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1922 Berlin - VII. Internationaler Psychoanalytischer Kongress

Abgehalten in

Berlin, Kurfürstenstraße 115–116
Haus des Brüdervereines.
25.–27. Sept. 1922

 

 

Gliederung:
I. Zusammenfassung
II. Quellen, Literatur, Editorisches zum Korrespondenzblatt 1910-1941 der IPV
III. Bericht über den Kongress im IZP

I. Zusammenfassung:

Dies ist der letzte IPV Kongress an dem Freud teilnahm. Sein
Vortrag „Etwas vom Unbewußten“ ist richtungsweisend und kündigt die
Strukturtheorie (2. Topik) schon an.
Analytikerinnen stellen wichtige erste Arbeiten vor: Sabina
Spielrein setzt sich mit dem Zeitproblem und dem Vorbewussten auseinander, Melanie Klein
spricht zur Frühanalyse und Karen Horney beschreibt differenziert den weiblichen Kastrationskomplex.
Die Gruppen in Moskau und Indien werden in die IPV aufgenommen.

Man
nimmt erste Ausbildungsrichtlinien in die Statuten auf.

Eitingon kann
über 2 Jahre der Berliner Poliklinik berichten und Hitschmann über die
Eröffnung eines Psychoanalytischen Ambulatoriums in Wien.

Jones wird in
seiner Funktion als IPV Präsident bestätigt, Abraham als Sekretät
der IPV gewählt.
Franz Alexander gewinnt den Preis für ärztliche Psychoanalyse mit
„Kastrationskomplex und Charakter“. Die neuerliche Ausschreibung eines
Preises zum „Verhältnis der analytischen
Technik zur analytischen Theorie“ wird 1924 keine Einsendungen zur
Folge haben,  die hier initiierte Arbeit von Rank und Ferenczi
(Entwicklungsziele der Psychoanalyse) wird Ausgangspunkt neuer
Kontroversen sein.

Programm:

Montag, den 25. September 1922.  Vormittag. Präsidium: Dr. E. Jones.

Dr. S. Ferenczi, Budapest: Versuch einer Genitaltheorie.
Dr. E. Simmel, Berlin: Psychoanalytische Betrachtungen über Krankheitsentstehung und Krankheitsverlauf.
Dozent Dr. Felix Deutsch, Wien: Über die Bildung des Konversionssymptoms.
Dr. F. Alexander, Berlin: Über den biologischen Sinn psychischer Vorgänge.
Dr. S. Radó, Budapest: Die Wege der Naturforschung im Lichte der Psychoanalyse. *
Dr. I. Hermann, Budapest: Die neue Berliner psychologische Schule und die Psychoanalyse.

Nachmittag. Präsidium: Prof. Dr. S. Freud.

Otto Rank, Wien: Perversion und Neurose.
Frau Dr. Horney, Berlin: Zur Genese des weiblichen Kastrationskomplexes.
Dr. S. Feldmann, Budapest: Über Puerperalneurosen.
Dr. J. M. Eisler, Budapest: Hysterische Erscheinungen am Uterus.
Dr. H. Nunberg, Wien: Über die Depersonalisation im Lichte der Libidotheorie.
Dr. E. Weiss, Triest: Die Psychoanalyse eines Falles von nervösem Asthma (Bronchialasthma).

Dienstag, den 26. September 1922.  Vormittag. Präsidium: Dr. S. Ferenczi.

Professor Dr. S. Freud, Wien: Etwas vom Unbewußten.
August Stärcke, Utrecht: Gottlose Urzeugung.
Dr. P. Federn, Wien: Schema der Libidoaufnahme zur Begutachtung und Indikationsstellung.
Dr. G. Róheim, Budapest: Nach dem Tode des Urvaters.
Dr. J. Varendonck, Ledeberg-Gand (Belgien): The fallacy in Silberers conception of threshold-symbols. (Über die Hinfälligkeit der Silbererschen Schwellensymbolik.
Dr. G. Groddeck, Baden-Baden: Die Flucht in die Philosophie.

Nachmittag. Geschäftssitzung.

Mittwoch, den 27. September 1922.  Vormittag. Präsidium: Dr. J. E. G. van Emden.

Dr. St. Hollós, Budapest: Traumarbeit – Psychosearbeit.
Dr. K. Abraham, Berlin: Neue Untersuchungen zur Psychologie der manisch-depressiven Zustände.
Dr. A. Kielholz, Königsfelden (Aargau, Schweiz): Zur Genese und Dynamik des Erfinderwahns.
Melanie Klein, Berlin: Zur Frühanalyse. (Über Entwicklung und Hemmung von Begabungen.)
Dr. F. J. Farnell, Providence, R. I. (Amerika): The influence of the psycho-analytic movement on American Psychiatry.
Professor Dr. M. Levi-Bianchini, Nocera Inferiore (Italien): Über den heutigen Stand der Psychoanalyse in Italien.
Dr. G. Wanke, Friedrichroda: Über ambulatorische oder Anstalts-(Sanatoriums-) Behandlung in der Psychoanalyse.

Nachmittag. Präsidium: Dr. E. Oberholzer.

Dr. E. Jones, London: Psycho-Analysis of the Holy Ghost. (Zur Psychoanalyse des Heiligen Geistes).
Dr. von Hattingberg, München: Zur Analyse der psychoanalytischen Situation.
Dr. J. Piaget, Neuchâtel: La pensée symbolique où imagée et la pensée de l’enfant.
Frau Dr. S. Spielrein, Genf: Psychologisches zum Zeitproblem.
Dr. A. van der Chijs, Amsterdam: Versuch zur Anwendung der objektiven Psychoanalyse auf die musikalischen Kompositionen.
Dr. S. Pfeifer, Budapest: Musikpsychologische Probleme.

 

Die Teilnehmerzahl betrug 256, 
davon 112 Mitglieder der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung

Amerika 11,
Belgien 3,
Berlin 91,
Deutschland 29,
England 31,
Holland 9,
Indien 2,
Italien 4,
Japan 1,
Paris 1,
Riga 2,
Schweiz 20,
Tschecho-Slowakei 1,
Ukraine 1,
Ungarn 22,
Wien 28.

Dr. Honorio F. Delgado (Lima) wurde von der peruanischen
Regierung als offizieller Vertreter entsandt, traf aber infolge
Schiffsverspätung nicht rechtzeitig ein.’

II. Quellen, Literatur, Editorisches zum Korrespondenzblatt der IPV 1910-1941

Siehe dazu die Literaturhinweise bei den edittorischen Hinweisen zum Korrespondenzblatt und zu dessen psyalpha-Bearbeitung

unter: IPV-Korrespondenzblatt 1910-1941: Editorische Anmerkungen, Quellen, Literatur

 

III. Bericht über den Kongress im IZP

IZP / VI / 1920 / 387-391 (Aus dem Bericht über den VI. IPV Kongress in Den Haag 1920):
Präsident Dr. Ferenczi bringt hierauf die Frage des nächsten Kongresses zur Sprache mit dem Bemerken, daß bereits zwei Einladungen, und zwar eine nach Berlin von Dr. Abraham unterbreitete, und eine nach der Schweiz von Dr. Pfister überbrachte, vorliegen.
Nachdem Jones in längerer Rede die nach verschiedenen Richtungen zu begründende Priorität Berlins hervorgehoben hat, zieht Pfister die Einladung zurück, worauf noch Prof. Freud (Wien), Stern (New York) und Stoddart (London) für Berlin eintreten, das einstimmig als nächster Kongreßort gewählt wird. Liebermann (Berlin) dankt als Sekretär namens seiner Ortsgruppe. Die vom Vorsitzenden hierauf angeschnittene Frage des Zeitpunktes für den nächsten Kongreß möchte Prof. Freud jetzt noch nicht entscheiden. Abraham stimmt ihm zu, hält es aber für wissenswert, die Stimmung des Kongresses darüber einzuholen. Die Abstimmung hierüber ergibt eine große Mehrheit für die Abhaltung des Kongresses möglichst schon im kommenden Jahr.
Rank (Wien) fordert zur Organisierung des Referatenwesens in allen Ortsgruppen nachdrücklich auf.
Jones schlägt vor, eigene Referatensekretäre für diesen Zweck in den einzelnen Gruppen zu bestimmen, wie dies bereits Wien in Dr. Hitschmann und New York in Dr. Stern, dem Corresponding Secretary der New Yorker Gruppe, besitzen.

IZP, VIII, 1922, 238: Kongreßdatum.

Als Datum für den VII. Internationalen Psychoanalytischen Kongreß in Berlin wurde an Stelle des seinerzeit angekündigten 22. September der 25. September bestimmt. Der Kongreß wird drei Tage dauern. Die Geschäftsordnung betreffende Mitteilungen (Vorträge usw.) sind an den Sekretär J. C. Flügel, 11 Albert Road, London N W 1, solche den Aufenthalt in Berlin betreffende (Unterkunft usw.) an Herrn Dr. Max Eitingon, Berlin W, Rauchstraße 4, zu richten.

Ernest Jones, Präsident.

J. C. Flügel, Sekretär.

IZP, VIII,1922, 478-505

Bericht über den VII. Internationalen Psychoanalytischen Kongreß in Berlin (25.–27. Sept. 1922).

 

Das Arbeitsprogramm des diesjährigen Kongresses, der unter dem Vorsitz von Dr. Ernest Jones, London, Ende September in Berlin stattfand, war auf drei reichlich ausgefüllte Tage verteilt. Bereits am Vorabend, dem 24. September, wurden die Teilnehmer des Kongresses durch die Berliner Psychoanalytische Vereinigung im Kongreßlokal (Kurfürstenstraße 115–116: Haus des Brüdervereines) inoffiziell empfangen und herzlich begrüßt.

(FN 1: Die Teilnehmerzahl betrug 256 – davon 112 Mitglieder der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung –, welche sich auf die einzelnen Länder (Städte) wie folgt verteilen: Amerika 11, Belgien 3, Berlin 91, Deutschland 29, England 31, Holland 9, Indien 2, Italien 4, Japan 1, Paris 1, Riga 2, Schweiz 20, Tschecho-Slowakei 1, Ukraine 1, Ungarn 22, Wien 28. – Von der peruanischen Regierung wurde Dr. Honorio F. Delgado (Lima) als offizieller Vertreter zum Kongreß entsandt, traf aber infolge Schiffsverspätung nicht rechtzeitig ein.’)

Am nächsten Tage eröffnete Präsident Dr. Jones die wissenschaftliche Arbeit mit einer kurzen Ansprache und ging dann in die bei der Fülle des Materials mit anerkennenswerter Umsicht angeordnete Vortragsordnung ein, die wir hier folgen lassen, wobei wir die Autoreferate der Vortragenden – soweit sie eingelaufen sind – gleich einschalten:

(FN 2: Die mit Stern (*) versehenen Arbeiten sind zur Veröffentlichung in extenso bei der Redaktion bereits eingelangt.)

 

Vortragsordnung:

Montag, den 25. September 1922. Vormittag. Präsidium: Dr. E. Jones.

IZP, VIII,1922, 478-479
Dr. S. Ferenczi, Budapest: Versuch einer Genitaltheorie.

Psychoanalytische Beobachtungen bei der genitalen Impotenz des Mannes gestatten eine gewisse Einsicht in die normalerweise verstärkten Komponenten der Begattungsfunktion. Verfasser unterscheidet neben der von Abraham isolierten „urethralen“ Form der Funktionsstörung (Ejac. praecox) eine „anale“ Impotenz mit vorwiegend retardierenden Tendenzen (ejac. retardata, aspermie). Diese zwei Innervationsstörungen (die immer auch von entsprechendem psychischen Überbau begleitet sind), kommen aber oft auch nebeneinander oder abwechselnd zum Vorschein. Besonders diese letztere Abart führte Verfasser zur Hypothese, daß auch der normale Ejakulationsvorgang als der Endprozeß eines feinen, daher unkenntlichen Ineinandergreifens urethraler (die Ausscheidung befördernder) und analer (die Ausscheidung hemmender) Innervationen aufzufassen ist. Ähnliche alternierend anale und urethrale Tendenzen könnten aber auch dem Hin und Her des Friktionsvorganges zugrunde gelegt werden (Immission = urethral, Retraktion = anal). Die pathologischen Veränderungen der Ejakulation wären demnach die Folgen der Störung dieses feinen Ineinandergreifens durch massiges, gleichsam ataktisches Eingreifen der hemmenden oder der fördernden Innervation. Analogie mit dem Vokal- und dem Konsonanten-Stottern und Beschreibung der Impotenz als „Genitalstottern“. Eignung des Penis zur Vereinigung analer und urethraler Triebbetätigungen infolge embryologischer Herkunft dieses Organs aus der urethro-analen Kloake. Verfasser nennt eine solche Verquickung urethraler und analer Autoerotismen eine Amphimixis und vermutet, daß der von der Freudschen Sexualtheorie geforderte Aufbau der Genitalität aus ursprünglich gesonderten Erotismen auf solche amphimiktische Prozesse zurückzuführen ist. Diese Amphimixis zwische Urethral- und Analerotik scheint schon vor dem Primat der Genitalzone zustandezukommen. Die anfänglich vorwiegend retardierende Triebrichtung der Darmfunktion und die vorwiegend ejakulierende der Blase, gleichen sich im Laufe der „Kulturentwicklung“ des Kindes aus, indem ein teilweiser Austausch der Innervationsmechanismen zwischen Blase und Darm stattfindet. (Verlegung von Analqualität auf die Blase und von Urethralqualität auf den Darm.) Metapsychologische und physiologische Möglichkeit solcher „Verschiebung von Qualitäten“. (Im Gegensatz zur bisher ausschließlich angenommenen Verlegung von Quantitäten im psychophysiologischen Mechanismus.) Die Entwicklung des Primats der Genitalzone findet also bereits eine fertige urethro-anale Amphimixis vor. Andere Beispiele amphimiktischer Verschmelzung von Erotismen („Summation der Genüsse“): die Kombinierung von oralen, nasalen, analen, von Hauterotismen, Voyeurtum, Sadismus, Masochismus usw. untereinander. Kinderbeobachtungen. Beispiele für die „Verlegung von erotischen Qualitäten“ (Verlegung der Klitoriserotik auf die Vagina, der Erektilität auf Nasenmuscheln und auf die Brustwarzen usw.) Die Amphimixis ist wahrscheinlich auch das physiologische Vorbild für die psychische Tatsache der verschiedenen Synästhesien. Beschreibung des ganzen Genitalaktes als amphimiktischer Vorgang. Kurze Wiederholung der Sexualentwicklungsreihe bei jedem einzelnen Begattungsakte. Das Genitale als Sammelreservoir aller Autoerotismen entlastet den übrigen Organismus von Libido und macht ihn zu nützlichen Leistungen geeigneter (Steigerung der Anpassungsfähigkeit ontound phylogenetisch). Die Entwicklung besonderer Begattungsorgane bei höheren Tieren vielleicht eine Vorbedingung höherer Intelligenzstufe. „Identifizierungsprozesse“ bei der Begattung: 1. Durch die „Brückenbildungen“ (Küssen, Umarmen, Immissio penis) identifizieren (introjizieren) sich die sich Begattenden gegenseitig; 2. Identifizierung des Penis mit dem ganzen Körper (dem ganzen „Ich“) des Mannes; 3. Identifizierung des Penis mit dem Ejakulat. Das Resultat dieser Prozesse ist eine halluzinatorische, symbolische und reale Regression in die Mutterleibsituation (real nur von den männlichen Geschlechtszellen erreicht). Begattung ein gelungener Kompromiß zwischen der Ich- und dieser Regressionsstrebung; vom Standpunkte des Ich ist die Begattung nur Befreiung von lästiger Spannung und Ausscheidung spannender Körperprodukte; vom Libidostandpunkt Regression zur intrauterinen Situation. Letztere erklärt biologisch die Allgemeingültigkeit des Ödipuswunsches. Zusammenhang der Entwicklung der Begattungsfunktion mit der letzten großen geologischen Katastrophe: Der Eintrocknung der Meere. Diese Katastrophe wiederholt sich autogenetisch bei jeder Geburt und die  Begattung macht sie halluzinatorisch, symbolisch und zum Teil auch realrückgängig.

IZP. VIII, 1922, 480
Dr. E. Simmel, Berlin: Psychoanalytische Betrachtungen über Krankheitsentstehung und Krankheitsverlauf.

Einblicke in die stufenweise prägenitale Entwicklung der Ichlibido – gewonnen aus kasuistischen Erfahrungen – im Vergleich mit klinischen Beobachtungen berechtigen zu der auch schon von anderer Seite ausgesprochenen Anschauung von der Identität des physio- wie psychopathologischen Geschehens. Jede Krankheit, nicht nur die Neurose, ist eine soziale Störung. Es besteht eine gerade Verbindungslinie vom Zellindividuum in der Zellgemeinschaft „Mensch“ bis zur Individualzelle in der menschlichen Gemeinschaft.

IZP, VIII, 1922, 480
Dozent Dr. Felix Deutsch, Wien: Über die Bildung des Konversionssymptoms. *

Der Vortragende versucht darzulegen, daß der für die Erscheinung der Bildung somatischer Störungen aus verdrängten Affekten von Freud geprägte Begriff des Konversionssymptoms einer Erweiterung und Anwendung auf verschiedene Symptome bei organischen Krankheiten fähig ist.
Bevor es zum Auftreten des Konversionssymptoms kommt, bedarf es nicht nur einer bis ins kleinste gehenden Vorbereitung im Psychischen, sondern auch im Organischen. Die Veränderungen am Organ, an dem konvertiert wird, gehen häufig vollkommen
unbemerkt vor sich und sind daher der Untersuchung im Entstehungsstadium oft nur schwer oder gar nicht zugänglich, weshalb sie leicht übersehen werden. Ihre gelegentliche Aufdeckung – wie an einem Beispiel deutlich gezeigt wird – vermag den Beweis zu liefern, daß die Umbildung von Psychischem in Organisches keineswegs plötzlich vor sich geht und kein unvermittelter sprunghafter Übergang bei der Konversion erfolgt. Durch diesen Beweis wird dem Konvertierungsprozeß etwas von seiner Rätselhaftigkeit genommen. Der Versuch einer restlosen Aufklärung dieses Prozesses führt ins Metabiologische, an die Berührungspunkte von Psychischem und Physischem und ist nur dann aussichtsreich, wenn er von den einfachsten Zellvorgängen ausgeht. Die noch nicht vollkommene Kenntnis einfachster biologischer Vorgänge setzt diesem Vorhaben gewisse Schranken, die vorläufig nur durch Spekulation zu überwinden sind.

IZP, VIII, 1922, 480-481
Dr. F. Alexander, Berlin: Über den biologischen Sinn psychischer Vorgänge. *

Die beiden letzten Werke von Freud als zwei Entwicklungsrichtungen derpsychoanalytischen Forschung. Der biologische Weg (mikrosko pische Betrachtung) und der soziologische. (Makroskopische Betrachtungen. Analogien aus der Geschichte der Naturwissenschaften.) Das Ich zeigt in seinem Aufbau verschiedene Stufen. Diese entsprechen den verschiedenen Organisationsstufen der Gesellschaft. Eine biologische Perspektive über die verschiedenen Systeme: Zellstaat, Familie, Nation, übernationale Einheit. Jedem entspricht eine Stufe im Ich. Urnarzißmus, Narzißmus, Ichideal, Nationalismus, Pazifismus. Ähnlich führt eine Reihe in die unbewußte Richtung, in die Tiefen des biologischen Geschehens. Urnarzißmus, Zellnarzißmus. Das Zusammenwirken von Ödipuskomplex und Narzißmus bei der Zwangsneurose. Das unbewußte Wissen. Beruhen die konstanten Symbole, Urphantasien auf phylogenetischer Erfahrung oder auf unbewußtem Wissen? Eine afrikanische Novelle (Sammlung Leo Frobenius), die die unbewußte Kenntnis der Organisationsstufen zeigt. Endopsychische Wahrnehmung im Traum. Ein Traum über die Zensur. Die organische Erkrankung. Schlußergebnis: Es gibt eine Art unbewußten Wissens. (Körper-Erinnerungssystem von Ferenczi.) Eine erweiterte biologische Wertung des analytischen Materials.

IZP, VIII, 1922, 481
Dr. S. Radó, Budapest: Die Wege der Naturforschung im Lichte der Psychoanalyse. *

Der Vortragende bespricht die Wendung der physikalischen Forschung vom Kausalitätsprinzip zum statistischen Postulat, verweist auf die affektive Bedeutung des deterministischen Denkens und versucht dessen seelische Herkunft aufzuklären. Er zeigt, daß die kausale Naturwissenschaft durch eine seelische Revolte aus der religiösen Weltauffassung hervorging; die polyenergetische Physik ist eine Neuauflage des animistisch-polytheistischen Weltbildes, während in der Konzeption des naturwissenschaftlichen Monismus die Charaktere des Monotheismus vollinhaltlich wiederkehren (Laplacescher Geist). Den prähistorischen Ursprung der Kausalitätsidee findet er in der von Freud rekonstruierten Urhordensituation, in der realen Allmacht des Urvaters über die Söhne der Horde.
Die deterministische Wissenschaft befriedigt die archaisch-infantile Sehnsucht des Menschen nach Gedankenallmacht; die Statistik verzichtet auf die Kausalität und verlangt vom Forscher die Einschränkung seiner narzißtischen Allmachtsphantasie.
Dann verallgemeinert der Redner das Ergebnis seiner Untersuchung, indem er die materialistische Naturwissenschaft auf ihre animistischen Grundlagen zurückführt. Dabei findet er Gelegenheit, einige forschungspsychologische Probleme zu streifen, gibt eine knappe Darstellung der Erkenntnisarbeit und würdigt die Rolle der Wissenschaft für das menschliche Seelenleben. Zum Schlusse erörtert er das Verhältnis der psychoanalytischen Forschung zur deterministischen Voraussetzung. (Erscheint gleichzeitig in „Imago“, Bd. VIII/4.)

IZP, VIII, 1922, 481-482
Dr. I. Hermann, Budapest: Die neue Berliner psychologische Schule und die Psychoanalyse.

Von der neuen Berliner psychologischen Schule, vornehmlich von M. Wertheimer und W. Köhler, sind in den letzten Jahren scharf formulierte Prinzipien einer psychologischen Gestalttheorie aufgestellt worden. Diese Prinzipien gehören ihrem Inhalte nach zum Inventar der psychoanalytischen Theorien: 1. Die neue Schule bekämpft theoretisch die „Bündel“-, „Mosaik“-These der alten Psychologie; es ist aber gerade die psychoanalytische Forschungsrichtung, welche keine „Empfindungselemente“ aufsuchen will, sondern stets alles Seelische auf Triebe und Komplexe zurückzuführen bestrebt ist.
2. Die von der neuen Schule angegriffene Assoziationsthese der alten Psychologie wurde wiederum
durch die Psychoanalyse infolge ihrer Voraussetzung des verborgenen Sinnes auch manifest sinnloser Verknüpfungen umgestoßen.
3. Von der neuen Schule wird eine Theorie physikalisch-physiologischer Gestalten entwickelt mit Hilfe der Begriffe „ein System“, Topographie des Systems und mit Inanspruchnahme eines physikalischen Minimumgesetzes arbeitend: man muß hier die Vorbildlichkeit der Freudschen Metapsychologie erkennen.
Die Köhlerschen Beobachtungen an Menschenaffen bieten dem psychoanalytisch Geschulten Gelegenheit, einzelne Thesen der Freudschen Sexualtheorie und Massenpsychologie zu verifizieren, diese Beobachtungen enthalten eine Menge von Beispielen, welche die Wirksamkeit der Primärvorgänge vor die Augen führen.
Der Vortrag über die neue Berliner Schule – sie nennt sich Schule der Gestalttheoretiker – bot dem Vortragenden Gelegenheit, eine psychoanalytisch fundierte Gestalttheorie wenigstens skizzenhaft zu entwickeln. Die enge Verknüpfung von psychoanalytischer und psychologischer Gestalttheorie wird schon dadurch klargemacht, daß selbst den sexuellen Trieben das sogenannte Ehrenfelssche Gestalt-Kriterium, die Transponierbarkeit, als eine ihnen wesentliche Eigenschaft zugeschrieben werden muß.

 

Nachmittag. Präsidium: Prof. Dr. S. Freud.

IZP, VIII, 1922, 482
Otto Rank, Wien: Perversion und Neurose. *

Auf Grund der Freudschen Analyse der Phantasie „Ein Kind wird geschlagen“, welche die masochistische Einstellung auf eine bestimmte Phase der Ödipussituation und ihre Verdrängung zurückführt, wird versucht, auch die anderen sogenannten „Perversionen“ als Ausdrucksformen für bestimmte infantile Libidosituationen im Sinne des Ödipuskomplexes verständlich zu machen, wobei das Verdrängungsschicksal der Phantasie vom analen Kind den Inhalt bestimmt, während am Mechanismus das Schuldbewußtsein entscheidenden Anteil hat. (Erscheint in diesem Heft.)

IZP, VIII, 1922, 482-483
Frau Dr. Horney, Berlin: Zur Genese des weiblichen Kastrationskomplexes. *

Nachdem wir die vielgestaltigen Erscheinungsformen und die intensive Wirksamkeit des weiblichen Kastrationskomplexes für die Bildung von Charakter und Neurose kennen gelernt haben, drängt sich das Problem auf, welche Faktoren denn zusammenwirken, um diesem Komplex zu der Häufigkeit seines Vorkommens und zu der Mächtigkeit seiner Wirkung zu verhelfen.
Für beides, Häufigkeit und Wirkungsbreite des Komplexes, läßt sich aus der Betrachtung der Kindheitsentwicklung von einer Reihe solcher weiblicher Patienten, in deren Neurose der Kastrationskomplex eine überragende Rolle spielt, ein gewisses Verständnis gewinnen. Denn es zeigt sich, daß es mächtige und vor allem typische, überindividuelle Quellen sind, aus denen er entspringt, und zwar:
1. Aus der autoerotisch-narzißtischen Phase.
Ausgehend von der vielleicht häufigsten direkten Äußerungsform des ursprünglichen Penisneides, dem Wunsch des kleinen Mädchens, so zu urinieren wie ein Mann, läßt sich zeigen, daß dieser Wunsch sich aus drei Anteilen zusammensetzt, deren Bedeutsamkeit im einzelnen Fall verschieden groß ist, nämlich
a) der Anteil aus der Harnerotik selbst. Die Intensität des aus dieser Quelle stammenden Penisneides wird begreiflich, wenn man sich die narzißtische Überwertung der Exkretionsvorgänge vergegenwärtigt;
b) der Anteil aus der aktiven und passiven Schaulust. Der Knabe kann beim Urinieren sein Genitale erlaubterweise ansehen und zeigen; er kann wegen der Sichtbarkeit seines Genitals seine Sexualneugierde am eigenen Körper weitgehend befriedigen, während dem kleinen Mädchen alle diese direkten Befriedigungsmöglichkeiten versagt sind;
c) der Anteil aus dem Masturbationswunsch. Die Tatsache, daß der Knabe beim Urinieren sein Genitale anfassen darf, wird insofern als weitere Benachteiligung empfunden, als dieses Berühren dem Mädchen auf alle Fälle versagt ist: der Knabe darf gewissermaßen offiziell das Masturbationsverbot überschreiten.
So sind es also drei wichtige Triebgebiete, in denen sich das kleine Mädchen gegenüber dem Knaben offensichtlich zurückgesetzt fühlen muß; und aus der großen Bedeutung, die diese Gebiete für die kindliche Psyche selbst haben und durch spätere regressive Verstärkung für die Neurose erhalten können, erhellt, daß hinter dem Penisneid schon auf dieser Stufe eine nicht unbeträchtliche dynamische Kraft stecken muß. Ob dieser so erworbene Komplex nun mehr oder weniger glücklich überwunden oder ob er fixiert wird und eine pathogene Wirksamkeit erhält, hängt – hier wie überall – von der Gestaltung des Ödipuskomplexes ab.
2. Die Bedeutung des Ödipuskomplexes für die Genese etc.
Man kann bei den erwähnten Patientinnen häufig eine Entwicklung des Ödipuskomplexes verfolgen, die zeitlich und inhaltlich grob schematisiert, sich etwa so darstellt:
I. Phase: Das Mädchen identifiziert sich mit der Mutter und nimmt gleich ihr den Vater zum Liebesobjekt. Auf dieser Stufe hat sie auf Grund der Mutteridentifizierung die bekannten zwei Möglichkeiten, den Penisneid zu überwinden, indem sich der narzisstische Wunsch nach dem Glied umsetzen kann in das weibliche Verlangen nach dem Mann (= Vater) und in das mütterliche nach dem Kind (vom Vater).
Kommt es durch die reale Versagung – der schwerstwiegende oder jedenfalls durchsichtigste Fall ist eine Schwangerschaft der Mutter – zu einer Enttäuschung in dieser Liebesbeziehung, so kann in einer II. Phase der Vater als Liebesobjekt aufgegeben werden und die Objektliebe regressiv durch eine Identifizierung ersetzt werden (s. Freud: Trauer-Melancholie, sowie: Über einen Fall von weiblicher Homosexualität). Dieser Vorgang, selbst in größerem Umfang vielleicht erst ermöglicht durch einen stärker entwickelten Penisneidkomplex, führt nun seinerseits notwendig eine mächtige Reaktivierung und Verstärkung dieses Komplexes herbei.
An dieser Stelle setzen nun auch die Grübeleien über das Warum des Penismangels, respektive -Verbleibes ein: der Kastrationskomplex sensu str. Diese Grübeleien pflegen nun in ihrer einen Hauptlinie unter dem Druck der Schuldgefühle auf das in der I. Phase „Erlebte“: die Vergewaltigung = Kastration durch den Vater hinzuführen.
Dieser Umstand, daß solcherart ein wichtiges Stück verdrängter Weiblichkeit aufs innigste mit dem Kastrationskomplex verknüpft wird, ist für seine weitere Ausgestaltung entscheidend wichtig.
3. Die Bedeutung der Schuldgefühle für die Genese etc. ist hiermit nicht erschöpft.
Vielmehr erhält der Komplex einen gewaltigen Zuschuß aus den vielfachen, ans Genitale lokalisierten Schuldgefühlen – die Frau hat gewissermaßen ihren Genitalkomplex wie der Mann den seinen –, so daß vieles unter dem Bilde des Kastrationskomplexes erscheint, was mit irgendwelchen Männlichkeitsphantasien gar nichts zu tun hat.

IZP, VIII, 1922, 483-484
Dr. S. Feldmann, Budapest: Über Puerperalneurosen. *

Vortragender besprach neurotische Erscheinungen, die mit der Gravidität in Zusammenhang stehen.
Es handelt sich um solche Fälle, bei denen entweder infolge der vorhandenen Schwangerschaft solch schwere seelische Störungen auftraten, die die Beseitigung der Gravidität notwendig machten, oder wo es gar nicht zu einem künstlichen Eingreifen kam, weil das die Gebärmutter selbst verrichtete, indem sie die Frucht auswarf. Das dritte Problem, mit dem sich der Vortr. beschäftigte, war die Unfruchtbarkeit.
Alle drei Erscheinungen gehören zu einem Komplex. Im ersten Falle ist das Leben schon in Keime und es erhebt sich dagegen ein so starker seelischer Protest, daß die Schwangerschaft schon mit Rücksicht auf die Lebensgefahr beseitigt werden muß. Im zweiten Falle vernichtet die Gebärmutter selbst das keimende Leben, indem sie die Frucht auswirft, im dritten Falle wird dieses ultimum refugium überflüssig, weil sich die Gebärmutter schon prophylaktisch von der Schwangerschaft ausschließt.
Aus der Analyse einer Graviditätspsychose wird hervorgehoben, daß in der Seele der Patientin zwei Konflikte entstanden und ungelöst blieben. Der eine rief eine Übertragungsneurose hervor, die in den Rahmen des Ödipuskomplexes gehört. Für die Kranke bedeutete das Kind ein noch im infantilen Alter ersehntes Kind, das sie von ihrem Vater zu bekommen wünschte. Auf diese Weise bedeutet die Geburt die Befriedigung eines Wunsches, den die Zensur nicht dulden kann. – Der zweite ist ein Organkonflikt, der eine narzißtische Neurose zur Folge hatte. Das zu gebärende Kind bedeutet eine Kompensation für den fehlenden Penis, die Geburt deshalb den Verlust dieser Kompensation und die Neurose ist ein Protest gegen diesen Verlust. Sie faßte das Gebären an und für sich als eine Kastration auf. Der dritte Gesichtspunkt, der bei der Neurose zu finden war, ist ein pathoneurotischer im Sinne Ferenczis. Die Patientin empfindet die Gravidität als eine Beschädigung der Gebärmutter. Die ganze Libidomenge zentralisiert sich in der beschädigten Gebärmutter, erzeugt eine Spannung und in der Folge eine Neurose.
Dann wurde eine andere Patientin geschildert, die sich in ihrer Ehe ohne triftigen Grund jahrelang unfruchtbar zeigte. Sie kam mit einer schweren Hysterie in Behandlung und es fand sich, daß bei ihr schon eine Gravidität – eine unbewußte – vorhanden war. Die Gebärmutter war seelisch gravid, deshalb in der Realität unempfänglich. Mit der Auflösung der unbewußten Gravidität wurde die Gebärmutter empfänglich, die Patientin wurde gravid.
Aus alldem schließt Verfasser, daß den Graviditätsneurosen zwei Konflikte zugrunde liegen: ein Übertragungs- und ein Organkonflikt. Die Folge kann ein Abortus sein, um dem Konflikt auszuweichen. Die Unfruchtbarkeit kann von einer unbewußten Gravidität determiniert sein, nach deren Auflösung die Sterilität aufhört.

IZP, VIII, 1922, 484-485
Dr. J. M. Eisler, Budapest: Hysterische Erscheinungen am Uterus. *

In der offiziellen Neurologie ist bisher der Versuch noch nie angestellt worden, die Symptome der Hysterie einer systematischen Behandlung zu unterziehen. Diese Arbeit wäre sowohl vom klinischen wie vom theoretischen Standpunkt wichtig. Der Vortrag gibt hievon ein engumgrenztes Stück, indem er die konversionshysterischen Erscheinungen eines einzigen Organs: der Gebärmutter, zur Diskussion stellt. Der anatomischen Struktur des Organs entsprechend werden die Symptome in zwei Klassen geteilt:
1. An der uterinen Schleimhaut findet die Hysterie eine ihr günstige Ansatzstelle und äußert sich in mannigfaltiger Form. Da ist zunächst die Amenorrhoe, welche oft psychogen determiniert erscheint und sich sodann psychoanalytisch auflösen läßt (Homosexualität, Perversion usw.). Auch die Dysmenorrhoe ist in entsprechenden Fällen als ein hysterisches Symptom zu bewerten. Der Fall einer über fünf Jahre dauernden diskontinuierlichen und unperiodischen Blutung wird auf seinen tieferen Mechanismus untersucht und erörtert.
2. Die Muskulatur der Gebärmutter zeigt ihre Abhängigkeit vom Affektleben gleichfalls in verschiedener Weise. Gewisse Schmerz-(Krampf-)empfindungen zur Zeit der Menstruation lassen sich als psychogen bedingt auffassen. Unter psychischen Einflüssen, die von pathologisch verstärkten Trieben genährt werden, kann auch eine unzeitgemäße Wehentätigkeit einsetzen und zur Unterbrechung der Schwangerschaft führen. Solche Fälle, deren psychischer Mechanismus an zwei Beispielen untersucht wird, verdienen den Namen „Medeatypen“, wenn sie im Enderfolg den Tod der Leibesfrucht herbeiführen. – Auch eine retardierte Wehentätigkeit läßt sich in geeigneten Fällen als ein hysterisches Symptom auffassen. Dies wird an einem instruktiven Beispiel erörtert und die enorme Beteiligung der Analerotik („Zurückhalten“) hiebei aufgeklärt.

IZP, VIII, 1922, 485
Dr. H. Nunberg, Wien: Über die Depersonalisation im Lichte der Libidotheorie.

In der Depersonalisation (Fremdheitsgefühle) findet eine Libidoablösung statt. Das führt zu einer Verarmung des Ich, was als narzißtische Kränkung empfunden wird. Das aktuelle Ich empfindet die Unfähigkeit, seine Sexualtriebe zu befriedigen. Die Folge davon ist eine Störung des Selbstgefühls.
Eine Libidoablösung findet nicht nur bei den narzißtischen Neurosen statt, sondern auch bei den Übertragungsneurosen. Bei den ersteren erstreckt sie sich jedoch bis auf die unbewußten Objekte, bei den letzteren nur auf die bewußten. In beiden Fällen erfolgt eine Schwächung des Ichs, demzufolge unbewußte Phantasien ins Bewußtsein einbrechen.
Die Libidoablösung kommt, wenn auch häufig nur passagere, überall vor, leitet wahrscheinlich alle Neurosen ein, und wird nur in einzelnen Fällen als Hauptsymptom in Form von Entfremdung festgehalten.
Die weitere Entwicklung der einzelnen Krankheitsformen hängt von der Disposition ab.
Bei den Übertragungsneurosen geht die Libidoablösung (als Fremdheitsgefühl) der eigentlichen Verdrängung voraus.

IZP, VIII, 1922, 485-486

Dr. E. Weiss, Triest: Die Psychoanalyse eines Falles von nervösem Asthma (Bronchialasthma). *

Es werden die einzelnen Phasen der psychoanalytischen Behandlung eines schweren Neurotikers, der auch an Bronchialasthma leidet, geschildert. Der an schweren Depressionszuständen mit Selbsttötungstendenzen und pathologischen, meist zwangsneurotischen Charakterzügen leidende homosexuelle Patient wird nach mühevoller Freilegung seiner maßlosen Mutterfixierung sowohl von den Depressionszuständen, als auch von der Homosexualität und von den anderen Symptomen geheilt; es verblieb aber noch das Bronchialasthma, welches im Laufe der Psychoanalyse an Häufigkeit und Hartnäckigkeit stark zugenommen hatte, weswegen nach einjähriger Pause (seit einem Monate) die Behandlung wieder aufgenommen worden ist.
Obwohl also dieses Symptom noch nicht beseitigt worden ist, konnte ein tiefer Einblick in seine Genese gewonnen werden. Das Asthma zeigte einen, dem phobischen analogen Mechanismus. Es tritt bei der Trennung des Patienten von der Mutter oder beim Verluste ihrer verläßlichen, mütterlichen Einstellung zu ihm auf. Eine wichtige Rolle spielt ferner der eigensinnige Retentionscharakter des Patienten und es ist wahrscheinlich, daß beim Asthma eine Verschiebung von der analerotischen Retention nach oben vorliegt. Ebenso spielt beim Zustandekommen des Asthmas eine eigenartige masochistische Einstellung eine nicht zu unterschätzende Rolle.
In der vorliegenden Analyse kommt einiges über die historische Entwicklung des Protestausdruckes zutage, welcher aus der Situation des eben geborenen – von der Mutter losgelösten – Kindes, außer, wie schon bekannt, aus dem Triebe, den Stuhl zurückzuhalten und aus der Auflehnung gegen die Kastration, geschöpft wird. (Erscheint in diesem Heft.)

 

Dienstag, den 26. September 1922. Vormittag. Präsidium: Dr. S. Ferenczi.

IZP, VIII, 1922, 486
Professor Dr. S. Freud, Wien: Etwas vom Unbewußten.

Der Vortragende wiederholt die bekannte Entwicklungsgeschichte des Begriffes „Unbewußt“ in der Psychoanalyse. Unbewußt ist zunächst ein bloß deskriptiver Terminus, der dann das zeitweilig Latente einschließt. Die dynamische Auffassung des Verdrängungsvorganges nötigt aber dazu, dem Unbewußten einen systematischen Sinn zu geben, so daß das Unbewußte dem Verdrängten gleichzustellen ist. Das Latente, nur zeitweise Unbewußte erhält den Namen Vorbewußtes und rückt systematisch in die Nähe des Bewußten. Die zweifache Bedeutung des Namens „Unbewußt“ hat gewisse nicht bedeutsame und schwer zu vermeidende Nachteile mit sich gebracht. Es zeigt sich aber, daß es nicht durchführbar ist, das Verdrängte mit dem Unbewußten, das Ich mit dem Vorbewußten und Bewußten zusammenfallen zu lassen. Der Vortragende erörtert die beiden Tatsachen, welche beweisen, daß es auch im Ich ein Unbewußtes gibt, das sich dynamisch wie das verdrängte Unbewußte benimmt, nämlich den vom Ich ausgehenden Widerstand in der Analyse und das unbewußte Schuldgefühl. Er teilt mit, daß er in einer demnächst erscheinenden Arbeit „Das Ich und das Es“ den Versuch unternommen hat, den Einfluß zu würdigen, den diese neuen Einsichten auf die Auffassung des Unbewußten haben müssen.

IZP, VIII, 1922, 486
August Stärcke, Utrecht: Gottlose Urzeugung.

In der Überzeugung, daß die Biologie in engeren Sinne bei einer Neuorientierung auf Grund der Libido- und Ichtrieblehre viel Gewinn davontragen könnte, betrachtet Verfasser in diesem ersten Beitrage das Problem des Lebens überhaupt.
Im Gegensatz zur Lehre Kohnstamms, das Leben sei ein unwahrscheinlicher Zustand, daher nicht durch Nur-Naturkräfte zu erklären, schließt Verfasser, daß das Leben notwendigerweise überall und in jedem Augenblicke entstehen müsse. Daran schließt er eine vorläufige Orientierung über die ersten Stufen der formativen Ichtriebe an. Die dabei gesuchte Begegnung des Lustbegriffes führt zur Wiedererkennung der Libido als Todestrieb, des Ichtriebes als das das Einzelleben erhaltende Prinzip.

IZP. VIII, 1922, 486-487
Dr. P. Federn, Wien: Schema der Libidoaufnahme zur Begutachtung und Indikationsstellung.

Nach den Mitteilungen Steinachs über die Ligatur des Vas deferens und Steinach und Holzknechts über die Röntgenisierung des Testikels bewirken beide Eingriffe, der erste mehr akut, der zweite allmählich eine gesteigerte Bildung von Sexualhormonen. Es war nun wichtig, diese Befunde auch am Menschen möglichst exakt zu prüfen. Deshalb habe ich am Institute des Herrn Professors Holzknecht (Wien) und auch an Fällen, welche Professor Steinach mir zur Begutachtung sandte, eine genaue Untersuchung der Libido in möglichst allen Äußerungen vorgenommen. Dabei hat sich ein Schema der Aufnahme herausgebildet, welches in mehreren Kopien der Versammlung übergeben wurde und in der Zeitschrift veröffentlicht werden wird. In den meisten Fällen wurde eine steigernde Wirkung des Eingriffes beobachtet, und zwar eine vorübergehende Steigerung unmittelbar nach dem Eingriff und eine Dauerwirkung. Die oft schwierige Differentialdiagnose zwischen psychischer and organischer Impotenz verlangt die vollständige Libidoaufnahme zur Vermeidung fehlerhafter Indikationsstellung hormonaler Eingriffe.
Die Beobachtungen bestätigen in Art von Experimenten die Freudsche Auffassung der Aktualneurosen. Besonders günstig wurde die im Klimakterium so häufig auftretende Eintagsneurasthenie der Männer (Ferenczi) beeinflußt. Vorübergehende Angststeigerung kam vor, aber nie in bedenklichem Ausmaße. Bei Frauen und Männern kehren Angstträume, die seit mehr als zwanzig Jahren ausgesetzt hatten, wieder. Eigentliche Psychoneurosen blieben unverändert. Auf Zwangsonanie wirkte die Operation öfters günstig. Wenn eine komplizierende Aktualneurose von der psychischen Behandlung nicht behoben werden kann, ist bei älteren Individuen und bei Individuen mit defektiver Keimdrüsenanlage der Versuch eines hormonalen Eingriffes berechtigt. Die Hauptindikation stellt die Impotenz bei vorzeitigem, partiellem Senium. Hiebei wirkt auch der Faktor der Sterilisierung in mehrfacher Art mit. Psychische Impotenz ist auch im Präsenium psychisch zu behandeln. Schwerste Zwangsneurose kann in jedem Alter organische Impotenz vortäuschen.

IZP, VIII, 1922, 487-488
Dr. G. Róheim, Budapest: Nach dem Tode des Urvaters.

Einer mündlich geäußerten Ansicht Professor Freuds folgend, wird der Versuch gemacht, in der Urtrauer der Brüder nach dem Tode des Urvaters das Prototyp der Melancholie nachzuweisen. Nach dem Tode des Urvaters folgte der Krieg der Brüder untereinander und noch heute folgt auf jeden Tod Blutvergießen am Grab. Dieser reelle Krieg nach dem Tode wurde introjiziert und setzt sich als Konflikt zwischen Ichideal und Aktual-Ich intrapsychisch fort. Die Ichspaltung entsteht eigentlich nach dem Tode des Urvaters; das Ichideal als verdrängende Instanz ist der getötete und aufgegessene Vater. Dies ist die eigentliche Sünde des Melancholikers und die Verweigerung der Nahrungsaufnahme hier wie in den primitiven Trauerriten ist eine negative Form der Anthropophagie. Im Gegensatz zu der Trauer der Kulturvölker läßt sich bei den Primitiven auch die manische Phase regelmäßig nachweisen, die Trauerperiode (Melancholie) findet ihren Abschluß, indem die Ursünde, welche am Eingang der Trauer stand, an einem neuen Objekt, dem Stammesfremden, im Rachekrieg wiederholt wird. Die Manie folgt in der klinischen Praxis der Melancholie, weil sie eigentlich nicht die Wiederholung der Urtat, sondern die Wiederholung einer Neuauflage der Urtat, nämlich des ersten Krieges ist. Der Wiederholungszwang ewiger Ödipuskämpfe wurde durch das Erscheinen einer fremden Horde durchbrochen, daher ist der Fremde auch phylogenetisch eine Ersatzfigur des Vaters. Dem Sadismus folgt die Objektliebe (Freud), dem Krieg die Exogamie, der Endophagie (Vater-essen) die Exophagie. Jenes Aufessen des Vaters in der Urhorde ist auch Grundlage des Schamanentums; der aufgegessene Vater lebt als Schutzgeist (Ichideal) im Medizinmann weiter. Die Geister fressen den zukünftigen Medizinmann (d. h. er hat den Vater in der Urhorde gegessen) und sie geben ihm ein Kristall. Die Kristalle sind aber laut südaustralischer Auffassung die Exkremente des Himmelgottes, daher wird die Differentierungsstelle des primitiven Arztes in der analerotischen Besetzung der aufgegessenen Vaterleiche zu suchen sein. Der Arzt ist eine Verdrängungsform des bösen oder „schwarzen“ Zauberers, der die Leute durch Verbrennen ihrer Exkremente tötet. Die ärztliche Wissenschaft entsteht genau wie die Zwangsneurose aus der Verdrängung der sadistisch-analen Partialtriebe und wir können demnach sagen, daß der erste Zwangsneurotiker auch der erste Arzt gewesen ist. Die wissenschaftliche Induktion entsteht aus der Gewohnheit des Medizinmannes, allerlei Exkrementalsymbole in seinem Medizinsack zu sammeln und „magisch“, d. h. libidinös zu besetzen, während die Theorie in der Grübelsucht des Zwangsneurotikers ihre Entsprechung findet. Aber auch der charakteristische Zug dieser Psychoneurose, eben das Zwangshafte, läßt sich beim Medizinmann nachweisen und auf seine anale Urform (Ferenczi) zurückverfolgen.
Der Medizinmann wird von seinem Schutzgeist zu gewissen Handlungen gezwungen und zwingt seinerseits (Projektionsform) durch Riten die ganze Welt, seinem Willen zu gehorchen. Die Krankheitstheorie der Primitiven: ein Exkrementalstoff wird in den Menschen hineingeschossen und vom Medizinmann wieder herausgesaugt Umkehrungsform des natürlichen Vorganges: das Kind saugt Milch aus der Mutter und gibt es ihr in der Form von Exkrementen zurück. Der Medizinmann als Sauger regrediert in die erste ontogenetische Entwicklungsphase; in dem hilflos daliegenden Kranken (Geschwulst = Schwangere = Mammae) sieht das Unbewußte die Mutter, der er nun, die ontogenetische Urszene umkehrend, das Leben rettet. Erhöhte Saugtätigkeit und Kannibalismus als konstante Eigenschaften des Medizinmannes. Indem die Brüder in der Urhorde den Vater getötet und gegessen hatten, regredierten sie auf die erste kannibalisch-oralerotische Organisationsstufe (Abraham). Sie entzogen nun Libidomengen dem genitalen Urziel (Mutter), um damit die aufgegessene Leiche des Vaters zu besetzen und schufen somit auf Grundlage dieser in die orale und anale Organisation zurückverwandelten Libidomengen die erste Handlungshemmung als Vorstufe der späteren Verdrängung. Der Vater, den sie, wie einst als Säugling die Mutter, gegessen hatten, war für sie zur zweiten Mutter geworden, von ihm wurden sie jetzt wiedergeboren und ihm zuliebe enthielten sie sich in der Trauer- oder Initiationsperiode des Geschlechtsverkehres mit der Mutter. Nach dem Tode des Urvaters bis zur Einsetzung des neuen Urvaters erfolgte eine kritische Periode des Überganges zwischen Massen- und Individualpsychologie für die Brüder, da die Massenbindung nach dem Tode des Urvaters aufgehört hatte und kein entsprechender Befriedigungsersatz geboten wurde. Sie reagierten mit gewissen Modifikationen ihrer psychosexuellen Einstellung auf die Traumata dieser Übergangsperiode und die so erworbenen Mechanismen leben noch heute in den hauptsächlichen Psychoneurosen fort. Dem Totemismus entspricht die infantile Angsthysterie, der Trauer die Melancholie, dem Krieg die Manie, der Medizin die Zwangsneurose und der Paranoia das Schamanentum.

IZP, VIII,  1922, 488-491
Dr. J. Varendonck, Ledeberg-Gand (Belgien): The fallacy in Silberers conception of
threshold-symbols. (Über die Hinfälligkeit der Silbererschen Schwellensymbolik.

(FN 1: Das Original-Autoreferat dieses in englischer Sprache gehaltenen Vortrages erscheint gleichzeitig im englischen Kongreßbericht im Internat. Journal of Psycho-Analysis. Obiges Referat ist die von der Redaktion besorgte Übersetzung.)

In meinen Untersuchungen „Über das vorbewußte phantasierende Denken“ habe ich wiederholt auf die Rolle der Erinnerungstätigkeit im Gegensatz zur assoziativen Denktätigkeit hingewiesen. Dort konnte ich auch feststellen, daß jede Gedankenkette mit einer Erinnerung einsetzt, gelegentlich von halluzinatorischen Erinnerungen unterbrochen wird, und ferner, daß man von einem Tagtraum während der Passivität des Intellekts zu erwachen pflegt, das heißt gerade dann, wenn man sich in einem durch die Erinnerungstätigkeit hervorgerufenen halluzinatorischen Zustand befindet.In meiner eben erschienenen Arbeit „L’Evolution des Facultés Conscientes“ habe ich mich nun eingehender mit den halluzinatorischen Erinnerungen beschäftigt, welche den assoziativen Denkvorgang im Zustande des Bewußtseins oder Vorbewusstseins unterbrechen können, und habe nachzuweisen versucht, aus welchen biologischen Gründen ganze Erinnerungsserien völlig unverändert wieder aus dem Gedächtnis auftauchen. Diese Art von Erinnerung (reduplizierende Erinnerung) habe ich als die primitivste Form von Seelentätigkeit bezeichnet.
Während der Vorarbeiten zu dem letzterwähnten Buche war mir aufgefallen, daß die unbewußte Symbolik diese reduplizierenden Erinnerungen im Augenblick des Einschlafens zu verwerten pflegt. Ein Beispiel dafür möge die nachstehende Beobachtung abgeben:
Ich pflege fast jeden Abend mit meiner Frau ein Puffspiel zu machen. Eines Abends war ich schon beinahe im Bett eingeschlafen, kam aber doch noch einmal zu mir und bemühte mich, zu beobachten, was in mir vorgegangen war. Es stellte sich heraus, daß ich im Augenblick des Eindämmerns die Vorstellung gebildet hatte, mit meiner Frau zu spielen: Ich sah das Spielbrett und die Würfel vor mir und hatte auch ein (undeutlicheres) Bild von meiner Partnerin. Das Spiel stand so, daß mir ein rascher Sieg sicher war. Ich schüttelte die Würfel mit einem Gefühl von Erregung und wußte, daß ich mit einem glücklichen Wurf über meine Frau gesiegt haben müsse. Gerade in diesem Augenblick gelang es mir, wieder zum Bewußtsein zu kommen. Ich wußte sofort, daß das halluzinierte Spiel die genaue Kopie eines vor wenigen Stunden gespielten gewesen war.
Ich verfüge noch über ähnliche Beobachtungen, die ich unter den gleichen Umständen anstellen konnte. Auch sie bestehen aus der getreuen Wiedergabe von Spielen (Kartenspiele, Domino usw.), von Arbeiten, die mich am Abend beschäftigt hatten, Zeitungslesen, Ausflügen usw.
Wie soll man sich den Sinn dieser reduplizierenden Erinnerungen erklären, die regelmäßig eine Handlung knapp vor ihrem Abschluß zur Darstellung bringen? Mir liegt die Annahme nahe, darin eine Beziehung zum Schlafwunsch zu sehen. Ich pflege nämlich als schlechter Schläfer im Bett immer wieder zu mir selbst zu sagen: „Wenn ich nur einschlafen könnte, wenn ich nur aufhören könnte zu denken.“ In all jenen Beobachtungen aber, für welche die oben zitierte ein Beispiel ist, befinde ich mich im Begriff, etwas zu beenden. So scheinen also die Handlungen, an die ich mich vor dem Einschlafen erinnere, eine symbolische Befriedigung meines Schlafwunsches darzustellen.
Meine Beobachtungen scheinen auch der Silbererschen Schwellensymbolik zu entsprechen, sind aber durch das Fehlen aller Schwellensymbole charakterisiert, d. h. der Bilder, in welchen nach Silberers Zusammenfassung eine Situationsänderung, ein Übergang oder Untergang, das Beschreiten einer Schwelle das Charakteristikum ist.

(FN 1: H. Silberer: Symbolik des Erwachens und Schwellensymbolik überhaupt. Jahrbuch III, S. 621.)

Einige der von Silberer gebrauchten Bilder stimmen mit den meinen überein, die meisten der seinen aber („das Abreisen und Ankommen, das Abschiednehmen und Begrüßen, das Öffnen und Schließen usw.“) können auch als der Abschluß einer Handlung, die Beendigung eines Vorganges gedeutet werden. Aus den Beobachtungen, auf die Silberer in der zitierten Arbeit seine Theorie gründet, gebe ich im folgenden Nr. 17 wieder, eine Beobachtung, die Silberer selbst „als ein schönes Beispiel von Überdeterminierung“ bezeichnet:
„Bedingungen: Abends, beim Einschlafen. Meine Aufmerksamkeit ist, wenn auch schwach (weil ich sehr müde bin), auf etwaige Bilder gerichtet.
Szene: Ich steige jene Verbindungsstraße empor, die von dem ‚Hochweg’ nächst dem ,Hotel Panhans’ am Semmering über einen Wiesensattel zum Hotel ,Erzherzog Johann’ führt.“
Für Silberer entspricht der Sattel einer Schwelle. Meiner Ansicht nach aber bedeutet das Erreichen des Hotels „Erzherzog Johann“ die Beendigung des Spazierganges, ist also einfach eine reduplizierende Erinnerung im Sinne der von mir angeführten.
Auf dieselbe Weise lassen sich noch viele der Silbererschen Beispiele ohne weitere Erläuterung deuten; andere hingegen lassen sich ohne Hinzufügungen von seiner Seite nicht für meine Theorie verwerten.
Nach Silberers Terminologie müßte man meine Beobachtungen unter die funktionalen Phänomene einreihen. Da ich aber nicht nur Silberers Auffassung von der Schwellensymbolik, sondern auch seine Gruppierung in materiale, funktionale und somalische Phänomene verwerfe, möchte ich eine andere Theorie an Stelle der seinigen setzen.
Dazu soll die folgende Beobachtung den Übergang herstellen: ich hatte vor kurzem einen Traum von einem Löwen, der auf einem W. C. saß. Die Deutung, die mit Hilfe von Dr. Reik vorgenommen wurde, ergab, daß der Löwe eine symbolische Darstellung meiner eigenen Person war. Einige meiner belgischen Freunde pflegten mich nämlich scherzhaft als „den flämischen Löwen“ zu bezeichnen.
Ferner erinnere ich mich, in Dr. Jones’ „Papers on Psycho-Analysis“ eine Theorie über die Entwicklung der Metapher gefunden zu haben. Als primitivste Form dieser figürlichen Rede wird dort das Beispiel der Wilden angeführt, die von einem mutigen Genossen sagen: „Er ist ein Löwe.“
Was also in diesem Fall eine Metapher ist, war in meinem Traum ein Symbol. Es entsteht jetzt die Frage: Warum war das gleiche Bild in dem einen Fall eine Metapher, im anderen ein Symbol, und welches ist der grundlegende Unterschied zwischen den beiden?
Metapher: (Der Mann ist tapfer wie ein Löwe.) Er ist ein Löwe!
Symbol: (Ich bin in meinen Reden manchmal ungestüm wie ein Löwe.) Ich bin ein Löwe!
Wir können an den beiden bildlichen Darstellungen jedesmal drei Einzelglieder unterscheiden, nämlich ein Subjekt (der Wilde oder ich), ein Objekt (der Löwe) und ein Attribut (mutig, ungestüm). Wenn der Wilde einen Mann als Löwen bezeichnet, so will er damit ein Attribut ausdrücken und ist sich über das Subjekt, dem er das Attribut beilegt, völlig im klaren. Auch der Löwe im Traum steht für ein Subjekt (mich selber), nur ist dieses vor der Deutung des Traumes unbekannt; ferner wird die Identifizierung und die Substituierung auf Grund eines gemeinsamen Attributes (ungestüm) vorgenommen. Wir erraten aber, daß im Falle des Symbols „Löwe“ die Ersatzvorstellung nicht gewählt wird, um ein Attribut auszudrücken, sondern um eine
Darstellung des Subjektes zu ermöglichen.
Wir können aus dem Vorstehenden die folgenden Schlüsse ziehen:
1. Der Hauptunterschied zwischen einer primitiven Metapher und einem Symbol ist die Frage der Bewußtheit. Demzufolge habe ich in meinen „Researches on aesthetic symbolism“ das Symbol als eine primitive Metapher definiert, von der uns nur ein einziges Glied bekannt ist. Das Subjekt und das Tertium comparationis bleiben unter der Schwelle des Bewußtseins und sind dem bewußten Ich unzugänglich. Symbolisieren heißt, unwissentlich eine Vorstellung durch eine andere ersetzen, die mit der ersten Vorstellung ein Attribut gemeinsam hat, also bildlich sprechen, ohne es zu wissen. Wir haben hier eine indirekte Darstellung auf Grund einer Analogie, von der das Bewußtsein nicht in Kenntnis gesetzt wird.
2. Wir können in dem angeführten Fall ein Subjekt, ein Objekt und ein gemeinsames Attribut unterscheiden. An Stelle des Subjektes ist das Objekt getreten. Man könnte hier von einem Subjektsymbol sprechen, wenn nicht dem Unbewußten der Begriff des Subjektes fremd wäre; es behandelt, ebenso wie das Kind, das Ich als Objekt. Folglich ist erst nach Deutung der Objektsymbole zu entscheiden, ob sie das Subjekt oder ein Objekt repräsentieren (letzteres wie z. B. in dem Fall eines Mannes, für den im Traum ein Schiff die Frau symbolisiert). Ist es dagegen der Zweck eines Symbols, einem Attribut Ausdruck zu geben (wie im Fall eines Patienten, der, von Todeswünschen gegen seine Frau erfüllt, beständig ein Lied vor sich hinsummt, das von einem abfahrenden Schiff handelt), dann haben wir ein Attributsymbol vor uns, wie z. B. im Falle meiner reduplizierenden Erinnerungen vor dem Einschlafen, in denen eine Handlung zum Abschluß gebracht wird.
Wir können abschließend die folgende Behauptung aufstellen: so oft mir die Selbstbeobachtung vor dem Einschlafen gelingt, stellt sich heraus, daß mein Unbewusstes ausschließlich rein reduplizierende Erinnerungen auswählt, um in symbolischer Weise meinen Wunsch, einzuschlafen, das Denken zu beendigen, darzustellen. Die verschiedenen Objektbilder, die während dieses Vorganges in meiner Vorstellung auftauchen, sind Attributsymbole.

IZP, VIII, 1922, 491-492
Dr. G. Groddeck, Baden-Baden: Die Flucht in die Philosophie.

Vortr. bespricht die Frage, ob der bisherige Begriff des Unbewußten zu den Zwecken der psychoanalytischen Behandlung ausreicht. Nach seiner Meinung existieren Kräfte im Menschen, die durch den Ausdruck „Unbewußtes“, wie er bisher üblich ist, nicht hinreichend gedeckt werden. Er schlägt vor, diese bisher noch nicht bestimmten Kräfte mit dem Wort „Es“ zu bezeichnen. Nach seiner Meinung sind alle Lebensäußerungen des Menschen, seine äußere Form, Aufbau, Veränderung und Funktion seiner Organe, seine Handlungen und seine Gedanken, seine psychischen und physischen Erkrankungen, ja die Psyche und Physis selber nur verschiedene Erscheinungsformen, in denen sich das Es darstellt. Sowohl das System des Bewußten wie des Vorbewußten, wie schließlich auch des Unbewußten müssen nach seiner Ansicht als Abkömmlinge und Unterabteilungen des Es aufgefaßt werden, und zwar als solche, die von den Absichten des Es abhängig sind, es aber auch ihrerseits beeinflussen. Die fortwährend wechselnde Sprache des Es zu enträtseln und der Analyse verständlich zu machen, hält Vortragender für einen der vielen Wege, um Kranke zu behandeln. Er erkennt die Notwendigkeit einer Trennung psychoanalytischer Behandlungen von anderen Behandlungsarten nicht an.
Während er es als selbstverständlich betrachtet, daß man ein gebrochenes Bein einrenkt und immobilisiert und nicht etwa erst den Unfall zu analysieren sucht, behauptet er, daß die Behandlung mittels Analyse sofort einzusetzen hat, sobald der Knochen eingerichtet ist. Der Einfluß der Analyse auf die Heilungsvorgänge sei evident. Er glaubt, daß die Psychoanalyse einen mindestens ebenso großen Einfluß auf die organischen Lebensäußerungen des Es hat wie auf die psychischen.

IZP, VIII, 1922, 492

Nachmittag. Geschäftssitzung.

(Tagesordnung und Bericht siehe nach dem wissenschaftlichen Teil, S. 499.)

IZP, VIII, 1922, 492

Mittwoch, den 27. September 1922. Vormittag. Präsidium: Dr. J. E. G. van Emden.

IZP, VIII, 1922, 492
Dr. St. Hollós, Budapest: Traumarbeit – Psychosearbeit.

Nach einem kurzen Hinweis auf gewisse Wesensgleichheiten und andererseits Verschiedenheiten zwischen der Traumarbeit und einer Arbeit in der Psychose, wird auf Grund klinischer Beobachtungen der Versuch angestellt, jene, am augenfälligsten in den exogenen – toxischen – Delirien, zumeist aber auch in den endogenen Erkrankungen – Paraphrenie usw. – sich kundgebende Arbeit, die als nie endende Arbeit der Deliranten, immer erneuertes Kämpfen der Paraphreniker in Erscheinung tritt, auf eine Störung des Libidohaushaltes im Zentralorgan zurückzuführen, welche in der infolge pathogener Einwirkung von Toxinen, Noxen erfolgten Ablösung der Libido vom Organ und dem darauffolgenden Heilungsbestreben mittels Wiederanheften der Libido – Proliferieren der Antitoxine, Phagozyten, Leukozyten – bestünde.
Diese von den Kranken oft auch mit diesem Wort bezeichnete „Arbeit“ könnte in ihrer Äußerung als Projektion einer endopsychischen Wahrnehmung des oben beschriebenen Prozesses betrachtet werden, welcher hiemit das formale Element der Psychoseerscheinungen abgäbe. Das inhaltliche Element (Wahnfabel, Inhalt der Delirien) wird von den Fixierungsstellen her geliefert, welche sich im Laufe der Ichentwicklung einesteils auf verschiedenen Stufen der biologischen Entwicklung (1. Ablösung vom Mutterleib; 2. Ablösung des Körperichsystems von der Umwelt; 3. Ablösung des Ichsobjekts vom Ichobjekt [Ichumwelt]), anderenteils durch die Erlebnisvarianten bestimmt, gebildet haben.

IZP, VIII, 1922, 492-493
Dr. K. Abraham, Berlin: Neue Untersuchungen zur Psychologie der manischdepressiven Zustände. *

Genauere Untersuchung über die Vorgänge des „Objektverlustes“ und der „Introjektion“. Typisches in der Kindheitsgeschichte der Manisch-Depressiven. Der Wiederholungszwang. Beziehungen der manisch-depressiven Zustände zur oralen und sadistisch-analen Organisationsstufe der Libido. Stellung der manisch-depressiven Zustände zu anderen Krankheitsformen. Versuch einer Theorie der melancholischen Hemmung und der manischen Exaltation.

IZP, VIII, 1922, 493
Dr. A. Kielholz, Königsfelden (Aargau, Schweiz): Zur Genese und Dynamik des Erfinderwahns. *

Anknüpfend an die Deutung des sogenannten Centrum naturae oder Naturrad des Mystikers und Theosophen Jakob Boehme wird versucht, einzelne Erfindungen oder Projekte zu solchen von sieben psychotischen Erfindern analytisch zu klären und zu zeigen, daß sie auf infantile Zeugungs- und Geburtstheorien zurückzuführen sind und die symbolische Darstellung der elterlichen Generationsorgane bezwecken. Während der mehr passive Mystiker diese nur zu schauen begehrt, will der aktivere Erfinder sie, in allmächtiger Tätigkeit begriffen, schaffen.

IZP, VIII, 1922, 493
Melanie Klein, Berlin: Zur Frühanalyse. (Über Entwicklung und Hemmung von Begabungen.) *

Von der Frage der Hemmungen ausgehend, suche ich an Material aus Kinderanalysen, speziell der Frühanalyse, folgendes nachzuweisen: Die Auflösung von Hemmungen, die immer nur libidinös besetzten Ichstrebungen oder -betätigungen gelten, erweist sich in der Frühanalyse als eine Möglichkeit, Anlagen und Interessen, die als solche gar nicht in Erscheinung getreten waren, frei zu machen. Das Maß wirklich vorhandener Talente läßt sich also erst feststellen, wenn man die dagegen wirksamen Hemmungen analytisch aufgelöst hat. Es scheint aber gerade die libidinöse Besetzung von Ichstrebungen die Vorbedingung für die Entstehung eines Talentes zu sein. Damit schränkt sich der Begriff des konstitutionell mitgebrachten Momentes für die Begabung analogerweise ein, wie es Freud für die Entwicklung der Neurose nachgewiesen hat. Es tritt zu dem konstitutionellen die Bedeutung des akzidentellen Faktors. Das konstitutionell mitgebrachte Talent wäre schließlich bis zu einem gewissen Grade die Fähigkeit einer Ichstrebung, sich mit Libido besetzen zu lassen. Die Analogie zwischen Talent und Neurose wird (von den Fixierungsstellen ausgehend, die für Richtung und die Einzelheiten des Talentes ebenso determinierend sind, wie für die der Neurose) im einzelnen nachzuweisen gesucht. Die Fähigkeit, Ichstrebungen mit Libido zu besetzen und auf diese Weise schon frühzeitig überschüssige Libido unterzubringen, wäre die Sublimierung, die um so vollständiger gelingt, je unlösbarer und – auch für die einsetzende Verdrängung – unkenntlicher die Verbindung zwischen Libido und Ichstrebung sich vollzogen hat. Die dafür – ebenso für das Mißlingen oder Glücken der Verdrängung – wirksamen Faktoren werden einer näheren Untersuchung unterworfen.

IZP, VIII, 1922, 493
Dr. F. J. Farnell, Providence, R. I. (Amerika): The influence of the psycho-analytic movement on American Psychiatry.

IZP, VIII, 1922, 493-494
Professor Dr. M. Levi-Bianchini, Nocera Inferiore (Italien): Über den heutigen Stand der Psychoanalyse in Italien.

(FN 1: Die ausführliche Mitteilung ist im „Archivio Generale di Neurologia, Psichiatria e Psicoanalisi“, Heft 1–2, 1922, erschienen.)

Man kann behaupten, daß die anfängliche, mühsame Verbreitung der Psychoanalyse in Italien kaum seit 1915 datiert: das ist seit meiner ersten italienischen Übersetzung der bekannten fünf amerikanischen Vorträge Freuds, der gleichzeitigen Begründung einer italienischen Bibliothek, innerhalb der heute bereits eine Anzahl psychoanalytischer Werke und Abhandlungen herausgegeben worden sind, und eines italienischen, von mir geleiteten Archivs für Neurologie, Psychiatrie und Psychoanalyse.
Vor dieser Zeit besaßen wir tatsächlich bloß seltene, unvollkommene, sehr kurz gefaßte und nur aus 1908 her stammende Mitteilungen über psychoanalytische Denkrichtungen von Baroncini, Modena, De Sanctis, Assagioli, Morselli und die ersten Einwände gegen die Sexualtheorie von mir. Ich bekenne aber mit großem Vergnügen, daß ich seither meine Ansichten bedeutend geändert habe. Aber auch im allgemeinen hat sich seither in Italien ein etwas besseres Verständnis der Psychoanalyse angebahnt: seit De Sanctis (1916) sich gründlich über den Aufbau und die Analyse des Traumes, Assagioli (1921) über die Bedeutung der Sexualtheorie, Weiss (1920), mein treuer, sachkundiger Mitarbeiter, über die Dynamik der psychischen Vorgänge in unparteiischen, wertvollen Mitteilungen ausgesprochen haben.
So können wir mit voller Befriedigung erwähnen, daß die Kenntnis der Freudschen Traumlehre im Fortschreiten begriffen ist; daß die Sexualtheorie der Libido in Assagioli einen so überzeugten Untersucher gefunden hat (ich kann es mir nämlich nicht anders erklären), daß wir bei ihm den Vorwurf lesen können, daß Freud selbst nicht den ganzen, zweckmäßigen Umfang des Begriffes der Sublimierung anerkannt habe: daß endlich die Neurosenlehre im engeren Sinne noch keine rein klinische Widerlegungen oder Bestätigungen bekommen hat, so daß wir uns darüber mit der Zeit weitere Beiträge und Dokumentierungen in Italien erwarten dürfen.
Ich komme daher zur Schlußfolgerung, daß trotz ergrimmter und gehässiger Einwände der meisten italienischen Psychiater gegen die Psychoanalyse doch Interesse für diese tiefe, umfassende Lehre auch bei italienischen Gelehrten sich festgesetzt und daß die Psychoanalyse auch in meiner Heimat Einlaß gefunden hat.

IZP, VIII, 1922, 494
Dr. G. Wanke, Friedrichroda: Über ambulatorische oder Anstalts-(Sanatoriums-) Behandlung in der Psychoanalyse.

Betrachtungen über die Frage, ob ambulatorische oder Anstalts-(Sanatoniums-) Behandlung in Ausübung der Psychoanalyse vorzuziehen sei.

IZP, VIII, 1922, 494

Nachmittag. Präsidium: Dr. E. Oberholzer.

IZP, VIII, 1922, 494-495
Dr. E. Jones, London: Psycho-Analysis of the Holy Ghost. (Zur Psychoanalyse des Heiligen Geistes).

Der Vortragende knüpft an die Beobachtungen Freuds über das Christentum an, denen zufolge dieses, aus totemistischen Quellen stammend, die Überwindung des Vaters durch Unterwerfung und nicht durch Auflehnung erzielt. Es betont mehr die feminine,masochistische und homosexuelle Seite als die älteren Religionen.
Die unbefleckte Empfängnis, die der Vortragende in einer kürzlich ergänzten Arbeit einer eingehenden Analyse unterzogen hat, bildet auch hier den Ausgangspunkt. Das Unnatürliche dieses Ereignisses deutet auf eine Verleugnung des Vaters. Die Ambivalenz dem Vater gegenüber kommt in der Wahl der Befruchtungsmittel zum Ausdruck, die zwischen typisch weiblichen und typisch männlichen Symbolen schwanken. Dies jedoch begegnen wir in vielen Mythen. Das für den christlichen Mythus Charakteristische ist erstens die Schärfe dieser Ambivalenz und zweitens die Ersetzung der Mutter in der Dreieinigkeit: Vater, Mutter, Sohn durch die rätselhafte Figur des Heiligen Geistes. Warum ist die Mutter verdrängt und warum ist sie durch eine männliche Figur dargestellt?
Der Heilige Geist repräsentiert das Zeugungsorgan des Vaters, und zwar auf dem Umweg der infantilen Zeugungstheorie. Der Atem Gottes, die Taube, die in Marias Ohr haucht, sind das gleiche wie der kindliche Glaube einer Befruchtung durch Gas, das aus dem Körper des Vaters in den der Mutter übergeht. Diese Befruchtungstheorie erweist sich in individuellen Analysen und auch in dem damit in Beziehung stehenden anthropologischen Material als ein Ausdruck der Idee der besonders großen väterlichen Macht. Der Heilige Geist stellt sowohl die Muttergöttin als auch die Zeugungskraft des Vaters dar, daher die besondere Bedeutung der „unverzeihlichen Sünde“, denn eine Beleidigung des Heiligen Geistes besagt eigentlich Inzest mit der Mutter und Kastrationswünsche gegen den Vater.
Obgleich die Mutter Gottes durch den Heiligen Geist ersetzt ist, ist sie doch nicht aus der Religion verschwunden, sondern spielt eine wichtige Rolle, wenn auch nicht als Gottheit. Es ist richtiger, zu sagen, sie ist in zwei Figuren zerlegt, die Jungfrau und der Heilige Geist. Grund dieser Zerlegung sind unbewußte Inzestwünsche, wie in der wohlbekannten Spaltung Mutter–Dirne. Das erklärt jedoch noch nicht den Wechsel vom weiblichen zum männlichen Geschlecht. Es muß dies etwas mit der Zeugung Jesu zu tun haben und hier werden wir an die Pubertätsriten der Wilden erinnert (Reik), die eine Wiedergeburt des Sohnes durch den Vater darstellen, um die Liebe des Sohnes von der Mutter auf den Vater zu lenken, eine heterosexuelle Bindung durch eine homosexuelle zu ersetzen. Anstatt aber wie in den Pubertätsriten der Wilden eine fiktive Wiedergebur durch den Vater einzusetzen, kehrt das Christentum die Sachlage schon bei der Geburt um, indem es die Mutter durch eine männliche Figur ersetzt.
Ebenso finden wir im Christentum eine Ersetzung des Mutterinzestes und des Vaterhasses durch die Liebe und Unterwerfung unter den Vater, zusammen mit einer starken Bruderliebe, ein klares Hervortreten der homosexuellen Komponente. Auf diesem Wege wird der Ödipuskonflikt gelöst. Das geschulte Auge erkennt unter diesem Schleier die Ähnlichkeit mit dem totemistischen System mit dem Unterschied, daß im Christentum die feindliche Komponente einer stärkeren Verdrängung unterlegen ist.

IZP, VIII, 1922, 495-496
Dr. von Hattingberg, München: Zur Analyse der psychoanalytischen Situation.

Für die analytische gilt wie für jede typische Situation „das Gesetz der Stelle“, das heißt das Denken, Fühlen und Handeln der in ihr Begriffenen wird allein schon dadurch, daß sie in diese Beziehung eintreten, in einer typischen Weise gerichtet, und zwar größtenteils, ohne daß ihnen diese Beeinflussung zu Bewußtsein käme. Eine Untersuchung der einfachen technischen Frage, ob es besser ist, die Patienten nach Freuds Vorschrift liegen oder sich gegenüber sitzen zu lassen, macht deutlich, wie vielfältige Beziehungen dieser Art in der analytischen Situation zusammenlaufen. Die Analyse dringt tiefer, wenn man Freuds Verfahren, die Erscheinungen des normalen Seelenlebens unter dem Gesichtswinkel der Neurose zu betrachten, auf die analytische Situation anwendet. Die analytische Situation wird dann als die Neurose (als das „Kloster“) des Analytikers gesehen, als eine Situation, die er sich schafft, um sich zu schützen: gegen sie dient die Abwehr gegenüber der unendlichen Aufgabe jeder Psychotherapie, ebenso wie der gegen die allzu nahe Berührung mit dem anderen und gegen die eigenen störenden Triebe. An der Stelle des nervösen Symptoms steht in der analytischen Situation die Theorie, das, was der Analytiker an Deutung und Theoretischem produziert. Die „Theorie“ ist das, was er zwischen sich und den anderen bringt, sie ist der Ausdruck seines Widerstandes. Sie ist zugleich der Weg, auf dem sich verdrängte Triebe des Analytikers ihre Befriedigung verschaffen können (Sadismus u. a.). Sie kann, wie das nervöse Symptom, gleichsam als Selbstzweck (ein Gedankenspiel der theoretischen Abstraktion), der Erreichung eines „Lustnebengewinnes“ dienstbar werden. Die Betrachtung macht also die Stellen deutlich, die in der analytischen Situation als Ausgangspunkte von Irrwegen angelegt sind.

IZP, VIII, 1922, 496
Dr. J. Piaget, Neuchâtel: La pensée symbolique où imagée et la pensée de l’enfant.

IZP, VIII, 1922, 496-497
Frau Dr. S. Spielrein, Genf: Psychologisches zum Zeitproblem.

Die Vortragende hat sich zur Aufgabe gestellt, einzelne Denkfunktionen des Vorbewußtseins in ihrem Wesen und Entwicklung zu verfolgen, und zwar auf Grund der Beobachtungen der unterschwelligen Bildsprache, der kindlichen Sprache, der sprachwissenschaftlichen Ergebnisse und der pathologischen Sprachstörungen. In diesem Vortrag handelt es sich um die Zeitbegriffsbildung. Hier unterscheidet Vortragende die Zeitdauer und die Zeitrichtung (= Richtung der Gegenwart, der Vergangenheit und der Zukunft). Die Untersuchung ergab folgendes:
1. Von den drei sogenannten Denkkategorien, die keine a priori-, sondern a posteriori-Begriffe sind, entwickelt sich zuerst der Raumbegriff, dann der Kausalitätsbegriff (FN 1) und erst zuletzt der Zeitbegriff.

(FN 1:  In einem gewissen Sinne jedenfalls. Es könnte sich nämlich herausstellen, daß auch der Kausalitätsbegriff kein einheitlicher Begriff ist, daß er sich in einem gewissen Sinne vor dem Zeitbegriff, in einem anderen Sinne nach dem Zeitbegriff erst bildet. Dieses bleibt vorbehalten!)

2. Das Kind kennt zuerst bloß Gegenwart und unmittelbare Zukunft, die es wahrscheinlich bloß durch die Dauer voneinander trennt. Es ist das Da Sein. Mit der Zeit entwickelt sich die Vorstellung des Nicht-da-seins. Dieses Nicht-da-sein wird zuerst durchaus räumlich gedacht, „weit, weit weg, fort“. In der Vorstellung des Nicht-da-seins liegt der Keim für den späteren Vergangenheitsbegriff. Zuerst entwickelt sich die Idee der Dauer; die Idee der Richtung (Gegenwart, Vergangenheit, Zukunft) folgt erst später. Die Zeitdauerschätzung kommt noch viel später.
3. a) Der Traum kann die Zeit als Richtung nicht darstellen.
b) Die Richtung im Traum wird in eine Dauer verwandelt.
c) Die Vergangenheit ist selbständiger in ihren Ausdrucksmitteln und wird der Gegenwart und Zukunft, die mehr einen Block bilden, gegenübergestellt.
d) Die Vergangenheit im Traum ist keine richtige Vergangenheit, sondern ein Nicht-da.sein, respektive ein Nicht-mehr-da-sein.
e) Das Zeitliche wird mittels des Räumlichen dargestellt.
4. Das Vorbewußtsein ist sehr genauer Zeitdauerschätzung fähig. Diese Zeitdauerschätzung erfolgt aber nicht im Traum, sondern findet in einem dem bewußten Denken parallel verlaufenden Bilddenken statt. Das vorbewußte Denken ist in bezug auf die Zeitdauerschätzung dem bewußten Denken weit überlegen. Es handelt sich da um eine Fähigkeit, die unsere Vorfahren besser beherrschten als wir, die wir offenbar eingebüßt haben. In einem Falle, wo die Zeitdauerschätzung symbolisiert wurde, geschah dies mittels Raumschätzung (Weglängenschätzung).
5. Sprachwissenschaftliche Erfahrungen ergeben überraschend ähnliche Resultate mit der Traumforschung. Dieses spricht für die wesentlich unterschwellige Entstehung der Sprache.
6. Der mangelnde Begriff der Zeitrichtung entspricht der Unfähigkeit, hier Gegensätze zu unterscheiden. Für jede neue psychische Funktion muß das Einbehalten von Richtung und Ausschließen von Gegensätzen neu erlernt werden. (An einem Aphasiefall wurde gezeigt, wie der Kranke, der sich in Zeit- und Rechenproblemen so gut orientierte, bei räumlicher Orientierung bestimmter Art in ganz merkwürdiger Weise versagte, indem er in die Gegenrichtung verfiel.)
Warum unterscheidet der Traum und das Kind keine Gegensätze bei der Zeitrichtung? Weil beide zuerst bloß die finale oder Zukunftsrichtung brauchen; man könnte sagen, sie seien eins mit dieser Richtung, sie „leben“ sie, daher bemerken sie sie nicht. Was man wünscht – ist eben da, in Wirklichkeit oder Phantasie. Die Realität zwingt das Kind, nach und nach auch die entgegengesetzte Richtung zu leben, auch die Versagung und Vernichtung kennen zu lernen. Damit bildet sich die Idee eines Antagonisten und durch Unterdrückung dieses Antagonisten die Idee einer Richtung.

IZP, VIII, 1922, 497-498
Dr. A. van der Chijs, Amsterdam: Versuch zur Anwendung der objektiven Psychoanalyse auf die musikalischen Kompositionen. *

Die objektive Analyse der Kompositionen von zwei Patienten lieferte den Beweis, daß die gedruckte Komposition, obwohl die Musik an sich nur Klangerinnerungsbilder hervorruft, genau so wie z. B. ein Gedicht oder Gemälde, mit den Einfällen und Assoziationen des Schöpfers zu analysieren ist. Beim ersten Patienten war in einem Lied mit Klavierbegleitung ein an der bezüglichen Stelle nicht schön klingendes Unisono auffällig. Es hatte Beziehung auf ein Liebesverhältnis im Text, bedeutete eine Identifizierung des Patienten mit der im Text gemeinten Person und verriet eine deutlich homosexuelle Bindung. Die Singstimme und die Begleitung (er und der andere) haben beide dieselbe Melodie, und zwar mit genau denselben Tönen in derselben Oktave.
Dieser Befund legte nahe, eine Verbindung zwischen Liebe, Homosexualität und Unisono anzunehmen.
Beim zweiten Patienten wird in der von ihm selbst ausgewählten Komposition, einem Klavierstück, als erstes einer chronologischen Reihe, zwar kein Unisono, aber ein Zusammengehen der beiden Stimmen in Terzen gefunden. Seine Einfälle zeigten, daß es hier das Glück einer Freundschaft mit einem Freunde galt, das aber gerade durch den Verlust eines anderen Freundes, wie alles Glück, als vergänglich, unvollkommen, vorgestellt wird. Das Unisono konnte deswegen auch nicht vollkommen sein. Seine jetzt folgende Komposition ist ebenfalls für Klavier. Sie enthält ein unverfälschtes Unisono, womit er, zufolge seiner Einfälle, sehr deutlich das Motiv der Homosexualität malt. Diese wurzelte in Inzestgedanken und in psychischem Infantilismus. Seine inneren Konflikte waren die treibenden Kräfte zur Komposition.
Das dritte Klavierstück umfaßt viele Motive. Auch hier wird das Unisono in einer schnell in die Höhe strebenden Passage angetroffen und malt die durch einen homosexuellen Akt hervorgerufene Ejakulation mit Orgasmus. Das ganze ist ein Heldenkampf. Er streitet gegen seine abnormen Neigungen, sucht und erwartet Hilfe vom Arzt (hier könnte man von einem Übertragungsmotiv reden) und findet schließlich in der Gestalt einer Göttin den Lenz, seine Erlösung und die normale Liebe, seine Wiedergeburt. All seine Arbeiten sind überfüllt von psychischen Konflikten und drücken das in der Musik aus. Die Analyse konnte in Melodie, Rhythmen, Tempo und Bau die Verdrängungen lösen und ergab einen sehr deutlichen Einblick in seine Psyche, besser als die vorangegangene Analyse ohne Zuhilfenahme seiner Geisteskinder, wobei immer starke Widerstände auftraten.
Die Frage, ob das Unisono pathognomonisch für homosexuelle Äußerungen ist, wird angezweifelt und eher so aufgefaßt, daß das Unisono mit Vorliebe die Einheit in der Liebe im allgemeinen ausdrückt.
Der therapeutische Effekt war bedeutend, nachdem die normale Liebe zur Entwicklung kam und die homosexuelle Freundschaft abgebrochen wurde.

IZP, VIII, 1922, 498-499
Dr. S. Pfeifer, Budapest: Musikpsychologische Probleme.

Der Vortrag behandelt zuerst die viel erörterten biologischen Beziehungen zwischen Musik und Sexualtrieb von psychoanalytischen und metapsychologischen Gesichtspunkten. Es wird an der Hand biologischer Tatsachen versucht, den biologischen Fixierungspunkt der Freude an der Musik und ihre Entstehungsbedingungen festzustellen. Es mußte biologisch der Zeitpunkt gewesen sein, als die Tiere es zustandegebracht hatten, anstatt im Wasser dauernd auf dem Lande leben zu können und sich aus dem ich- und körperfremden Stoff der Luft einen körper- und icheigenen zu machen. Dies trifft zu bei den Fröschen, den ersten Singtieren. Die Luft wurde mit Ichlibido besetzt und als geeigneter Ersatzstoff statt des libidoerfüllten Plasma zwecks Abfuhr der narzisstischen Libidospannung ausgepreßt, und zwar durch eine erogene Zone, die Kehle, deren Muskelelemente in tonische Erregung geraten sind, eben dadurch, daß zuvor vom Organismus noch der Versuch angestellt wurde, sich der narzißtischen, präsexuellen, zur Objektbindung noch nicht gereiften Libidospannung durch lokale, tonische Bindung an erogene Zonen zu entledigen, die aber dem Ansturm der Sexualität nicht endgültig standhalten konnte. Der Anfang aller Musik fällt also psychologisch vor den Fortschritt der narzißtischen Libido zur Objektsexualität, die Musik ist eine Art Selbstzweck gewordene Vorlust, narzißtisch prägenital organisiert, eine Konversionserscheinung auf prägenitaler Stufe, nach dem Vorbild etwa der Analerotik.
Dem Ursprung aus Narzißmus und Organlust (erogener Zonen) entspricht der Mangel der Musik an objektivem Inhalt, an Darstellung der Objektbeziehungen, da die daran beteiligte Libido noch nicht bis zur Objektstufe entwickelt ist. Der Inhalt der Musik ist reine Libidosymbolik, vielleicht die einzige seelische Bildung, wo im Ausdruck nur die funktionale Seite des libidinösen Geschehens in uns vertreten ist. Musik ist eben eine Kunst der Icherinnerungssysteme.
Die eigenartige Wirkung der Musik besteht in der Induktion der oben erwähnten narzißtischen und erogenen Lust, aus der durch diese entstandene Regression und den dieser nachströmenden sekundären, wunscherfüllenden Phantasien, weiterhin aus einem dem narzißtischen Charakter parallel gehenden animistischen Eindruck (Icheinstellung).
Die Begegnung mit der Objektwelt kann in der Musik ebenfalls nur funktionell durch die Störungen und Stauungen – Dissonanzen, Zurückhaltungen, Arhythmien, Atonalität usw. – ausgedrückt werden. Die Entwicklungsanstrengungen fallen meistens gleichfalls in die Richtung des Objektausdrucks, da die Musik auf dem Weg zur Objektbesetzung der Libido entstanden ist, ohne diese erreichen zu können, denn dann würde sie Gefahr laufen, eine Art Sprache zu werden, ohne eine Kunst zu bleiben.

 

IZP, VIII, 1922, 499

Geschäftliche Sitzung.

Tagesordnung:

1. Gruppenberichte der Vorsitzenden.
2. Bericht über die Berliner Poliklinik (Dr. M. Eitingon).
3. Verlagsbericht (A. J. Storfer).
4. Referatenwesen und Jahresbericht (Dr. Th. Reik).
5. Anträge.
6. Präsidentenwahl.
7. Nächster Kongreß.

 

IZP, VIII, 1922, 499-501
Ernest Jones, Präsident der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung, als Vorsitzender.
I. Die Protokolle der geschäftlichen Sitzungen des letzten Kongresses werden als gelesen und richtig befunden bestätigt.
II: Der Präsident erstattet folgenden Bericht über die Tätigkeit der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung seit dem letzten Kongreß:

Der Verfassung unserer Vereinigung zufolge ist es die Pflicht des Präsidenten, einen Bericht über die Geschehnisse seit dem letzten Kongreß zu geben. Es ist mir eine Genugtuung zu sagen, daß der Bericht, den ich zu geben habe, in allen wesentlichen Punkten zufriedenstellend ist. Der Fortschritt, den die psychoanalytische Bewegung seit dem letzten Kongreß gemacht hat, ist sehr bedeutend, sowohl was die weitere Ausbreitung unserer Zweigvereine, das vermehrte Prestige unserer Wissenschaft in der Welt, die literarische Tätigkeit in Veröffentlichungen und Übersetzungen und, das allerwichtigste, die Zunahme an wirklichem Wissen betrifft.
Auf dem letzten Kongreß war es notwendig, die Ereignisse der verflossenen sieben Jahre zu besprechen; lange Berichte wurden vorgelegt, von dem Präsidenten und auch von den Führern der verschiedenen Zweigvereine. Heute, nach einem so viel kürzeren Zeitraum, kann auch mein Bericht verhältnismäßig kürzer sein, um so mehr, als der engere Kontakt zwischen den verschiedenen Vereinen es ermöglichte, die Neuigkeiten rasch der ganzen Vereinigung bekanntzugeben.
Sie werden sich erinnern, daß auf dem letzten Kongreß der Wunsch ausgesprochen wurde, den nächsten Kongreß im folgenden Jahre abzuhalten. Bald darauf jedoch entdeckte der Zentralausschuß, daß der Erfüllung dieses Wunsches Schwierigkeiten entgegenstanden und ersuchte daher die Vereine, diese Frage aufs neue zu erwägen. Die Abstimmung in diesem Referendum ergab eine bedeutende Mehrheit für die Verschiebung des Kongresses auf das heurige Jahr und der Zentralausschuß traf demgemäß seine Entscheidung. Wir würden empfehlen, daß der Plan, einen Kongreß nur alle zwei Jahre abzuhalten, festgehalten werde; im anderen Falle würde der Zeltaufwand, den die Vorbereitungen für einen Kongreß verlangen, mit den anderen Tätigkeiten der betreffenden Mitglieder in ernsten Konflikt geraten.
Die Zahl der Mitglieder der Vereinigung ist seit dem letzten Kongreß von 191 auf 239 zurzeit gestiegen; der größte Zuwachs ist in der Britischen, der New Yorker und der Schweizerischen Gesellschaft zu verzeichnen. Der einzige Verein, der jetzt kleiner ist als vor zwei Jahren, ist der ungarische.

Ich teile Ihnen mit tiefem Bedauern mit, daß wir in den letzten zwei Jahren die folgenden Mitglieder durch den Tod verloren haben:
Dr. Rorschach, Vizepräsidenten der Schweizerischen Gesellschaft,
Dr. Skevirsky, Mitglied der New Yorker Gruppe, und
Dr. Rivers, außerordentliches Mitglied des britischen Vereines.
Der Tod Dr. Rorschachs stellt einen schweren Verlust für die psychoanalytische Bewegung dar; obzwar er vorläufig noch verhältnismäßig wenig veröffentlicht hatte, war doch aller Grund vorhanden, von seinen großen vielversprechenden Fähigkeiten wertvolle Beiträge in der Zukunft zu erwarten. Ich fordere die Versammlung auf, sich zu Ehren unserer toten Mitglieder zu erheben.

Ich habe das Vergnügen, Ihnen mitzuteilen, daß ein indischer psychoanalytischer Verein sich in Kalkutta gebildet hat, mit Dr. Bose als Präsidenten und einer Mitgliederzahl von zwölf. Da die Grundlagen der Organisation dieser Gesellschaft bemerkenswerte Sorgfalt zeigen und da wir mit Dr. Boses psychoanalytischem Wissen durch ein kürzlich veröffentlichtes ausgezeichnetes Buch vertraut sind, haben wir beschlossen, diesem Verein die vorläufige Aufnahme als Zweigverein in die Vereinigung, um die er ersuchte, zu gewähren und ich möchte den Kongreß nun ersuchen, diese Entscheidung zu ratifizieren.
Ein russischer psychoanalytischer Verein ist in Moskau gebildet worden und trotz der Verkehrsschwierigkeiten sind wir im Begriffe, mit ihm in Kontakt zu kommen. Neue Vereine sind auch in Leipzig und Cardiff entstanden, die sich ebenfalls um die Aufnahme in die Internationale Vereinigung bewarben. Wir fühlten jedoch, daß sie wissenschaftlich nicht weit genug vorgeschritten waren, um ihre Aufnahme gerechtfertigt erscheinen zu lassen und verschoben daher die Angelegenheit, um eingehende Erkundigungen einzuziehen. Da ähnliche Fragen sicherlich in Zukunft häufiger auftauchen werden, möchte ich den Kongreß bitten, den dabei einzuhaltenden Modus zu diskutieren und habe zu diesem Zwecke eine Resolution ausgearbeitet, die ich baldigst vorlegen werde.

Die folgenden Veränderungen in den Zweigvereinen haben stattgefunden: 
Dr. Liebermann, der Sekretär des Berliner Vereines, war bedauerlicherweise aus gesundheitlichen Rücksichten gezwungen, sein Amt niederzulegen und seine Arbeit ist von Dr. Eitingon fortgeführt worden.
Dr. Reik wurde zum Mit-Sekretär des Wiener Vereines neben Dr. Rank ernannt.
Dr. Oberndorf wurde an Stelle Dr. Brills zum Präsidenten der Amerikanischen Gesellschaft ernannt. Dr. Ames und Dr. Oberndorf ersetzten Dr. Oberndorf und Dr. Brill als Präsidenten respektive Sekretär der New Yorker Gruppe.

(FN 1: Einzelne von diesen Veränderungen, besonders in der New Yorker Gruppe, erscheinen durch den eben zur Zeit des Kongresses veröffentlichten neuesten Korrespondenzblattbericht bereits überholt (siehe diese Zeitschrift, laufender Jahrgang Heft 3, Seite 391).)

Es ist unmöglich, an dieser Stelle die wissenschaftlichen Veröffentlichungen der letzten beiden Jahre Revue passieren zu lassen, aber ich kann dieses Thema nicht verlassen, ohne besonders auf die zahlreichen und wertvollen Beiträge der jüngeren Mitglieder des Ungarischen und Berliner Vereines hinzuweisen. Diejenigen unter uns, die, wie ich selbst, den weniger produktiven Vereinen angehören, können nur den hohen Maßstab der wissenschaftlichen Beiträge der genannten Vereine bewundern und sie herzlich beglückwünschen.
Wie in der Zeitschrift veröffentlicht, (FN 1) wurde der literarische Preis für die beste Arbeit
auf dem Gebiete der ärztlichen Psychoanalyse Dr. Stärcke für seine Veröffentlichungen „Der Kastrationskomplex“ (FN 2) und „Psychoanalyse und Psychiatrie“ (FN 3) verliehen; der Preis für angewandte Psychoanalyse wurde Dr. Róheim für seine Artikelserie „Das Selbst“ (FN 4) und seinen bisher unveröffentlichten Vortrag „Über australischen Totemismus“ verliehen. Wie ich höre wird Professor Freud bald eine interessante Mitteilung über die Angelegenheit der Preisverteilungen machen.

(FN 1: Siehe Jahrg. VII, Seite 381.)

(FN 2: Siehe diese Zeitschrift Bd. VII, S. 9.)

(FN 3: Beiheft IV zu dieser Zeitschrift.)

(FN 4: Imago VII, 1921.)

Ich komme nun zu dem Bericht, den der Zentralausschuß im Auftrage des letzten Kongresses ausgearbeitet hat. Es war dies über die Fragen, ob es wünschenswert wäre, ein Diplom einzuführen und über die Bedingungen der Aufnahme neuer Mitglieder in die Zweigvereine. Es ist Ihnen bekannt, daß die Fragebogen, die gewissenhaft von jedem Zweigverein beantwortet wurden, von dem Zentralausschuß verarbeitet wurden und unser Bericht, der die Ergebnisse und unsere eigenen Wünsche und Empfehlungen zusammenfaßt, ist den verschiedenen Zweigvereinen zur Zirkulation übergeben worden.
Die ganze Frage steht als ein besonderer Punkt der Agenden in der heutigen Sitzung und ich will daher in dem jetzigen Bericht nichts weiter darüber sagen. Auch drei andere Angelegenheiten, die zu meinem Berichte gehören, werden besonders behandelt werden.
Über den Fortschritt und die zukünftigen Pläne des Verlages und der Presse wird in der Sitzung von Herrn Storfer berichtet werden; über den finanziellen Stand der Vereinigung wird unser Sekretär Herr Flügel berichten, und über den befriedigenden Fortschritt der Berliner Poliklinik Dr. Eitingon. Zum Schlusse ist es mir ein Bedürfnis, dem Wiener Verein zu gratulieren, daß er nach Überwindung bedeutender Schwierigkelten zur Errichtung einer Poliklinik schreiten konnte. Wir hoffen auf dem nächsten Kongreß zu hören, daß sie dem erfolgreichen Beispiel der Berliner Poliklinik gefolgt ist.

IZP, VIII, 1922, 501
III. Dr. van Emden, Dr. Oberholzer und Dr. Abraham berichten über die Tätigkeit der Holländischen, Schweizerischen und Berliner Zweigvereinigung.

IV. Dr. Eitingon verliest einen Bericht über die Tätigkeit der Berliner Psychoanalytischen Poliklinik.
Dr. Jones beantragt die Veröffentlichung dieses Berichtes in Zeitschrift und Journal.
(FN 5: Wird gleichzeitig veröffentlicht, siehe Seite 506.)

V. Dr. Hitschmann berichtet über das Wiener „Ambulatorium“.

IZP, VIII, 1922, 501-502
VI. Dr. Jones spricht einige einleitende Worte zum Tätigkeitsbericht des Internationalen Psychoanalytischen Verlages.

Er dankt Herrn Storfer für den Kalender, den der Verlag den auf dem Kongreß anwesenden Mitgliedern der Vereinigung zum Geschenk gemacht hat. Ferner beantragt er, daß allen Mitgliedern, bei Beibehaltung des von ihnen gezahlten Abonnementspreises, die Wahl freistehen solle, Zeitschrift und Imago oder das englische Journal zu beziehen. Dieser Antrag wird angenommen.

IZP, VIII, 1922, 502
VII. Dr. Otto Rank berichtet in Vertretung des plötzlich erkrankten Herrn Storfer über die Tätigkeit des Verlages.

Folgende von ihm beantragte, durch die Verhältnisse erforderte Änderung im System der Preisregulierung wird angenommen. Der Abonnementspreis der beiden deutschen Zeitschriften wird in Hinkunft betragen: Für Mitglieder in der Schweiz pro Zeitschrift und Jahrgang 14 Franken, in England 14 Shilling, in Holland 7 Gulden, in Amerika 3 Dollar; für die Mitglieder in Deutschland, Österreich und Ungarn wird kein fixer Abonnementspreis festgesetzt, der Abonnementspreis für diese drei Länder pro Zeitschrift und Jahrgang ergibt sich aus der Multiplikation der Grundzahl 14 mit der am Zahlungstage gültigen buchhändlerischen Schlüsselzahl, abzüglich einer 25 prozentigen Ermäßigung.

IZP, VIII, 1922, 502
VIII. Professor Freud führt aus, daß es wünschenswert wäre, den internationalen Charakter des „Journal“ stärker zu betonen.

Zu diesem Zwecke schlägt er vor, die Liste der Mitredakteure auf dem Titelblatt des „Journal“ gleichlautend mit jener auf dem Titelblatt der „Zeitschrift“ zu gestalten. Die Namen von Dr. Frink und Dr. Bose sollen hinzugefügt und jede in Zukunft neu angegliederte Zweigvereinigung durch Aufnahme eines neuen Namens (in der Regel der des Präsidenten) vertreten werden.
Nach einer Diskussion, an der Mr. Flügel, Dr. Bryan, Dr. Frink und Mrs. Riviere teilnehmen, ändert Professor Freud seinen ursprünglichen Vorschlag dahin ab, daß auch alle Namen der jetzigen Mitredakteure auf dem Titelblatt des „Journal“ beibehalten werden sollen. In dieser veränderten Form wird der Antrag angenommen.

IZP, VIII, 1922, 502-503
IX. Dr. Jones legt den Bericht der Zentralleitung über die Fragen der Diplomerteilung und Mitgliederaufnahme vor;

dieser Bericht wird bestätigt. Ferner legt er im Namen der Zentralleitung dem Kongreß den folgenden Beschluß zur Abstimmung vor:
„Der VII. Kongreß der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung empfiehlt den Zweigvereinigungen, von allen Aufnahmsbewerbern jenes entsprechende Maß von Kenntnissen zu verlangen, auf das die Zentralleitung in ihrem dem Kongreß vorgelegten Bericht über die Fragen der Diplomerteilung, Mitgliederaufnahme etc. hingewiesen hat.“

An der Diskussion beteiligen sich die folgenden Mitglieder:
Dr. Sachs fragt, ob es für die Zweigvereinigungen eine Möglichkeit gäbe, die praktische Ausübung der Psychoanalyse zu beschränken?
Dr. Jones meint, daß die einzige Einflußnahme in dieser Hinsicht durch die Zurückweisung von Aufnahmsbewerbern ausgeübt werden könnte, die aus irgend einem Grunde zur Ausübung der psychoanalytischen Praxis nicht geeignet erscheinen.
Dr. Simmel weist auf die Gefahren der „wilden Psychoanalyse“ hin und beantragt, daß die Vereinigung auf irgend eine Weise zur Kenntnis des Publikums bringen solle, daß nur Mitglieder der Vereinigung die Qualifikation zur Ausübung der psychoanalytischen Praxis besitzen.
Dr. Boehm unterstützt den Antrag Dr. Simmels.
Dr. Liebermann beantragt, daß der Kongreß einen Beschluß in Unterstützung des Vorschlages von Dr. Simmel fassen und den Zweigvereinigungen empfehlen möge, die notwendigen Maßregeln nach eigenem Ermessen zu ergreifen.
Dr. Federn meint, daß sich einer Ausführung des Vorschlages von Dr. Simmel zu große praktische Hindernisse entgegenstellen.
Dr. Sachs meint, daß die Zweigvereinigungen in dieser Hinsicht bereits ihr möglichstes tun.
Der Beschluß der Zentralleitung wird daraufhin zur Abstimmung gebracht und einstimmig angenommen.

IZP, VIII, 1922, 503
X. Professor Freud teilt mit, daß er den literarischen Preis des letzten Jahres für ärztliche Psychoanalyse Herrn Dr. Alexander für seine Arbeit „Kastrationskomplex und Charakter“ zuerkannt hat.

(FN 1: Siehe diese Zeitschrift, Bd. VIII, S. 121.)

Er kündigt ferner an, daß der nächstjährige Preis der besten Arbeit über ein von ihm gestelltes Thema zuerkannt werden soll. Dieses Thema lautet: „Das Verhältnis der psychoanalytischen Technik zur psychoanalytischen Theorie“.

(FN 2: Erläuterung: „Es soll untersucht werden, inwiefern die Technik die Theorie beeinflußt hat, inwieweit die beiden einander heute fördern oder behindern.“)

Bewerber müssen ihre Arbeiten bis längstens 1. Mai 1923 anonym an Professor Freud eingesendet haben. Dr. Abraham und Dr. Eitingon werden Professor Freud bei der Beurteilung der eingesandten Arbeiten unterstützen. Die Höhe des Preises beträgt 20.000 Mk. (vom Werte der Kongreßzeit).

IZP, VIII, 1922, 503
XI. Mr. Flügel berichtet über die finanzielle Lage der Vereinigung und schlägt folgende vorläufige Maßregel vor:

„Die Beiträge der österreichischen, ungarischen und deutschen Mitglieder für die Internationale Vereinigung sollen 25 Prozent jener Beträge ausmachen, welche diese Mitglieder ihren Zweigvereinigungen im entsprechenden Zeitraum für rein interne Zwecke bezahlen (das heißt nach Abzug der Abonnementspreise für die Zeitschriften und der bisher an die Internationale Vereinigung gezahlten Beträge).
Dr. Abraham unterstützt diesen Antrag, der daraufhin angenommen wird.

IZP, VIII, 1922, 503-504
XII. Dr. Jones teilt mit, daß zwei neue Vereinigungen, eine in Indien, die andere in Moskau um die Angliederung an die Internationale Psychoanalytische Vereinigung angesucht haben.

Dr. Sachs verliest eine Übersetzung der Geschichte der Indischen Psychoanalytischen Vereinigung.

(FN 3: Siehe unter Psychoanalytische Bewegung, erste Stelle.)

Die vorläufige Aufnahme dieser Gruppe als eine der internationalen Vereinigung angegliederte Zweigvereinigung wird durch den Kongreß definitiv bestätigt.

Professor Freud teilt mit, was ihm von der Moskauer Psychoanalytischen Vereinigung bekannt ist (FN 4) und beantragt ihre Aufnahme als Zweigvereinigung.

(FN 4: Die Moskauer Gruppe, über die bereits in dieser Zeitschrift, laufender Jahrgang, S. 236, vorläufig berichtet wurde, existiert bereits faktisch seit ungefähr einem Jahr als eine besondere wissenschaftliche Gruppe in dem Psycho-Neurologischen Institut zu Moskau. Die Mitgliederliste – womit die am anderen Orte publizierte zugleich richtig gestellt wird, lautet wie folgt, wobei Professor Ermakow Vorsitzender, Dr. Wulff Sekretär ist: Professor Dr. Iw. Ermakow, Professor Dr. J. Kannabich, Dr. M. Wulff, Professor Schmidt, Professor A. Sydorow, Professor A. Gabritschewsky, Professor S. Schatsky, Dr. L. Beloborodow, Schriftsteller A. Woronsky, Pädagoge G. Weißberg, Herr W. Newsky.)

Dr. Bryan wendet ein, daß diese Aufnahme vorläufig noch nicht stattfinden könne, da die Statuten der Moskauer Gruppe noch nicht – wie es Punkt XII der Statuten der Internationalen Vereinigung verlangt – in den Händen der Zentralleitung seien.
Professor Freud schlägt daraufhin vor, der Kongreß möge die Zentralleitung ermächtigen, die Aufnahme der Moskauer Gruppe vorzunehmen, sobald die notwendigen Aufnahmsbedingungen erfüllt seien. Dieser Antrag wird angenommen.

IZP, VIII, 504
XIII. Dr. Jones bringt folgenden Zusatz zu den Statuten zur Abstimmung:

„Jede Zweigvereinigung soll (nach Zustimmung der Zentralleitung) berechtigt sein, kleineren Gruppen innerhalb ihres Landes den vorläufigen Anschluß an ihre eigene Ortsgruppe zu gewähren. Die Rechte und Pflichten der Mitglieder solcher angeschlossener Gruppen wären die folgenden:
1. Das Recht, den Sitzungen aller Zweigvereinigungen wie auch dem Kongreß beizuwohnen.
2. Das Recht, alle Veröffentlichungen des Verlages zu herabgesetzten Mitgliedspreisen zu beziehen und die Pflicht, unter denselben Bedingungen wie die Mitglieder auf die offiziellen Organe der Vereinigung zu abonnieren.
3. Das Recht auf jede entsprechende Unterstützung seitens der übergeordneten Zweigvereinigung.
In den Geschäftssitzungen der Zweigvereinigungen und der Internationalen
Vereinigung haben die Mitglieder solcher angeschlossenen Gruppen keine Stimme.
Der Anschluß einer solchen Gruppe kann durch den Beschluß der betreffenden Zweigvereinigung jederzeit aufgehoben werden.
Die Mitgliedschaft in einer solchen Gruppe schließt die Mitgliedschaft in der übergeordneten Zweigvereinigung nicht aus und umgekehrt.“

Professor Freud unterstützt den Antrag inhaltlich, möchte aber betonen, daß ein solcher Anschluß nur im Falle kleiner lokaler Gruppen stattfinden sollte. Größere und bedeutendere Gruppen würden sich, seiner Meinung nach, weigern, einer schon bestehenden Zweigvereinigung untergeordnet zu werden. Dr. Jones meint, daß der Wortlaut des vorgeschlagenen Statutenzusatzes dieser Ansicht bereits genügenden Ausdruck verleiht. Dr. Spielrein bespricht die Anwendung des neuen Statuts auf die Verhältnisse in Rußland. Dr. van Ophuijsen gibt der Ansicht Ausdruck, daß man Personen, die eine derartige Gruppe neu bilden oder in sie eintreten wollen, lieber zur Erwerbung der Mitgliedschaft in einer schon bestehenden Zweigvereinigung raten sollte. Dr. Jones erwidert darauf, daß die bestehenden Zweigvereinigungen solche Bewerber nicht immer bereitwillig als ordentliche Mitglieder aufnehmen. Dr. Oberholzer schlägt vor, derartige Gruppen der betreffenden Ortsgruppe nicht unter-, sondern nebenzuordnen.
Der vorgeschlagene Zusatz zu den Statuten wird daraufhin zur Abstimmung gebracht
und einstimmig angenommen.

IZP, VIII, 1922, 504
XIV. Dr. Reik verliest einen Bericht über das Referatenwesen im Rahmen der
Internationalen Vereinigung und Vorschläge zur Reformierung desselben einschließlich
des Jahresberichtes.

Professor Freud beantragt, die Ausführungen Dr. Reiks zu drucken und in den Zweigvereinigungen zur Diskussion zu stellen. Die Zentralleitung möge diese Diskussionsberichte dann sammeln und Dr. Reik zur Einsichtnahme übermitteln.
Dieser Antrag wird angenommen.

IZP, VIII, 1922, 504-505
XV. Dr. Jones übergibt nunmehr den stellvertretenden Vorsitz Dr. Oberholzer, der
den Kongreß auffordert, zur Präsidentenwahl zu schreiten.

Professor Freud schlägt die Wiederwahl von Dr. Ernest Jones zum Präsidenten vor. Er fügt hinzu, daß es unter den gegenwärtigen Verhältnissen seiner Ansicht nach wünschenswert wäre, den Sekretär einer der in Mittel-Europa ansässigen Zweigvereinigungen zu entnehmen. Er rät Dr. Jones, Dr. Abraham zum Zentralsekretär vorzuschlagen.
Dr. Jones erwidert, daß er Dr. Abraham gerne für das Amt eines Zentralsekretärs in
Vorschlag bringen möchte, daß ein solcher Antrag aber mit Punkt VIII der Statuten der Internationalen Vereinigung in Widerspruch treten würde. Er beantragt daher die Streichung der Worte „aus der Mitte der am gleichen Orte ansässigen Mitglieder“ aus Punkt VIII der Statuten. Der Antrag wird angenommen.
Hierauf wird Dr. Jones zum Präsidenten wiedergewählt, Dr. Abraham zum Zentralsekretär gewählt.

IZP, VIII, 1922, 505
XVI. Dr. Jones übernimmt neuerlich das Präsidium,

dankt dem Kongreß für seine Wiederwahl und spricht seinen Mitarbeitern während der letzten Amtsperiode, insbesondere Mr. Flügel und Dr. Eitingon, den wärmsten Dank aus. Er betont ferner die Schwierigkeiten, welche die Abhaltung eines Kongresses im Monat September mit sich bringt, und beantragt, den nächsten Kongreß zu Ostern 1924 abzuhalten.
Dieser Antrag wird einstimmig angenommen.

XVII. Dr. Jones eröffnet hierauf die Diskussion über den nächsten Kongreßort.

Dr. Groddeck lädt den Kongreß nach Baden-Baden ein, Dr. Piaget nach Genf. Dr. Oberholzer unterstützt die letztere Einladung. Professor Levi-Bianchini beantragt die Annahme der Einladung Groddecks. Dr. Federn schlägt Wien vor und beantragt, die Entscheidung noch offen zu lassen. Dr. Federns Antrag wird zur Abstimmung gebracht und mit 22 gegen 19 Stimmen angenommen.

XVIII. Dr. Ferenczi dankt

dem Präsidenten für seine Arbeit im Dienste der Vereinigung. Dr. Jones erwidert, daß er diesen Dank auch seinen Mitarbeitern, besonders Mr. Flügel, Dr. Eitingon und Dr. Abraham, übermitteln möchte.
Dr. Rádo spricht der Berliner Vereinigung den Dank für die ausgezeichnete Organisierung des Kongresses aus. Dr. Abraham dankt in seiner Erwiderung allen Mitgliedern der Internationalen Vereinigung für ihre Teilnahme am Kongreß.
Dr. Jones bemerkt abschließend, daß er hofft, für den nächsten Kongreß ein kürzeres und weniger ermüdendes Programm zusammenstellen zu können und erklärt hierauf die Sitzung für geschlossen.

 

IZP, VIII, 1922, 527
Preisausschreibung.

Auf dem VII. Internationalen Psychoanalytischen Kongreß zu Berlin wurde von dem Unterzeichneten das Thema: Verhältnis der analytischen Technik zur analytischen Theorie als Preisaufgabe hingestellt.
Es soll untersucht werden, inwiefern die Technik die Theorie beeinflußt hat und inwieweit die beiden einander gegenwärtig fördern oder behindern. Arbeiten, welche dieses Thema behandeln, mögen bis zum 1. Mai 1923 an die Adresse des Unterzeichneten geschickt werden. Sie sollen gut lesbar getypt und mit einer Aufschrift oder Motto versehen sein, während ein begleitendes Kuvert den Namen des
Autors enthält. Die Sprache der Abfassung sei Deutsch oder Englisch. In der Beurteilung der eingesandten Arbeiten werden Dr. K. Abraham und Dr. M. Eitingon den Unterzeichneten unterstützen.
Der Preis beträgt 20.000 Mark vom Wert der Kongresszeit.
Wien, IX., Berggasse 19. Freud.

Zu den Ursprüngen diese Preises siehe auch

  • Freud, Sigmund (1919c): Internationaler Psychoanalytischer Verlag und
    Preiszuteilungen für Psychoanalytische Arbeiten. GW XII, 333-336.
  • psyalpah: Biografie von Anton von Freund

 

Quellen:

Ferenczi, Sándor; Rank, Otto (1924): Entwicklungsziele der Psychoanalyse. Zur Wechselbeziehung von Theorie und Praxis. Leipzig, Wien, Zürich: Internat. Psychoanalytischer Verlag. Neuausgabe: Wien : Turia + Kant, 1995
Freud, Sigmund (1919c): Internationaler Psychoanalytischer Verlag und
Preiszuteilungen für Psychoanalytische Arbeiten. GW XII, 333-336.
Freud, Sigmund (1923b): Das Ich und das Es. GW XIII, 237-289.
Giefer, Michael (2007): Das Korrespondenzblatt der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung (1910 – 1941). Elektronische Version. Erfasst von Michael Giefer. 2007.
Haynal, André (1989): Die Technik - Debatte in der Psychoanalyse. Gießen: Psychosozial. 2000.
Klein, Melanie (1923): Frühanalyse. WMK 11, 99-137. Erstveröffentlichung: Imago 9, 222-259.
Korrespondenzblatt. IZP, VIII, 1922, 238
Korrespondenzblatt. IZP, VIII, 1922, 478-505
Korrespondenzblatt. IZP, VIII, 1922, 527
Korrespondenzblatt. IZP, IX, 1923, 545
Korrespondenzblatt. IZP, X, 1924, 105-106
Korrespondenzblatt. IZP, X, 1924, 211-228.
Leitner, Marina (1998): Freud, Rank und die Folgen. Ein Schlüsselkonflikt. Wien: Turia + Kant.

Eine vollständige elektronische Version des Korrespondenzblattes der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung (1910 – 1941) in pdf Format mit Suchfunktion ist bei Michael Giefer, Louisenstr. 11, D-61348 Bad Homburg, E-Mail: m.giefer@web.de zu erwerben.

 

Erstellt von Christine Diercks, 1.9.2010