. van der Chijs, Amsterdam.
Dr. H. W. Cox, Den Dolder.
Dr. Helene Deutsch, Wien.
Dr. M. Eitingon, Berlin.
Dr. J. E. G. van Emden, Haag.
Dr. H. Endtz, Leiden.
Dr. Dorian Feigenbaum, Lugano.
Dr. S. Ferenczi, Budapest.
Mr. J. C. Flügel, London.
Dr. David Forsyth, London.
Dr. R. H. Foerster, Hamburg.
Prof. Dr. S. Freud, Wien.
Dr. Georg Groddeck, Baden-Baden.
Dr. U. Grüninger, Zürich.
Dr. v. Hattingberg, München.
Mr. Eric Hiller, London.
Dr. Eduard Hitschmann, Wien.
Dr. I. H. van der Hoop, Amsterdam.
Dr. Karen Horney, Berlin.
Dr. Hermine Hug-Hellmuth, Wien.
Prof. Dr. G. Jelgersma, Leiden.
Dr. Ernest Jones, London.
Dr. Sala Kempner, Rheinau.
Melanie Klein, Budapest.
Miss Barbara Low, London.
Dr. Hans Liebermann, Berlin.
Dr. B. van der Linde, Hilversum.
Dr. A. F. Meijer, Haag.
Dr. Fred Muller, Haarlem.
Dr. F. P. Muller, Leiden.
Dr. J. W. H. v. Ophuijsen, Haag.
Pfarrer Dr. O. Pfister, Zürich,
Dr. Otto Rank, Wien.
Dr. Stanford Read, Salisbury.
Dr. A. W. van Renterghem, Amsterdam.
Dr. Theodor Reik, Wien.
Dr. R. M. Riggall, London.
Mrs. Joan Riviere, London.
Dr. Géza Róheim, Budapest.
Dr. I. M. Rombouts, Leiden.
Dr. Hanns Sachs, Wien.
Dr. Raymond de Saussure, Genève.
Dr. Philipp Sarasin, Rheinau.
Dr. Ernst Simmel, Berlin.
Eugenia Sokolnicka, Warschau.
Dr. Sabina Spielrein-Scheftel,
Lausanne-Genève.
Dr. A. Stärcke, Den Dolder.
Dr. Margarete Stegmann, Dresden.
Dr. Adolph Stern, New York.
Dr. W. H. B. Stoddart, London.
Dr. A. J. Westerman Holstijn, Leiden.
Dr. W. Wittenberg, München.
2. Außerordentliche Mitglieder (Associate Members der „British Society“):
Dr. Estelle Maude Cole, London.
Dr. W. J. Jago, London.
Mrs. S. C. Porter, London.
Dr. T. W. Mitchell, Hadlow (Kent).
Dr. M. B. Wright, London.
3. Gäste:
Prof. Dr. L. Bouman, Amsterdam.
Dr. G. D. Cohen Tervaert, Haag.
Frau M. Cohen Tervaert-Israels.
Frau A. van Emden, Haag.
Frl. K. van Emden, Haag.
Frau J. Fazer, Haag.
Frau Gisella Ferenczi, Budapest.
Dr. Henri Flournoy, Genève.
Mrs. Ingeborg Flügel, London.
Frl. Anna Freud, Wien.
Prof. Dr. phil. W. Frost, Bonn.
Frau Maria Frost, Bonn.
Frau M. de Graag, Haag
Dr. Chr. A. van Geuns, Haag.
Dr. James Glover, London.
Dr. P. Bierens de Haan, Utrecht.
Frau E. van Hall-(van Panhuijs). Haarlem.
Pfr. A. H. de Hartog, Amsterdam.
Mrs. E. B. M. Herford, Reading.
Frau L. A. van der Hoop, Amsterdam.
Dr. A. W. Mulock Houwer, Amsterdam.
H. Hushahn, Scheveningen.
Dr. S. Jacobs, Haag.
Dr. G. J. B. A. Janssens, Oegstgeest.
Dr. A. Kiewiet de Jonge, Leiden.
Frau A. F. J. W. Keiser, Haag.
Dr. jur. J. Kunst, Haag.
Dr. Hans Lampl, Wien.
A. P. H. de Lange, Alkmaar.
Dr. J. J. Lantingh, Groningen.
Mr. Th. J. Libbin, z. Z. Zürich. van Lier, Haag.
Frau G. A. J. Posthumus Meyjes, Aerdenhout.
Dr. S. J. R. de Monchy, Amsterdam.
Dr. phil. C. Müller-Braunschweig, Berlin-Schmargendorf.
Dr. R. van Ommen, Amsterdam.
Frau A. van Ophuijsen, Haag.
Dr. Ada Potter, Utrecht.
Frits van Raalte, Amsterdam.
Frau Beata Rank, Wien.
John Rickman, Cambridge.
Mrs. Riggall, London.
Dr. Olga Ripke, Utrecht.
Dr. H. C. Rümke, Amsterdam.
Mme. Ariane de Saussure, Geneve.
W. Schuurman, Amsterdam.
Mrs. E. H. Sickert, London.
Dr. H. P. A. Smit, Haag.
Dr. J. van de Spek, Den Dolder.
Dr. H. W. Stenvers, Utrecht.
Mrs. Stoddard, London.
Dr. H. van der Hoeven, Utrecht.
Dr. jur. J. H. van der Vies, Amsterdam.
S. M. Truetzschler, Haag.
Dr. phil. J. Varendonck, Gent.
Frau Dr. L. Wenninger-Hulsebos.
Dr. phil. C. J. Wynaendts Francken, Leiden.

IZP / VI / 1920 / 379
Das Programm:

Mittwoch, 8. September. Vormittag:
Vorsitzender Dr. S. Ferenczi. –
Einleitende Reden von Dr. Ferenczi und Dr. Ernest Jones (mit Hinweisen auf Agenden für die Geschäftssitzung). –
Nachmittag: Vorsitzender Dr. van Emden. –
Dr. Abraham: Über den weiblichen Kastrationskomplex. –
Dr. Helene Deutsch: Über das Mißtrauen. –
Dr. Stärcke: Der Kastrationskomplex. –
Dr. v. Hattingberg: Übertragung und Objektwahl; ihre Bedeutung für die Trieblehre. –
Mr. Flügel: On the Biological Basis of Sexual Repression.
Donnerstag, 9. September.
Vormittag: Vorsitzender Dr. Abraham. –
Prof. Jelgersma: Psychoanalytischer Beitrag zur Theorie des Gefühles. –
Dr. Hanns Sachs: Gemeinsame Tagträume. –
Dr. Th. Reik: Ein Beitrag zur analytischen Religionspsychologie. –
Dr. G. Róheim: Central Australian Totemism. –
Dr. Simmel: Zur Psychoanalyse des Spielers. –
Nachmittag: Vorsitzender Dr. O. Pfister. –
Prof. Freud: Ergänzungen zur Traumlehre. –
Dr. Ferenczi: Weiterer Ausbau der aktiven Technik in der Psychoanalyse. –
Eugenia Sokolnicka: Zur Symptomatologie und Diagnostik in der psychoanalytischen Neurosenlehre. –
Dr. Groddeck: Über die psychoanalytische Behandlung organischer Krankheiten.
Freitag, 10. September. Vormittag:
Vorsitzender Dr. Adolph Stern. –
Thema: Psychoanalyse und Psychiatrie. Referenten:
Dr. Binswanger und Dr. Stärcke.
Samstag, 11. September.
Vormittag: Vorsitzender Dr. S. Ferenczi. –
Geschäftssitzung. –
Nachmittag: Vorsitzender Doktor Ernest Jones. –
Pfarrer O. Pfister: Die Bedeutung der Freudschen Psychoanalyse für die Staats- und Gesellschaftslehre. –
Dr. Sabina Spielrein-Scheftel: Zur Frage der Entstehung und Entwicklung der Lautsprache. –
Dr. Margarete Stegmann: Über Form und Inhalt der Psychoanalyse. –
Dr. Hermine Hug-Hellmuth: Zur Technik der Kinderanalyse.

IZP / VI / 1920 / 379-387
Sitzungsberichte.

Präsident Dr. S. Ferenczi eröffnet als Vorsitzender den von der Leitung der
„Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung“
einberufenen VI. Kongreß mit einer warmen Begrüßung der aus den verschiedenen Ländern zusammengekommenen Mitglieder wie der Gäste und konstatiert, daß die Zweigvereinigungen Berlin, Holland, New York, Ungarn und Wien vertreten sind. Vor Eingang in die weiteren Verhandlungen sei die erfreuliche Tatsache zu berichten, daß seit dem letzten Kongreß in Budapest im Jahre 1918 zwei neue Zweigvereinigungen sich konstituiert hätten, die um Angliederung an die Internationale Vereinigung ansuchen: die „British Psycho-Analytical Society“ und die „Schweizerische Gesellschaft für Psychoanalyse“, die beide bereits eine stattliche Mitgliederzahl aufweisen. Die Zentralleitung hat diesen beiden Gruppen, unter deren Mitgliedern sich altbewährte Mitarbeiter befinden, interimistisch die Aufnahme zuerkannt und beantragt nunmehr, diese provisorische Angliederung offiziell zu machen, so daß die – besonders von der britischen Gruppe – zahlreich erschienenen Mitglieder bereits als vollberechtigte Kongreßmitglieder an dieser Versammlung teilnehmen können. Nach erfolgter Abstimmung konstatiert der Vorsitzende den formellen Anschluß der beiden genannten Zweigvereinigungen und drückt den betreffenden Vorständen für die vorbereitende Tätigkeit den Dank der Vereinigung aus.
Sodann hebt der Vorsitzende die auch während des Krieges unerschüttert gebliebene Solidarität der Psychoanalytiker hervor und betont, daß nicht nur unsere Zeitschriften anscheinend die einzigen gewesen seien, die ihren internationalen Charakter trotz verschiedener Schwierigkeiten nicht einen Augenblick fallen ließen, sondern daß auch dieser Kongreß die erste wirklich internationale wissenschaftliche Zusammenkunft von Angehörigen ehemals feindlicher Nationen sei. Bei dieser Gelegenheit gedenkt der Vorsitzende auch dankbar der hilfsbereiten Vermittlung der Kollegen in den neutralen Ländern, durch die eine Kommunikation der im Kriege voneinander abgeschnittenen Ortsgruppen ermöglicht wurde.
Nach einem längeren Rückblick auf die Schicksale der Vereinigung seit ihrer Gründung kommt der Vorsitzende auch auf die Schwierigkeiten und hemmenden Einflüsse der Kriegszeit zu sprechen und rechtfertigt die im Laufe des vorigen Jahres unter dem Zwang der Verhältnisse erfolgte Übergabe seiner Agenden als Präsident der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung zunächst an die Wiener Gruppe, sodann an Dr. Ernest Jones in London, dem er an dieser Stelle den Dank für die geleistete Hilfe und seine unermüdliche Tätigkeit ausspricht.
Auf die bedeutsamsten Vorgänge seit dem letzten Kongreß übergehend gedenkt der Vorsitzende zunächst derer, die heute in unseren Reihen fehlen müssen: zuvörderst des Nestors der Psychoanalytiker James Jackson Putnam, Emer. Professors der Harvard University, der, eine der Hauptstützen unserer Vereinigung in den Vereinigten Staaten, seine ganze Autorität für die Analyse einsetzte und bis zuletzt ein eifriger Anhänger und Förderer unserer Bestrebungen blieb. Seine gesammelten Arbeiten zur Psychoanalyse sollen bald in Buchform erscheinen. Des weiteren seien drei Opfer zu beklagen, die der Weltkrieg aus den Reihen unserer Mitarbeiter forderte: der Präsident der „American Psychoanalytic Society“ Reginald Allen, Neurologe aus Philadelphia, und das Mitglied der New Yorker Gruppe Morris Karpas, fanden im Dienste der amerikanischen Armee auf dem europäischen Kriegsschauplatz in Frankreich den Tod. Endlich der in theoretischer und didaktischer Hinsicht gleich begabte Wiener Analytiker Dr. Viktor Tausk, der sich, nachdem er jahrelang im Felde seinem Beruf entrissen, einer schweren körperlichen Krankheit verfallen und auch seelisch zusammengebrochen war, das Leben nahm. Persönlich am schwersten betrauert der Vorsitzende schließlich das Hinscheiden des letzten Zentralsekretärs Dr. Anton v. Freund in Budapest, der eben im Begriffe war, seinen sozialen und materiellen Einfluß sowie sein persönliches Organisationstalent in den Dienst der Psychoanalyse zu stellen, als eine bösartige Krankheit ihn in wenigen Monaten dahinraffte.
Ihm war es leider nicht mehr vergönnt, im Sinne seiner sozialen Hilfsbereitschaft für die Psychoanalyse zu wirken, aber einen Teil seiner Absichten gestattete ihm ein günstiges Schicksal doch noch zu verwirklichen. Bereits auf dem letzten Kongreß in Budapest hatte Dr. v. Freund eine für die damaligen Verhältnisse recht beträchtliche Summe zu humanitären Zwecken in einem Fonds gesammelt, über dessen Verwendung er selbst im Einvernehmen mit dem Bürgermeister von Budapest zu verfügen hatte. Ein Teil der Summe wurde damals Prof. Freud mit der Bestimmung übergeben, sie in seinem Sinne zur Förderung psychoanalytischer Zwecke zu verwenden. Prof. Freud bestimmte einen großen Teil dieser Summe zur Subventionierung unserer beiden offiziellen Zeitschriften, und zwar im Rahmen eines mit diesem Kapital gegründeten „Internationalen psychoanalytischen Verlages“, der gleichzeitig mit der Herausgabe von Büchern begann, von denen bereits eine ganze Anzahl erschienen sind. Der Vorsitzende würdigt dann die Tätigkeit des Verlagsleiters Dr. Otto Rank und spricht ihm den Dank der Vereinigung für seine aufopferungsvolle Tätigkeit aus. Im Zusammenhang damit verweist der Vorsitzende darauf, daß Prof. Freud bei Übernahme des Budapester Fonds auch literarische Preise aussetzte, die bei der ersten Verteilung Dr. K. Abraham, Berlin, Dr. Ernst Simmel, Berlin, und Dr. Th. Reik, Wien, zugesprochen wurden.
Um dem großen Interesse, das sich in den englisch sprechenden Ländern für die Psychoanalyse kundgab, entgegenzukommen, beschloß der Verlag, neben den beiden deutschen offiziellen Zeitschriften auch die Ausgabe eines „International Journal of Psycho-Analysis“, dessen Herausgeber Prof. Freud mit der provisorischen Redaktion Ernest Jones in London betraute. Der Vorsitzende begründet die Herausgabe dieser neuen Zeitschrift und spricht allen daran beteiligten Kräften den Dank aus.
Ein weiterer Markstein in der psychoanalytischen Bewegung ist die Gründung der ersten Psychoanalytischen Poliklinik in Berlin. Auf dem Budapester Kongreß hatte Prof. Freud die Anregung zur Schaffung derartiger poliklinischer Anstalten für psychoanalytische Behandlung gegeben. Der erste Plan zur Gründung einer solchen Anstalt, verbunden mit einer psychoanalytischen Zentralstelle, stammte von dem leider viel zu früh dahingeschiedenen Dr. v. Freund und war für Budapest bestimmt. Doch griff ein anderes unserer Mitglieder die Idee auf, sammelte die nötigen Mittel und übergab die alsbald fertiggestellte Anstalt der Berliner Psychoanalytischen Vereinigung. Heute ist diese Poliklinik bereits in voller Tätigkeit und scheint sich rasch zu einer bedeutsamen Institution zu entwickeln. Möge dieses Beispiel auch in den anderen großen Städten Nachahmer finden.
Schließlich weist der Vorsitzende noch darauf hin, daß der Krieg für die Psychoanalyse einen großen Erfolg gebracht habe, indem die bei allen Kriegführenden gewaltige Zahl von Kriegsneurosen endlich auch die maßgebenden offiziellen Persönlichkeiten auf medizinischem Gebiete von der Psychogeneität, wenigstens der traumatischen Neurosen, überzeugte. Die deutschen, österreichischen und ungarischen Heeresverwaltungen begannen sich bald nach dem Budapester Kongreß ernstlich mit der Schaffung eigener psychoanalytischen Stationen bei ihren Armeen zu beschäftigen und wurden nur durch das eintretende Kriegsende an der Verwirklichung dieser Absicht gehindert. Auch in England sollen sich übrigens im Laufe des Krieges die Anschauungen über die Kriegsneurosen immer mehr den von der Psychoanalyse vertretenen genähert haben. Jedenfalls haben die Erfahrungen im Kriege die Verbreitung und das Interesse an der Psychoanalyse in der ganzen Welt mächtig gefördert.
Was die inneren Fortschritte der psychoanalytischen Erkenntnisse betrifft, verweist Vorsitzender auf das englisch-amerikanische Sammelreferat in der ersten Nummer des „Journal“ und das deutsche Sammelreferat über die Fortschritte der Psychoanalyse seit 1914, das demnächst als Beiheft zur Internationalen Zeitschrift für Psychoanalyse erscheinen wird.
Nach diesem kurzen Überblick über die wichtigsten Ereignisse und Fortschritte der Psychoanalyse lenkt der Vorsitzende die Aufmerksamkeit wieder auf die Agenden dieses Kongresses, um dessen Zustandekommen sich die niederländische Zweigvereinigung besonders verdient gemacht habe. Ganz besonderer Dank des Kongresses gebühre dem holländischen Komitee, bestehend aus dem Vorsitzenden der niederländischen Gruppe Dr. van Emden, dem Schatzmeister Dr. van Ophuijsen und dem Schriftführer Dr. A. F. Meijer, für die glänzende Vorbereitung des Kongresses und den überaus gastfreundlichen Empfang.
Begrüßungstelegramme sind eingelangt: von der Poliklinik in Berlin, ferner aus Wien von Dr. Jekels und Dr. Nunberg, die nicht erschienen waren. Dr. Paul Federn, Wien, war durch eine schwere Erkrankung in seiner Familie am Kommen verhindert, Dr. Bernfeld, Wien, durch einen nahen Todesfall, und Dr. Oberholzer, Zürich, hatte in einem ausführlichen Schreiben sein Bedauern ausgesprochen, daß es ihm als Präsidenten der neuen Schweizerischen Gruppe nicht vergönnt sei, am Kongreß teilzunehmen. Schließlich macht der Vorsitzende noch Mitteilungen über die Geschäftsordnung der Sitzungen sowie über die Tagesordnung der geschäftlichen Beratung, zu der nur ordentliche Mitglieder Zutritt haben.
Der Vorsitzende ersucht hierauf den stellvertretenden Präsidenten Dr. Ernest Jones, das Gesagte für die englisch sprechenden Mitglieder zu verdolmetschen und seinerseits einen Überblick über die psychoanalytische Bewegung in den anglo-amerikanischen Ländern zu geben.
Dr. Ernest Jones (London) übermittelt zunächst den festländischen Mitgliedern die Grüße der englischen Kollegen und gibt in ihrem Namen der Freude Ausdruck, daß der Kongreß die englische Gruppe endgültig angegliedert habe. Sodann erstattet er kurz Bericht über die Bewegung in Amerika und England während der letzten Jahre. In Amerika bestehen zwei Ortsgruppen. Die eine, die National- Amerikanische Gesellschaft, deren jetziger Präsident Dr. Brill ist, tritt nur einmal jährlich, und zwar im Mai, zusammen. Sie ist ein locker zusammengefügter Verband, dessen Mitglieder von weit entfernten Orten in regelmäßigen Abständen zusammentreten.
In New York selbst, wo die zweite Ortsgruppe sich befindet, deren Präsident Dr. Oberndorf ist, bleiben manche Analytiker der Ortsgruppe fern, so daß sie eigentlich nur einen Teil der dortigen Bewegung bildet. Wie aber die Berichte in den Zeitschriften zeigen, ist die Tätigkeit dieser Ortsgruppe hoch zu schätzen.
Der Vorschlag, eine dritte Gruppe in Boston zu gründen, ist leider an einem traurigen Ereignis gescheitert, nämlich am Tode einer hochgeschätzten Persönlichkeit, die wir sehr vermissen: Prof. Putnams.
In London hat sich 1914 eine kleine Ortsgruppe geformt, die aber infolge von Meinungsverschiedenheiten nur zwei Jahre bestand. Im März des vorigen Jahres wurde dann eine neue britische Gruppe ins Leben gerufen, die heute auf dem Kongreß stark vertreten ist. Die Zahl der Mitglieder der drei genannten, Gruppen beträgt zurzeit etwa 70, von denen mehr als die Hälfte zu Amerika gehören (FN 1).
(FN 1) Während des Druckes erreicht uns die traurige Nachricht, daß eines der in Indien lebenden Mitglieder der britischen Gruppe, Lt. Col. Sutherland, im heurigen Sommer in Kalkutta gestorben ist.
Die Hauptschwierigkeit dieser Ortsgruppen bestehe darin, die richtige Zusammensetzung der Mitglieder zu erzielen. Diese Schwierigkeit zeige sich auf zweierlei Art. Erstens darin, daß einige, die auf dem Gebiete der Psychoanalyse arbeiten, nicht den Wunsch haben, der Ortsgruppe beizutreten, und anderseits darin, daß viele diesen Wunsch haben, die eigentlich auf diesem Gebiete nicht arbeiten. Beide Schwierigkeiten weisen aber immerhin auf ein fortschreitendes Interesse an unserer Bewegung hin. Auf dem Festland habe man strengere Bedingungen zum Eintritt in die verschiedenen Ortsgruppen aufgestellt, als dies in Amerika und England ratsam zu sein scheint. In Amerika insbesondere sei man mit den Eintrittsbedingungen ziemlich nachsichtig. In England sei ein Kompromiß gefunden worden, der darin bestehe, daß zwei Grade von Mitgliedern unterschieden werden: members und associate members – etwa ordentliche und außerordentliche Mitglieder. Die Unterschiede zwischen den beiden sind: 1. daß die außerordentlichen Mitglieder nur für je ein Jahr gewählt werden, und 2. daß sie den Geschäftssitzungen nicht beiwohnen dürfen. Diese außerordentliche Mitgliedschaft wird also quasi als ein Provisorium angesehen.
Diese Schwierigkeit in der Auswahl von Mitgliedern habe ihren Ursprung in der umfassenderen Frage der Einstellung der Außenwelt zur Psychoanalyse.
Während die letzten Ursachen der Widerstände gegen die Psychoanalyse im großen und ganzen überall die gleichen sind, zeigen sich gewisse Unterschiede in den Formen, in denen diese in verschiedenen Ländern zu Tage treten. In Amerika z. B. scheint nun das herrschende Charakteristikum zu sein, daß man die Ergebnisse der Psychoanalyse annimmt und schlechthin als Gemeingut betrachtet, ohne mehr gegen sie zu polemisieren, aber auch ohne sich weiter viel um sie zu bekümmern. Mit anderen Worten: die Bedeutung der Psychoanalyse scheint dort etwas verblaßt; sie ist ein wenig aus der Mode gekommen.
Auch in England hat die offene, heftige Kritik stark nachgelassen, obgleich die Bedeutung der Psychoanalyse – im Gegensatz zu Amerika – ziemlich allgemein anerkannt ist. Hier ist der Widerstand auf einem anderen Gebiete hervorgetreten, und zwar auf dem therapeutischen. Dies mag teilweise in dem praktischen Charakter der Engländer liegen, teilweise in dem Umstand, daß so viele unserer Ärzte durch das Studium der Kriegsneurosen zur Psychoanalyse gekommen sind, das heißt, durch Fälle, die zur Erlernung und Erprobung der regelrechten Analyse schlecht geeignet sind und in denen irgend eine Modifizierung der Analyse sicherlich am Platze ist. Das Resultat ist, daß man oft eine Mischung von Psychoanalyse, Suggestion und der Breuerschen abreagierenden Katharsis findet; eine genügend strenge Grenzlinie zwischen diesen drei Methoden wird nicht gezogen. Man empfindet ein starkes Bedürfnis nach einer abgekürzten Analyse und hat die größte Schwierigkeit, darauf hinzuweisen, daß Modifizierungen der regelrechten psychoanalytischen Technik einer genauen Kenntnis derselben nur folgen, nicht aber ihr vorangehen können. Hier, wie oftmals anderswo, gilt der Satz, daß ein scheinbarer Umweg oft der kürzeste Weg ist.
Aus mehreren Gründen, von denen einer insbesondere die Notwendigkeit war, diesen und anderen Irrtümern entgegenzutreten, ist vor kurzem von dem „Internationalen Psychoanalytischen Verlag“ ein englisches Journal gegründet worden, und wir hoffen, daß wir das Einverständnis des Kongresses erlangen werden, es als offizielles Organ der Vereinigung fungieren zu lassen. Es soll als Schwesterblatt der „Zeitschrift“ und der „Imago“ erscheinen, ebenfalls unter der Leitung von Prof. Freud, und auch das Korrespondenzblatt der Vereinigung veröffentlichen. Es ist ferner geplant, daß ausgewählte Artikel und Referate zwischen den beiden deutschen und dem englischen Organ ausgetauscht werden. Auf solche Weise gedenken wir die zentripetalen Kräfte, welche das Gemeinsame unserer Bewegung hervorheben, zu festigen.

Nunmehr erteilt der Vorsitzende Dr. Ferenczi den Vorständen der einzelnen Zweigvereinigungen das Wort zur Mitteilung bedeutsamer Vorgänge in ihrer Gruppe.
Abraham (Berlin) berichtet kurz über die Tätigkeit der Berliner Poliklinik und wird dabei von Dr. Eitingon und Dr. Simmel ergänzt.
Van Emden (Haag) berichtet über das zunehmende Interesse der offiziellen psychiatrischen Kreise in Holland sowie über das erfreuliche Anwachsen der Mitgliederzahl trotz rigoroser Aufnahmebestimmungen.
Freud (Wien) berichtet, daß nach dem Vorbild des allzufrüh dahingegangenen Dr. von Freund durch die Munifizenz eines anderen Mitgliedes ein neuer, psychoanalytischen Zwecken gewidmeter Fonds zu stande gebracht worden sei, der die weitere Tätigkeit des Verlages sichert. Zum Berichte über dieselbe wird das Wort an Dr. Rank erteilt, der eine kurze Übersicht über das bisher vom Verlag Geleistete gibt und die für die nächste Zeit geplanten Unternehmungen ankündigt.
Pfister (Zürich) dankt im Namen der bereits auf 35 Mitglieder angewachsenen Schweizerischen Gruppe für die Aufnahme in den Internationalen Verband und
Ferenczi (Budapest) berichtet über die unter den ungünstigsten und schwierigsten Verhältnissen fleißig fortgeführte Arbeit der ungarischen Gruppe.
Stern (New York) gibt einen kurzen Bericht über die Bewegung in Amerika und besonders über die Tätigkeit der New Yorker Gruppe. Er führt aus:
Wie in anderen Ländern, so hat auch in Amerika die Psychoanalyse während und nach dem Kriege große Fortschritte gemacht. Allerdings darf dabei der Ausdruck „Psychoanalyse“ nicht in dem streng Freudschen Sinne genommen werden. Die Ergebnisse der Psychoanalyse werden auch von solchen angewandt, die einige ihrer wichtigsten Grundsätze ablehnen, sie aber doch unter anderen Namen einführen. Großes Interesse zeigt sich nicht nur auf dem Gebiete der Neurosen und Psychosen, sondern auch in Hinsicht auf Erziehungsfragen und soziale Probleme. Einen guten Maßstab zur Beurteilung des Fortschrittes bildet jedenfalls die wachsende Zahl von Artikeln über Psychoanalyse in den Zeitschriften, welche vorher solche Artikel entweder nur in kleiner Anzahl gedruckt oder sie überhaupt zurückgewiesen haben. Dies mag allerdings nicht so sehr auf die Zustimmung dieser Zeitschriften den psychoanalytischen Funden gegenüber hinweisen, als auf die Nötigung, das zu publizieren, wonach ein steigendes Verlangen deutlich ist.
Es wird viel „wilde“ Psychoanalyse in Amerika getrieben und bis jetzt hat man noch kein wirksames Mittel dagegen gefunden.
Was nun die New Yorker Psychoanalytische Ortsgruppe betrifft, so ist ihre Mitgliedschaft in den letzten Jahren bedeutend angewachsen und die neuen Mitglieder zeigen großes Interesse. Es ist allerdings abzuwarten, ob der erste Enthusiasmus zur Überwindung der langwierigen Lernzeit ausreichen wird. Manche halten die gegenwärtig geübte Technik für zu zeitraubend und drängen auf ein abgekürztes Verfahren. Außer der New Yorker gibt es bis jetzt keine anderen Ortsgruppen in Amerika. Allerdings gibt es Ärzte in anderen Städten der Vereinigten Staaten, die gute Psychoanalytiker sind. Im ganzen macht die Bewegung in Amerika gute Fortschritte.

IZP / VI / 1920 / 387-391
Geschäftliche Sitzung.

Vorsitzender Dr. Ferenczi beantragt, daß die Statutenänderungen, die seit dem Nürnberger Statut (1910) provisorisch von den Internationalen Präsidentschaften instituiert wurden, auch formell vom jetzigen Kongreß verifiziert werden mögen. Diese Änderungen seien abgedruckt im „Korrespondenzblatt“ des Jahres 1919, und zwar in Nr. 2 vom April und Nr. 4 vom Oktober.
Dr. Ophuijsen (Haag) beantragt vor Annahme dieser Abänderungen den Artikel I durch stilistische Verbesserung sinngemäßer zu fassen. Nach seinem Vorschlag wird nachstehende Fassung angenommen.
„Die Vereinigung trägt als Zentralverband der bereits bestehenden und in der Zukunft sich bildenden nationalen oder örtlichen psychoanalytischen Vereinigungen (Zweigvereinigungen) den Namen ,Internationale Psychoanalytische Vereinigung’.“
Es werden sodann vom Kongreß die seit dem Nürnberger Statut vorgenommenen Änderungen (einschließlich der zuletzt vorgeschlagenen des Art. I) angenommen, insbesondere aber das von Ernest Jones (London) und Dr. Otto Rank (Wien) begründete zeitgemäße Zurückgreifen auf die ursprüngliche Fassung des Artikels V, der von den Beiträgen der Mitglieder handelt, einstimmig gebilligt; auf den Vorschlag von Dr. Ernest Jones wird dann noch dieser Punkt durch Einfügung des Äquivalents von acht Schillingen Als Beitrag für die Britische Gruppe ergänzt. Auch die im Zusammenhange damit von den beiden genannten Referenten begründete Festsetzung des Abonnementspreises der beiden offiziellen Zeitschriften in der Valuta des betreffenden Gruppenlandes wird vom Kongreß einhellig gutgeheißen.
Pfarrer Pfister (Zürich) stellt folgenden Antrag: Die Leitung der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung wird aufgefordert zu prüfen und dem nächsten Kongreß Vorschläge darüber zu unterbreiten, ob und eventuell unter welchen Bedingungen Diplome für Psychoanalytiker ausgestellt werden sollen.
Sachs (Wien) beantragt die Annahme dieses wichtigen und vorsichtig formulierten Antrages.
Liebermann (Berlin) möchte, daß sich der Kongreß jetzt über diese Frage schlüssig werde.
Eitingon (Berlin) hält den Antrag in dieser Form für nicht akzeptabel, gesteht aber die Wichtigkeit zu, einen Weg zu finden, der das Diplom dann nicht mehr nötig mache.
Freud (Wien) erklärt das Thema für so kompliziert und wichtig, daß es ohne Vorbereitung nicht Gegenstand der Beratung werden könne und schließt sich darum dem Antrag an, es dem nächsten Kongreß vorzubehalten.
Abraham (Berlin) stimmt zu, hält aber den angegebenen Weg nicht ohne weiteres gangbar.
Bryan (London) schlägt vor, daß jede Gruppe den Vorschlag für sich diskutiere und das Ergebnis an die Zentrale weiterleiten möge.
Nachdem schließlich Ferenczi (Budapest) noch für Pfisters Antrag eingetreten war, wurde derselbe vom Kongreß angenommen.
Dr. Hans Liebermann (Berlin) stellt den Antrag, der Kongreß möge sich dahin einigen, nach welchen Gesichtspunkten bei der Aufnahme neuer Mitglieder verfahren werden solle.
Jones (London) stellt hierauf einen Antrag, der schließlich in folgender, von Prof. Freud vorgeschlagenen Fassung angenommen wird:
„Die Aufnahme in eine ortsfremde Gruppe bedarf der Einwilligung der Zentralleitung“, wozu Abraham (Berlin) den Zusatz fügt, daß sich bei jeder ortsfremden Neubewerbung die Schriftführer der betreffenden Gruppen in Verbindung setzen sollen.
Dr. v. Hattingberg (München) möchte die Bedingungen für die Mitgliedschaft überhaupt festgestellt sehen.
Ferenczi (Budapest) ist für Beibehaltung des bisherigen Modus.
Freud (Wien) möchte diese wichtige Frage im Zusammenhang mit der eng dazugehörigen Diplomfrage auch auf den nächsten Kongreß vertagen.
Dieser Antrag wird einstimmig angenommen.
Vorsitzender Dr. Ferenczi schlägt nun vor, das „International Journal of Psycho-Analysis“ zum offiziellen Vereinsorgan der englisch sprechenden Gruppe zu machen und erteilt zur Begründung dieses Vorschlages Dr. Rank das Wort, der einen kurzen Überblick über die Motive gibt, die zur Gründung des englischen Journals geführt haben sowie über seine Ziele und Absichten.
R. de Saussure (Genf) möchte für die französisch sprechenden Kollegen in der Welschschweiz die Möglichkeit offen sehen, statt der beiden deutschen. Zeitschriften die englische zu abonnieren, welchen Vorschlag Pfister dahin ergänzt, daß es allen nicht deutsch sprechenden Mitgliedern frei stehen solle, das englische Journal zu wählen.
Dieser Antrag wird vom Kongreß angenommen.
Dr. Adolph Stern (New York) stimmt als Sekretär der New Yorker Gruppe dafür, das Journal zum offiziellen Organ zu machen.
Bryan (London) stimmt als Sekretär der „British Society“ gleichfalls dafür.
Hierauf erhebt der Kongreß den Antrag, das „International Journal of Psycho- Analysis“ zum offiziellen Vereinsorgan neben der „Zeitschrift“ und „Imago“ zu machen, einstimmig zum Beschluß.
Prof. Freud dankt als Herausgeber des englischen Journals den englisch sprechenden Gruppen und möchte deren Wünsche bezüglich der Redaktionsführung
Rechnung tragen. Vorläufig sei Dr. Ernest Jones (London) provisorisch alleiniger Redakteur; die anglo-amerikanischen Gruppen mögen sich äußern, ob dies so bleiben solle oder ob und wie viele Mitredakteure und wie viele aus jeder Gruppe zu bestimmen
seien.
Pfister schlägt vor, auch einen Amerikaner zum Redakteur zu wählen.
Jones setzt die Nachteile eines mehrköpfigen Redaktionskomitees auseinander und begründet die Notwendigkeit einer Zentralstelle.
Bryan (London) meint, es genüge ein Editor für England. Im übrigen habe die Frage der Redakteurschaft der Verlag zu entscheiden.
Stern (New York) schlägt vor, die Gruppen sollen ihre Redakteure wählen.
Der Kongreß beschließt, Jones als Hauptredakteur zu bestätigen und eine vorzuschlagende Liste von Subredakteuren aus England und Amerika einzuholen.

Präsident Dr. Ferenczi bringt hierauf die Frage des nächsten Kongresses zur Sprache mit dem Bemerken, daß bereits zwei Einladungen, und zwar eine nach Berlin von
Dr. Abraham unterbreitete, und eine nach der Schweiz von Dr. Pfister überbrachte, vorliegen.
Nachdem Jones in längerer Rede die nach verschiedenen Richtungen zu begründende Priorität Berlins hervorgehoben hat, zieht Pfister die Einladung zurück, worauf noch Prof. Freud (Wien), Stern (New York) und Stoddart (London) für Berlin eintreten, das einstimmig als nächster Kongreßort gewählt wird. Liebermann (Berlin) dankt als Sekretär namens seiner Ortsgruppe. Die vom Vorsitzenden hierauf angeschnittene Frage des Zeitpunktes für den nächsten Kongreß möchte Prof. Freud jetzt noch nicht entscheiden. Abraham stimmt ihm zu, hält es aber für wissenswert, die Stimmung des Kongresses darüber einzuholen. Die Abstimmung hierüber ergibt eine große Mehrheit für die Abhaltung des Kongresses möglichst schon im kommenden Jahr.
Rank (Wien) fordert zur Organisierung des Referatenwesens in allen Ortsgruppen nachdrücklich auf.
Jones schlägt vor, eigene Referatensekretäre für diesen Zweck in den einzelnen Gruppen zu bestimmen, wie dies bereits Wien in Dr. Hitschmann und New York in Dr. Stern, dem Corresponding Secretary der New Yorker Gruppe, besitzen.

Der Vorsitzende schreitet nunmehr zur Präsidentenwahl und übergibt die stellvertretende Präsidentschaft Dr. Stoddart (London).
Dr. Abraham (Berlin) schlägt die Wahl des zeitweiligen provisorischen Präsidenten Dr. Ernest Jones (London) zum Präsidenten vor.
Prof. Freud unterstützt diesen Vorschlag, nicht ohne sein Bedauern auszusprechen, daß es dem bisherigen Präsidenten Dr. Ferenczi in Budapest durch die Ungunst der Verhältnisse verwehrt war, sein Amt voll zu erfüllen. Er habe jedoch in der Zeit seiner Präsidentschaft die erste ordentliche Professur für Psychoanalyse während der kurzen Zeit der Räteherrschaft innegehabt.
Eitingon (Berlin) teilt mit, daß Ferenczi zum Ehrenmitglied der Berliner Gruppe gewählt wurde.
Ferenczi dankt für die Ehrung.
Hierauf wird Dr. Ernest Jones (London) einstimmig zum Präsidenten der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung gewählt.
Jones dankt für die Wahl, übernimmt das Präsidium und nominiert Mr. J. C. Flügel als Zentralsekretär.
Frau Dr. Spielrein (Lausanne) teilt mit, sie beabsichtige nach Genf zu übersiedeln, um dort am Institut Jean Jaques Rousseau zu arbeiten und trägt ihre Mitwirkung bei der Wiederanknüpfung literarischer Beziehungen zu Rußland an. Sie schlägt u. a. vor, den Kongreßbericht ins Russische zu übersetzen und auch russische Beiträge zur Psychoanalyse zu sammeln und eventuell zu publizieren.
Reik (Wien) meint, daß die Druckkosten zur Publikation dieser russischen Literatur heute noch zu groß wären, um dieses Unternehmen zu lohnen.
Eitingon (Berlin) möchte den Vorschlag unterstützen, das russische Material wenigstens zu sammeln und das Wichtigste zu übersetzen.
Prof. Freud weist darauf hin, daß eine eventuelle Subventionierung dieser Aktion eine Angelegenheit des psychoanalytischen Fonds sei, der sich dafür interessieren werde.

IZP / VI / 1920 / 391-402
Autoreferate der Vortragenden.

Dr. K. Abraham (Berlin), Äußerungsformen des weiblichen Kastrationskomplexes.
Es gibt verschiedene Ausgangsmöglichkeiten des weiblichen Kastrationskomplexes.
Die von Freud so genannte normale oder kulturelle Form besteht darin, daß das Weib sich mit seiner Weiblichkeit aussöhnt; das Begehren nach dem Besitz eines männlichen Genitalorgans wird aufgegeben, und an seine Stelle tritt der Wunsch, ein Kind (eigentlich als Geschenk des Vaters) zu erhalten. Damit ist es dem Weibe ermöglicht, in der weiblichen Sexualrolle Befriedigung zu gewinnen und mütterliche Gefühle zu entwickeln.
Diesem Ausgang entgegengesetzt ist der ambivalente (archaische). Neben der Liebe zu dem Manne, welchem sie zuerst angehört hat, produziert die Frau im Zusammenhang mit der Defloration Haßgefühle, weil die Verletzung ihrer körperlichen Integrität den Kastrationskomplex neu belebt. Vortragender weist nach, daß diese Form der Reaktion auch unter unseren Kulturverhältnissen noch in Spuren erkennbar ist.
Ein dritter Ausgang ist die Wendung zur Homosexualität. Diese Möglichkeit gründet sich auf die bisexuelle Anlage des Menschen. In einem Teil der Fälle äußert sich die Homosexualität hauptsächlich in sublimierter Form.
Äußerst vielgestaltig sind die neurotischen Ausgangsformen, denen der Vortrag in erster Linie gewidmet ist; manche unter ihnen sind bisher kaum beachtet worden. Die hieher gehörigen neurotischen Symptome drücken zum Teil den Wunsch aus, männlich zu sein, zum Teil richten sie sich gegen den Mann im Sinne der Rache (Kastration, Tötung). Eine Reihe von Symptomen und von Träumen, die mit den Symptomen inhaltlich übereinstimmen, wird besprochen. In den zunächst mitgeteilten spielt die Patientin unbewußt die männliche Rolle, oder sie erwartet, Mann zu werden.
Gewisse neurotische Symptome spielen sich an Körperteilen ab, die als Surrogat des männlichen Genitale verwandt werden.
Andere Symptome stellen die völlige Ablehnung des Mannes dar, zugleich, aber eine aktive Kastrationsabsicht (Vaginismus usw.). Oder sie enthalten die Angst vor einer solchen Handlung. Wieder andere Symptome dienen der Herabsetzung oder
Enttäuschung des Mannes.
Gewisse Frauen, die sich besonders schwer an die ihnen mit der Geburt zugefügte Benachteiligung gewöhnen konnten, wollen unter keinen Umständen an das Peinliche erinnert werden. Sie weichen überempfindlich allem aus, was diese Wirkung haben könnte. Die Scheu vor Wunden ist ein besonders bezeichnendes Symptom dieser Art (Wunde = weibliches Genitale). Wie überall in der Neurosenpsychologie begegnen wir auch hier der Neigung zu Kompromißbildungen. Manche Frauen sind bereit, sich mit ihrer weiblichen Rolle zufrieden zu geben, falls sie selbst die Schönste, Begehrteste unter allen wären, oder falls ein Mann sie begehrte, der alle an Männlichkeit in den Schatten stellte. Eine andere Äußerung des weiblichen Kastrationskomplexes liegt darin, daß der Mann in seiner männlichen (das heißt genitalen) Funktion anerkannt wird; nur das eigene Genitale wird der Verwendung entzogen und die Libido dementsprechend auf die Mund- oder Analzone verschoben. Es kommen dann Perversionen oder Konversionserscheinungen zu stande, welche mit diesen erogenen Zonen in Zusammenhang stehen.
Frauen mit solcher Einstellung verpflanzen ihren Kastrationskomplex auf ihre Kinder. Sie erschweren es den Mädchen, ihre Weiblichkeit zu akzeptieren, während sie den narzißtischen Männlichkeitsstolz der Knaben dauernd verletzen. Der Kastrationskomplex der Mütter, insbesondere ihre Analerotik ist ein ätiologisch wichtiges Moment für die pathologischen Äußerungen des Kastrationskomplexes bei den Kindern. Die Behandlung der Frauen bietet also eine Möglichkeit, die Nachkommenschaft vor dem Verfall in Neurose zu behüten; hier liegt ein besonders fruchtbares Wirkungsfeld der Psychoanalyse.

Dr. Helene Deutsch (Wien), Zur Psychologie des Mißtrauens.
Referentin beschäftigt sich mit den psychischen Mechanismen des Mißtrauens als neurotisches Symptom, als Charaktereigenschaft, als psychische Erscheinung bei Schwerhörigkeit und als massenpsychologisches Phänomen.
Das Verhalten des Mißtrauischen seiner Umgebung .gegenüber zeigt, daß er sich in steter Erwartung eines feindlichen Angriffes befindet und daß er sich vor diesem Angriff zu schützen sucht.
Da diese ihm drohende Gefahr irreal, in der Außenwelt nicht verstanden ist, ergibt sich für das psychoanalytische Denken, daß sie ihre Quelle im Unbewußten haben wird.
An vier analysierten Fällen werden die für das Mißtrauen als pathologisches Symptom geltenden Mechanismen erörtert. Im ersten Fall entsprach das Mißtrauen der Projektion der endopsychischen Wahrnehmung einer dem Ich vom Unbewußten drohenden Triebgefahr. Referentin weist auf gewisse Analogien zwischen diesem Mechanismus der Projektion und den bei der Angsthysterie wirkenden Mechanismen hin.
Im zweiten Fall ließ sich das Symptom aus dem Ambivalenzkonflikt erklären, indem das Mißtrauen die Projektion der verdrängten Haßtendenzen in die Außenwelt darstellte.
Hier beschäftigt sich Referentin mit Beziehungen, die zwischen dem Mißtrauen und dem Zweifel bestehen.
Das Mißtrauen im dritten Fall hatte seine Ursache im fortwährenden Pendeln der Libido zwischen der hetero- und homosexuellen Objektwahl. Diese psychische Formation ergab, daß jeder Versuch einer Objektwahl mit stark negativen Tendenzen begleitet war. Die endopsychische Wahrnehmung der dem Ich feindlichen Tendenzen der homosexuellen und der Inzestliebe wurde nach außen projiziert, ebenso unterlag der gegen das Weib und gegen den Mann gerichtete Haß der Projektion und wurde als Mißtrauen empfunden.
Der vierte Fall, eine beginnende Paranoia, zeigte noch vor dem Ausbruch der Psychose ein großes Mißtrauen, an dem sich jedoch noch hysterische Mechanismen nachweisen ließen.
Referentin beschäftigt sich mit den Beziehungen des Mißtrauens zur Paranoia, weist die Unterschiede und Analogien nach.
Das Mißtrauen bedient sich wie der Verfolgungswahn der Projektion, muß aber im Unterschied zur Paranoia nicht immer die Homosexualität zur Grundlage haben, auch fehlt hier die, für Paranoia charakteristische Affektverwandlung.
Beim Entstehen des Mißtrauens als Charaktereigenschaft werden dieselben Mechanismen der Projektion, der endopsychischen Wahrnehmung einer Triebgefahr gelten. Nur, daß sich hier das Individuum endgültig der Gefahr auf diese Weise entledigt hat.
Besonders günstige Bedingungen bietet für das Entstehen des Mißtrauens die konstitutionelle Verstärkung der anal-sadistischen Triebkomponente, wobei die eigene Feindseligkeit nach außen projiziert wird und das Gefühl der drohenden Gefahr erzeugt. Beim Entstehen des Mißtrauens bei der Taubheit nimmt Referentin die Verstärkung des jedem eigenen Sadismus durch Schwächung des Ich an – auch bedarf scheinbar der Mensch der Kontrolle aller seiner Sinne, um sich des aus eigener Feindseligkeit herrührenden Gefühles der Unsicherheit in der Außenwelt zu erwehren.
Referentin bemerkt, daß das Mißtrauen eine Allgemeinerscheinung nach dem Kriege geworden ist, und führt dies auf die Tatsache des durch den Krieg ausgelösten Sadismus zurück, dessen letzten Ausläufer das Mißtrauen bildet.
Eine andere wichtige Ursache des Mißtrauens sieht Referentin in den Enttäuschungen, die das Kind an seinen ersten Liebesobjekten erfahren hat. Diese ersten Enttäuschungen hinterlassen eine Narbe, die zur Mißbildung des Charakters im Sinne des Mißtrauens beitragen, oder unter geeigneten Bedingungen zum Auftreten dieses Symptoms bei der Neurose führen kann.

Dr. A. Stärcke (Den Dolder), Der Kastrationskomplex.
Zusammenfassung: Der Kastrationskomplex ist ein Teil einer Ambivalenzeinstellung, deren anderer Teil, Wünsche und Strebungen verschiedener Natur, und die infantile Sexualtheorie von dem Weibe mit dem Penis, die gleiche Abstammung zeigt.
Diese Ambivalenzeinstellung erwirbt das Kind sich beim Saugen an der Mutterbrust oder Flasche; die exkrementellen Funktionen sind, wie Prof. Freud beschrieben hat, auch dabei einbezogen, und vielleicht noch sonstige, früh verlorene Attribute.
Es wird das Interesse auf die Abweichungen des normalen Stillens gelenkt, weil diese auf die
keimende Psyche einen nicht groß genug zu veranschlagenden Einfluß üben müssen. Es wird die Vermutung ausgesprochen, daß Schmerzen der Mutter beim Stillen für die Entstehung oder Fixierung sadistischer Tendenzen von Wichtigkeit sein können, und daß die Saugesituation den Vorgang der Projektion einleitet. Die Brustwarze im Munde des Kindes ist, seinem Entwicklungsgrade gemäß, ein Teil seines eigenen Körpers. Das Entziehen derselben und die exkrementellen Funktionen erzeugen die ersten Vorstellungsspuren einer gesonderten Außenwelt. Der Wunsch, die Trennung zwischen Ich und Außenwelt ungeschehen zu machen, welcher dem Streben nach Glück gleichzusetzen ist, bedeutet das Zurückwünschen der Saugesituation. Die Bildung der Umwelt ist die Urkastration; das Entziehen der Brustwarze bildet davon einen Kernbegriff.
Dr. v. Hattingberg (München), Übertragung und Objektwahl. Ihre Bedeutung für die Trieblehre.
Der Lehre von der Übertragung wie der von der Objektwahl liegt der Gedanke zu Grunde, daß Gefühl und Trieb von ihrem Gegenstand, vom Objekt, weitgehend unabhängig sind. Diese Behauptung Freuds, für die sich aus dem Triebleben der Tiere zahlreiche Belege beibringen lassen, ist ein Schlüsselpunkt für die gesamte Trieblehre. Von den überhaupt möglichen Auffassungen der Triebhandlungen werden so alle jene ausgeschieden, welche das Objekt, den Gegenstand als wesentlich für den Trieb ansehen, sei es nun als Reiz, wie die Tropismenlehre und die Reflextheorie der Instinkte, oder als Ziel resp. Zweckvorstellung, wie die Bewußtseinspsychologie. Möglich bleiben dann nur zwei Auffassungen, nämlich einmal eine solche, welche als Beziehungspunkt für die „Richtung“, das eigentlich wesentliche an den Triebhandlungen, einen Zustand des Individuums selbst in Anspruch nimmt. Triebhandlungen sind dann Änderungen des Gesamtverhaltens, die in typischen Situationen auftreten. Sie sind Zusammenhänge von Funktionen und Funktionsänderungen, die von einem typischen Anfangszustand des Individuums (dem Bedürfnis) ausgehen und zu einem typischen Endzustand (der Befriedigung) hinführen. Triebe sind dann Richtungen solcher Abläufe. – Die andere Anschauungsweise ist die dynamische. Ihr Darstellungswert ist unzweifelhaft sehr groß, wenn das Trieberlebnis an sich in seinen verschiedenen Ablaufsformen beschrieben werden soll. Sie versagt jedoch gegenüber der Vielfältigkeit des Trieblebens in seinen verschiedenen Richtungen.
Jede dynamische Auffassung drängt notwendig zur Annahme einer einzigen Kraft, der „einen Libido“ (Jungs desexualisierte Libido). Ist es aber dieselbe Libido, die sich in allen Trieben äußert, dann wird eine nähere Bestimmung ihrer besonderen Richtung nötig, wenn wir verstehen wollen, nicht nur daß einmal Hassendes, einmal Liebendes geschieht, sondern auch, daß sich etwa feindliche Tendenzen in freundlichen Handlungen äußern können. Wenn nicht die Affekte und Triebe durch die Vorstellungen, sondern umgekehrt die Vorstellungen durch die Affekte und Triebe geführt werden, wenn also die Triebe die Richtung der Assoziationsabläufe bestimmen, dann müssen sie vor allem durch eine besondere Richtung charakterisierbar sein. Diese aber läßt sich vorteilhafter durch die Beziehung auf die für jeden Teil typischen Endzustände darstellen als durch die Libidotheorie, die alles auf den Grundvergleich einer Flüssigkeit bezieht.

J. C. Flügel (London), On the biological basis of sexual repression.
Der psychologische Gegensatz, der sich in der Sexualverdrängung ausdrückt, läßt sich als Sonderfall eines allgemeineren biologischen Gegensatzes auffassen. Dieser Gegensatz gestaltet zwei miteinander eng verbundene Auffassungsweisen: 1. Die psychologische. Es besteht notwendigerweise eine Umkehrungsbeziehung zwischen der Größe der höheren Zusammengesetztheit und der Aktivität des individuellen Organismus einerseits und seiner Fortpflanzungskraft auf der anderen Seite. 2. Die ökonomische. Infolge der beschränkten Menge von verfügbaren Nahrungsmitteln hat ein hohes Niveau des Einzellebens die Kontrolle der Zahl von Einzelwesen zur Folge und somit auch der Fortpflanzungstendenzen. Die natürliche Auslese bestimmte im Laufe der Entwicklung das Verhältnis der für die Individuation und für die Genesis verwendbaren Energie. In der Hauptsache hat die Entwicklung eine fortwährende Vergrößerung der Individuation auf Kosten der Genesis mit sich gebracht, jedoch bestehen wichtige Einflüsse, welche den Fortschritt in dieser Richtung langsam und schwierig gestaltet haben.
Im Geistesleben entspricht der Gegensatz zwischen Sexualität und Arbeit (Sublimierung) diesem biologischen Gegensatz zwischen Genesis und Individuation.
Die sexuellen Triebkräfte stellen bis zu einem gewissen Grade eine ältere und primitivere Form der Lebensenergien dar. Die Menschheit ist ständig bemüht, sich einer Bedingung anzupassen, in welcher die Sublimierung eine größere und die sexuellen Triebkräfte eine geringere Rolle spielen. Aber gegenwärtig existiert eine sehr ernste „Disharmonie“ in dieser Hinsicht, da die Sexualtriebe des Menschen einen größeren Anteil seiner Gesamtenergie an sich ziehen als es seine gegenwärtige Umwelt fordert.
Die Beziehung zwischen Sexualität und Sublimierung (das ist zwischen der psychologischen Seite von Genesis und Individuation) ist jedoch kompliziert; dieselbe Energie wird in letzter Linie für beide verbraucht, so daß es ohne starke Libido keine adäquate Sublimierung gibt. Ferner entstehen Komplikationen durch gewisse Faktoren, welche die Verwendung gewisser Anteile von libidinöser Energie für sexuelle Zwecke das ganze Leben hindurch nötig machen: 1. Die aktuelle Notwendigkeit der Fortpflanzung, 2. die langsame und stufenweise Ausbildung des Sublimierungsprozesses, 3. bestimmte Beziehungen zwischen sexueller und individueller Entwicklung, infolge deren eine befriedigende Anpassung an die nichtsexuellen Seiten der Existenz unmöglich ist, solange ein entsprechender Grad von sexueller Entwicklung fehlt. Die physiologische und biologische Betrachtungsweise des Gegensatzes zwischen Individuation und Genesis läßt sich unmittelbar bloß auf die sexuellen Triebkräfte anwenden, insoweit dieselben im Dienste der Fortpflanzung stehen, aber vom psychologischen Gesichtspunkte aus äußert sich der Gegensatz auch in Beziehung zu nicht der Fortpflanzung dienenden Elementen der Sexualität, da die ihnen gewidmete Energie in umgekehrtem Verhältnis zu der der Sublimierung gewidmeten Energie steht. Nichtsdestoweniger unterliegen die alloerotischen Elemente in mancher Hinsicht einem größeren Grad der Verdrängung als die autoerotischen, mit dem Erfolg, daß die letzteren auf Kosten der ersteren verstärkt werden. Die höheren Stufen der Individuation sind eng verbunden mit dem Prozeß der Sozialisierung. Es scheint daher, daß die Sexualverdrängung bis zu einem gewissen Grad auf den Einfluß sozialer Mächte zurückzuführen ist.
Ein gewisser Grad von Hemmung scheint ein Teil des menschlichen Sexualinstinkts selbst geworden zu sein. Zwei wichtige Faktoren lassen sich dabei unterscheiden: 1. die Tatsache, daß eine starke Sexualverdrängung nicht mit einem Schlage, sondern nur langsam und gradweise überwunden werden kann, 2. der sekundäre Lustgewinn, der durch die Erleichterung der größeren Spannung, welche die Verdrängung mit sich bringt, gewonnen werden kann. Die allgemeine Anerkennung der Tatsache, die mit der biologischen Seite der Sexualverdrängung verbunden ist, würde sehr erheblich dazu beitragen, die größten Schwierigkeiten des menschlichen Daseins zu beseitigen, und zwar sowohl in der Sphäre des Psychologischen (die sexuellen Konflikte) als auch in der Sphäre des Ökonomischen (der Druck der Bevölkerungsmenge auf die Subsistenzmittel).

Prof. G. Jelgersma (Leiden), Psychoanalytischer Beitrag zur Theorie des Gefühles.
Die Psychoanalyse hat bis jetzt wenig Beiträge zur Theorie des Gefühles geliefert. Freud hat sich gelegentlich in einer Arbeit über einen anderen Gegenstand darüber kurz geäußert. Sonst ist nichts zu finden. In der wissenschaftlichen psychologischen Literatur nimmt die Untersuchung nach der Theorie des Gefühles eine breite Stelle ein. Aber auch die Psychoanalyse kann wertvolle Beiträge dazu geben. Redner gibt eine kurze Skizze seiner Theorie, die derjenigen von Ebbinghaus am nächsten steht und erläutert seine Ansichten an Symptomen der Übertragungsneurosen und der Schizophrenie.

Dr. Hanns Sachs (Wien), Gemeinsame Tagträume.
Daß der Tagtraum eine Vorstufe der Dichtung sei, gehört zu den geläufigsten Sätzen der Psychoanalyse. Unaufgeklärt blieb aber bisher, wo die Veranlassung des Überganges von dem streng egozentrischen, an kein Formprinzip gebundenen Tagtraum zu dem, durch die Anziehungskraft der ästhetischen Form den Mitgenuß anderer, Unbeteiligter, ermöglichenden Kunstwerk zu suchen sei. Man mußte sich mit dem psychologisch unzugänglichen Moment der erblich überkommenen Veranlagung begnügen.
Als Übergangsstadium zwischen Tagtraum und Dichtung kommen die „gemeinsamen Tagträume“ in Betracht, an welchen zwei oder mehrere Personen, also unter Aufgabe der Beschränkung auf die engsten Ich-Interessen, mitarbeiten. Die Analyse zweier solcher Fälle ergab, daß es ein gemeinsames Schuldgefühl war, das nach Erleichterung suchte und sie in der Ausarbeitung des Tagtraumes fand, da darin ein unbewußtes Geständnis der gleichen Schuld des anderen Teiles lag. Das Schuldgefühl ließ auch die eigene Person minder stark in den Vordergrund treten.
Was bei den gemeinsamen Tagträumen die Wurzel ist, das ist beim Kunstwerk das – unbewußt – angestrebte Ziel. Die künstlerische Illusion beruht ja nicht auf Sinnestäuschung, sondern darin, daß der Empfangende die Affekte des Werkes – bewußt, wie unbewußt – miterlebt. Erreicht der Dichter diese Illusion, das heißt erreicht er, daß das Publikum sein Werk als Kunstwerk empfindet – so sagt ihm sein Publikum damit: „Ja, deine verbotenen Wünsche sind auch die unseren; wir begehren dasselbe, was du begehrst und in der Phantasie ausgeführt hast“; es erklärt sich also als mitschuldig und mildert das Schuldgefühl des Künstlers. Die eigene Person des Künstlers muß der Wirkung des Werkes zuliebe in den Hintergrund treten. Der dabei aufgeopferte Narzißmus wird von dem Urheber auf das Werk – ein ideales Stück seines Selbst – verschoben und kehrt als Formschönheit wieder. Auf diesem Umweg findet der Narzißmus auch zu seiner ursprünglichen Befriedigung zurück, denn der Künstler findet nun persönliche Anerkennung und Interesse, die dem tatfremden Phantasiemenschen sonst versagt bleiben.
Es ist ein Postulat der Psychoanalyse, daß jedem großen Kulturfortschritt die Wiederholung des Urverbrechens zu Grunde liegen müsse. Dieses Postulat wird durch die oben skizzierte Hypothese erfüllt. Der Tagtraum baut sich, wie wir wissen, in letzter Linie auf dem Ödipuskomplex auf. Indem der Tagträumer sich seinen Phantasien ergibt, wiederholt er das Urverbrechen – aber allein, und dies ist ein Verstoß gegen das älteste Menschheitsgesetz, demzufolge dieser nur von der ganzen Brüdergemeinschaft miteinander begangen werden darf. Der Künstler findet aus der unerträglichen Isolierung den Weg zu den Brüdern und ihrer Mitschuld zurück.

Dr. Theodor Reik (Wien), Der fremde und der eigene Gott.
Der Vortragende geht davon aus, daß fremde Gottheiten und ihr Kult manchmal einen unheimlichen Eindruck machen. Er bemüht sich, diese Wirkung durch das Fortleben der animistischen Überzeugungen zu erklären und parallele Fälle aus der Symptomatologie der Zwangsneurosen zum Vergleiche heranzuziehen. Die Geschichte der Religionen gibt dann die letzten Aufklärungen dieser eigenartigen Gefühlsreaktion. Der Monotheismus des Bruderclans kannte nur einen Gott; durch die Differenzierung und örtliche Verbreitung der Menschheit kam es dazu, daß jeder Clan seinen Gott hatte, der dem des anderen glich und ebenso wie jener als lebendig und wirksam vorgestellt wurde. Erst spät wurde die Identität des fremden Gottes und des eigenen Gottes nicht mehr anerkannt. Durch den kulturellen Fortschritt des einen Stammes und das Zurückbleiben anderer, erschien der fremde Gott als ein karikierter Doppelgänger der eigenen Gottheit. Das Unheimlichwerden ist also durch ein Rückgreifen auf einzelne Phasen in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit bedingt. Als zweite Quelle des Unheimlichkeitsgefühles werden in Analogie mit den infantilen Komplexen die Gefühlsregungen aus den Eindrücken und Erlebnissen der Prähistorie angeführt. Das Unheimliche aus den in der Menschheitsgeschichte erworbenen vorzeitlichen Komplexen erweist sich als hartnäckiger als jenes des überwundenen. Hieher gehören z. B. der Kastrations- und Inzestkomplex sowie jene Gefühle, die den verdrängten revolutionären Regungen entstammen. Die daher rührende Präexistenz des Schuldbewußtseins gegen den eigenen Gott wird bestimmend für religiöse Verfolgungen (Judenpogroms, Armeniermetzeleien). Der fremde Gott war einmal der eigene, der den Massen durch Entwicklungsschübe und kulturelle Fortschritte entfremdet wurde und der in seiner roheren und primitiveren Gestalt nun als unheimlich erscheint.

Dr. Géza Róheim, Central Australian Totemism.
Alcheringa als Traumzeit. Eine primitive Phase des Totemismus, als reine Wunscherfüllung, spiegelt sich in den Überlieferungen der Arunta. Das Essen des Totem und totemistischer Inzest. Die inapertwa als mythische Embryos, der Alcheringaheros als Projektion der Allmacht im Mutterleib auf die Vaterimago.
Die Unkenntnis der Arunta von der Zeugung: eine kruziale Frage der sozialen Anthropologie und eine Probe für die psychoanalytische Untersuchungsmethode. Unbewußte sexuelle Kenntnisse, die sich in Mythen über die Zeugung erweisen. Essen als Heiratszeremonie und als die Ursache der Schwangerschaft. Das Schwirrholz in Zeugungsmythen und Liebeszauber als Penis. Der pränatale Zweikampf mit dem Vater als Ursache der Geburt. Mit anderen Worten, jede Geburt wird unbewußt auf einen Inzest zurückgeführt. Die Ursache der Unkenntnis der Arunta ist Verdrängung. Diese richtet sich gegen die Sexualität im allgemeinen, weil dieselbe unbewußt mit dem Ödipuskomplex identifiziert wird. Das Totemzentrum als Projektion des Mutterleibes in die Außenwelt. Der Churinga als „anderer Leib“ oder „äußere Seele“ – ein Symbol des Embryo im Mutterleib; deshalb wird ihm die Kindererzeugung zugeschrieben. (Wie bereits bemerkt, bedeutet der Churinga übrigens auch den Penis.) Die Aruntatheorie über die Kinderzeugung eine unbewußte, infantile Wunscherfüllung; durch sie wird das Kind zum eigenen Vater und übernatürlichen Gatten der Mutter.
Das Zeremoniell des zentralaustralischen Totemismus, die Intichiumariten. Ihre Abhaltung beim Herannahen der Zeit der allgemeinen Fruchtbarkeit in der Natur: figuriert in der Überlieferung als Stellvertretung und Äquivalent für den Beischlaf. Das magische (zeugende) und das imitative Element im Intichiuma werden analysiert. Die anthropische Bedeutung des Intichiuma ist der Alcheringa: Ursprüngliches Ziel die Vermehrung der menschlichen, nicht der tierischen Mitglieder des Totem-Clans. Intichiumas der Kindertotem. Das Intichiuma ist das Fortleben einer vormenschlichen Brunstzeit. Junge Männer als Zuschauer beim Intichiuma statt der Weiber: der Beginn der Verdrängung und des homoerotischen Elements im Intichiuma. Die Brunstzeit ist auch die Kampfzeit: der Kampf zwischen jungen und alten Männchen muß in der Brunstzeit stattgefunden haben. Das Essen des Totems als Vermehrungsritus ist ein Symbol dieser Rebellion, aber auch ein Symbol des Vertrages zwischen alten und jungen Männchen. Verbindung zwischen dem Ursprung der Verdrängung und dem Verschwinden der Brunstzeiten. Verdrängung ursprünglich gegen den Ödipuskomplex gerichtet. Versuch, die Entwicklungsphase zu bestimmen, die sich im Intichiuma darstellt. Fortsetzung der Analyse der Zeugungsriten: Das Schlagen des Felsens des Alcheringaheros, eine symbolische Wiederholung des Vatermordes. Unbewußter Zusammenhang zwischen Vatermord und Zeugung: da jeder Geschlechtsverkehr mit der Mutter geschieht, kann er nicht vollzogen werden, ohne zuerst den Vater zu töten. In Stücke reißen und Vermehrung: Parallelzüge bei Initiationsriten. Das Ego und die Libido leisten beide ihren Beitrag zur Entwicklung der Intichiumariten.

Dr. Ernst Simmel (Berlin), Zur Psychoanalyse des Spielers.
Die Behandlung eines jungen Mannes, der infolge seiner Spielleidenschaft völlig zu verwahrlosen drohte, und sich bereits zahlreiche strafwürdige Delikte hatte zu Schulden kommen lassen, eröffnete neben der erfolgten Heilung einen charakteristischen Einblick in die Genese und die unbewußte Struktur der Spielleidenschaft selbst.
Sie dient der Entfaltung bzw. der Ersatzbildung der im Unbewußten noch exzessiv wirksamen prägenital anal-sadistischen Libido.
Dabei erweist sich das Vermögen, das im Spiel erworben und verloren wird, als mehrfach überdeterminiert.
Die unersättliche Gier, die im endlosen circulus vitiosus nicht ruht, bis Verlust Gewinn und Gewinn wieder Verlust wird, entspringt dem narzißtischen Drang in analer Geburtsphantasie, sich selbst zu befruchten, den eigenen Kot, Geld – zu verschlingen, und sich aus sich heraus zu gebären, in unermeßlicher Steigerung, Vater und Mutter ersetzend und überflügelnd. – Die Spielleidenschaft befriedigt also letzten Grundes den Hang nach dem bisexuellen Ideal, das der Narziß in sich selbst findet; es gilt der Kompromißbildung aus Mann und Frau – aktiv und passiv – Sadismus und Masochismus – und schließlich der unerledigten Entscheidung zwischen genitaler und analer Libido, um die der Spieler in den bekannten Symbolfarben „rouge et noir“ ringt. Die Spielleidenschaft dient so autoerotischer Befriedigung, wobei das Spielen Vorlust, das Gewinnen Orgasmus, das Verlieren Ejakulation, Defäkation und Kastration ist.
An einem kurzen überblick über die historische Entwicklung des Glücksspieles wird gezeigt, daß in der individuellen Entwicklung des Hasardeurs gleichsam ontogenetisch die phylogenetische Ausbildung des Glücksspieles wiederholt wird, das heißt, daß auch das Glücksspiel auf dem Entwicklungsweg der Menschheit ein Reservoir für die im Stadium der Verdrängung erhaltenen analsadistischen Triebe ist.
Zum Schlusse wird ein kurzer Rückblick über die Psychogenese der Kriminalität des Patienten gegeben; und, ausgehend von dem bekannten Defäkationsdrang des Verbrechers am Orte seiner Tat, hingewiesen auf das hier in gleichsinniger Weise wirksame anal-sadistische Triebleben, wobei der vom Vater verschmähte und geschmähte Narziß zum Herostrat wird. Maßgebend für den Hang zum Kriminellen ist dann nicht mehr der Ödipuskomplex des Täters, sondern der Laioskomplex des rächenden-strafenden Vaters und seiner Imagines, z. B. des Staatsanwaltes.

Prof. Sigm. Freud (Wien), Ergänzungen zur Traumlehre.
Der Vortragende beschäftigte sich in seinen kurzen Ausführungen mit drei Punkten der Traumlehre. Die ersten zwei betrafen den Satz, daß der Traum eine Wunscherfüllung sei, und brachten notwendige Modifikationen desselben; der dritte Punkt bezog sich auf eine volle Bestätigung seiner Ablehnung der sogenannten prospektiven Tendenz des Traumes. Der Vortragende führte aus, daß man Grund habe, neben den bekannten Wunschträumen, und den Angstträumen, die sich der Theorie leicht fügen, eine dritte Kategorie anzuerkennen, die er „Strafträume“ nennt. Nimmt man Rücksicht auf die berechtigte Annahme einer besonderen selbstbeobachtenden kritischen Instanz im Ich (Ichideal, Zensor, Gewissen), so sind auch diese Strafträume der Wunscherfüllungstheorie zu subsummieren, denn sie stellen die Wunscherfüllung dieser kritischen Instanz dar. Sie haben etwa dasselbe Verhältnis zu den glatten Wunschträumen, wie die aus Reaktionsbildung hervorgegangenen Symptome der Zwangsneurose zu hysterischen Symptomen. Eine ernsthaftere Ausnahme von der Regel, daß der Traum eine Wunscherfüllung sei, erblickt Redner in den sogenannten „traumatischen“ Träumen, wie sie bei Unfallskranken vorkommen, aber auch in den Psychoanalysen Neurotischer die vergessenen psychischen Kindheitstraumen wiederbringen. In betreff ihrer Vereinigung mit der Wunscherfüllungstheorie verwies er auf eine bald zu veröffentlichende Arbeit des Namens „Jenseits des Lustprinzips“. Den dritten Punkt seiner Mitteilungen bildete die Erwähnung einer noch ungedruckten Untersuchung des Dr. Varendonck aus Gent, dem es gelungen ist, das unbewußte Phantasieren in Zuständen von Halbschlaf („autistisches Denken“ von diesem Forscher genannt), in großem Umfang seiner bewußten Beobachtung zuzuführen. Es stellte sich dabei heraus, daß das Vorsehen der Möglichkeiten des nächsten Tages, die Vorbereitung von Lösungs- und Anpassungsversuchen u. dgl. durchaus in den Bereich dieser vorbewußten Tätigkeit fällt, welche auch die latenten Traumgedanken schafft, und, wie der Vortragende immer behauptete, nichts mit der Traumarbeit zu tun hat.

Dr. S. Ferenczi (Budapest), Weiterer Ausbau der aktiven Technik in der Psychoanalyse.
„Aktive Technik“ ist nur ein neuer Name für etwas, was in der Psychoanalyse stets angewendet wurde. Die kathartische Therapie war ausgesprochen aktiv; die Freudsche Psychoanalyse verlangt vom Arzt und dem Patienten vor allem ein passives Sich-Überlassen der freien Assoziation. Doch schon die Deutung ist ein aktives Eingreifen seitens des Arztes. Die einzige Aktivität, die man bisher vom Patienten verlangte, war: die Überwindung der Widerstände gegen die Einfälle. Eine andere Art Aktivität wurde in gewissen Fällen von hy. Phobien angewendet. Die Patienten wurden veranlaßt, die angstauslösende und phobisch gemiedene Situation aufzusuchen, was eine Förderung der Analyse (der Reminiszenzen etc.) zur Folge hatte. Nach Freud ist Hauptregel der Aktivität, daß die Kur in der Versagung durchgeführt werden muß. Referent wendete in mehreren Fällen die Aktivität in Form von Geboten und Verboten, immer gegen die Lustrichtung an. Er veranlaßte die Patienten, unlustvolle Situationen aufzusuchen; wurden ihnen diese Situationen endlich lustvoll, wurden sie untersagt. Die therapeutische (Erinnerungsmaterial fördernde) Wirkung war auffällig.
Die Indikationsstellung der aktiven Technik wird auf gewisse Ausnahmsfälle resp. auf Stockungen in der Analyse eingeschränkt und die Anwendungsart bei den einzelnen Neurosen, bei Charakteranalysen, am Ende der psychoanalytischen Kuren usw. einzeln besprochen. Schließlich macht Referent auf die Unterschiede dieser Aktivität von therapeutischen Maßnahmen anderer (Jung, Adler, Bjerre) aufmerksam und versucht, die theoretischen Grundlagen dieser Technik zu konstruieren.

Eugenia Sokolnicka (Warschau), Zur Diagnostik und Symptomatologie der psychoanalytischen Neurosenlehre.
Vergleich der voranalytischen und analytischen Diagnostik und Symptomatologie.
Referat über einen Fall, der einen solchen Vergleich besonders gerechtfertigt erscheinen läßt. Die Bedeutung der richtigen Diagnosenstellung für die Therapie der funktionellen Neurosen. Kurzer Überblick über die Art, wie vor der Psychoanalyse die Diagnostik und Symptomatologie getrieben wurden. Als Beispiel: Hysterie, die sogenannte Neurasthenie. Die früheren Neurosenlehren. Uniformität der angewandten Heilmittel. Kritik der Begriffe, auf denen die frühere funktionelle Neurosenlehre begründet wurde. Mangel an präzisen psychologischen Begriffen.
Freudsche Trieblehre. Schaffung einer neuen Psychologie, die nicht auf den künstlichen Laboratoriumanalysen beruht, sondern die elementaren Seelenphänomene an ihrer Arbeit in der Wirklichkeit erforscht. Schaffung neuer Begriffe, auf denen die neue Diagnostik und Symptomatologie gegründet werden kann. Verlegen des Hauptgewichtes auf die Ergründung der Ontogenese anstatt wie früher auf die Phylogenese (Erblichkeit). Schaffung der objektiv psychologischen Untersuchungsmethoden für die funktionellen Neurosen an Stelle der früheren scheinexakten physikalischen. Demzufolge ist die kleinliche Beschreibung einzelner Symptome ersetzt durch eine äußerst feine Nuancierung der Diagnosenstellung und Symptomatologie, die den Blick in die Struktur der Psyche des Kranken ermöglicht.
Drei Beispiele, die die Schwierigkeiten einer sofortigen richtigen und vollständigen Diagnosenstellung in vielen Fällen veranschaulichen, und in derselben Zeit die Lösung dieser Schwierigkeiten durch die Psychoanalyse. Grenzfälle mit den im früheren Sinne nicht ausgebildeten Symptomen, die durch Psychoanalyse geklärt und als heilungsfähig erkannt wurden. Beispiel.
Eine Analyse ist vom Anfang bis zum Ende die fortschreitende Entdeckung und Deutung der Symptome. Beispiel. Der neue Begriff des Wortes „Symptom“. Charakter als Symptom. Ein Beispiel, das als Beitrag zur Frage der Rolle der Ichtriebe in der Symptombildung dienen kann. Allgemeine Schlüsse aus dem Material. Theoretischer und praktischer Wert der durch die
Analyse ermöglichten neuen Anschauungen über Symptomatologie und Diagnostik.

Dr. Georg Groddeck (Baden-Baden), Über die psychoanalytische Behandlung organischer Krankheiten.
Vortragender sucht nachzuweisen, daß Zensurfaktoren existieren, die, um Verdrängtes dem Bewußten fernzuhalten, organische Leiden entstehen lassen. Man fordere Gesunde oder Kranke auf, sich die Gegenstände ihres Schreibtisches anzusehen, die Augen zu schließen und die Objekte zu nennen; es wird dann dieses oder jenes ausgelassen, und zwar Dinge, die mit dem Verdrängten zusammenhängen. Ist das Verdrängte zu mächtig, so wird die Zensur verschärft, der Organismus macht das Auge kurzsichtig und schränkt eventuell das Sehvermögen durch Netzhautblutungen ein. Der Vorgang ist derselbe auf visuellem Gebiete, wie die Bildung der Antitoxine durch den Organismus bei Intoxikation oder des Fiebers und der Eiterung bei Infektion. Wird das Verdrängte zum Vorschein gebracht oder seines affektiven Gehalts entledigt, so werden die Netzhautblutungen unnötig und können aufgegeben werden. Sie können; sie müssen nicht. Dasselbe gilt für alle Lebensgebiete des Organismus. Referent gibt dafür Beispiele.

L. Binswanger (Kreuzlingen), Psychoanalyse und klinische Psychiatrie.
Versuch, die beiden Forschungsrichtungen einander in ihren Grundbegriffen gegenüberzustellen. Dies geschieht zunächst an Hand der einzelnen Krankheitsbegriffe der Psychiatrie mit besonderer Berücksichtigung der neuesten Ansichten auf dem Gebiete der Charakterologie (Kretschmer), so daß an Hand der drei begrifflichen Schichten, welche das System der Psychoanalyse ausmachen, nämlich der rein psychologischen oder Persönlichkeitsforschung, der dynamisch-quantitativen und der biologisch-teleologischen Betrachtungsweise. Hierauf wird auf die Unterschiede eingegangen, welche zwischen Psychoanalyse und Psychiatrie hinsichtlich des Krankheits- und Gesundheitsbegriffes überhaupt, hinsichtlich des Begriffes der Heilung und hinsichtlich der Diagnostik herrschen. Zum Schlusse wird die psychoanalytische Forschungsrichtung als e in das seelische und organische Geschehen zu einem einheitlichen Leistungszusammenhang gestaltendes System der Psychiatrie als einem
durch ihre praktische Aufgabe verbundenen Konglomerat gegenübergestellt.

Dr. A. Stärcke (Den Dolder), Die Beziehungen zwischen Neurosen und Psychosen.
Zusammenfassung. Beide Kategorien erwachsen auf dem Boden der relativen Libidostauung, der infantilen Fixierungen und der Ambivalenz, wie Prof. Freud es für die Neurosen dargestellt hat.
Der Unterschied zwischen den beiden Gruppen ist ein quantitativer. Die Grenze ist von der Entwicklungs- oder Regressionsstufe der gesellschaftlichen Kultur abhängig.
Das Kriterium von dem Laienbegriffe der Geisteskrankheit liegt in der Überentwicklung der geisteskranken Gebärde (einschließlich der Sprache), welche die normale Verdrängung erschüttert. Bei beiden Gruppen kann die Regression von Libido und Ich-Trieben bis zu den untersten Stufen gehen. Die Regression betrifft bei den Neurosen im allgemeinen geringere Quanta. Die Rekonstruktion ist bei den Neurosen ein Kompromiß; ihr Ergebnis steht im allgemeinen bei den Psychosen auf einer niedrigeren Stufe, sowohl der Libido, wie der Ich-Triebe.
Die Zwangsneurose nimmt zwischen Psychosen und Neurosen eine Mittelstellung ein.
Die Regression der Ich-Triebe geht derjenigen der Libido parallel.
Nicht die narzißtische Regression an sich, sondern die Fixierung der unteren Stufen, determiniert die konstitutive Veranlagung für Psychosen. Diese Fixierung geht oft mit irgend einer libidinösen Befriedigung der unteren Stufen zusammen.
Die Unterschiede zwischen den Symptombildern sind, außer durch die Regressionstiefe, noch durch die Verteilung der Libido über die Körperteile bedingt. Der psychotische Durchbruch der Zensur wird durch abnorm starke Denklust bedingt.
Bei den Psychosen spielt organische Libidovermehrung eine größere Rolle. Organische Libidoverarmung ist auch für die schizophrene Pseudodemenz verantwortlich. Die vier Freudschen Typen der neurotischen Erkrankung kommen auch bei den Psychosen vor. Daneben schließen Psychosen sich oft an infantile Wunscherfüllungen an (z. B. Tod eines Verwandten, ermöglichte perverse Betätigung), die oft von der Gesellschaft aufgenötigt sind.
Dem Freudismus gehört ein leitender Einfluß bei der Rekonstruktion der Gesellschaft.

O. Pfister (Zürich), Die Bedeutung der Psychoanalyse für die Staats- und Gesellschaftslehre.
Der Vortragende zeigt, wie die herrschende Völkerpsychologie, seitdem sie den Totemismus als Ausgangsort der Staatsbildung anerkennt, vor ein mit ihren Mitteln unlösbares Rätsel gedrängt wurde, während Freud durch seine Studien am lebenden Menschen in die Lage kam, die verschiedenen Züge des Totemismus, namentlich die ambivalente Behandlung des Totems als Angstobjekt und als Schutzgeist, das Tötungsverbot und sakrale Mahl, den Zusammenhang mit der Exogamie von einem Punkte aus zu verstehen. Die Wahl von Pflanzen als Totem wird illustriert durch Aversionen gegen den Genuß vegetabiler Speisen, durch eine Phobie gegen das Pflücken von Blumen und durch Zeichnungen eines 14jährigen Knaben, der unbewußt seine Sexualwünsche in Zeichnungen von Pflanzen ausdrückte.
Unbewußte Wurzeln der Staatsformen zeigt der Vortragende an den Tagträumen zweier Brüder, von denen der eine sich dem Vater angleicht und Monarchist wird, während der andere die Mutter nachahmt und die Republik vorzieht. Der Vaterkomplex Bismarcks und Bebels wirkt in Monarchismus und Staatssozialismus nach, aber auch der Anarchist blieb am Vater hängen. Der Irländer haßt oft in England den Vater, wie er in Irland die Mutter liebt. Die Trennung von Kirche und Staat wurde bei einem Patienten Ernst Schneiders zum Angelpunkt des Denkens, seit die Ehescheidung der Eltern brennend wurde.
Nur angedeutet wird die Wichtigkeit der Tiefenpsychologie für das normale Staatsleben, für Krieg und Revolution.
Im zweiten Teil befaßt sich der Referent mit dem Gesellschaftsleben und greift die Psychologie des Kapitalismus heraus. Max Weber findet die Quelle des Kapitalismus hauptsächlich im Berufsgedanken Calvins, erklärt aber nicht, wie diese Lehre sich im Widerspruch zum neuen Testament und seinem Verbot des Reichtums durchsetzen konnte, und wie auch Calvins Forderung, das Geld in den Dienst Gottes zu stellen, verlassen wurde. Aus Analysen lebender Menschen wird nachgewiesen, daß der Geist des Kapitalismus überall, auch im Calvinismus, Verdrängung der Liebe zur Voraussetzung hat. Dabei lassen sich Ödipuseinstellung gegen den Vater, Narzißmus, Analerotismus, Kastrationsreaktionen oder sadistischmasochistische Regungen bei pathologisch kapitalistischer Gesinnung analytisch aufdecken. Die Folgen für Religion, Ethik und Gesellschaft entsprechen dem zwangsneurotischen Prozeß. Der religionslose Kapitalismus, nicht selten als Desublimierung zu verstehen, trägt in sich die Keime des Kampfes aller gegen alle, wie der politische Imperialismus.
So wiederholt sich im Gesellschaftsleben infolge der Mißachtung des Liebesgebotes die Tragödie des Peer Gynt, und der Fluch des Nibelungen geht in Erfüllung.

Dr. Sabina Spielrein (Lausanne), Zur Frage der Entstehung und Entwicklung der Lautsprache.
Referentin unterscheidet autistische Sprachen, welche es nicht auf Mitteilung und Verständnis seitens der Mitmenschen absehen, und „soziale Sprachen“. Die autistischen Sprachen seien die primären. Zu den ihrem Wesen nach sozialen Sprachen rechnet Verfasserin Gesang und Wortsprache, also die Lautsprachen. Ebenso gäbe es dem Wesen nach „soziale“ oder „gesellige“ Künste, wie Musik und Poesie, was die hohe Popularität dieser Künste erkläre. Daraufhin werden Entstehungstheorien der Lautsprachen analysiert. Speziell berücksichtigt Referentin die Frage, ob das Kind die Sprache selbst erfindet und worauf die kindlichen „Wortumgestaltungen“ zurückzuführen sind. Es werden die Entstehungsmechanismen der, wie man annimmt, ersten Worte, Mama und Papa, untersucht, die Referentin, auf andere und eigene Beobachtungen gestützt, vom Saugakte ableitet. Diese Worte seien die Träger der Lust, welche das Kind beim Saugakte empfindet, und ihnen käme die ungeheure Bedeutung der ersten Wunscherfüllung in der Phantasie zu, weil hier der Wunsch, auf ein außenstehendes Objekt gerichtet, nicht nach Belieben befriedigt werden kann. Infolge der zuerst beim Saugakte durch ein anderes lebendes Wesen vermittelten Lustempfindung, erhielte das Kind den Sinn für ein außenstehendes lustbringendes Objekt, nach welchem man sich sehne und welches man durch Rufen des vom Saugakte abgeleiteten Wunschwortes herbeiführen könne. Auf diese Art entstünden die ersten Bildungen der sozialen Wortsprache, welche zugleich Zeichen der Vermittlung zwischen Ich und Außenwelt seien, also auch Ausdruckszeichen der keimenden Heteroerotik.
Referentin geht dann auf die Beziehungen der Wortbildung und des Gedächtnisses zum kindlichen Gefühlsleben ein und zeigt zum Schlusse an Beispielen, daß die kindlichen Wort- resp. Satzgestaltungen oder -umgestaltungen unter anderem aus der Anpassung an die neue psychologische Entwicklungsphase, Assimilierung an das Alte und Ausfall, welcher der unterbewußten Verarbeitung entspricht, erklärt werden können.

Dr. Margarete Stegmann (Dresden), Form und Inhalt in der Psychoanalyse.
Inhalt sind die Komplexe, die Stofflichkeit der Erlebnisse, das Was der Neurose.
Unter Form wird verstanden die Art, das Wie des Erlebens, die seelische Struktur, die sich darin äußert.
Die Inhalte sind nicht nur bei allen Neurosen dieselben, sie lassen sich stets auch bei den Gesunden nachweisen. Die Form ist typisch verschieden und innerhalb der Typen individuell anders, so daß trotz der Gleichartigkeit der Inhalte jeder zu analysierende Fall etwas neues und einzigartiges ist.
Es ist wichtig, neben dem Inhalt auch der Form, dem seelischen Tätigkeitsprinzip des Patienten volle Aufmerksamkeit zu schenken.
Mustergültig finden diese beiden Teile des Gegenstandes der Analyse Berücksichtigung bei Freud, der nicht nur der Vater, sondern auch der Klassiker der Analyse ist. Ist für die wissenschaftliche Forschung, für Weiterausbau der Systematik der Lehren Freuds die Beobachtung der Inhalte, die Gruppierung nach Komplexen wichtig und notwendig, so hat die Referentin für die therapeutische Praxis eine Mehrberücksichtigung des individuellen Formgesetzes sehr fruchtbar gefunden. Zur Erläuterung werden einige Beispiele aus Analysen angeführt. Sie ist sich bewußt, auch damit nichts grundsätzlich neues zu geben; es ist nur eine andere Form der aktiven Analyse, wie sie z. B. Ferenczi betreibt.
Die Aufdeckung der Inhalte bezweckt, durch das Heraufholen der Komplexe aus dem Unbewußten, der Sphäre des Gefühls, des Irrationalen, diese der Einwirkung der Vernunft, der Einsicht, zugänglich zu machen. Die Instanz dieser ist das Bewußtsein.
Die Erkennung und Bewußtmachung des Formgesetzes hebt die Kräfte (Triebe) von der niederen Stufe ihrer Objektivation auf die höhere der bewußten Formung. Die Analyse muß den Patienten aus der stofflichen Gebundenheit zu einer Geistigkeit erlösen, in der die Inhalte, das Materielle, nicht verneint und vergewaltigt (unterdrückt) ist, sondern zur Organisierung geführt wurde.

Dr. Hermine Hug-Hellmuth (Wien), Zur Technik der Kinderanalyse.
Die Eigenartigkeit der kindlichen Seele und ihr Verhältnis zur Umwelt bedingen eine besondere Technik ihrer Analyse. Eine solche ist überhaupt erst bei Kindern über sechs bis sieben Jahren durchführbar; bei jüngeren kann nur eine psychoanalytische Erziehung eingreifen.
Es empfiehlt sich, Kinder und Jugendliche in ihrem Heim, dem gewohnten Milieu, zu behandeln, sowie vom Liegen abzusehen, da für das Kind „Liegen“ mit Überwältigungs- und Verführungsphantasien verknüpft ist.
Bei Sieben- bis Achtjährigen muß oft das Spiel die Brücke zur Behandlung bilden, bei älteren erweist sich der Kunstgriff, von den Streichen anderer Kinder zu erzählen, als gute Einleitung zur Analyse. Da der Analytiker von den Eltern über die „Unarten“ des Kindes orientiert ist, braucht man nicht fürchten, den Analysanden durch solche Mitteilungen zu „verderben“.
Die positive Übertragung vollzieht sich in der Regel schon in den allerersten Stunden und wird sofort gegen die Eltern ausgespielt. Es ist daher notwendig, die letzteren über die Bedeutung der Übertragung aufzuklären, damit ihre Elternliebe nicht allzu sehr durch den scheinbaren Abfall ihres Kindes leide. Die negative Übertragung kleidet sich in die Form steter Furcht vor Verrat seitens des Analytikers an das Elternhaus. Besonderen Takt erfordert die Erörterung sexueller Fragen; hiebei tritt neben einer starken vertrauensvollen Zuneigung des Kindes oft die aus einer übergroßen Verdrängung stammende Tendenz, den Analytiker zu erniedrigen, zu Tage.
Von der freien Assoziation läßt sich beim jugendlichen Patienten ebenso fleißig Gebrauch machen, wie auch Träume wertvolles Material aus dem Unbewußten liefern. Die Kinderanalysen führen zur Erkenntnis, daß beim Kinde eine andere Schichtung im Unbewußten, eine andere Verteilung der Systeme Bewußt und Vorbewußt statt hat als beim Erwachsenen.
Ein schwieriges Kapitel in der Analyse Jugendlicher stellt das Verhältnis des Analytikers zu den Eltern vor. Seine Hauptaufgabe ihnen gegenüber besteht darin, sie von einer aktiven Teilnahme an der Behandlung abzuhalten und sie dahin zu führen, daß ihre einzige Mithilfe in Geduld und Duldsamkeit bestehe. Die Eltern müssen zur Einsicht gelangen, daß sie an ihr seelisch erkranktes Kind ebenso wenig Forderungen im Lernen stellen dürfen wie an ein physisch leidendes.
Ich habe noch keine Kinderanalyse am Widerstande des jungen Patienten, mehr als eine aber am Elternwiderstand scheitern gesehen.

Bearbeitung: Christine Diercks, 20. 8.2010