Sigmund Freud und die Hypnose
Freud bei Hansen:
Freud berichtete in seiner Selbstdarstellung 1925d, dass er einer Vorstellungen Carl Hansens beiwohnte:
„Noch als Student hatte ich einer öffentlichen Vorstellung des „Magnetiseurs Hansen beigewohnt und bemerkt, daß eine der Versuchspersonen totenbleich wurde, als sie in kataleptische Starre geriet und während der ganzen Dauer des Zustandes so verharrte. Damit war meine Überzeugung von der Echtheit der hypnotischen Phänomene fest begründet.“ (Freud 1925d, 40)
Josef Breuer:
Im gleichen Jahr, als Hansen in Wien „gastierte“, begann Josef Breuer die Behandlung (1880-1882) der Anna O., (Siehe „Studien über Hysterie) bei der er sich auch der Hypnose bediente und Freud laufend von seinen Erfahrungen berichtete, was nach der Rückkehr Freuds aus Paris zur Zusammenarbeit und den gemeinsamen Publikationen der Vorläufigen Mittelungen (1893a [1892]) und der Studien über Hysterie (1895d) führen sollten.
Freud bei Charcot:
Freud war Sekundararzt am allgemeinen Krankenhaus in Wien als er 1885 mit Hilfe eines Stipendiums nach Paris fuhr zu Charcot an die Salpetriere, der Hysterikerinnen in Hypnose versetzte und studierte. Freud war mit Benedikt und Obersteiner bekannt und über sie mit der Literatur bereits vorher vertraut. Er kehrte als Befürworter Charcots und als sein Übersetzer 1886 nach Wien zurück und eröffnete eine eigene nervenärztliche Praxis, in der er neben den damals gängigen Prozeduren wie Elektrotherapie, Mastkuren, Massagen u.a. auch Hypnose in der Behandlung von Hysterien einsetzte. Hier aber schlug er, angeregt durch die Erfahrungen Breuers einen anderen Weg ein.
Charcot bewies, dass der eine Lähmung, die infolge eines Schocks nach einem Eisenbahnunglück entstand, auch mit Hilfe der Hypnose erzeugen konnte. „Die hypnotische Suggestion fungierte für die Paris als das experimentelle Mittel, das es erlaube, die „traumatische Neurose“ als eine Form der Hysterie zu verstehen.“ (Andreas Mayer, 138) Freud begann sich für den Unterschied von psychischer und organischer Lähmung zu interessieren.
Charcot hielt aber immer an der Degneration als Ursache von Hysterie fest und konzentrierte sich auf die Erforschung und Klassifizierung verschiedener Typen von Hysterie, ihm war letztlich nicht an der Heilung, geschweige denn am Verständnis der psychologischen Hintergründe der Symptome gelegen war.
Das Modell der traumatischen, also der erworbenen Hysterie übernimmt Freud und es wird für ihn Ausgangspunkt für die Erforschung der Genese der Hysterie, die mit Hypnose, also mit psychischen Mitteln, beeinflussbar und für ihn prinzipiell damit auch heilbar war. Bestärkt wurde er darin durch die Erfahrungen Breuers,
Freuds Vortrag in der Gesellschaft der Ärzte 1886: Über männliche Hysterie
Nach seiner Rückkehr nach Wien 1886 eröffnete Freud seine nervenärztliche Praxis und wollte die neuen französischen Forschungen sogleich propagieren. Er berichtete über seinen Parisaufenthalt an zwei Abenden (am 15.10 und 26.11.1886) in der Gesellschaft der Ärzte.
In seinem Vortrag „Über männliche Hysterie“ griff er auf einen Fall von Charcot (Charcot 1886, 307-330) zurück, den er übersetzt hatte, damit führte er sich als Schüler und Übersetzer der Autorität Charcots ein. Kritiker, darunter auch Meynert, verlangten Beweise an einer größeren Anzahl von Kranken. Freud konnte noch nicht mit ausreichender eigener klinischer Erfahrung aufwarten, aber er holte in einer zweiten Sitzung die klinische Demonstration nach, von Carl Koller erhielt er ein Perimeter zur Messung des Gesichtsfeldes geschenkt, womit man in Paris die hysterischen Sehstörungen objektivierte. Damit konnte Freud bei seiner Versuchsperson Sehstörungen feststellen, die Charcot für die „große Hysterie“ als typisch klassifizierte. Der Augenarzt Königstein assistierte Freud.
Aber bei dem vorgestellten Fall konnte Freud wohl die Symptome einer Hemianästhesie zeigen, aber deren hysterische Genese experimentell nicht experimentell demonstrieren und musste seine Hypothese schließlich über die Familienanamnese und die Vererbung stützen.
Die Rezeption über die Kritik der Kollegenschaft an Freuds Auffassungen ist geteilt.
Freud selbst berichtet von einer Ausgrenzung, die ihm damals widerfahren war, Jones vertrat diese Einschätzung in seiner Freud-Bographie. (Freud, 1925d, 39; Jones, 1953 229ff).
Für Ellenberger ([1970] 1996, 595ff) und Sulloway ([1979] 1992, 35ff) war diese Kritik gerechtfertigt. Hirschmüller (1991, 211ff) nimmt einen mittleren Standpunkt ein.
Mit seinen Übersetzungen der Bücher Charcots und Bernheims erwuchs Freud jedenfalls eine wichtige Position in der Verbreitung der beiden französischen Schulen. Den Übersetzung fügte er in Vor- und Nachworten seinen eigenen Standpunkt hinzu und steuerte damit auch die Rezeption in Wien. Freud dürfte ungefähr 10 Jahre die Hypnose angewendet haben - von 1886-1896 (siehe Freud 1905a)
Zwar hingen die Wiener Ärzte inzwischen überwiegend der Schule von Nancy an, aber die Auseinandersetzung in Wien betraf mehr die Frage, ob Hypnose nicht doch grundsätzlich abzulehnen sei, sosehr war sie in Wien in die Nähe der Schaubuden gerückt und in der Wiener Diskussion war die Hypnose nicht als experimentelles Verfahren angesehen.
Freud in Nancy 1889
Sommer 1889: Freuds reiste für mehrere Wochen zu Bernheim und Liébeault nach Nancy, er soll dort vom Schweizer Psychiater Auguste Forel eingeführt worden sein. (Studienausgabe, Editorische Vorbemerkung zu Freud 1990b, S. 15). Er lässt eine seiner Patientinnen (Cäcilie M) nachkommen und von Bernheim hypnotisieren.
„In der Absicht, meine hypnotische Technik zu vervollkommnen, reiste ich im Sommer 1889 nach Nancy, wo ich mehrere Wochen zubrachte. Ich sah den rührenden alten Liébault bei seiner Arbeit an den armen Frauen und Kindern der Arbeiterbevölkerung, wurde Zeuge der erstaunlichsten Experimente Bernheims an seinen Spitalspatientinnen und holte mir die stärksten eindrücke von der Möglichkeit mächtiger seelischer Vorgänge, die doch dem Bewusstsein des Menschen verhüllt bleiben. Zum Zwecke der Belehrung hatte ich eine meiner Patientinnen bewogen, nach Nancy nachzukommen. Es war eine vornehme, genial begabte Hysterika, die mir überlassen worden war, weil man nichts mit ihr anzufangen wusste. Ich hatte ihr durch hypnotische Beeinflussung eine menschenwürdigere Existenz ermöglicht und konnte sie immer wieder aus dem elend ihrer Zustände herausheben. Daß jedes Mal nach einiger Zeit rückfällig wurde, schob ich in meiner damaligen Unkenntnis darauf, daß ihre Hypnose niemals den Grad von Somnabulismus mit Amnesie erreicht hatte. Bernheim versuchte es nun mit ihr wiederholte Male, brachte es aber auch nicht weiter. Er gestand mir freimütig, daß er die großen therapeutischen Erfolge durch die Suggestion nur in seiner Spitalspraxis, nicht auch an seinen Privatpatienten erziele. Ich hatte viele anregende Unterhaltungen mit ihm und übernahm es, seine beiden Werke über die Suggestion und ihre Heilwirkungen ins Deutsche zu übersetzen.“ (Freud 1925d, 41)
Literatur:
Ellenberger, Henry F. (1973): Die Entdeckung des Unbewußten. 2 Bde. Bern: Huber
Freud, Sigmund (1886d): Beobachtungen einer hochgradigen Hemianästhesie bei einem hysterischen Manne (Beiträge zur Kasuistik der Hysterie I). In: Wiener med. Wschr., Bd. 36 (1886), Sp. 1633-1638, 1674-1676. GW Nachtragsband, 54, 57-64.
Freud, Sigmund (1886e): Übersetzung von: Charcot, Jean-Martin, Sur un cas de coxalgie hystérique de cause traumatique chez l’homme, unter dem Titel: Über einen Fall von hysterischer Coxalgie aus traumatischer Ursache beim Manne. Enthalten in (1886f). In: Wiener med. Wschr., Bd. 36 (1886), Sp. 711- 715, 756-759.
Freud, Sigmund (1886f): Übersetzung mit Vorwort des Übersetzers und zusätzlichen Fußnoten von: Charcot, Jean Martin, Lecons sur les maladies du système nerveux, Bd. 3, Paris 1887, unter dem Titel: Neue Vorlesungen über die Krankheiten des Nervensystems insbesondere über Hysterie. Leipzig und Wien 1886. GW Nachtragsband, 52f nur das Vorwort des Übersetzers.
Freud, Sigmund (1886g): Über männliche Hysterie. Zweiteiliger Vortrag, gehalten in der Gesellschaft der Ärzte in Wien am 15.10 und 26.11.1886. Im Original nicht erhalten.
Berichte darüber finden sich in:
Anz. Ges. Ärzte Wien (1886), Nr. 25, 149-152, Nr. 31
Allg. Wien. Med. Ztg., Bd. 31 (1886), 505-5-7, 579
Münch. Med. Wschr., Bd. 33 (1886), 768-885f
Wien. Med. Wschr., Bd. 36 (1886), Sp. 1445-1447 nur über die Sitzung vom 15.10.1886
Wien. Med. Presse, Bd. 27 (1886), Sp. 1407-1409, 1597
Wien. Med. Bl., Bd. 9 (1886), Sp. 1292-1294 nur über die Sitzung vom 15.10.1886
Freud, Sigmund (1887v): Rezension von: Laufenauer, R., Über Hysteroepilepsie der Knaben (Centralbl. f. Nervenheilk. Nr. 6, S. 161, 1887). In: Zbl. Kinderheilk., Bd. 1 (1887), S. 247.
Freud, Sigmund (1888b): Aphasie; Gehirn. I. Anatomie des Gehirns; Hysterie; Hysteröpilepsie [unsignierte Artikel]. In: Villaret, A[lbert], Handwörterbuch der gesamten Medizin, Bd. 1, Stuttgart: 1888. 88-90, 684-691, 886-892, 892. GW, Nachtragsband, 69, 72-92.
Freud, Sigmund (1888d): Hypnose durch Suggestion. Vorabdruck eines Teiles der Vorrede des Übersetzers zu: Bernheim, Hippolyte: Die Suggestion und ihre Heilwirkung. Siehe (1888-1889a). In: Wiener med. Wschr., Bd. 38 (1888), Sp. 898-900.
Freud, Sigmund (1888u): Rezension von: Obersteiner, Heinrich: Der Hypnotismus mit besonderer Berücksichtigung seiner klinischen und forensischen Bedeutung. (Klinische Zeit- und Streitfragen, 1. Band, 2. Heft, S. 49-80), Wien 1887. In: Zbl. Physiol., Bd. 1, 1888, 632f. GW Nachtragsband, 105f.
Freud, Sigmund (1888-89a): Übersetzung mit Vorrede des Übersetzers und zusätzliche Fußnoten von: Bernheim, Hippolyte, De la suggestion et de ses applications à la thérapeutique, Paris 18886, unter dem Titel: Die Suggestion und ihre Heilwirkung Teil I ist übersetzt von Freud (1888-1889a) , erschienen im Sommer 1988, Teil II ist übersetzt von O. Springer mit einem Nachwort von Freud (1889d), erschienen Anfang 1889. GW Nachtragsband, 109-120 nur die Vorrede und eine Fußnote.
Freud, Sigmund (1889a): Rezension von: Forel, Auguste, Der Hypnotismus. Stuttgart 1889. GW Nachtragsband, 125-139.
Freud, Sigmund (1889d): Nachwort des Übersetzers zu: Bernheim, Hippolyte: Die Suggestion und ihre Heilwirkung zweite Hälfte, unter (1888-89a) Wien 1889. GW Nachtragsband,108.
Freud, Sigmund (1890a): Psychische Behandlung (Seelenbehandlung). GW 5, 289-315.
Freud, Sigmund (1891d): Hypnose. [signierter Artikel]. In: Bum, Anton, Therapeutisches Lexikon, Wien: 1891. GW Nachtragsband, 141-150.
Freud, Sigmund (1892a): Übersetzung von: Bernheim, Hippolyte: Hypnotisme, suggestion et psychothérapie, études nouvelles. Paris 189q1.Unter dem Titel: Neue Studien über Hypnotismus, Suggestion und Psychotherapie. Leipzig und Wien: 1892.
Freud, Sigmund (1892b): Über Hypnose und Suggestion. Zweiteiliger Vortrag, gehalten im Wiener medizinischen Klub am 27. April und 4. Mai 1892 [Referat von fremder Hand]. In: Internat. klin. Rdsch., Bd. 6 (1892), Sp. 814-818, 853-856. GW, Nachtragsband, 165-178.
Freud, Sigmund (1892-94a): Übersetzung mit Vorwort des Übersetzers und zusätzlichen Fußnoten von: Charcot, Jean- Martin, Leçons du mardi à la Salpêtrière (1887-8), Paris 1888, unter dem Titel Poliklinische Vorträge, Bd. 1, Leipzig, Wien 1892-94 (Bd. 2 übers. von Max von Kahane, Wien 1895); GW Nachtragsband, 153-164.
Freud, Sigmund (1892-1893a): Ein Fall von hypnotischer Heilung. GW I, 3-17.
Freud, Sigmund; Breuer, Josef (1893a [1892]): Über den psychischen Mechanismus hysterischer Phänomene. Vorläufige Mitteilungen. In: Neurol. Zbl., Bd. 12 (1893), S. 4- 10, 43-47. GW I, 81-98. Freud, Sigmund (1893c): Quelques considérations pour une étude comparative des paralysies motrices organiqüs et hystériqüs [in Französisch] [Vergleichung der hysterischen mit der organischen Symptomatologie]. In: Arch. Neurol., Bd. 26 (1893), S. 29-43. GW I, 39-55.
Freud, Sigmund (1893f): Charcot +. In: Wiener med. Wschr., Bd. 43 (1893), Sp. 1513- 1520. GW I, 21-35.
Freud, Sigmund (1893i): Über hysterische Lähmung. Vortrag, gehalten im Wiener Medizinischen Klub am 24.5.1893 Referat von Hermann Schlesinger. In: Neurol. Zbl., Bd. 12 (1893), 709. Auch in: Klin. Rdsch., Bd. 7 (1893), Sp. 868f. Referat von Emanuel Mandl: Titel hier: Die hysterischen Lähmungen.
Freud, Sigmund (1894a): Die Abwehr-Neuropsychosen. Versuch einer psychologischen Theorie der acquirierten Hysterie, vieler Phobien und Zwangsvorstellungen und gewisser hallucinatorischer Psychosen. In: Neurol. Zbl., Bd. 13 (1894), S. 362-364, 402-409. GW I, 59-74.
Freud, Sigmund, Breuer, Josef (1895d [1893-95]): Studien über Hysterie. GW I, 75-312 [ohne Breuers Beiträge]. GW Nachtragsband, 217f, 75-312 [Breuers Beiträge].
Freud, Sigmund (1925d): Selbstdarstellung. GW XIV, 31-96
Hirschmüller, Albrecht (1991): Freuds Begegnung mit der Psychiatrie. Frankfurt: Fischer
Mayer, Andreas (2002): Mikroskopie der Psyche: Anfänge der Psychoanalyse im Hypnose-Labor. Göttingen: Wallstein
Sulloway ([1979] 1992): Freud, Biologe der Seele. Jenseits der psychoanalytischen Legende. Hohenheim: Mascheke
Christine Diercks, 2009