Sachs, Hanns (1923): Zur Genese der Perversionen. IZP, IX, 172-182
Zur Genese der Perversionen.
Von Dr. Hanns Sachs (Berlin).
Wir verdanken den „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie“ Freuds die Erkenntnis, daß die Perversion die Durchsetzung eines überstark entwickelten Partialtriebes bedeute, der, anstatt sich mit der Befriedigung durch die Vorlust abzufinden, das durch die normale Entwicklung hergestellte Primat der Genitalien auf eine andere erogene Zone, respektive auf ein mit diesem unvereinbares Sexualziel verschoben habe. Die Richtigkeit dieser Behauptungen ist durch alle späteren Erfahrungen bestätigt und in keiner Weise eingeschränkt oder verändert worden. Eher scheint es, als ob durch die dauernde psychoanalytische Beschäftigung mit den Perversionen neue Probleme hinzugekommen wären, welche gewisse Zusätze erforderlich machen.
Das wichtigste dieser Probleme läßt sich als die Frage der Stellung der Perversion zum Ödipuskomplex, sowie zum Unbewußten und zur Verdrängung formulieren. Es handelt sich in Wirklichkeit nur um eine Frage, die sich nur, je nachdem die Betrachtungsweise mehr vom Gesichtspunkt des Materiales oder von dem der psychischen Topik aus erfolgt, verschieden fassen läßt. Auch hier hat Freud den Weg gewiesen und zuerst in „Ein Kind wird geschlagen“ (FN 1) deutlich gemacht, daß unser Verständnis der Perversion sehr unvollständig ist, solange dieser Kernkomplex nicht genügend und vor allem nicht als gesetzmäßig berücksichtigt wird. An einem Sonderfall wurde auch wirklich dargetan, daß es sich um Niederschläge des Ödipuskomplexes handle; der überstarke Partialtrieb würde sich dann nicht geradlinig in die Perversion fortsetzen, sondern er müßte, wie ein Lichtstrahl durch die Linse, durch den Ödipuskomplex hindurchgehen und uns würde es obliegen, den Brechungswinkel festzustellen und daraus unsere Folgerungen zu ziehen. Damit stimmt es auch überein, daß die per-
(FN 1) Sammlung kleiner Schriften zur Neurosenlehre, 5. Folge, Seite 195—228,
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verse Befriedigung ziemlich regelmäßig an ganz bestimmte, oft sehr merkwürdige und eng gefaßte Bedingungen geknüpft ist, die in ihrer Besonderheit weit über die Ansprüche eines Partialtriebes hinausgehen und durch seine erfolgreiche Durchsetzung allein nicht aufgeklärt werden können. Dazu kommt noch, daß die Partialtriebe, soweit sie einer sehr frühen Stufe der Sexualorganisation angehören, also z. B. dem oralen, anal-sadistischen oder narzißtischen Stadium, — sich nur ausnahmsweise in der alten, objektlosen (autoerotischen oder primär-narzißtischen) Form zur Perversion durchsetzen, meist aber nach einer Überarbeitung, die sie auf eine höhere Stufe gehoben und zur normalen Libidobesetzung eines Objektes, ja in manchen Fällen zu den feinsten seelischen Ausstrahlungen einer solchen, fähig gemacht hat. Von der anderen Seite her betrachtet: der Satz, die Neurose sei das Negativ der Perversion, das heißt, beim Neurotiker seien dieselben Phantasien verdrängt und pathogen (also Determinanten der Symptombildung), die dem Perversen das bewußte Lustziel lieferten — dieser Satz läßt die Frage offen, wie die Perversion sich zum Unbewußten verhalte. Denn es ist ohne weiteres klar, daß auch die Perversion, obgleich sie bewußtseinsfähig ist, nur gleich einer Insel die Spitze eines Gebirgsmassivs bedeutet, das sich unter der Meeresoberfläche hinzieht. Der Perverse zeigt uns keine Ausnahme von der infantilen Amnesie, die wir als Narbe des gegen die infantile Sexualität gerichteten großen Verdrängungsvorganges anzusehen gewohnt sind, und die Analyse einer Perversion führt uns mit derselben Notwendigkeit zum unbewußten seelischen Material hin, wie die einer Neurose. Auch hier bleibt die Richtigkeit des von Freud ausgesprochenen Satzes uner-
schüttert; es tritt nur die Erkenntnis hinzu, daß er den Sachverhalt nicht ganz erschöpft.
Wir können keinen besseren Ausgangspunkt finden als die Hervorhebung des Gegensatzes, daß in dem einen Fall die in der Verdrängung gehaltene Phantasie sich zwar eine Durchsetzung auf Kosten der Verdrängungsinstanz, aber nur als ein dem Ich fremdes und feindliches neurotisches Symptom erschleicht, während sie im anderen Falle bewußtseinsfähig, also im weitesten Sinne ichgerecht und lustvoll bleibt. (FN 1) Das wird noch deutlicher, wenn wir von der Perversion — die ja ein theoretisches Gebilde von unsicherer Zusammensetzung ist — auf das Material selbst
(FN 1) Nach einer mündlichen Bemerkung von Professor Freud kann Lust
immer nur bewußtseinsfähig sein. Verdrängte Lust als solche gibt es nicht;
der Verdrängungsvorgang verwandelt Lust in Unlust.
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zurückgehen, wie es uns die unmittelbare Beobachtung liefert. Wir kontrastieren dann die perverse Befriedigung — gleichgültig ob durch Handlung oder Phantasie — mit dem neurotischen Symptom. Beide haben, wenn wir von dem entgegengesetzten Lustvorzeichen absehen, vieles gemeinsam, so, daß sie Ausläufer des infantilen Sexuallebens sind, das in beiden Fällen im ganzen überwunden und verdrängt worden ist; sie sind beide verhältnis- mäßig geringfügige Resterscheinungen eines großen Entwicklungsvorganges, als dem Bewußtsein angehörige Repräsentanten unbewußter Triebe und Triebschicksale. Beide sind nur Vergrößerungen und Verstärkungen von Vorgängen, die auch in jedem normalen Seelenleben stattfinden. Von dem neurotischen Symptom wissen wir, daß es im Bewußten geduldet werden muß, weil es sozusagen die Möglichkeit des dynamischen Ausgleiches darstellt, wenn eine Inadaequität zwischen Ich und Verdrängtem eingetreten ist. Sollten bei der Perversion die Verhältnisse ähnlich liegen?
Zunächst wollen wir sehen, ob der großen Verwandtschaft in der Struktur auch eine wirkliche, der Beobachtung zugängliche Ähnlichkeit entspricht. Dies scheint am ehesten bei jenen Fällen von perverser Befriedigung zuzutreffen, die von dem betreffenden Individuum nur ungern, im fortwährenden Kampf gegen sittliche, religiöse oder ästhetische Bedenken zugelassen werden. Auch solche, nur im Konfliktswege erreichbare Befriedigung ist natürlich lustvoll, doch wird die Lust vorher von aufreibenden Abwehrkämpfen, nachher von Reue, Beschämung und Selbstverurteilung umgrenzt. Noch näher rücken wir dem neurotischen Symptom bei jenen Fällen, wo bestimmte Bedingungen überschritten werden, zum Beispiel wenn die Befriedigung statt in der Phantasie in der Wirklichkeit stattfindet, oder wenn das Opfer eines sadistischen Aktes körperlichen Schmerz empfindet, während die Lust an die Voraussetzung geknüpft ist, daß ihm dieselbe erspart bleibe. Es tritt sodann nicht etwa Indifferenz, sondern eine Abwehr ein, die deutlich das Gepräge der Angst trägt, also dem neurotischen Mechanismus sehr nahe steht. (FN 1) In einem, dem analytischen Verständnis sehr gut zugänglichen Falle konnte ich den Übergang von der neurotischen Phobie zur perversen Befriedigung genau verfolgen. Es handelte sich um ein schwer neurotisches Mädchen,
(FN 1) „Das Miterleben realer Schlageszenen in der Schule rief beim zuschauen- den Kinde ein eigentümlich aufgeregtes, wahrscheinlich gemischtes Gefühl hervor, an dem die Ablehnung einen großen Anteil hatte. In einigen Fällen wurde das reale Erleben der Schlageszenen als unerträglich gefunden“
Freud I. c, S. 197.
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das unter der Erinnerung litt, als Halbwüchsige einmal ein Kind mit sadistischem Genuß geschlagen zu haben — übrigens im Spiel und auf eine durchaus harmlose Weise. Außerdem erinnerte sie, daß sie etwas später, kurz nach der Pubertät, sich manchmal abends im Bett selbst auf das Gesäß geschlagen und dabei Lustgefühle verspürt habe. Diese Patientin war kaum imstande, das Wort „Schlagen“, besonders die in der Kinderstube dafür üblichen Ausdrücke auszusprechen. Bei jedem an das Schlagen erinnernden Geräusch, z. B. beim Teppichklopfen, geriet sie aus Abwehr und Abscheu geradezu außer Rand und Band. Nach einem besonders mühevollen Stück der Analyse setzte sich die bisher vollkommen verdrängt gewesene Masturbation auf eruptive Weise durch. Die von da an geübte Onanie hatte den Anspruch darauf, als perverse Befriedigung zu gelten, denn sie erfolgte ausschließlich mit der Phantasie, daß die Analysandin geschlagen werde. Von da ab hörte jede Empfindlichkeit gegen Worte und Geräusche, die auf das Schlagen Bezug hatten, vollkommen auf, sie wurden genau so wie irgendwelche banale behandelt. Die Phobie war wieder durch die Perversion ersetzt worden, aus deren Verdrängung sie entstanden war. Während des erst nach der Pubertät einsetzenden und sich ziemlich lang hinziehenden Verdrängungsvorganges sowie während jenes Teiles der analytischen Arbeit, wo die Verdrängung wieder rückgängig gemacht wurde, gab es Zwischenstadien, wo man kaum mit Sicherheit hätte sagen können, ob ein neurotisches Symptom oder eine perverse Befriedigungsform vorliege. Eine solche Vermischung scheint übrigens nicht ganz selten zu sein; so konnte ein masochistischer Analysand, der sich im übrigen nicht mit Phantasien begnügte, sondern zu realen Veranstaltungen schritt, ein Dialekt- und Kinderstubenwort, das sein Lieblingsmarterinstrument bezeichnete, nicht ohne lebhaftes Grausen aussprechen.
In einem anderen Falle berichtete ein Analysand, er sei nach seinem ersten Koitus, der durchaus befriedigend verlaufen war, beim Nachhausegehen von dem unwiderstehlichen Drang gepackt worden, auf der Straße mit entblößtem Penis zu onanieren. Er fand den Ausweg, sich — es war inzwischen dunkel geworden — an eine Bahnschranke zu stellen und angesichts eines vorüber- fahrenden Zuges zu onanieren, also vor den Augen vieler Zuschauer und doch vielleicht von keinem gesehen, gewiß von niemandem erkannt. In seinem ganzen Leben hatte sich kein zweiter Ausbruch der exhibitionistischen Tendenzen gezeigt. In meine Behandlung kam er wegen psychischer Impotenz, neben der nur noch ein
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zweites, praktisch unwichtiges Symptom bestand: die Unfähigkeit in Anwesenheit anderer, also z. B. in einer öffentlichen Bedürfnisanstalt, zu urinieren. Die perverse Befriedigung hatte sich also in neurotische Hemmung verwandelt. In der Analyse träumte er dann wiederholt, daß er vor seinen Schulkindern — er war Lehrer — exhibitioniere.
Ein Zwischenglied von allgemeiner prinzipieller und praktischer Bedeutung glaube ich in den sogenannten „Süchtigen“ gefunden zu haben. Also in den Alkoholikern, Morphinisten, Kokainisten, den vom Rauchen oder Kauen Abhängigen. In diesen Fällen ist das Zwanghafte, die Überwältigung des Individuums durch die vom Ich abgespaltenen libidinösen Kräfte so deutlich, daß sie oft zur Zwangsneurose gerechnet worden sind. Auf der anderen Seite haben sie es mit der Perversion gemein, daß es sich nicht wie bei dem zwangsneurotischen Symptom um ein dem Bewußtsein gleichgültiges, oder noch öfter, um ein unangenehmes, sinnloses, zeitraubendes Zeremoniell handelt, sondern um einen unbestreitbaren Befriedigungsakt. Daß diese Befriedigung von der eigentlichen, ursprünglich sexuellen weg auf etwas Harmloses das heißt nicht dem infantilen Sexualleben Angehöriges verschoben ist und so den Charakter einer Ersatzbefriedigung für eine verdrängte und unzugänglich gewordene sexuelle Lust hat, rückt sie wieder näher an das neurotische Symptom heran.
Analysand, der lange Zeit hindurch Opiate, aber nie Morphium genommen und zwar stets geschluckt hatte, berichtete mir, daß diese Gewohnheit einmal durchbrochen worden war. Er begann einige Zeit lang Morphium zu nehmen und injizierte es auch einmal, nachdem ein Verhältnis, das er mit der Gattin eines Standesgenossen gehabt hatte, gelöst worden war. Es sei ihm bekannt gewesen, so berichtete er mir, daß der Ehemann dieser Frau Morphinist sei und sich Injektionen mache. Ich klärte ihn darüber auf, daß er sich - offenbar in Selbstbestrafungsabsicht — mit dem „geschädigten Dritten“ identifiziert habe. Daraufhin fiel Ihm eine andere Episode seines Lebens ein, in der er vor- übergehend an Syphilidophobie litt; auch das sei nach Auflösung eines Verhältnisses mit der Frau eines anderen gewesen, der aber damals schon an manifester Paralyse erkrankt war. Die Beziehung zum „geschädigten Dritten« ist auch hier handgreiflich Er hatte bei Wiederholung derselben Situation je nach dem ihm zur Verfügung stehenden Material das eine Mal mit einer Sucht“ oder eigentlich nur mit einer charakteristischen Abänderung einer bestehenden Sucht, das andere Mal mit
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einem neurotischen Symptom, einer Phobie, reagiert. Diese Tatsache scheint mir für die Gleichartigkeit des psychischen Unterbaues der beiden Phänomene hinreichend beweiskräftig zu sein.
Mit Hilfe der Einsetzung der „Süchtigen“ als Zwischenglieder können wir also eine zusammenhängende Reihenbildung herstellen, an deren einem Ende die perverse Befriedigung, am anderen das neurotische Symptom steht.
Ein weiterer aufschlußreicher Zug ergibt sich aus der bisher gründlichsten Durchleuchtung einer perversen Befriedigungsform, aus Freuds Analyse der Phantasie: „Ein Kind wird geschlagen.“ Wir sehen, daß in den drei Stadien, die von dieser Phantasie durchlaufen werden (1. Der Vater schlägt das mir verhaßte Kind. 2. Der Vater schlägt mich. 3. Ein Kind wird geschlagen.) so ziemlich alles wechselt: die schlagende und die geschlagene Person, aber auch die Motivierung, die zuerst der eifersüchtige Haß gegen den Rivalen bildet, dann das Schuldbewußtsein wegen des Inzestwünsches sowie der regressive Ersatz desselben durch das Geschlagenwerden. Aber ein Element ist konstant, es erscheint schon in der ersten Fassung, geht in die zweite über und bleibt in der dritten, bewußtseinsfähigen, trotz ihrer sonst so blassen und verschwommenen Ausgestaltung erhalten; es ist die Vorstellung des Geschlagenwerdens, und gerade an diese ist die perverse Lust geknüpft, die fast zwanghaft zur Onanie hinführt. (FN 1) Nach meiner Erfahrung liegen die Dinge bei anderen Perversionsformen ganz ebenso; ihre Entwicklung bis zur Pubertät und noch darüber hinaus ist wechselvoll, der Schauplatz und das Personal der Phantasien ändern sich — aber ein bestimmtes Element oder eine kleine Gruppe davon überdauert den Wechsel und erscheint dann als der Träger der Lust. Die anderen Bestandteile, die später abgelehnt und im weiteren Entwicklungsverlaufe gänzlich verdrängt werden, geben ihren ganzen Lustgehalt an diesen übrig- bleibenden ab, der sie dann im Bewußtsein vertritt — ebenso wie das neurotische Symptom die unbewußten Phantasien. Dieser Sachverhalt ist besonders deutlich beim Fetischismus, wo von einem verdrängten Komplex ein Stück dem Bewußtsein erhalten bleibt, ganz ähnlich wie eine harmlose Deckerinnerung getreulich aufbewahrt wird, hinter der sich das Wesentliche der verdrängten infantilen Sexualität verbirgt. Der Unterschied liegt nur darin, daß beim Fetischismus eine ausgiebige Affektverschiebung die
(FN 1) l. c. S. 195.
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ganze, aus der Kindheit herübergerettete Lust an dieses eine Stück verlötet. So hat Freud vor Jahren in der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung von einem Fall berichtet, wo ein Mann fetischistisch an die Knöchel und den Wadenansatz von mageren und häßlichen Frauenbeinen fixiert blieb. Dies ging zurück auf eine Szene, wo er beim Unterricht vor seiner englischen Gouvernante saß, die eines Fußleidens wegen ihr Bein, übrigens dezent verhüllt, auf einen Sessel gelegt hatte. Die Sexualneugierde, die den Knaben in seinen Phantasien zum Genitale emporsteigen ließ, die verdrängte Erinnerung an ein ähnliches, weiter zurückliegendes Erlebnis mit seiner Schwester, wo dieser Wunsch vielleicht Erfüllung gefunden hatte — alles dies war ihm vollkommen entschwunden und statt dessen blieb ihm ein harmloses, aber mit dem verdrängten in innigem Zusammenhang stehendes Erinnerungsbild als fetischistisches Wunschziel.
Der merkwürdige und oft groteske Charakter mancher Perversionen erklärt sich dadurch, daß es sich um ein einzelnes und aus dem Zusammenhang gerissenes und daher dem Träger der Perversion wie den anderen gleich unverständliches Bruchstück aus infantilen Erlebnissen und Phantasien handelt, die in diesem einen Stück ihre Auferstehung feiern. So habe ich in der Analyse von einem ernsten und gebildeten Manne erfahren, daß er nur eine Form sexueller Befriedigung kenne, nämlich wenn er eine Frau urinieren höre. Wer diese Frau war, kümmerte ihn nicht; er hatte auch gar keine Lust, sie dabei zu sehen, für ihn war nur das Geräusch lusterregend, und wenn er sich befriedigen wollte, so ging er in eine bestimmte öffentliche Bedürfnisanstalt, wo man, wie er konstatiert hatte, durch die Scheidewand hindurch hörte. Dort masturbierte er in seinem Kabinett, nachdem er sich durch die Belauschung hinreichend erregt hatte. Ich habe diese Analyse aus äußeren Gründen abbrechen müssen, doch ließ das zutage geförderte Material fast mit Sicherheit vermuten, daß es sich auch hier um ein Derelikt der infantilen, auf das weibliche Genitale gerichteten Sexualneugierde handle.
Die Perversion entsteht also so, daß ein besonders geeignetes Stück des infantilen Erlebens oder Phantasierens durch alle Stürme der Entwicklung, insbesondere auch der Pubertät hindurch gerettet und im Bewußtsein festgehalten wird. Auf dieses Stück wird die der infantilen Sexualität zugehörige Lust, nachdem die übrigen Triebrepräsentanzen der Verdrängung anheimgefallen sind, verschoben, zweifellos unter Führung jener Partialtriebe, die sich, sei es durch Veranlagung, sei es infolge allzu
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starker Befriedigung, als die in der Kindheitsentwicklung herrschenden erwiesen haben. Auf solche Weise gestützt und mit hoher Lustprämie ausgestattet, erweist es sich stark genug, dem Genitalprimat erfolgreich Konkurrenz zu machen. Es fragt sich nur, worin besteht die „besondere Eignung“ dieses Stückes, welche die Bedingung seines Erfolges ist? Ein Teil der Antwort ist bereits gegeben worden: Diejenige prägenitale Organisationsstufe, an welche das Individuum besonders stark fixiert ist, muß sich darin verkörpern, der übermächtige Partialtrieb muß darin seine besondere Befriedigungsform finden. Daneben dürfen wir noch behaupten, daß irgend eine eigenartige Stellung zum Ich gerade diesem Stück das Entrinnen vor der Verdrängung ermöglicht haben muß. Bei der Deckerinnerung ist es ihre schein- bare Harmlosigkeit, die Indifferenz, welche sie außer Verfolgung setzt. Bei den Erlebnissen, auf denen die Zwangsneurose aufgebaut ist, kommt es ebenfalls vor, daß sie dem Bewußtsein weiter angehören dürfen — sie verdanken das der allgemeinen Abtrennung des Affektes von dem eigentlich dazu gehörigen Vorstellungsinhalte, also einem für die Zwangsneurose charakteristischen Mechanismus. (FN 1)
Die perverse Befriedigung gilt aber dem Bewußtsein durchaus nicht als harmlos und indifferent; es ist ihr auch der Affektinhalt keineswegs entzogen worden, wie dies der hohe Lustgewinn, der an sie geknüpft ist, beweist; es muß sich also um etwas anderes. Besonderes handeln, woran das Phänomen der Perversion recht eigentlich geknüpft ist.
Um zum Verständnis dieses Sachverhaltes zu gelangen, müssen wir uns an eine Tatsache erinnern, deren Tragweite Freud in seinem auf dem VII. Internationalen psychoanalytischen Kongreß gehaltenen Vortrag betont hat, daß nicht nur die verdrängten Triebregungen als Folge ihrer Ausstoßung unbewußt geworden sind, sondern daß auch im Ich selbst unbewußte Bestandteile vorhanden sind. Die beiden auffälligsten Phänomene dieser Art, der Widerstand und das Schuldgefühl, erklären sich daraus, daß die zur Verdrängung verwandten Faktoren in so innigen Kontakt mit ihren Gegnern treten, daß sie ihrerseits sich nicht mehr bewußtseinsfähig erhalten können -— etwa wie früher die Häscher und Diebsfänger wegen ihrer Beschäftigung aus der anständigen Gesellschaft ausgestoßen waren. Diese Erfahrung gibt uns einen Wink, daß sich hinter dem Worte „Ichgerecht“ sehr verschiedene Formen und Motive der Anpassung verbergen mögen.
(FN 1) Sammlung kleiner Schriften zur Neurosenlehre, dritte Folge, S. 156/7.
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Insbesondere dürfen wir nie daran vergessen, daß die Verdrängung ein dynamischer Vorgang ist, bei dem nicht die Argumente siegen, sondern eine erstarkte Trieborganisation die schwächere verdrängt, um später auf einer neuen Entwicklungsstufe eventuell ihrerseits verdrängt zu werden. In einem solchen Kampf der Triebe siegt natürlich dauernd nur der, der die höhere Lustprämie gewähren kann ; somit muß ein besonders stark entwickelter Partialtrieb auch besonders schwer zu besiegen sein, ja eine volle Überwältigung eines solchen Lustspenders ist vielleicht überhaupt unmöglich. Soll in einem derartigen Fall die Verdrängung dennoch einigermaßen erfolgreich sein, so muß sie sich zu einem Kompromiß entschließen: sie muß gestatten, daß einem Teilkomplex die Lust erhalten bleibe, daß er ins Ich aufgenommen, sozusagen sanktioniert werde. Die übrigen, von ihm losgelösten Bestandteile lassen sich dann um so leichter verdrängen und in Verdrängung erhalten, wenn sie durch den Parteiwechsel eines bisherigen Bundesgenossen geschwächt sind. Dieses Auskunftsmittel der Teilung, bei der das eine Stück in den Dienst der Verdrängung tritt und so die Lust einer prägenitalen Entwicklungsstufe ins Ich hinübernimmt, während der Rest der Verdrängung anheimfällt, scheint der Mechanismus der Perversion zu sein.
Die hauptsächlichste und schwierigste Verdrängungsleistung ist ganz allgemein die Ablösung von der infantilen Objektwahl: der Ödipuskomplex, und in einigem Abstand davon der in neuerer Zeit immer mehr das Interesse der Analytiker in Anspruch nehmende Kastrationskomplex. (FN 1) Von einem Mechanismus wie dem oben geschilderten wird man erwarten können, daß er bei diesen wichtigsten Verdrängungsleistungen eine erhebliche Rolle spielt. Gerade dort, wo die Liebesfixierung und infolgedessen der Verdrängungskampf besonders stark sind, wird sich die Festhaltung der Libido bei einer außerhalb des Kreises der späteren Genitalbefriedigung liegenden Vorstellungsgruppe oder deren regressive Besetzung als Ausweg anbieten. So setzt sich der Partialtrieb nicht ohne weiteres in die Perversion fort, sondern erst, nachdem er durch den Ödipuskonflikt hindurch gegangen ist und durch die geleistete Beihilfe bei der Verdrängung bestimmte Beziehungen zu ihm gewonnen hat.
Sehr deutlich wird das Vorliegen dieses Mechanismus bei der Phantasie „Ein Kind wird geschlagen“. In ihrer ursprünglichsten Form ist sie nur eine Ausstrahlung des Ödipuskomplexes mit
(FN 1) Siehe die Arbeiten von Stärcke, Abraham, Alexander u.a m. in dieser Zeitschrift.
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besonderer Betonung der feindselig-sadistischen Einstellung zu dem Rivalen. Sie würde wahrscheinlich, wie viele ähnliche Phantasiebildungen, der Verdrängung anheimfallen, aber sie besitzt die Eignung, nach geringer Umarbeitung zum Hilfsmittel der Ersetzung des verpönten genitalen Ödipuswunsches durch einen, dem führenden analsadistischen Partialtrieb entsprechenden Wunsch zu werden. Eine neuerliche Überarbeitung verwischt die letzten an den Ödipuskomplex erinnernden Züge, indem er die Person des Vaters und die eigene eliminiert und das Produkt ist nun eine bewußtseinsfähige, lustgewährende perverse Phantasie. Ebenso gut paßt unser Erklärungsversuch auf den Durchschnittsfall der männlichen Homosexualität: Die Fixierung an die Mutter ist zu stark, um den normalen Ablösungsprozeß möglich zu machen. Damit er überhaupt gelinge, muß die Fixierung an das eigene Geschlecht — also ein Produkt des Narzißmus und des Zurückweichens vor der Kastrationsscheu — sanktioniert und dem Ich einverleibt werden. In dem oben mitgeteiltem Fall von Exhibitionismus war, wie es scheint, die Befreiung von der Mutter und der Sexualverkehr mit einer anderen Frau bei dem zur späteren Impotenz bestimmten Manne sozusagen an die innere Bedingung eines einmaligen Durchbruches der exhibitionistischen Tendenzen geknüpft. Es stimmt nicht schlecht dazu, daß er das erste Auftreten der Impotenz einige Jahre später bei demselben Mädchen erlebte, und zwar als sie gemeinsam nackt in einem Bache badeten.
Überhaupt läßt der geschilderte Mechanismus den Übergang von der Perversion zur Neurose verstehen, wenn wir nur im Auge behalten, daß die Verdrängung, entsprechend dem Entwicklungsgange der Libidoorganisation, ein stufenweiser Vorgang ist. Es kann dann leicht geschehen, daß der im Verdrängungsdienst stehende Komplex im Laufe der weiteren Entwicklung seinerseits der Verdrängung anheimfällt. Es kann aber auch sein, daß gerade er bei Begünstigung durch äußere Umstände wieder hervorgeholt wird. Dann entsteht, wie wir das oft genug sehen können, infolge der Versagung nicht eine Neurose, sondern eine Perversion. Diese ist aber nur eine scheinbare Neubildung; in Wirklichkeit ist ihr schon seinerzeit im Kampf um den Ödipuskomplex das Existenzrecht eingeräumt worden; später, in ruhigeren Zeiten, ging dieses Privilegium verloren und wird nun wie ein erloschener Adelsbrief eines einst verdienstreichen, aber später in Ungnade gefallenen Geschlechtes wieder erneuert.
So läßt sich auch die Frage beantworten, warum es unter den Perversen keineswegs weniger Neurotiker gibt, als unter den
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Normalen. Das Nebeneinander des Positivs und des Negativs entsteht dann so, daß sich zwar im Verdrängungskampfe die Abtrennung eines Stückes, das dem Ich einverleibt und zum perversen Befriedigungsziel erhoben wird, als nötig erweist und auch erfolgreich durchgeführt wird — daß aber dann trotzdem die übrigen verdrängten Teile noch stark genug bleiben oder es im Laufe der Entwicklung wieder werden, um die kompromißweise Durchsetzung als Neurose zu erzwingen. Der einfachere Fall, wo es sich um verschiedene Fixierungsstellen handelt, die auf verschiedene Weise erledigt werden, bedarf hier keiner besonderen Erörterung.
Die Herabsetzung der Zensur im Traume bedeutet eine Erweiterung der Ichgrenzen gegen das Verdrängte hin. Demgemäß fällt es der Traumarbeit leicht, im Einzelfall ähnliches zu leisten wie das, was wir eben als einen Mechanismus zur Erledigung des Verdrängungskonfliktes im allgemeinen kennen gelernt haben — nämlich ein Stück des sonst zu Verdrängenden ins Ich (also in den manifesten Trauminhalt) zu übernehmen. Der von Rank (FN 1) mitgeteilte Fall sowie die oben erwähnten Exhibitionsträume des Lehrers sind gute Beispiele, in denen sich Traum und Neurose gegenüberstehen, wie sonst Perversion und Neurose. Im Angsttraum wird der Erfolg infolge eines letzten Nachschubes der Verdrängung durch die Affektverwandlung wieder rückgängig gemacht, doch bleibt die Durchsetzung zum Ich in der größeren Durchsichtigkeit gerade der Angstträume erhalten.
Zur Perversion wird ein Partialtrieb also durch die Ausnahmsstellung die einen Teil der von ihm besetzten Vorstellungen vom Ich als Wunsch- und Lustziel eingeräumt wird, um seine Bundesgenossenschaft im Verdrängungskampfe, insbesondere gegen den Ödipuskomplex, zu erlangen. Es muß aber hervorgehoben werden, daß dies nur der Mechanismus, nicht das Motiv seiner Durchsetzung ist. Er wird nicht erst durch dieses Bundesverhältnis stark; im Gegenteil: seine elektive Hervorhebung beruht darauf daß er — sei es durch konstitutionell-hereditäre Veranlagung, sei es durch besondere Befriedigungserlebnisse — über das normale Maß hinaus entwickelt ist.
(FN 1) Rank, Perversion und Neurose, diese Zeitschrift, VIII/4, S. 403/4.
Redaktion: CD, 14.10.2011