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Lackinger, Fritz (): Psychonalytische Strukturdiagnostik und Deliktanalyse bei persönlichkeitsgestörten Delinquenten

1. Einführung

 

 

Die Gesellschaft erwartet in zunehmendem Ausmaß, dass Straftäter, v. a. Sexualstraftäter, nicht nur bestraft und für eine gewisse Zeit aus dem sozialen Leben ausgeschlossen werden, sondern dass diese auch behandelt werden mit dem Ziel, die Zahl der Rückfälle in neue Delikte so weit wie möglich zu senken. Die Zahl der Psychotherapeuten, die mit diesem Auftrag mit Delinquenten zu arbeiten versuchen, ist in allen westlichen Ländern im steigen. 

Wie von allen anderen Feldern der Psychopathologie so weiß man auch aus dem forensischen Bereich, dass Behandlung grundsätzlich, d.h. im statistischen Durchschnitt, wirksam ist (Marshall et al. 1991, Redondo et al. 1999, Wagner et al. 1997). Man hat aber noch wenig gesichertes Wissen darüber, bei welchen Patienten Psychotherapie gut, bei welchen sie weniger und bei welchen sie möglicherweise gar nicht wirkt.

Die Rückfallwahrscheinlichkeit von Straftätern variiert nachweislich sehr stark, in Abhängigkeit etwa vom so genannten Psychopathie-Score (vgl. Hare 1991, 2000), aber auch von anderen, v. a. statischen Prädiktoren wie früher Beginn der Delinquenz, frühe Trennung von den Eltern, niedriger Intelligenzquotient usw. (vgl. Boer et al. 1996, Douglas/Webster 1999, Hanson/Bussiere 1998). Forensische Psychotherapie kann nur auf die dynamischen Prädiktoren (wie z.B. Persönlichkeitsstörungen, sexuelle Devianz, Substanzmissbrauch u.a.) Einfluss nehmen. Es ist aber noch kaum bekannt, welche dynamischen Faktoren ausschlaggebend sind, welche Behandlungsmethoden bei welchen Patienten ihre optimale Wirksamkeit entfalten und wo die jeweiligen Grenzen ihrer Wirksamkeit liegen.

Die klinische Erfahrung lässt zudem vermuten, dass die Varianzbreite der Psychopathologie im forensischen Bereich auch unterschiedliche therapeutische Zugänge erfordert. Es könnte z. B. sein, dass die manchmal fast als Glaubensstreit geführte Kontroverse zwischen kognitiv-behavioral orientierten und psychodynamisch orientierten Methoden in der Straftäterbehandlung u. a. durch unterschiedliche Indikationsbereiche mit bedingt ist.

Übereinstimmung kann wahrscheinlich in der Annahme erzielt werden, dass eine vergleichende Forschung über die Effizienz therapeutischer Verfahren eine klare diagnostische Abgrenzung verschiedener Tätergruppen voraussetzt. Nur wenn über die Art der Diagnostik ein gewisses Einverständnis erzielt ist, kann man Rückfalluntersuchungen beginnen, deren Ergebnisse miteinander vergleichbar sind.

Nun wird im forensischen Bereich traditionell psychiatrisch diagnostiziert, je nachdem entsprechend der jeweiligen Auflage des DSM (APA, 1994) oder des ICD (WHO, 1991). Solche deskriptiven bzw. kategorialen Diagnosesysteme bieten zwar die Möglichkeit, häufig gesehene Persönlichkeitsstörungen klar zu umreißen, haben aber den Nachteil, dass es v. a. bei schweren Persönlichkeitsstörungen ein hohes Maß (z. T. über 60%) von Komorbidität gibt, wodurch es erst recht zu keiner klaren Gruppenbildung kommt. Es fehlt weiters bisher weitgehend die Möglichkeit, die Persönlichkeitsstörungen nach dem Schweregrad der Psychopathologie zu klassifizieren, auch wenn für einzelne Teilbereiche neue (dimensionale) Instrumente entwickelt wurden (etwa die Borderline-Beschwerdeliste von Bohus oder das Borderline-Instrument von Zanarini).
Vor allem aber fehlt ein Konzept von psychischer Struktur bzw. von stabilitätsorientierter Organisation der Persönlichkeit, das unterschiedliche symptomatische Bilder grundlegenden Strukturmustern zuordnen und damit relevant für die psychotherapeutische Indikationsstellung werden könnte.

Darüber hinaus gibt es bei Delinquenten eine Reihe von forensisch relevanten Merkmalen, die in den psychiatrischen Nosologien nicht berücksichtigt werden. Dies wurde in den letzten Jahrzehnten dadurch auszugleichen versucht, dass zahlreiche so genannten forensische Tätertypologien aufgestellt wurden (Groth 1978, Simkins et al 1990, Knight & Prentky 1990, Rehder 1990, Wieczorek 1997 etc.). Diese Tätertypologien ordnen Merkmale der äußeren Tatumstände, Eigenschaften der Opfer und Informationen über die sexuelle Orientierung der Täter zu statistisch relevanten Clustern. Aber sie beinhalten ebenfalls keine Aussagen über die psychische Struktur der Täter und sind deshalb für die psychotherapeutische Differentialdiagnostik oft nicht wirklich aussagekräftig.

Der Begriff der psychischen Struktur stammt aus der psychoanalytischen Tradition und bezeichnete in seiner klassischen Form die Verhältnisse zwischen den psychischen Instanzen Ich, Es und Über-Ich (Freud 1923b). Dieses Modell wurde zunächst von der Ich-Psychologie in Richtung Abwehr- (Anna Freud 1936) und Anpassungsmechanismen (Hartmann 1939) weiterentwickelt. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde von Seiten der Objektbeziehungstheorie die Bedeutung der Spaltung und der Integration für die Entwicklung der psychischen Struktur betont (Klein 1946). Erste Ansätze für eine diagnostische Operationalisierung des psychischen Strukturbegriffes stammen noch von Anna Freud (1965a, b).

Im Rahmen einer integrativen Zusammenführung von ich-psychologischen und objektbeziehungs-theoretischen Konzepten wurde von Otto Kernberg (1970, 1981) eine Diagnostik der psychischen Struktur entwickelt und zwar mit der expliziten Zielrichtung, relevante Aussagen zur Indikation unterschiedlicher psychotherapeutischer Modalitäten treffen zu können. Die meisten Borderline-Patienten würden z.B. gut auf expressive Therapie reagieren, nicht jedoch auf klassische Psychoanalyse oder auf stützende Therapie. Diese Ergebnisse entsprangen ursprünglich einem langjährigen Forschungsprojekt der Menninger-Foundation (Kernberg et al 1972) und wurden später mit aktuellen Forschungsergebnissen zusammen geführt (Kernberg 1993b, 1999).

Es scheint nun nahe liegend, die strukturelle Diagnostik und ihre Methodik auch auf forensische Patienten anzuwenden, zumal Kernberg auch zahlreiche differentialdiagnostische Überlegungen zur Antisozialität entwickelt hat (Kernberg 1992a, Lackinger 1998, Kraus et al. 2004). Dabei ist jedoch festzustellen, dass eine forensische strukturelle Diagnostik noch weitere und spezifischere Ausarbeitungen benötigt, v.a. eine Differenzierung nach Deliktgruppen und eine Berücksichtigung von Faktoren, die in den Tätertypologien verarbeitet wurden, wobei diese jedoch mit dem psychodynamischen Strukturmodell in Verbindung gebracht werden müssen. Im Folgenden wird versucht, diese Arbeit ein Stück voran zu bringen, indem zuerst das Modell der strukturellen Diagnostik vorgestellt und die Differentialdiagnostik nach Kernberg im Bereich der Antisozialität zusammengefasst wird. Anschließend sollen die psychodynamischen Strukturkriterien auf verschiedene forensische Tätergruppen angewendet werden, wobei insbesondere auf prognostische und therapeutische Implikationen geachtet werden soll. Diese Arbeit soll letztlich dem Ziel dienen, durch die Entwicklung einer spezifisch psychotherapeutischen Diagnostik im Bereich der Forensik der zukünftigen forensischen Psychotherapieforschung klarere Konzepte zur Verfügung zu stellen und dadurch zu einer Verbesserung der Indikationsstellung beizutragen.

2. Das Konzept der Persönlichkeitsorganisation

 

Die psychoanalytische Persönlichkeits-Diagnostik hat sich von klassischen Konzepten, die an den psychosexuellen Entwicklungsstufen orientiert waren (z. B. analer Charakter, phallisch-narzisstischer Charakter) und der ich-psychologischen Sichtweise, die die Persönlichkeit von den habituellen Abwehrmechanismen her verstand (Sublimierungstypus, reaktiver Typus) weiter entwickelt. Aus objektbeziehungstheoretischer Sicht ist die psychische Struktur ein Produkt von Internalisierungen, die Selbst- und Objektrepräsentanzen bilden. Indem Kernberg die inneren Strukturen aus zahlreichen verinnerlichten Objektbeziehungen aufgebaut sieht, die jede für sich aus einer Selbstrepräsentanz, einer Objektrepräsentanz und einem diese beiden Repräsentanzen verbindenden Affekt bestehen, integriert er den triebtheoretischen, den ich-psychologischen und den objektbeziehungstheoretischen Gesichtspunkt zu einer umfassenden Theorie der psychischen Strukturbildung (Kernberg 1966, 1967). Das Grundkonzept besteht aus folgenden Thesen:

-    Der Ursprung der psychischen Struktur liegt in den frühesten Objektbeziehungen, die unter der Aktivierung von Spitzenaffekten die ersten Selbst- und Objektrepräsentanzen bilden.

-    Die frühen verinnerlichten Objektbeziehungen integrieren sich langsam und erzeugen im gesunden Falle zuerst die Fähigkeit, zwischen inneren und äußeren Realitäten zu unterscheiden. Die weitere Integration führt zur Entwicklung eines integrierten Selbstbildes und eines integrierten Objektbildes.

-    Störungen in den frühesten Objektbeziehungen können zum fehlerhaften Aufbau der daraus abgeleiteten psychischen Strukturen führen. Sie betreffen Selbst- und Objektbild, aber auch die Affektregulierung.

-    Affekte sind angeborene psycho-physische Strukturen mit einer biologischen Kommunikationsfunktion.

-    Es gibt temperamentale Unterschiede, wie etwa größere oder kleinere Bereitschaft, aggressive Affekte zu mobilisieren. Die Differenziertheit und die Fehleranfälligkeit der primären affektiven Kommunikation ist aber stark von Lernprozessen abhängig.

-    Entgleisende frühe Mutter-Kind-Interaktionen oder traumatische frühe Trennungen führen auf diese Weise zu spezifischen Verzerrungen in der Selbst- und Objektwahrnehmung und in der Affektregulierung.

Die psychische Strukturbildung durchläuft drei entscheidende Stufen. Dem Vorherrschen der Strukturmerkmale einer dieser Stufen entspricht jeweils eine bestimmte Persönlichkeitsorganisation. In der ersten Entwicklungsstufe, die im wesentlichen den ersten 6-8 Lebensmonaten entspricht, können Selbst- und Objektrepräsentanzen noch nicht klar und verlässlich von einander unterschieden werden. Eine Fixierung und Regression auf diese Entwicklungsstufe erzeugt eine psychotische Persönlichkeitsorganisation (PPO). Strukturell handelt es dabei sich um Patienten, die unter der Aktivierung von Spitzenaffekten eine Verschmelzung von Selbst- und Objektrepräsentanz verspüren, wobei die Fähigkeit zur Realitätsprüfung essentiell verloren geht.

Kernberg (1967, 1975) geht davon aus, dass Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsorganisation (BPO) zwar eine erste Stufe der psychischen Entwicklung, nämlich das Anerkennen des prinzipiellen Unterschiedes zwischen innerer und äußerer Realität, erreicht und innerlich (strukturell) repräsentiert haben. Er betrachtet jedoch das Misslingen der darauf folgenden Entwicklungsstufe, nämlich der Integration widersprüchlicher (d.h. „idealisierter“ und „verfolgender“) Objektbeziehungs-Repräsentanzen, als die Kernproblematik der Borderline-Persönlichkeit. Dieses Misslingen ist die Folge des Vorherrschens primitiver Abwehrmechanismen, allen voran der Spaltung, über die Zeit ihres altersangemessenen Vorherrschens hinaus. Die Spaltung kann letztlich deswegen nicht überwunden werden, weil die idealisierten inneren Objektbeziehungsrepräsentanzen vor der Kontaminierung durch besonders starke negative (v.a. aggressive) Affekte bzw. davon gefärbten Objektbeziehungsrepräsentanzen geschützt werden müssen. Die Ursache für das Vorhandensein außergewöhnlich starker aggressiver Affekte wird von Kernberg in einer variabel gewichteten Kombination aus biologisch-genetischen und erworbenen (traumatischen) Faktoren gesehen.

Die Folgen der mangelhaften Integration der Objektbeziehungsrepräsentanzen zeigen sich einerseits auf der Ebene der psychischen Struktur und andererseits auf der Ebene der äußeren Objektbeziehungen.

Dies hat wesentliche Implikationen für die Ich-Identität, die Effizienz der Ich-Funktionen und die Funktionsweise des Über-Ich. V.a. wird das für BPO-Patienten charakteristische diffuse Selbstbild, die nach Erikson (1956) so genannte Identitätsdiffusion, als Folge oszillierender Partialobjekt-Dyaden verständlich. Kernberg kann damit aber auch die bei Borderline-Patienten allgemein beobachteten unspezifischen Anzeichen von Ich-Schwäche (etwa die typische Impulsivität) erklären, und ebenso die Neigung zu Über-Ich-Pathologien (etwa zu antisozialem Verhalten) und zu besonderen Konfliktlagen. Die äußeren Objektbeziehungen von Borderline-Patienten können kaum Beziehungen zwischen „ganzen“ Menschen sein, vielmehr herrschen aufgrund der primitiven Abwehrstruktur Beziehungskonflikte vor, die durch das projektive Inszenieren von Partialobjektbeziehungen zu Stande kommen.

Nur wenn es zu einer Integration der guten (idealisierten) und der bösen (verfolgenden) Objektbeziehungsrepräsentanzen kommt, bildet die Persönlichkeit die klassische (drei-teilige) psychische Struktur von Es, Ich und Über-Ich aus. Diese findet man also bei Patienten mit BPO nicht, zumindest nicht vollständig. Die drei-teilige psychische Struktur impliziert auch die Ablöse der primitiven Abwehrmechanismen durch reifere, die um die Verdrängung gruppiert sind. Patienten mit neurotischer oder normaler Persönlichkeitsorganisation (NPO) zeigen dementsprechend Objektkonstanz, gute Ich-Identität, Ich-Stärke und im Prinzip eine normale, wenn auch überstrenge Über-Ich-Funktion. Die neurotischen Charakterzüge reflektieren also im Wesentlichen Konflikte zwischen Es, Ich und Über-Ich, und nicht Konflikte zwischen inneren Partialobjektdyaden.

3. Konzepte der Antisozialität im Werk von Kernberg

 

3.1 Das Spektrum der Antisozialität

Die antisoziale Persönlichkeitsstörung wird an vielen Stellen im Kernbergschen Oeuvre explizit aus dem Indikationsbereich der psychodynamischen Psychotherapie ausgenommen , an anderen jedoch in diesen eingeschlossen . Der Widerspruch erklärt sich daraus, dass Kernberg die gegenwärtigen DSM-Kriterien für die antisoziale Persönlichkeitsstörung für zu weit gefasst hält . Nach diesen Kriterien würden etwa 80% aller Strafgefangenen diese Diagnose bekommen (vgl. Frances 1980), was Kernberg offenbar als zu unspezifisch erscheint (Kernberg 1984, S. 139). Außerdem fehlten in den gegenwärtigen DSM-Kriterien so entscheidende Punkte wie die Fähigkeit, anderen gegenüber loyal zu sein, Schuld- und Signalangst zu fühlen und aus vergangenen Erfahrungen zu lernen. Kernberg hat daher ein eigenes Konzept der „antisozialen Persönlichkeitsstörung im engeren Sinne“ entwickelt, das der „antisozialen Persönlichkeitsstörung im Sinne des DSM“ gegenübergestellt wird bzw. nur eine kleine Teilmenge davon ausmacht .

EN 1  Vgl. etwa Kernberg et al. (1989), S. 17, Fußnote; oder auch Kernberg (1984): „Bei der antisozialen Persönlichkeit ist die Prognose für alle psychoanalytischen Behandlungsformen außerordentlich ungünstig, und man sollte sie wahrscheinlich gar nicht mit den üblichen Formen der Psychotherapie behandeln“ (S. 249). Der gleiche Gedanke findet sich auch im TFP-Manual, vgl. Clarkin et al. (1999), S. 190.

EN 2  Vgl. Clarkin et al. (1999), S. 5. Hier werden alle Cluster A Persönlichkeitsstörungen (also paranoide, schizoide und schizotypische) , alle Cluster B Persönlichkeitsstörungen (also antisoziale, Borderline-, histrionische und narzisstische) und zusätzlich die abhängige Persönlichkeitsstörung aus dem Cluster C aufgelistet.

EN 3  Im DSM-I und DSM-II war die antisoziale  (bzw. soziopathische) Persönlichkeitsstörung noch wesentlich enger im Sinne des klassischen anglo-amerikanischen Psychopathiebegriffes definiert. Dafür gab es zusätzlich noch die dissoziale Reaktion.

EN 4  Eine ähnliche Differenzierung zwischen einem engeren und einem weiteren Begriff von Antisozialität findet sich auch in der nicht-analytischen forensischen Psychiatrie. Vgl. zuletzt etwa Herpetz/Habermeyer (2004).

Da Kernberg selbst seinen Begriff der antisozialen Persönlichkeit eng an Cleckleys Psychopathie-Begriff anlehnt (Kernberg 1989, 1992a), wird hier im Folgenden immer von der psychopathischen Persönlichkeit die Rede sein, wenn der engere Begriff gemeint ist. Der Begriff antisoziale Persönlichkeitsstörung dagegen wird im Sinne der DSM-IV-Kriterien verwendet.
Nur die psychopathische Persönlichkeit wird von Kernberg für psychotherapeutisch unbehandelbar gehalten. Sie stellt den extremen Endpunkt eines Kontinuums der narzisstischen Persönlichkeitspathologie dar, dessen andere Stufen und Ausprägungen seien aber sehr wohl prinzipiell behandelbar. Der Narzissmus bzw. dessen pathologische Entwicklung sind für Kernberg die Schlüsselpathologie für das Verständnis von Antisozialität in allen ihren Erscheinungsformen. Antisozialität sollte seiner Meinung nach jedenfalls in ihrer psychodynamischen Bedeutung definiert werden und nicht einfach als kriminelles Verhalten oder mangelnde Gesetzeskonformität.

3.1.1 Neurotische Persönlichkeiten mit antisozialem Verhalten
Hier finden wir die von Freud (1916d) beschriebenen „Kriminellen aus Schuldgefühl“. Wenn die Persönlichkeitsstruktur neurotisch organisiert ist, gibt es im Hinblick auf eine psychotherapeutische und psychoanalytische Behandlung eine ausgezeichnete Prognose. Das antisoziale Verhalten tritt häufig im Kontext von depressiv-masochistischen Persönlichkeiten oder bei zwanghaften Charakteren auf (also im Kontext von Charakterneurosen).

Es muss aber auch antisoziales Verhalten als Teil einer Symptomneurose in Betracht gezogen werden. Es tritt etwa als Teil pubertären Rebellentums, bei Anpassungsstörungen oder als neurotische Reaktion auf eine abnormale Umwelt auf (dissoziale Reaktion).
Denkbar ist antisoziales Verhalten auch als normale Reaktion auf eine pathologische Umwelt.

3.1.2 Narzisstische Persönlichkeit mit (passiv-parasitärem) antisozialem Verhalten

Die typischen Symptome der narzisstischen Persönlichkeit bestehen nach Kernberg zusammengefasst in Grandiosität, Neid, Entwertung und Mangel an Empathie und Hingabe (vgl. Kernberg 1989).
Narzisstische Patienten mit antisozialem Verhalten zeigen zusätzlich zu ihrer narzisstischen Persönlichkeitsstörung
a) eine ganze Palette von antisozialen Verhaltensweisen, allerdings meistens vom passiv-parasitären Typus (etwa indem man sich finanziell aushalten lässt).
b) In einigen Bereichen finden sich Reste eines autonomen moralischen Verhaltens, während in anderen völlige Rücksichtslosigkeit vorherrscht.
c) Die Fähigkeit zur Empfindung von Schuld und Besorgnis ist erhalten.
d) Sie können realistisch ihre Vergangenheit beurteilen und für die Zukunft planen.
e) In einigen Fällen erweist sich das antisoziale Verhalten lediglich als eine Äußerung ihres Mangels an Hingabe und Verpflichtungsgefühl in länger andauernden Beziehungen.
f) Sexuelle Promiskuität, Verantwortungslosigkeit bei der Arbeit, emotionelle oder finanzielle Ausbeutung von Verwandten treten auf, obwohl diese Patienten gleichzeitig fähig sind, sich in bestimmten Bereichen um andere zu kümmern und in distanzierteren Beziehungen normale Ehrlichkeitsstandards einzuhalten.

3.1.3 Antisoziales Verhalten bei anderen schweren Persönlichkeitsstörungen
Gemeint sind hier Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsorganisation ohne pathologischen Narzissmus. Beispiele hiefür wären die eigentliche Borderline-Persönlichkeitsstörung oder die paranoide Persönlichkeitsstörung. Bei infantilen Persönlichkeiten ist die Pseudologia fantastica recht häufig, hat aber eine wesentlich weniger negative prognostische Bedeutung wie das chronische Lügen der Psychopathen und der malignen Narzisse. Die paranoiden Persönlichkeiten mögen dem „paranoiden Zwang zum Betrug“ erliegen (Jacobson 1971). Darüber hinaus gehören die meisten Patienten mit pathologischem Spielen, Kleptomanie, Pyromanie oder Simulieren, wenn sie keine typisch narzisstische Persönlichkeit darbieten, zu dieser Gruppe.

3.1.4 Maligner Narzissmus
Die Zwischengruppe zwischen der „reinen“ narzisstischen Persönlichkeitsstörung und der psychopathischen Persönlichkeitsstörung teilt sich in zwei Untergruppen, jene der narzisstischen Persönlichkeiten mit passiv-parasitärem antisozialen Verhalten (vgl. 3.1.2)  und jene mit vorwiegend aggressivem antisozialen Verhalten. Die zweite Gruppe entspricht dem, was Kernberg auch „Syndrom des malignen Narzissmus“ nennt. Diese Patienten zeigen ebenfalls eine typische narzisstische Persönlichkeitsstörung. Dazu kommen
- antisoziales Verhalten
- ich-syntoner Sadismus oder charakterlich verankerte Aggression
- eine paranoide Orientierung.
Zur Differentialdiagnose der Über-Ich-Pathologie zwischen psychopathischer Persönlichkeit und malignem Narzissmus sind folgende Aspekte des letzteren wesentlich:
- Die Fähigkeit zu Loyalität und zu Besorgnis um andere ist erhalten.
- Die Fähigkeit, Schuldgefühle zu erleben, ist erhalten.
- Diese Patienten können sich vorstellen, dass andere Menschen moralische Überzeugungen haben.
- Diese Patienten können aus der Vergangenheit lernen und für die Zukunft planen.
Die Differentialdiagnose der Über-Ich-Pathologie zwischen „nur“ narzisstischen und malignen narzisstischen Persönlichkeiten kann anhand folgender Aspekte gestellt werden:
- Der ich-syntone Sadismus kann sich in einer Ideologie der aggressiven Selbstbehauptung ausdrücken.
- Der ich-syntone Sadismus kann sich aber auch in beständigen suizidalen Tendenzen ausdrücken. Diese entstehen nicht aus einer Depression, sondern aus akuten emotionellen Krisen. Die zugrunde liegende Phantasie ist, dass Selbstmord Ausdruck einer Überlegenheit und ein Triumph über Schmerz und Todesangst ist. Durch Suizidalität wird eine sadistische Kontrolle über andere ausgeübt.
- Wechsel von „psychopathischer“ und „paranoider“ Übertragung.
- Die paranoide Orientierung widerspiegelt die Projektion von sadistischen Über-Ich-Vorläufern, die nicht integriert werden konnten, auf andere. Andere werden dabei in übertriebener Weise als Idole, Feinde oder Narren betrachtet.
- Paranoide Einstellungen können sich in intensiven Therapien zu mikro-psychotischen Episoden steigern.
- Einige dieser Patienten sind Führer von sadistischen oder halb-terroristischen Banden, mit einer dazupassenden „ehrlichen“ sadistischen „Ideologie“. Gegenüber den Bandenmitgliedern besteht durchaus die Fähigkeit zu Loyalität.
- Pathologische Neugier, Arroganz und Pseudostupidität (Bion, 1957) sowie Anspruchs-, Vorwurfs- und Schonhaltung sowie chronische Suizidalität (Dammann & Gerisch, 2005).

3.1.5 Die psychopathische Persönlichkeit
Sie zeigt typischerweise eine narzisstische Persönlichkeit. Darüber hinaus zeigen psychopathische Persönlichkeiten eine Reihe folgender antisozialer Verhaltensweisen:
- parasitärer Typus: Lügen, Stehlen, Einbrechen, Fälschen, Betrügen, Prostitution
- offen aggressiver Typus: Überfall, Mord und bewaffneter Raub
Die Über-Ich-Pathologie bei der psychopathischen Persönlichkeit hat folgende Charakteristika:
- Unfähigkeit zu authentischen Schuldgefühlen und Reue.
- Auch nach einer Konfrontation mit den Folgen ihres antisozialen Verhaltens tritt keine wirkliche Verhaltensänderung gegenüber den bisherigen Opfern ein (trotz wortreichem Zur-Schau-Stellen von Schuld und Bedauern).
- Es gibt auch keine Besorgtheit über diesen Mangel an Veränderung.
- Der Patient kann sich keine ethische Dimension bei anderen vorstellen; auch wenn er z.B. direkt beim Lügen erwischt wird, empfindet er keine Schuld, sondern befürchtet bestenfalls Ärger auf Seiten des Interviewers.
- Psychopathische Persönlichkeiten geben immer nur jene Aspekte ihres antisozialen Verhaltens zu, deren sie bereits überführt sind, niemals gestehen sie von sich aus Schuld ein.
- Sie zeigen eine permanente Manipulationstendenz sowie pathologisches Lügen.
Pathologien im Bereich der Objektbeziehungen:
- Sie gehen nur oberflächliche Beziehungen ein und können emotionell nichts in andere Menschen, oder auch nur in Haustiere, investieren.
- Sie zeigen oft eine Unfähigkeit, sich zu verlieben oder Zärtlichkeit für jemanden zu empfinden.
Pathologien im Bereich der Ich-Funktionen:
- Die Patienten haben keinerlei Angsttoleranz; auf jede Zunahme von Angst reagieren sie mit zusätzlichen Symptomen oder pathologischem Verhalten.
- Sie zeigen eine Unfähigkeit, Depression oder Trauer zu erleben.
Folgende Gegenübertragungen sind bei psychopathischen Persönlichkeiten typisch:
- Gefühl der Verwirrung.
- Versuchung, die Informationen des Patienten unkritisch zu akzeptieren oder sie in paranoider Weise global zu verwerfen.
- Pseudoneutralität, die eine zugrunde liegende Entwertung des Patienten verhüllt.
- Wunsch, aus der Beziehung mit dem Patienten auszusteigen, weil dieser permanent die grundlegendsten Werte in menschlichen Beziehung verletzt.

3.1.6 Antisoziales Verhalten bei Patienten mit psychotischer Persönlichkeitsorganisation (PPO)
Strukturell handelt es sich hier um Patienten, die unter der Aktivierung von Spitzenaffekten eine Verschmelzung von Ich und Objektrepräsentanz verspüren, d.h. symbiotische Übertragungen erleben, wobei die Fähigkeit zur Realitätsprüfung essentiell verloren geht. Damit sind im wesentlichen nicht Schizophrenien gemeint sondern wahnhafte Störungen (Paranoia) und atypische Psychosen.

3.2 Zur Prognose der Störungen des antisozialen Spektrums

 

Ambulante Psychotherapie mit erwachsenen psychopathischen Persönlichkeiten ist nach Kernbergs Auffassung völlig aussichtslos. In einzelnen Fällen sind (in früheren Studien dokumentiert) allerdings in spezialisierten Kliniken oder Gefängnissen Erfolge erzielt worden, am ehesten, wenn eine strenge und nicht korrumpierbare Umweltkontrolle, das Konzept der Therapeutischen Gemeinschaft (Norris 1985; Gunn et al. 1978; Cullen 1994) mit der Möglichkeit zur Gruppentherapie kombiniert worden ist (Persons 1965; Jew et al. 1972; Maas 1966).
Die Aufgabe des Psychiaters in Bezug auf psychopathische Persönlichkeiten sieht Kernberg darin, erstens die notwendige Differentialdiagnose zu stellen, zweitens die Familie vor den Folgen des antisozialen Verhaltens des Patienten zu warnen bzw. diese über die negative Prognose zu informieren. Eine Langzeithoffnung könne in der Tatsache liegen, dass viele psychopathische Persönlichkeiten im mittleren oder höheren Alter quasi „ausbrennen“. Die dritte Aufgabe bestehe darin, realistische Bedingungen für die Therapie zu schaffen. Alle sekundären Krankheitsgewinne müssten ausgeschalten werden. Das Therapiesetting müsse durch bestimmte Bedingungen davor geschützt werden, vom Patienten sekundär ausgebeutet zu werden.

Beim malignen Narzissmus sei die Prognose wesentlich besser als bei der psychopathischen Persönlichkeitsstörung. Trotzdem sei auch hier Zurückhaltung geboten. In langfristigen übertragungsfokussierten Psychotherapien könne sich das manipulierende, ausbeuterische Verhalten in der Übertragung langsam in einen im Wesentlichen paranoiden Widerstand verwandeln. Dabei könnten sogar paranoide Übertragungspsychosen entstehen. Falls die Regression in der Therapie gehalten und bearbeitet werden könne, könne es zu einem schrittweisen Übergang zu den üblichen Übertragungsformen von schweren narzisstischen Persönlichkeitsstörungen kommen.
Eine Grenze für solche therapeutische Bemühungen sei bei Patienten gegeben, deren aggressives Verhalten potentiell für andere (inkl. dem Psychotherapeuten) gefährlich werden könne. Dies bedeute, dass die Möglichkeit von offener Gewalt im Zusammenhang von paranoiden Übertragungsreaktionen vor Beginn der Therapie abgeschätzt werden sollte.

Bei Patienten mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung mit antisozialem Verhalten sei ebenso wie bei anderen Persönlichkeitsstörungen mit antisozialem Verhalten eine übertragungsfokussierte Psychotherapie (TFP) (Clarkin et al. 1999; Dammann et al. 2000) indiziert. Kontraindikationen für diese Therapieform seien allerdings

-    Desorganisation der äußeren Lebensumstände, die Umgebungsinterventionen notwendig machen, wenn kein multiprofessionelles Team vorhanden sei
-    Unfähigkeit, selbst- oder fremddestruktives Ausagieren zu kontrollieren
-    Intellektuelle Minderbegabung
-    chronisches Fehlen wirklicher Objektbeziehungen (schwere Isolation)
-    psychotische Persönlichkeitsorganisation.

In all diesen Fällen sei an die Anwendung einer psychodynamisch orientierten stützenden Therapieform zu denken. In extremen Fällen sei die Behandlung jedoch auch nur stationär durchführbar.

Bei Neurotikern mit antisozialem Verhalten könne eine Psychoanalyse empfohlen werden, obwohl Neurotiker üblicherweise auch von zahlreichen anderen Therapieformen profitieren könnten.

4. Antisozialität, Psychopathie und Delinquenz

Der forensische Psychotherapeut findet in den diagnostischen Kategorien und psychodynamischen Vorstellungen, die Kernberg in den 1980er Jahren entwickelt hat, nicht nur ein reiches Reservoir von Ideen, sondern auch einen fundamentalen Raster, den er seiner Arbeit mit delinquenten Patienten zugrunde legen kann.

Allerdings ist zunächst festzuhalten, dass weder Antisozialität noch Psychopathie identisch mit Delinquenz sind. Während Antisozialität ein deskriptiver Begriff ist und jedes Verhalten beschreibt, das Normen des gesellschaftlichen Zusammenlebens verletzt, bezeichnet Psychopathie in der anglo-amerikanischen Tradition eine psychische Struktur, die zu antisozialem Verhalten disponiert (Cleckley 1941). Antisoziale Normverletzungen müssen nicht kriminelle Akte sein, sie können auch rücksichtslose Geschäftspraktiken, politisches Abenteurertum oder grausames Verhalten unter kriegerischen Bedingungen sein, das nicht zu strafrechtlicher Verfolgung führt.

Es ist eine wesentliche Errungenschaft des Kernbergschen Diagnoserahmens, dass er eine Kategorie für nicht-therapierbare Fälle enthält, eben die hier so genannte psychopathische Persönlichkeit. Es ist für forensische Therapeuten ebenso wie für forensisch-therapeutische Einrichtungen äußerst wichtig, sich nicht für alle Störungen zuständig zu fühlen. Auch der Narzissmus der Therapeuten, v. a. der Anspruch, alle Patienten heilen zu wollen, muss beherrscht werden, und dies muss auch Ausdruck in der differentialdiagnostischen Kategorie der Unbehandelbarkeit finden. Allerdings fehlen weitgehend Untersuchungen, die das „Unbehandelbarkeits-Paradigma“ Kernbergs empirisch absichern.

In der Praxis des Strafvollzuges erweist es sich manchmal als schwierig, diese Selbstbeschränkung auch gegenüber dem Geldgeber (der Justiz) zu erklären. Denn die Justizverwaltung ist häufig konzeptlos in Bezug auf jene Patienten, die als nicht therapierbar diagnostiziert werden . Diese Konzeptlosigkeit verwandelt sich dann manchmal in einen Druck, es vielleicht doch zu versuchen und die eigenen Bedenken zu übergehen. Dies kann sehr gefährlich sein.

EN 5 Wolfgang Berner (2001) hat ebenfalls auf das Problem aufmerksam gemacht, dass nicht alle Täter therapeutisch erreichbar sind: „’Es gibt vermutlich eine sehr kleine Gruppe von Tätern, die man sehr dauerhaft verwahren muss’. Als Möglichkeit nennt er das Prinzip der unter Fachleuten diskutierten ‚long-stay-stations’ nach holländischem Vorbild“ (Berner 2001, S.1).

Für forensische Psychotherapeuten gibt es jedoch differentialdiagnostische Fragen, die im Kernbergschen Rahmen betreffend die Antisozialität nicht ausgearbeitet sind. Diese betreffen zunächst Art und Bedeutung des Deliktes, das zum Anlass einer Behandlung wurde, aber auch das neuere Mentalisierungskonzept. Es entspricht einer alten psychodynamischen Tradition, dass das Delikt – ähnlich wie das Symptom einer Neurose – als eine oberflächliche Erscheinung einer tiefer liegenden Psychodynamik aufgefasst wird. Das Delikt, etwa eine Sexualstraftat, stellt aus psychodynamischer Sicht nicht eine geradlinige Verwirklichung eines pathologischen Triebes dar, sondern ist das komplizierte Resultat innerer Konflikte und Abwehrvorgänge. Delikte stellen in diesem Sinne häufig sogar Lösungs- oder Kompensationsversuche dar , die durch eine strukturverändernde Psychotherapie überflüssig werden sollten.

EN 6   Vgl. etwa Schorsch et al. (1985): „Die perversen Symptome stellen als komplizierte Chiffren Lösungsversuche dar“ (S.32).

So sehr der Vergleich von Strafrechtsdelikten mit psychopathologischen (autoplastischen ) Symptomen berechtigt ist und tatsächlich auf wichtige dynamische Parallelen hinweist, so sehr ist jedoch auch auf die Unterschiede aufmerksam zu machen. Delikte fügen in der Regel anderen Menschen realen Schaden zu, mitunter äußerst beträchtlichen, und das ist der Hauptgrund, warum die Gesellschaft Delinquenten gegenüber anders vorgeht als gegenüber rein psychopathologisch Auffälligen .

EN 7  Autoplastische Symptome stellen psychopathologisch bedingte Veränderungen im Selbst eines Patienten dar. Demgegenüber bezeichnet man mit Alloplastik die psychodynamisch bedingte Einwirkung des Selbst auf die Außenwelt.

EN 8  Natürlich spielt auch das von der psychoanalytischen Sozialpsychologie hervorgehobene Strafbedürfnis der Gesellschaft eine gewisse Rolle (Fromm 1931, Reiwald 1948), jedoch dürfen darüber nicht die realen Folgen von Straftaten übersehen werden. Die Opferperspektive fest in den Diskurs über Delinquenz einzubinden, wurde erst in den letzten Jahrzehnten zunehmend zu einer Selbstverständlichkeit.

Auf die Folgen für den therapeutischen Rahmen wurde bereits in einem anderen Zusammenhang eingegangen .

EN 9 Siehe Lackinger/Dammann  (2005).

Hier geht es darum, klarzumachen, dass das Delikt eine über das autoplastische Symptom hinausgehende psychodynamische Bedeutung hat und daher einen anderen Stellenwert in der Therapie einnimmt.

Ein Moment in dem Boom verhaltenstherapeutischer Ansätze in der Straftäterbehandlung in den 1990er Jahren war gerade deren Fokussierung des Deliktverhaltens. Es wurden zunehmend delikt-spezifische Behandlungsprogramme (etwa für Pädophile oder für Vergewaltiger) entwickelt (Eldridge/Bullens 1997, Marshall et al. 1998, Urbaniok 2003). Während zu bedauern ist, dass dadurch das Reflektieren der zugrunde liegenden unbewussten Phantasien zurückgedrängt und vernachlässigt wurde, ist ein grundlegendes Moment dieser Entwicklung doch berechtigt und vermutlich von dauerhafter Bedeutung auch für die psychodynamische Therapie: Das Delikt stellt ein psychopathologisches Phänomen sui generis dar. Es hat in der forensischen Therapie eine mehrfache Bedeutung, die in allgemeinen psychodynamischen Überlegungen zu Antisozialität und Psychopathie nicht ausreichend reflektiert wird. Hier wird zuerst auf die allgemeine, gewissermaßen therapiekonstituierende Bedeutung des Deliktes und seiner Psychodynamik eingegangen, anschließend sollen einige weiterführende und spezifischere differential-diagnostische Überlegungen im Zusammenhang mit dem Delikt angestellt werden.

5. Delikt und projektive Identifizierung

Delikt, gesellschaftlicher Zwang und forensische Psychotherapie stehen in einem dialektischen Verhältnis zueinander, in dem sich nicht zuletzt auch die spezifische Psychopathologie von Straftätern spiegelt. Indem das Delikt die Gesellschaft zwingt, repressiv zum Schutze der Opfer einzuschreiten, aktiviert es einen mächtigen Mechanismus, der vom Standpunkt des Delinquenten aus die Folge einer projektiven Identifizierung ist. Der Delinquent externalisiert durch sein Delikt einen unerträglichen und unassimilierbaren Selbstanteil. Das Auffälligste daran sind die mit diesem Selbstanteil verbundenen massiven, unsymbolisierten Affekte. Die Affekte, die der Delinquent bei seinem Opfer auslöst (Angst, Ohnmacht, Wut, Hass), können als Manifestationen der vom Delinquenten in sein Opfer projizierten Affekte aufgefasst werden. Mit den Affekten verbunden sind auch Phantasien über entsprechend gewalttätige oder betrügerische Objekte, mit denen der Delinquent im Augenblick der Tat identifiziert ist. Es handelt sich also um eine (mehr oder weniger archaische) destruktive Objektbeziehung, die im Delikt ausagiert wird, wobei es insbesondere um Affekte geht, die der Delinquent nicht halten, nicht modulieren, nicht „containen“ kann. In gewisser Weise entspricht dies dem Vorgang der projektiven Identifizierung beim Säugling und Kleinkind, wie er von Bion (1962, 1963, 1966) beschrieben worden ist. Unerträgliche (unverdaute) Affekte werden in die Mutter projiziert, deren „Aufgabe“ es ist, stellvertretend für den Säugling die „Verdauung“ zu übernehmen und den Affekt zu modulieren, bevor sie ihn zurückgibt.

In der Delinquenz findet eine (partielle) Regression zu diesem frühen Mechanismus statt, wobei die „mütterliche Verdauungsfunktion“ weniger dem einzelnen Opfer zugewiesen wird als dem „Gesellschaftskörper“ insgesamt (Regression zu einem depersonalisierten Globalobjekt im Sinne der Gruppenanalyse). Das Delikt löst ja nicht nur im Opfer Reaktionen aus, die Gesellschaft insgesamt ist angesprochen und reagiert mit Hilfe ihrer Repressionsapparate, die die projizierten Affekte auf ihre Weise aufgreifen. Inwieweit diese die in sie projizierten Affekte nur unverdaut zurück stoßen (etwa in Form der Todesstrafe oder von sadistischen Bestrafungen) oder in eine reifere Form transformieren können, hängt von den Mentalisierungskapazitäten

EN 10 Vgl. hiezu Abschnitt 7 dieses Beitrags, sowie verschiedene Arbeiten von P. Fonagy zu diesem Thema (Fonagy 1995, 1998, 2004, Fonagy et al. 2002), der Bions Ideen aufgriff und zu operationalisierbaren Konzepten weiterentwickelte.

in diesen Institutionen ab. Der Delinquent delegiert jedenfalls die Container-Funktion fast zur Gänze an die Gesellschaft. Und letztlich ist die forensische Psychotherapie, wenn sie dann anstatt, während oder nach einem Strafvollzug zur Anwendung kommt, auch noch von dieser delikt-katalysierten projektiven Identifizierung bestimmt. Sie ist Teil eines gesellschaftlichen Containments projizierter delinquenter Affekte und Phantasien.

Der forensische Psychotherapeut muss sich dieser grundlegenden Konstellation seiner therapeutischen Situation bewusst sein. Sie unterscheidet sich in diesem Punkt deutlich von üblichen Psychotherapien, auch von psychodynamischen Borderline-Therapien, mit denen sie ansonsten viel gemeinsam hat.

Auch das TFP -Manual geht grundlegend von einem erhaltenen Anteil im Patienten aus, der die eigene Hilfebedürftigkeit anerkennt und dessen Wirksamkeit die Therapie erst zustande kommen lässt. Auch wenn in der Übertragungsdynamik die therapiezerstörenden Kräfte die Überhand zu gewinnen drohen, so ist doch zu jedem Zeitpunkt von einem hilfesuchenden Anteil im Patienten auszugehen, der auch angesprochen werden kann. Wenn er nicht mehr angesprochen werden kann, endet die Therapie normalerweise im Abbruch.

EN 11   Transference Focused Psychotherapy (TFP) ist ein manualgeleitetes, psychodynamisches, und empirisch gestütztes Psychotherapie-Verfahren, das speziell zur behandlung von Patienten mit einer Borderline-Persönlichkeitsorganisation entwickelt wurde. In seinen Grundzügen stammt es von Otto Kernberg, der es im Rahmen des Psychotherapie-Forschungsprojektes der Menninger Foundation entwickelte. Später wurde diese Therapiemethode am New York Hospital - Cornell Medical Center erstmals in ein Psychotherapie-Handbuch gegossen (Kernberg et al. 1989, dt. 1993). In den 1990er Jahren wurden die Forschungen zur psychodynamischen Borderline-Therapie am Institut für Persönlichkeitsstörungen des New York Presbyterian Hospital fortgesetzt. (Yeomans et al., 1992; Clarkin et al., 1999 (dt. 2001), Koenigsberg et al., 2000).

Anders bei der forensischen Therapie. Das Ausmaß der projektiven Identifizierung des Patienten macht häufig einen Zwangskontext für die Durchführung der Therapie notwendig. Viele psychodynamische Therapeuten meinen, dass gerade mangelnde Freiwilligkeit die Durchführung einer psychodynamischen Therapie unmöglich mache. Ohne einen verfügbaren, gesunden Selbstanteil – so meinen sie – ist nicht nur ein Arbeitsbündnis unmöglich, sondern es kann kein therapeutischer Prozess in Gang kommen, weil die heilende Dialektik der inneren Kräfte und Phantasien durch die globale Externalisierung eines Anteils zum Erliegen kommen muss.

Diese zunächst plausibel erscheinende Annahme ist jedoch (im übrigen auch bei Substanzabhängigen) empirisch widerlegt, nicht nur weil zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass durch Therapie die Rückfallquoten von Straftätern gesenkt werden können.

EN 12 Vgl. etwa Marshall et al. (1991), Redondo et al. (1999), Eher et al. (in diesem Band).

Es ist einfach auch eine klinische Erfahrungstatsache, dass trotz Zwangskontext bearbeitbare Übertragungsprozesse in Gang kommen. Der Grund dafür liegt darin, dass der Zwangskontext forensischer Therapien ja nicht einfach eine der Patientenpsyche gänzlich äußerliche Zwangsstruktur ist, sondern dass der Zwang durch projektive Vorgänge ausgelöst und nur aufgrund der Externalisierung bestimmter Selbstanteile weiterhin als fremder Zwang erlebt wird. Für das Unbewusste kann der Zwang hier eine ähnliche Rolle spielen wie die ungleiche Machtverteilung zwischen Kindern und Erwachsenen für die heranwachsenden Kinder. Im optimalen Falle pendeln autoritative Vorgaben in ihrer Bedeutung zwischen sicherheitsspendender Container-Funktion und Autonomiewunsch-anregender Freiheitsbeschränkung. Im Kontext der schweren Über-Ich-Pathologien der delinquenten Patienten erscheinen diese Funktionen natürlich z.T. grotesk verzerrt. Fühlen sich die einen KZ-ähnlichen Torturen unterworfen, versklavt oder durch ihren Therapeuten zu Versuchskaninchen fragwürdiger medizinischer Experimente gemacht, so erleben andere die Therapie als einzigen Ort der Sicherheit und des Wohlwollens, von dem sie fürchten, vertrieben zu werden, wenn die gerichtliche Therapieweisung ausläuft.

Wie immer forensische Patienten den Zwangskontext subjektiv erleben, in den meisten Fällen bietet das dazugehörige Agieren und die damit verbundenen Phantasien wertvolles Material zur Untersuchung der inneren Welt der Patienten. Das Delikt erscheint hier immer wieder an dem Knotenpunkt, an dem die Pathologie der inneren Welt des Patienten in einer Weise auf die Außenwelt durchschlägt, dass diese die Gewalt der so externalisierten Objektbeziehungen aufnimmt und u. a. in eine forensische Psychotherapie transformiert, in eine Therapie, in die er sich ohne Zwangskontext niemals begeben hätte, weil das Ausmaß der Pathologie das freiwillige Eingehen einer abhängigen Beziehung nicht zulässt.

Man kann die Entwicklung einer forensischen Psychotherapie auch als schrittweise (Re-)Internalisierung des Zwangskontextes im Sinne des Aufbaus innerer Grenzen betrachten. Wird in den frühen Phasen häufig nur der äußere Zwang gesehen, so wird später oft eine Spaltung zwischen dem wohlwollenden Therapeuten und der unterdrückerischen Justiz im allgemeinen sichtbar. Ein Zeichen eines relativ fortgeschrittenen therapeutischen Prozesses ist es, wenn der Patient die Freiheitsbeschränkung rückblickend als Folge der eigenen Tendenzen zum Ausagieren und der damit verbundenen eigenen Unfähigkeit zu erwachsener Verantwortung verstehen kann.
Es wird hier nicht behauptet, dass alle Delinquenten letztlich „Verbrecher aus Schuldgefühl“ im Sinne Freuds 

EN 13 Vgl. Freud (1916d).

seien, die unbewusst eine Bestrafung durch die Gesellschaft wünschten und herbeiführten. In der hier beschriebenen projektiven Identifizierung geht es nicht um unbewusste Schuldgefühle, sondern um prägenitale, zerstörerische Aggression und primitiven Neid. Diese Aggression richtet sich nicht nur gegen die Integrität des konkreten Opfers, sondern auch gegen die Rechtsstruktur der Gesellschaft. Sie stellt die Gesellschaft als Container auf die Probe. Während „Verbrecher aus Schuldgefühl“ unbewusst „erwischt“ werden wollen, trifft dies auf die primitiv projizierenden Verbrecher nicht zu. Sie versuchen den Container zu zerstören. Trotzdem gibt es so etwas wie eine angeborene Präkonzeption, die auf ein Containment der projizierten primitiven Affekte zielt (Bion 1963). Und wenn alle als Container angesprochenen Instanzen in der persönlichen Umwelt eines Menschen versagt haben, dann wird schließlich das staatliche Repressionssystem herausgefordert.

6. Diagnostik und Delinquenz

 

Die Art des Deliktes hat nicht nur eine strafrechtliche Bedeutung, sondern auch eine psychodynamische. Für die zu erwartende Dynamik in einer Psychotherapie macht es einen großen Unterschied, ob – sagen wir – eine narzisstische Persönlichkeit wegen wiederholter Einbrüche, wegen wiederholter Vergewaltigungen oder wegen beidem verurteilt wurde. Aus psychodynamischer Sicht ist die Art der gesetzten Delikte ein deutlicher Hinweis auf die vorherrschenden pathologischen Phantasien. Art und Bedeutung dieser Phantasien können sehr verschieden sein. Es gibt immer einen grundlegenden unbewussten Anteil bei diesen Phantasien, der gewissermaßen die Kernpathologie abbildet. Es ist aber sehr verschieden, in welcher Weise und in welchem Ausmaß die unbewusste Phantasie vorbewusste und bewusste Abkömmlinge hervorbringt und wie sich das Ich dazu einstellt. Schorsch & Becker (1977) haben darauf hingewiesen, dass das bewusste Ausphantasieren in manchen Fällen von Sexualdelinquenz ein Versuch ist, das Ausagieren sadistischer Impulse zu kontrollieren. Zum Delikt kommt es in diesen Fällen erst dann, wenn die Phantasie zur Impulskontrolle nicht mehr ausreicht (ich-dystone Delinquenz). Bei anderen Tätern gibt es kaum einen Widerspruch zwischen den delinquenten Wünschen und dem bewussten Denken (ich-syntone Delinquenz). Bei noch anderen werden die destruktiven Vorstellungen überhaupt nicht bewusst, sondern brechen unvorbereitet und impulsiv durch (impulsive Delinquenz). Das Deliktmuster reflektiert aber in jedem Fall eine bestimmte, den äußeren Bedingungen mehr oder weniger angepasste Ausgestaltung einer unbewussten pathologischen Phantasie, die im Kern eine verzerrte internalisierte Objektbeziehung ist. Form und Inhalt dieser unbewussten Beziehungsphantasien lassen nun Rückschlüsse auf die psychische Struktur zu. Und obwohl diese klinisch natürlich jeweils im Einzelfall zu untersuchen ist, lassen sich doch für bestimmte Delinquenzformen einige allgemeine Aussagen machen.

Die Strafrechtsdelikte lassen sich grob in drei Gruppen zusammenfassen, innerhalb deren es verschiedene Schweregrade und zwischen denen es verschiedene Kombinationsmöglichkeiten gibt:
-    Eigentumsdelikte
-    Gewaltdelikte
-    Sexualdelikte

Natürlich ist das Delikt alleine noch nicht ausreichend, um auf eine bestimmte zugrunde liegende psychische Struktur zu schließen. Der Hintergrund von strafrechtlichen Delikten ist äußerst komplex und umfasst biologische und konstitutionelle Faktoren ebenso wie die soziale Lage des Delinquenten, die allgemeine Struktur und den gegenwärtigen Zustand der umgebenden Gesellschaft, einschließlich der sozialen Struktur des Normen- und Wertesystems, aber schließlich auch ganz banale situative Faktoren, wie „die Gunst der Stunde“ oder „die Aussichtslosigkeit des Augenblicks“. Es wurde zurecht immer wieder darauf hin gewiesen, dass jeder normale Mensch in eine Situation kommen kann, wo er zum Delinquenten wird, genauso wie auch jeder normale Mensch unter bestimmten extremen Umständen psychotische Symptome entwickeln kann.

Es ist daher ratsam, die folgenden Aussagen über die psychodynamische Bedeutung von Delikten auf moderne westliche Gesellschaften einzugrenzen und Reaktionen in Extremsituationen auszuschließen, da solche nur im Einzelfall beurteilt werden können. Unter diesen Einschränkungen scheint es aber gerechtfertigt, davon auszugehen, dass bestimmte Delikte mit bestimmten Persönlichkeitsstrukturen korrelieren, wenn auch nicht in einem mechanischen (1:1) Sinne, da die Vielfältigkeit der auslösenden äußeren Deliktsituationen nicht übersehen werden darf.

Vergleichbare Delikte haben je nach Täterdisposition ganz unterschiedliche auslösende Hintergründe, und umgekehrt lösen vergleichbare äußere Situationen bei manchen Menschen ein deliktisches Verhalten aus und bei anderen nicht, abhängig von der Art und dem Ausprägungsgrad der jeweiligen deliktrelevanten psychischen Struktur (und der wiederum dieser zugrunde liegenden pathologischen internalisierten Beziehungsphantasien) des Täters.

In die Persönlichkeitsstruktur (und daher auch in die Persönlichkeitspathologie) gehen nach modernem psychodynamischen Verständnis sowohl die biologischen, v.a. die neuro-physiologischen Dispositionen, als auch die Art der frühen Bindungserfahrungen und der lebensgeschichtlichen Traumatisierungen ein. Die sich aus dem Geflecht der unterschiedlichen Einflussfaktoren bildende psychische Struktur, kann nun auf verschiedene Weise erfasst werden. Die Kernbergsche Strukturdiagnostik ist nur eine Möglichkeit ,

EN 14 Die Operationaliserte Psychodynamische Diagnostik (OPD) ist eine andere Methode zur Erfassung der psychischen Struktur (vgl. etwa Arbeitskreis OPD 1996, Schauenburg et al. 1999). Die Stärke der OPD ist der hohe Grad an Operationalisierung der verwendeten Strukturkriterien. Dies scheint mir jedoch teilweise auf Kosten des Tiefgangs zu gehen (vgl. Brainin 2005). Im OPD-Kontext wird seit einiger Zeit auch an speziellen Kriterien für eine forensische Diagnostik gearbeitet, die jedoch meines Wissens noch nicht veröffentlicht wurden. Vgl. auch Cancola (in diesem Band).

allerdings diejenige, die meines Erachtens am besten eine Verbindung zwischen den deskriptiven psychopathologischen Erscheinungsformen einerseits und den psychoanalytischen Kriterien für die Tiefenstruktur andererseits findet. Die wesentlichsten Determinanten für letztere sind die Ich-Identität, die Abwehrstruktur und die Realitätsprüfung. Diese Kriterien werden im strukturellen Interview

EN 15 Vgl. hiezu Kernberg (1981, 1984). Seit 2003 gibt es das Strukturierte Interview zur Persönlichkeitsorganisation (STIPO), ein weiter ausdifferenziertes diagnostisches Instrument von Seiten des New Yorker Personality Disorders Institute (Clarkin et al. 2003), in dem nun zwei neurotische und drei unterschiedliche Borderline-Niveaus differenziert werden.

erhoben. In jüngster Zeit wurde an einer stärker operationalisierten Form gearbeitet, dem Strukturierten Interview zur Persönlichkeitsorganisation (STIPO, Clarkin et al. 2003). Dieses entspricht den Erfordernissen der wissenschaftlichen Forschung besser, da es die wesentlichen Dimensionen der psychischen Struktur quantifiziert. Es erfasst folgende sieben Strukturaspekte: Identität, Objektbeziehungen (einschl. einem Unterkapitel: Partnerschaft und Sexualität), primitive Abwehr, Coping/Rigidität, Aggression, Wertvorstellungen, Realitätskontrolle und Wahrnehmungsverzerrungen.

Forensische Aspekte kommen vor, wenn auch für unsere Zwecke unterbelichtet. Dispositionen zu Lügen, Stehlen und Betrügen werden im STIPO unter dem Punkt „Wertvorstellungen“ abgefragt, die Neigung zu gewalttätigen Handlungen kommt in drei Fragen unter dem Punkt „Aggression“ zur Sprache. Sexualdeliktisches Verhalten wird überhaupt nicht thematisiert.

Aus forensisch-therapeutischer Sicht sollten bei Delinquenten solche strukturellen Determinanten tiefer gehend oder zusätzlich diagnostisch erfasst werden, die mit der Art der kriminellen Disposition zu tun haben und die vermutlich auch mit der Disposition korrelieren, allgemein oder deliktspezifisch rückfällig zu werden.

7. Der Beitrag Peter Fonagys: Mentalisierung und Delinquenz

Es gibt noch einen weiteren Gesichtspunkt, um den die Kernbergschen Strukturkriterien für forensische Zwecke ergänzt werden sollten, nämlich die so genannte „Reflektive Funktion“, wie sie von Fonagy et al. (1998, 2002) in den letzten Jahren nach Vorarbeiten von Dennett (1987) und Main (1991) ausgearbeitet worden ist. Die reflektive Funktion ist die Operationalisierung des Konzeptes der Mentalisierung (Fonagy 1995) und bezeichnet die Fähigkeit, subjektive Zustände bei sich selbst und anderen wahrzunehmen, als Ursachen von Handlungen zu erkennen, über sie nachzudenken und in die Planung der eigenen Handlungen mit einzubeziehen. Fonagy konnte zeigen, dass die reflektive Funktion bei Borderline-Patienten charakteristisch gestört und bei Delinquenten noch stärker beeinträchtigt ist .

EN 18   Vgl. die Prison-Health-Care-Centre-Studie (Levinson/Fonagy, unveröffentlicht). Die Studie wird in Fonagy (1998 und 2004) zusammengefasst.

Da die reflektive Funktion die Fähigkeit misst, sich selbst und andere als Subjekte zu begreifen, erhebt sie möglicherweise eine Kompetenz, die – wenn sie in einem hohen Ausmaß beschädigt ist – ganz spezifisch delinquente Grenzüberschreitungen ermöglicht.

Peter Fonagy (1998, 2004) hat seine Theorie der Mentalisierung auch auf die Frage der Delinquenz angewendet. Er geht davon aus, dass das Kleinkind keineswegs automatisch lernt, eigene psychische Zustände wahrzunehmen, die eigenen psychischen Zustände als kausal für seine Handlungen zu erkennen, geschweige denn psychische Zustände als Ursachen der Handlungen anderer zu begreifen. Diese so genannte Mentalisierungsfähigkeit entsteht vielmehr durch die Spiegelungsaktivität der primären Bezugspersonen des Kindes. Dabei geht es darum, dass nicht nur der jeweilige affektive Zustand des Kindes von dem Gegenüber aufgegriffen und gespiegelt wird, sondern dass dem Kind zugleich vermittelt wird, dass es sich hierbei nicht um den Gefühlszustand des Erwachsenen handelt, sondern um seinen eigenen. Dieser Vorgang wird „markierte Spiegelung“ genannt. Dadurch entstehe im Kind die erste Repräsentation der eigenen Gefühle und dies sei der Beginn der Fähigkeit, das Psychische als eigene Realität zu erkennen und darüber nachzudenken.

Mittels eines angeborenen Mechanismus („contigency detection module“, vgl. Gergely/Watson 1996) stellt das Kind Zusammenhänge zwischen seinen psychischen Zuständen und bestimmten Vorgängen in der Außenwelt fest. Es beginnt wahrzunehmen, dass diese psychischen Zustände Ursachen und Wirkungen haben, und dass das Gleiche auch auf andere Menschen zutrifft. Damit können primitivere Modi der Repräsentation der inneren Welt überwunden bzw. miteinander integriert werden.

Das zwei-/drei-jährige Kind erlebt seine innere Welt noch so, als ob seine inneren Zustände und die äußere Realität exakt korrespondieren würden. Dies nannten Fonagy et al. den „psychischen Äquivalenz-Modus“: Mentale Ereignisse werden in punkto Macht, Kausalität und Folgen mit physikalischen Ereignissen gleichgesetzt (=Wie es scheint, so ist es). Alles, was es in der äußeren Welt gibt, hat in der inneren eine direkte Repräsentation, und umgekehrt existiert alles, was im Kopf des Kleinkindes ist, auch außerhalb.

Da es Angst machend sein kann, wenn man Gedanken und Gefühle als unmittelbar real erlebt, entwickelt das Kleinkind einen alternativen Umgang mit den inneren Zuständen. Im „Als-ob-Modus“ empfindet es Gefühle und Vorstellungen als vollkommen scheinbar oder imaginär, ohne jede Implikation für die äußere Welt. Sein Spiel bildet zunächst keine Brücke zwischen innerer und äußerer Realität.

Nur durch die sichere und aufmerksame Nähe eines anderen, der die als-ob- und die äquivalenten Perspektiven des Kindes zusammenhalten kann, entsteht aus der Integration dieser beiden Modi eine psychische Realität, in der Gefühle und Vorstellungen als innen, jedoch als bezogen auf das Äußere erkannt werden können. (Kinder mit Verhaltensstörungen reagieren auf Gewaltvideos mit mehr Angst und Wut als normale Kinder. Dies bestätigt die Erwartung, dass sie schlechter zwischen als-ob und real unterscheiden können.)

Die Mentalisierungsfähigkeit lässt sich auch messen. Als Messinstrument wurde die „Reflective Self Funktioning Scale“ entwickelt (Fonagy et al. 1998). Levinson/Fonagy (unveröffentlicht) verglichen die Bindungsstile und die reflektive Funktion (RF) von 22 Strafgefangenen und 22 psychiatrischen Patienten mit einer Kontrollgruppe von 22 „Normalen“. Die Strafgefangenen hatten am meisten Misshandlung und Vernachlässigung erfahren. Strafgefangene waren häufiger ablehnend/geringschätzig (dismissive) in ihrem Bindungsmuster und die RF der Strafgefangenen war signifikant schwerer beeinträchtigt als jene der psychiatrischen Patienten. Gewalttäter zeigten die größten Defizite .

FN 17 Die mittleren RF-Ratings betrugen für die Strafgefangenengruppe 2,5, für die Psychiatriepatienten 3,7 und für die normale Kontrollgruppe 5,8. Der Anteil der RF-Ratings unter 3 betrug in der Gefängnisgruppe 64%, in der Gruppe  der Psychiatriepatienten 23%. Der Anteil von Häftlingen mit einem RF-Wert unter der kritischen 3-Punkt-Grenze war in der Gruppe der Gewalttäter höher als in der Gruppe ohne Gewaltdelikte. Die RF-Skala erscheint als ein vielversprechendes Instrument für die Trennung von Kriminellen mit Persönlichkeitsstörung und Gruppen mit ähnlicher Störung, aber ohne kriminellen Tendenzen bzw. v.a. ohne Tendenzen zu Gewaltbereitschaft (vgl. Fonagy 1998).

Es entspricht auch einer klinischen Erfahrung, dass Täter über ihr Delikt und dessen emotionale Bedeutung ganz unterschiedlich differenziert sprechen und nachdenken können. Ist die Mentalisierungskapazität nur teilweise gestört, können die Täter über akute Belastungen, Verlassenheitsängste oder Leeregefühle als Auslöser für ihre Delikte sprechen. Seltener ist die Fähigkeit zum Erleben von Schuldgefühlen als Folge des Deliktes erhalten, häufiger werden Schamgefühle oder einfach depressive Reaktionen wahrgenommen. Bei den schwereren Störungen der Mentalisierungsfähigkeit wird oft nur noch (undifferenziert) Spannung oder Unruhe erlebt. Gier und Aggression werden automatisch (projektiv) den anderen zugeschrieben, woraus sich unterschiedliche Grade von Verfolgungsängsten ergeben.
Allerdings bestehen zwischen Fonagys Mentalisierungsmodell und Kernbergs Objektbeziehungstheorie einige nicht einfach zu überwindende theoretische Unterschiede (siehe dazu Dammann, 2001), was etwa die Integration von Repräsentanzen angeht, die nach Kernberg durch Spaltungsmechanismen, bei Fonagy durch Defekte in der Repräsentationsfähigkeit pathologisch organisiert sind.

8. Spezifische Aspekte strukturell-orientierter Deliktdynamik

In den ersten Abschnitten dieser Arbeit war darauf eingegangen worden, welche Bedeutung die psychodynamische Strukturdiagnostik für die forensische Psychotherapie haben könnte. Es wurde darauf hingewiesen, dass die ursprüngliche Version des strukturellen Interviews nach Kernberg (1981) inzwischen durch eine operationalisierte Version, das STIPO, ergänzt wurde (Clarkin et al. 2003). In seiner bisherigen Ausarbeitung fehlen allerdings einige wichtige Aspekte, die für eine forensische Anwendung wichtig wären.
Für forensische Zwecke sollte das STIPO unseres Erachtens um folgenden Aspekte erweitert werden:
-    Generelle und deliktbezogene Einschränkungen der reflektiven Funktion
-    Deliktspezifische Formen der Identitätsstörung und der Störung der Objektbeziehungen
-    Deliktspezifische Abwehrstile
-    Deliktspezifische Über-Ich-Pathologie
-    Deliktspezifische Triebkonflikte.
Indem diese Determinanten operationalisiert und in das STIPO aufgenommen würden, könnte man ein „STIPO für forensische Patienten“ entwickeln. Im Folgenden sollen diese Aspekte für die drei oben erwähnten Deliktgruppen näher untersucht und in Vorschläge für eine psychostrukturelle Klassifizierung umgesetzt werden.

Im ersten Teil wurde insbesondere auf die besondere Bedeutung des Deliktes als eines psychopathologischen Phänomens sui generis hingewiesen. Die Zentralität des Deliktes in der Psychodynamik des Delinquenten rechtfertigt seine zentrale Positionierung im Rahmen einer forensisch-therapeutischen Nosologie. Daher wird im zweiten Teil dieser Arbeit die weitere Untersuchung und Erarbeitung einer forensischen Strukturdiagnostik entlang der drei Hauptgruppen der Delinquenz (Eigentums-, Gewalt- und Sexualdelinquenz) durchgeführt.

8.1 Psychodynamik und Differentialdiagnostik der Eigentumsdelinquenz

Eigentumsdelikte können aus unterschiedlichen psychodynamischen Hintergründen entstehen. Der einfachste Fall ist wahrscheinlich der eines neurotischen Konfliktes: Ein infantiler Triebwunsch, etwa im Sinne eines ödipalen Begehrens gegenüber einem Elternteil, wurde in einer Weise frustriert, die nicht zu einer vollständig erfolgreichen Verdrängung führte. Gleichzeitig wurde dadurch auch die Kastrationsangst nicht durch eine ausreichende erwachsene Identifizierung überwunden. Der infantile Wunsch kann dann später (etwa in Krisensituationen) wiederkehren. Er wird zwar vom Über-Ich abgelehnt, kann aber nicht völlig abgewiesen werden und mobilisiert dadurch neuerlich starke Kastrationsangst. Als Ausweg kommt es zu einer regressiven Wiederbelebung fixierter präödipaler Konflikte. Wenn sich unter diesen Konflikten das Thema Besitz und Aneignung als besonders virulent erweist, kann es die Symptomwahl im Sinne einer neurotischen Diebstahlsneigung mitbestimmen . Natürlich geht in das Symptom auch die Abwehr in Form eines entsprechenden (masochistischen) Strafbedürfnisses ein. Neurotische Diebe sind daher per definitionem solche, die leicht erwischt werden.

Natürlich können die neurotischen Verhältnisse auch viel komplizierter sein. Wenn unter den regressiv wiederbelebten Konflikten Phantasien über orale Verlassenheit vs. orale Gier bedeutend sind, dann wird die Impulsivität stärker ausgeprägt sein und die Über-Ich-Reaktion wird eher eine depressive Tönung annehmen. Der Diebstahl kann dann einer Art „manischen“ Flucht aus der Depression ähneln, in die der Täter nach dem Delikt jedoch umso stärker zurück fällt.

Chronische Eigentumsdelinquenz reflektiert meistens eine psychische Struktur, die von einem frühen Verlust geprägt ist  und von einem daraus abgeleiteten unbewussten Anspruch des Subjekts, diesen Verlust ungeschehen machen oder zumindest kompensieren zu dürfen. Winnicott (1956) schrieb: „Das Kind, das einen Gegenstand stiehlt, sucht nicht nach diesem Gegenstand, sondern nach der Mutter, auf die es einen Anspruch hat. In den Augen des Kindes leitet sich dieser Anspruch aus der Tatsache her, dass es selbst die Mutter erschaffen hat“ (S.164). Die Idee von der Erschaffung der Mutter durch das Kind bei Winnicott beschreibt im Grunde das Gleiche, das von anderen psychoanalytischen Theorien mit dem Konzept der projektiven Identifizierung zu fassen versucht wird.

FN 18  Man findet einige berührende Beispiele neurotischer Eigentumsdelinquenz bei Zulliger (1966).

N 19 Neben traumatischen Erlebnissen darf natürlich nicht auf die konstitutionelle Vulnerabilität vergessen werden, die zu individuell unterschiedlichen Folgewirkungen von äußerlich vergleichbaren Verlusterlebnissen führen.

Die Mutter enthält „in den Augen des Kindes“ immer eine ganze Reihe von Anteilen, die es in sie projiziert hat. Das Kind kann auf die Mutter als „Container“ für seine unerträglichen Anteile nicht verzichten, es hat also einen Anspruch auf sie. John Bowlby (1944) hat aus seiner Untersuchung jugendlicher Diebe die Theorie der Deprivation als Ursache von Delinquenz entwickelt. Er beobachtete, dass längere Trennungen von Kleinkindern von ihren Müttern bei habituell-stehlenden Jugendlichen sehr viel häufiger vorkommen als bei nicht-habituell-stehlenden und bei nicht-delinquenten Jugendlichen. Andere Faktoren, wie etwa „ambivalente oder ängstliche Mütter“, „Ablehnung durch die Väter“ oder „andere traumatische Ereignisse“ hatten zwar allgemein psychopathogene Folgen, fanden sich bei den habituellen Dieben aber nicht signifikant häufiger als bei anderen auffälligen Jugendlichen. Winnicott (1956) schloss daraus: „Das Vorhandensein der antisozialen Tendenz bedeutet, dass ein wirklicher Verlust (deprivation) stattgefunden hat (nicht ein einfacher Mangel); … Dieser Entzug dauerte länger, als das Kind die Erinnerung an die gute Erfahrung in sich lebendig halten konnte“ (S.162). Die von Bowlby beschriebenen Stadien, die ein zwei-jähriges Kind durchmacht, das längere Zeit ins Krankenhaus kommt, lassen sich als allmähliches Sterben der inneren Objekte verstehen. Es war dann Melanie Klein, die die Folgen des Todes innerer Objekte verständlich machte. Geht die Mutter verloren, so werden die in sie projizierten Anteile unverdaut in das Kind zurück gestoßen. Der Tod des inneren Objektes wird dadurch mit dem eigenen Hass des Kindes in Verbindung gebracht, wodurch der Grundstein für gewaltige Schuldgefühle und für eine mögliche depressive Erkrankung gelegt wird.

Der frühe Verlust führt also zu unerträglichen depressiven Gefühlen, sofern die verlorene Mutter im Sinne der depressiven Position als zugleich geliebtes (vermisstes) und gehasstes Objekt psychisch repräsentiert ist. Da der Schmerz jedoch für die noch unreife und schwache psychische Struktur des Kleinkindes überwältigend ist, kommt es zu neuerlichen Projektionen. Es ist anzunehmen, dass sich später depressive und später delinquente Menschen an diesem Punkt zu unterscheiden beginnen : Beide haben Verlassenheitserlebnisse, beide waren darüber wütend,

FN 20   Ätiologisch kommen für die Weichenstellung zwischen Depression und Delinquenz durchaus auch angeborene Vulnerabilitäten in Betracht, die im Bereich dessen liegen, was man Temperament nennen könnte. Schon sehr junge Säuglinge unterscheiden sich in ihrer Reaktion auf Frustration, indem sie eher eine Tendenz zum Rückzug oder eine Tendenz zur Hyperaktivität zeigen. Es wurde aber auch versucht, an der Wurzel der Depression weniger die abwesende, als die „tote Mutter“ (A. Green) anzusiedeln, also eine Mutter, die zwar physisch anwesend, aber psychisch unerreichbar ist.

beide projizieren ihre Aggression. Doch der später Depressive versucht nun, das geliebte Objekt wieder für sich zu gewinnen, indem er es in sich festhält und sich mit ihm identifiziert. Da bei ihm das Objekt zwar stark ambivalent, aber nicht vollkommen gespalten ist (die depressive Position wurde nicht gänzlich verlassen), ist durch die Identifizierung nun auch das „böse“ Objekt wieder innen und die Aggression richtet sich gegen das Selbst.

Der spätere Delinquent hat hingegen den Glauben verloren, das geliebte Objekt als Ganzes wiedergewinnen zu können. Er zerreißt das Objekt in ein sadistisches und in ein idealisiertes Teilobjekt. In den auf die Traumatisierung folgenden Kinderjahren wird sich dies in Angst- und Wutanfällen, Bettnässen und/oder in Hyperaktivität bemerkbar machen. Noch später in einer allgemeinen Gierigkeit, in Schuleschwänzen und Weglaufen. Trotz aller Umgestaltungen der Pubertät bleibt die ursprüngliche, durch die Deprivation geprägte Struktur unverändert erkennbar. Die Repräsentanz einer sadistisch sich entziehenden oder „das-Gute“-zurückhaltenden Mutter wird auf den jeweils passenden (weil am meisten Neid-auslösenden) äußeren Ersatz projiziert. Dadurch kann sich das Selbst von seinen hassenden und sadistischen Anteilen gereinigt fühlen. Es entsteht ein spezifisch „diebisches“ pathologisches Größenselbst, wobei sich das in seiner Entwicklung gestoppte, kleinkindlich-„hungrige“ Selbst mit einem über den moralischen Normen stehenden, Anspruch auf sofortige Befriedigung erhebenden, „wegnehmenden“ Objekt narzisstisch identifiziert. Die Absorption der idealisierten Objektrepräsentanz in die Selbstrepräsentanz und die Projektion der gehassten Objektvorstellungen in die Außenwelt, lässt wenig Material für die Bildung eines integrierten Über-Ichs. Die spezifische Über-Ich-Pathologie erlaubt es nun, die Depression tatsächlich zu vermeiden und die unbewusste Phantasie in die Tat umzusetzen. Dadurch gelingt es dem (jugendlichen) Dieb, seine latent vorhandenen depressiven Schmerzen durch grenzüberschreitendes („manisches“) „Nehmen“ abzuwehren.

Das Stehlen ist die Grundform des Eigentumsdeliktes, das Einbrechen ist eine Kombination mit Gewaltelementen (die beim Raub dominant werden) und das Betrügen (einschl. Hochstapelei, Heiratsschwindel etc.) ist eine Kombination mit perversen Elementen, da hier erschwindeltes zwischenmenschliches Vertrauen missbraucht und in sein Gegenteil verkehrt wird. Diese Kombinationen werden erst nach Besprechung der Gewalt- und der Sexualdelikte verständlicher werden.

Doch auch beim reinen Eigentumsdelikt gibt es natürlich ganz verschiedene Ausprägungen und Schweregrade. Die Schweregrade korrelieren v. a. mit dem Ausmaß der Impulsivität (also der Schwächung der Ich-Funktionen) und der Stärke der Über-Ich-Pathologie (siehe besonders auch Wurmser, 1998), d.h. mit der Stärke der psychopathischen Tendenzen wie sie Kernberg beschrieben hat. Sie reichen dementsprechend vom neurotischen Gelegenheitsdieb bis zum Chef einer professionellen Taschenräuberbande.

Der Inhalt des Gestohlenen gibt manchmal Hinweise auf bestimmte unbewusste Phantasien, was dem Delinquenten vorenthalten wurde, und evt. in welchem Alter wichtige Traumatisierungen vermutet werden können. Ladendiebe inszenieren eine (eher oral getönte) Phantasie, in der sie sich selbst als leer und hungrig, den vollen Supermarkt aber als üppig gefüllte, wenn auch geizige Brust erleben. Bei Gold und Geld als bevorzugter Beute wird man an recht wenig sublimierte Phantasien über anale Geschenke denken, die von einer abwesenden Mutter nicht angenommen wurden. Da die eigenen Geschenke durch „den anderen“ wertlos gemacht wurden, fühlt sich der Dieb berechtigt, den Wert „vom anderen“ zurückzuholen. Bei Autodieben handelt es sich meist um Berufskriminelle, die aus rein kommerziellen Gründen Autos auswählen. Wenn Autostehlen aber eine Leidenschaft ist, geht es um zurückgewiesenes phallisches Imponieren, um phallisch-narzisstische Kränkung im Kontext schwerer Deprivationen, wobei das phallische Symbol nicht zufällig auch Mobilität zum Ausdruck bringt. Die Erfahrung „Du gehst weg und ich muss hier bleiben“ soll im deliktischen Agieren umgedreht werden.
Der Autor behandelte einmal einen Dieb, der Hunderte Kreuze mit geschnitzten Jesusfiguren von fremden Gräbern gestohlen hatte. Nach dem Diebstahl verkaufte er die Beute jeweils äußerst billig an den nächst besten Altwarenhändler. Nach jeder Entlassung aus der Haft vergingen immer nur wenige Wochen, bis er seinem als Zwang erlebten Tun wieder nachging und so bald neuerlich verhaftet wurde. Der Mann war immer guter Laune, obwohl er wegen dieses Deliktes Jahrzehnte seines Lebens hinter Gittern verbracht hatte. Die psychodynamische Therapie brachte zum Vorschein, dass er – wegen der Abwesenheit seiner Mutter – von einer sadistischen Großmutter erzogen worden war, die in extremer Weise bigott-katholisch gewesen war. Nach jeder Misshandlung des Kindes kniete sie sich vor ein großes geschnitztes Jesuskreuz im Wohnzimmer und bat „den Herrn“ um Vergebung. „Der Herr“ half dem Kind jedoch nicht. Trotzdem wurde der Junge später selbst gläubig und verehrte v. a. die Figur des Jesus. In Bezug auf halbnackte Jesusdarstellungen entwickelte er sogar homosexuelle Regungen. Als die Großmutter starb, begannen die Diebstähle. Der Patient verwirklichte in ihnen eine komplexe Phantasie: Zunächst holte er sich von der Großmutter (bzw. von „ihrem“ Grab), was diese sich zu unrecht angeeignet hatte, nämlich den gekreuzigten Jesus. Die Figur des Jesus war mehrfach determiniert. Sie war einerseits ein Symbol der unschuldigen Knechtung, mit dem er sich identifiziert hatte. Zugleich war sie eine Art Selbstobjekt, das er in eine sexualisierte, narzisstische Phantasie einbezogen hatte. Jesus war der Sohn, den man seiner Mutter weggenommen hatte, zugleich stand Jesus aber auch für diese Mutter selbst. Im zweiten Teil der Inszenierung kam die Enttäuschung über diese Jesus-Mutter zum Ausdruck und so verkaufte er ihn (wie Judas) „für einige Silberlinge“. Der Fall zeigt in ungewöhnlicher Weise, wie Deprivationserfahrungen zu Phantasien eines Sich-Zurückholens und Sich-Rächens führen und wie die Inszenierung derselben den Delinquenten vor depressiven Gefühlen schützen kann.

Auf dem Hintergrund der Kernbergschen Differentialdiagnostik und unter Berücksichtigung der oben erwähnten zusätzlichen forensisch-diagnostischen Aspekte kann man eine therapeutisch und prognostisch relevante Skalierung der Eigentumsdelinquenz entwickeln. Das folgenden 6-stufige heuristische Modell lehnt sich an das STIPO-Modell für nicht-deliktische Charakterpathologie an:

  1. Einfach-neurotischer Typ: Diebstahl als kompromisshafter Ausdruck eines infantilen Trieb- und eines überstarken Strafbedürfnisses; Delinquent nimmt Spannung, Zwang und Schuldgefühle wahr; kann Zusammenhänge mit eigenen Kränkungserlebnissen herstellen; Delikt krisen- oder belastungsinduziert, vereinzelt oder sporadisch, ich-dyston, keine Gewaltkomponente, keine andere Kriminalität.
  2. Depressiver (oder: kompliziert-neurotischer) Typ: Diebstahl als kompromisshafter Ausdruck eines oralen Versorgungswunsches und eines bestrafend-verlassenden Über-Ichs; Delinquent nimmt Spannung, Gier und depressive Schuldgefühle wahr; kann kaum Zusammenhänge mit eigenen Verlusterlebnissen herstellen; Delikt durch depressive Ängste induziert, habituell, meist ich-dyston, selten ich-synton; keine Gewaltkomponente, keine andere Kriminalität.
  3. Narzisstischer Typ: Eigentumsdelinquenz als Abwehr von Gefühlen innerer Leere; Delinquent nimmt Spannung und Leere, aber kaum Schuldgefühle wahr; kann kaum Zusammenhänge mit eigenen Verlusterlebnissen herstellen; Delikt durch Gefühle der Leere und Sinnlosigkeit induziert, habituell, meist ich-synton, selten ich-dyston; häufig nicht nur Diebstahl, sondern auch Einbruch, evt. auch leichtere Formen von Gewaltkriminalität.
  4. Sadomasochistischer Typ: Eigentumskriminalität als Ausdruck eines fixierten kriminellen Abwehrmusters; Delinquent nimmt Spannung, aber weder Leere, noch Depression oder Schuldgefühle wahr; kann keine Zusammenhänge mit eigenen Verlusterlebnissen herstellen; Delikt durch Leere und Sinnlosigkeit, aber auch durch Verfolgungsängste induziert, habituell, meist ich-synton; fast immer nicht nur Diebstahl, sondern auch Einbruch, verschiedene Formen von Gewaltkriminalität.
  5. Malign-narzisstischer Typ: Eigentumskriminalität als Ausdruck eines gierigen, ich-syntonen Sadismus; Delinquent nimmt Spannung, aber weder Leere noch Depression oder Schuldgefühle wahr; kann keine Zusammenhänge mit eigenen Verlusterlebnissen herstellen; Patienten zeigen häufig selbstschädigendes Verhalten und sind außerhalb des Deliktes in Einzelfällen auch zu authentischen Schuldgefühlen fähig; Delikte v.a. durch Verfolgungsängste induziert, habituell oder professionell, immer ich-synton; nie nur Diebstahl, sondern auch Einbruch und Raub, evt. weitere schwere Formen von Gewaltkriminalität.
  6. Psychopathischer Typ: Eigentumskriminalität als Ausdruck kalten Bereicherungswillens; Delinquent nimmt weder Spannung noch Leere, Depression oder Schuldgefühle wahr; ausgeprägte paranoide Weltanschauung; keine nicht-ausbeuterischen menschlichen Beziehungen; desintegrierter Einzelgänger; Delikte durch Verfolgungsängste induziert, meist professionell, immer ich-synton; nie nur Diebstahl, sondern auch Einbruch und Raub sowie weitere schwere Formen von Gewaltkriminalität.


8.2 Psychodynamik und Differentialdiagnostik der Gewaltdelinquenz

 

Gewaltdelikte kann man unter forensisch-therapeutischen Gesichtspunkten in vier Gruppen von Handlungen einteilen:

-    Gewalt als Ausdruck überwältigender Wut. Sie erscheint dann häufig desorganisiert, angetrieben von einer gewaltigen affektiven Entladung.

-    Gewalt als Befriedigung von perversen Antrieben. Sie erscheint dann etwas mehr organisiert und der psychische Zustand des Gewalttäters hat einen erregten, aber gesteuerten Charakter.

-    Gewalt als Mittel bei der Verwirklichung krimineller Motive. Sie ist dann häufig gut organisiert.

-    Gewalt als Ausdruck von psychotischem Realitätsverlust. Sie ist dann bizarr und vollkommen idiosynkratisch.

V. a. von den unter a) bezeichneten Delikten soll in diesem Abschnitt die Rede sein. Die Delikte, die unter b) bezeichnet sind, kommen im nächsten Abschnitt noch genauer zur Sprache. Bei der Deliktgruppe c) ist die Gewalttätigkeit scheinbar kein Ziel an sich, sondern nur ein Mittel zum Zweck. Doch sind die Zwecke von dem Mittel der Gewalttätigkeit nicht zu trennen und deshalb bringen sie im Grunde eine ähnliche Problematik zum Ausdruck wie die Gruppe a), nur chronifiziert und gewissermaßen „vereist“, also ohne die manifeste Wirkung überwältigender Affekte. In gewisser Weise verhalten sich die Gruppen a) und c) wie Symptom- und Charakterneurose. Impulsive Gewalttäter erleben ihre Gewalttaten häufig als überwältigend und ich-dyston, während Berufskriminelle Gewalt als „normal“ und ich-synton erleben. Die Gruppe d) wird hier nicht behandelt, da die Arbeit auf persönlichkeitsgestörte Delinquenten eingeschränkt ist.
Gewaltdelikte gehen - wie jede Delinquenz, unter den oben besprochenen Einschränkungen - auf die interaktive Kombination von neuro-physiologischen und anderen konstitutionellen Dispositionen einerseits und frühen traumatischen Erfahrungen andererseits zurück. Psychodynamisch geht es bei ihnen jedoch nicht einfach um die subjektive Reaktion auf einen Verlust (deprivation), sondern um die psychischen Folgen einer aktiven Verleugnung der Subjekthaftigkeit des Kindes innerhalb einer frühen Bindungsbeziehung.

Peter Fonagys Untersuchungen über die Reflektive Funktion erbrachten gerade für die Gewaltdelinquenz wichtige Ergebnisse. Es wurde bereits gesagt, dass Gewalttäter eine im statistischen Schnitt schwerer gestörte Mentalisierungsfähigkeit aufweisen wie Eigentumsdelinquenten. Es zeigte sich jedoch keine Korrelation zwischen der Schwere der erlittenen und der später selbst ausgeübten Gewalt. Vielmehr scheint es um das Erleben von Scham zu gehen. Diese werde gerade dadurch ausgelöst, dass der Anspruch auf Spiegelung und Containment von einer intimen Bindungsfigur missachtet werde. Das Kind sei seinen unrepräsentierten Affekten vollkommen ausgeliefert, wende sich an die Bindungsfigur und werde gerade dann im Stich gelassen. Die ausgelöste Scham werde unter solchen Bedingungen rasch durch intensive Wut ersetzt, die offenbar produziert werde, um das verletzte Selbstgefühl wiederherzustellen.

Wenn die Fähigkeit zur Mentalisierung nicht ausreichend entwickelt ist, dann kommt es nach Fonagy in affektiv aufgeladenen Situationen auch im Erwachsenenleben zu einem Wiederauftauchen des psychischen-Äquivalenz-Modus (siehe Abschnitt 7 dieser Arbeit). Ebendies mache Individuen besonders verletzlich für bestimmte Kränkungen, die mit der ursprünglichen Traumatisierung assoziiert sind.

Die in solchen Situationen mobilisierte Scham ist unmentalisiert, d.h. sie ist kein „als-ob“-Erlebnis. Sie wird als veritable Zerstörung des Selbst empfunden, deshalb nennt sie Fonagy auch ich-zerstörende Scham. Die Erniedrigung ist so tief, dass alle Dinge, die als innen und subjektiv empfunden werden, abgewehrt werden müssen. 

Da es für den Betroffenen unmöglich ist, über das Geschehene nachzudenken, wird der Mechanismus der Schamabwehr durch Wut immer weiter befestigt. Irgendwann kommt dann der Punkt, wo sich das Opfer unausweichlich in einen Täter verwandelt. Der Zustand der Erniedrigung kann nur durch eine selektive aber tiefe Verleugnung der Subjektivität sowohl des anderen als auch des Selbst getilgt werden. Es gibt immer einen Punkt, an dem die normale Barriere, absichtlich jemanden zu verletzen, durchbrochen wird. Fonagy spricht hier von „funktioneller Psychopathie“, da das Verschwinden der interpersonellen Sensibilität hier noch defensiv, vorübergehend und reversibel ist.

Die Gewalttat selbst ist der verzweifelte Versuch, das fragile Selbst vor dem Angriff ich-destruktiver Scham zu schützen, die meist unwissentlich von einem anderen ausgelöst wird. Das Erleben von Erniedrigung, gegen das das Individuum latent dauernd ankämpft, verwandelt sich plötzlich in eine existentielle Gefahr und wird daher abrupt externalisiert. Sobald es als Teil eines äußeren Feindes wahrgenommen wird, entsteht der Eindruck, dass man es ein für allemal zerstören kann.

Je stärker die unrepräsentierten Schamgefühle sind, umso eher und umso stärker gehen sie mit einer chronischen Externalisierung der Wutgefühle einher. Die unbewusste psychische Situation ist dann deutlich von Verfolgungsängsten geprägt, die eine dauernde Erwartung erniedrigender Angriffe von außen zum Ausdruck bringen. Die stärker aggressive Aufladung der inner-psychischen Situation liefert den Hintergrund für die meisten schwereren Formen der Gewaltkriminalität.
Das folgende 6-stufige Modell ähnelt Kernbergs analogen Modellen für nicht-deliktische Charakterpathologie, bezieht aber auch prominent Fonagys reflexive Funktion sowie andere forensisch-diagnostische Aspekte mit ein. Es fällt auf, dass hier keine neurotischen Typen gefunden wurden. Möglicherweise sind offene Gewalt und Neurose sich ausschließende Kategorien:

  1. Neurotischer Typ: Gewalt als Impulsdurchbruch im Rahmen einer gehemmten (meist zwanghaften) Persönlichkeit; Delinquent nimmt Beschämung und Wut als Deliktauslöser wahr, und entwickelt heftige Schuldgefühle nach der Tat; er kann meistens kognitiv bestimmte Zusammenhänge mit Situationen in der eigenen Geschichte herstellen, hält die traumatische Qualität des Erlebens aber affektiv isoliert; Delikte vereinzelt, nur leichtere Formen von Gewalt.
  2. Narzisstischer Typ: Gewalthandlungen als Abwehr von Gefühlen vorbewusster Scham; Delinquent nimmt Beschämung und Wut wahr, die Schuldwahrnehmung ist aber meist beschönigend; Delikterinnerung meist recht vollständig; kann kaum Zusammenhänge mit eigenen traumatischen Erlebnissen herstellen; Delikt durch Gefühle der Beschämung und der durch sie ausgelösten Wut induziert, habituell, meist ich-dyston; meist nur leichtere Formen von Gewaltdelinquenz.
  3. Sadomasochistischer Typ: Gewaltdelinquenz als Ausdruck eines fixierten ausagierenden Abwehrmusters; Delinquent nimmt die Wut, aber weder die ihr vorhergehende Scham noch eventuelle Verfolgungsängste wahr; die Schuldwahrnehmung ist stark beschönigend; Delikterinnerung vorhanden, aber verzerrt; kann keine Zusammenhänge mit eigenen traumatischen Erlebnissen herstellen; Delikte durch Beschämung und Wut, aber auch durch Verfolgungsängste induziert, habituell, mäßig ich-dyston, kommt aber auch ich-synton vor; fast immer verschiedene Formen von Gewaltkriminalität.
  4. Malign-narzisstischer Typ: Gewaltkriminalität als Ausdruck eines impulsiven, ich-syntonen Sadismus; Delinquent nimmt Wut, aber weder Scham, noch Verfolgungs- oder manifeste Schuldgefühle wahr; Delikterinnerung oft stark beeinträchtigt; kann keine Zusammenhänge mit eigenen Verlusterlebnissen herstellen; zeigt häufig in anderen Bereichen selbstschädigendes Verhalten und ist außerhalb des Deliktes manchmal auch zu authentischen Schuldgefühlen fähig; Delikte v. a. durch Verfolgungsängste induziert, habituell oder in quasi-professionellen Kontexten, immer ich-synton; häufig schwere Formen von Gewalt, polykriminell.
  5. Psychopathischer Typ: Gewaltkriminalität als Ausdruck kalten Machtstrebens. Delinquent nimmt weder Wut noch Scham, Verfolgung oder Schuldgefühle wahr; Delikterinnerung formal relativ vollständig, die inhaltliche Bedeutung jedoch paranoid stark verzerrt; Ausgeprägte paranoide Weltanschauung; keine nicht-ausbeuterischen menschlichen Beziehungen; desintegrierter Einzelgänger; Delikte durch chronische Verfolgungsängste induziert, oft berufskrimineller Kontext, immer ich-synton; polykriminell, schwere Formen von Gewaltkriminalität.
  6. Psychotischer Typ: Gewalttaten als Ausdruck eines psychotischen Realitätsverlustes, in dem das Handeln nicht mehr klar vom Phantasieren unterschieden werden kann; Delinquent versinkt in einem Chaos aus Wut und Scham, aus Verfolgung und Schuld; Delikterinnerung (wenn vorhanden) psychotisch stark verzerrt; keine verlässlichen menschlichen Beziehungen; desintegrierter Einzelgänger; Delikte durch Halluzinationen oder Wahn induziert, Ich-Syntonizität abhängig von der Wahndistanzierung; selten polykriminell, manchmal schwerste Gewalttaten.

 

8.3 Psychodynamik und Differentialdiagnostik der Sexualdelinquenz

Sexualdelikte sind ein sehr häufiger Anlass für eine forensische Therapie. Da ihnen die größte öffentliche Aufmerksamkeit zu Teil wird, wurden sie auch am besten erforscht. Die therapeutische Arbeit mit Sexualdelinquenten ist vermutlich auch der Schauplatz, auf dem sich die größten Kontroversen zwischen den verschiedenen Denkschulen in der forensischen Psychotherapie abspielen.

8.3.1. Strukturelle Komponenten in der Psychodynamik des Sexualdelinquenten
Die Psychodynamik von Sexualdelinquenten ist äußerst komplex. Mir scheinen drei Faktoren in ihrem Zusammenspiel entscheidend zu sein, wobei die Stärke jedes Faktors relativ unabhängig von der Stärke der anderen Faktoren ist. Alle drei Faktoren werden hier als psychostrukturelle Merkmale verstanden. Jeder einzelne Faktor ist für Sexualdelinquenz an sich unspezifisch, erst ihre Mischung erklärt sexuelle Strafhandlungen, wobei unterschiedliche Mischungsverhältnisse zugleich wichtige Differenzierungen unter den Sexualdelinquenten erklären können.
Impulsivität – Bezeichnung eines wichtigen Aspekts von eingeschränkter Ich-Funktion. Reflektiert
- eine mangelhafte Integration der Selbst- und Objektrepräsentationen, sowie
- eine mangelhafte Mentalisierung des affektiven Erlebens (im Sinne Fonagys)
- bei möglicherweise biologisch-temperamentalen Prädispositionen.
Perversion - Bezeichnung einer psychopathologischen (Trieb-)Struktur, die gekennzeichnet ist durch eine spezifische Konstellation von
- anhaltenden prägenitalen Konflikten,
- einer vorzeitigen oder Pseudo-Ödipalisierung,
- einer mangelhaften Triangulierung der Objektbeziehungen,
- einer mangelhaften Mentalisierung des affektiven Erlebens (im Sinne Fonagys)
- und des Einsatzes von Sexualisierung als bevorzugtem Abwehrmechanismus.
Psychopathie – Bezeichnung eines wichtigen Aspekts von Über-Ich-Pathologie, nämlich der Bereitschaft, jemand anderem zu schaden, um einen eigenen Vorteil daraus zu ziehen; dies reflektiert,
- ein mangelhaft integriertes, unreifes Über-Ich
- einen Mangel an Hingabe und Verpflichtungsgefühl in Beziehungen
- eine (teilweise) Inkorporation der idealisierten Über-Ich-Vorläufer in ein pathologisches Größenselbst
- die (teilweise) Projektion der verfolgenden Über-Ich-Vorläufer auf andere Menschen
- in einzelnen Fällen kommt noch tatsächliche Freude am Schmerz des Anderen  dazu (i. S. von sadistischer Persönlichkeit) (Kombination mit b)).

Antisoziale Charakterzüge müssen nicht notwendigerweise zu Delikten, geschweige denn zu Sexualdelikten führen. Die Bereitschaft zu schaden, kann sich auf sub-deliktische Schweregrade beschränken oder gesellschaftliche Nischen ausnützen, in denen Rücksichtslosigkeit und Grenzüberschreitungen zugelassen werden. Letzteres kann beim Militär, aber auch in Wirtschaft und Politik vorkommen. Im Extremfall können sogar echte psychopathische Persönlichkeiten in solchen Nischen straffrei existieren.
Impulsivität führt auch nicht zwangsläufig zu Delinquenz. Sie kann durch ein relativ intaktes Über-Ich auf nicht-deliktische Bereiche eingeschränkt oder durch ein sadistisches Über-Ich auf selbstschädigende Verhaltensweisen konzentriert sein. Letzteres ist bei weiblichen Borderline-Patienten recht häufig.

Schließlich gilt auch für die Perversion, dass sie keineswegs zwangsläufig zur Delinquenz führt. Ich habe an anderer Stelle für die Unterscheidung zwischen drei Ausprägungsstufen der Perversion plädiert (Lackinger, 2005):

-    Es gibt Perversionen, die zwar eine psychopathologische Fehlentwicklung darstellen, die also mehr sind als die perversen Anteile des gesunden Menschen, die jedoch bei anderen Menschen keinen Schaden anrichten und in diesem Sinne als sozial harmlos bezeichnet werden können. In diesen Fällen spreche ich von benignen Perversionen.
-    Dem stehen Perversionen gegenüber, die einen Angriff auf die sexuelle Selbstbestimmung anderer Menschen implizieren. Dieser Angriff kann allerdings sehr verschiedene Ausprägungsgrade haben. Wenn die sexuelle Selbstbestimmung anderer ausschließlich in Form von verbalen Belästigungen, Übergriffen ohne Körperberührung oder sexualisierten Berührungen mit sehr geringen Auswirkungen besteht, dann kann man von transgressiven Perversionen sprechen.
-    Wenn Perverse jedoch Gewalt oder Zwang zur Verwirklichung ihrer sexuellen Wünsche brauchen oder auf Objekte zielen, die nicht einwilligungsfähig sind, wie z.B. Kinder, dann würde ich von malignen Perversionen sprechen.

Diese Begriffe haben zwar zunächst einen deskriptiven Charakter, dem Ausmaß an äußerer Übergriffigkeit bzw. Gewalttätigkeit entspricht aber durchaus ein korrespondierendes Spektrum von inneren Gewaltzuständen, genauer gesagt von aggressiv aufgeladenen internalisierten Selbst-Objekt-Dyaden. Es besteht also ein enger Zusammenhang mit der psychischen Struktur.
Wesentlich ist hier zunächst festzuhalten, dass Antisozialität, Impulsivität und Perversion ohne Delinquenz vorkommen, dass sie aber in bestimmten Kombinationen zu Sexualdelikten führen. Aus unterschiedlichen Mischungsverhältnissen lassen sich grob drei Kategorien von Sexualtätern definieren:

-    Der impulsive Sexualtäter: Hier steht die Impulsivität, also der Kontrollverlust im Vordergrund. Die Inhalte der Triebwünsche müssen sich kaum von jenen unterscheiden, die auch nicht-delinquente Männer in ihrer Phantasie erleben. Das Über-Ich dieser Täter deklariert die Umsetzung solcher Wünsche zwar als verboten. Jedoch scheint das Ich zu schwach zu sein, um dieses Verbot in allen Situationen durchzusetzen. Diese Unfähigkeit des Ich impliziert allerdings auch eine gewisse Über-Ich-Pathologie, da sich in solchen Fällen immer eine Art unbewusster Komplizität zwischen den grenzverletzenden Selbstanteilen und den unwirksamen Verbotsinstanzen findet. Wie bereits oben gesagt, ist es nie ein Faktor alleine, sondern eine bestimmte Mischung. Im eben besprochenen Falle ist auch eine gewisse (benigne oder transgressive) Perversion (im Sinne einer Sexualisierung innerer Objektbeziehungen als Abwehr eines prägenitalen Konfliktes) anzunehmen, obwohl auch dieser Faktor vergleichsweise im Hintergrund bleibt und ohne die starke Impulsivität nicht zu sexuellen Delikten führen würde.

-    Der perverse Sexualtäter: Hier steht eine transgressive oder maligne Perversion im Vordergrund, d.h. die Inhalte des Triebwunsches repräsentieren eine übergriffige oder eine destruktive Rachephantasie, die eine reale Demütigung, eine Verletzung oder einen Missbrauch des Objektes einschließt. Phantasie und Inszenierung dienen der triumphalen Verleugnung eines die sexuelle Identität betreffenden traumatischen Erlebens. Eine spielerische Verwirklichung der Phantasie ist ausgeschlossen, weil die Stärke des Hassaffektes eine derartige „Überlistung“ durch realitäts- und normangepasste Persönlichkeitsanteile nicht zulässt. Die Tat wird daher nicht impulsiv als Gelegenheitstat verwirklicht, sondern lange ausphantasiert und mehr oder weniger geplant. Natürlich ist es auch hier die Mischung der Störungsfaktoren, die letztlich zum Delikt führt. Nur wenn das Über-Ich stark zersetzt, korrumpiert oder gespalten ist, und/oder wenn das Ich trotz verbietender Über-Ich-Intervention unfähig zur Impulskontrolle ist, kann es zum sexualdeliktischen Handeln kommen. Allerdings sind diese Persönlichkeitspathologien relativ weniger bedeutend wie die Stärke und Destruktivität der perversen Phantasie.

-    Der psychopathische Sexualtäter: Hier steht die Psychopathie im Vordergrund, d.h. es gibt stark geschwächte oder keine Hemmungen bzw. innere Verbote gegen die Durchsetzung eigener sexueller Impulse auf Kosten von anderen. Die Inhalte der Triebwünsche müssen sich auch in diesen Fällen nicht unbedingt von jenen unterscheiden, die auch nicht-delinquente Männer in ihrer Phantasie erleben, obwohl dies meistens auch der Fall ist. Man findet also meistens auch eine benigne oder transgressive Perversion, die jedoch für sich genommen nicht zu Sexualdelikten führen müsste. Im Unterschied zu den impulsiven Tätern ist es hier auch nicht die Unfähigkeit des Ichs, entsprechende, das Objekt schützende Über-Ich-Verbote durchzusetzen und die delinquenten Impulse zu kontrollieren, sondern entscheidend ist der Mangel an solchen Verboten. Solche Täter handeln nicht (notwendigerweise) impulsiv in besonders erregend erlebten Situationen, sondern sie können durchaus planend vorgehen. Häufig ist auch, dass sexuelle Delikte mit kommerziellen Delikten verbunden sind (z.B. organisierter Kindesmissbrauch, Frauenhandel und organisierte, illegale Prostitution etc.). Das Über-Ich fehlt natürlich auch hier nicht gänzlich, sondern es ist in einer primitiven Entwicklungsstufe fixiert und gleichzeitig besonders aggressiv aufgeladen. Die verfolgenden Über-Ich-Vorläufer sind wesentlich stärker ausgeprägt als die idealisierenden. Beide repräsentieren frühe internalisierte Objektbeziehungen, die nicht integriert werden können (siehe oben), und deshalb keine realitäts- und normorientierte Kontrolle über das eigene Verhalten ermöglichen. Vielmehr findet sich in diesen Fällen immer eine gewisse paranoide Fehlwahrnehmung der sozialen Umwelt.

Aus dieser Darstellung lässt sich ableiten, dass in den meisten Fällen von Sexualdelinquenz alle drei erwähnten Faktoren eine Rolle spielen, wenn auch in deutlich unterschiedlichen Proportionen. Die Psychodynamik der Antisozialität wurde in der Darstellung der Kernbergschen Konzepte zu diesem Thema im ersten Teil (Abschnitt 3) bereits ausführlich dargestellt, v.a. ihr Zusammenhang mit der Entwicklung eines pathologischen Narzissmus oder Größenselbsts. Es wurde auch eine Abstufung im Schweregrad der Antisozialität vorgestellt und begründet.

Die Impulsivität ist ein breit gestreutes Charaktermerkmal bei vielen Persönlichkeitsstörungen. Im Kernbergschen Sinne ist die unspezifische Ich-Schwäche ein allgemeines Merkmal der Borderline-Persönlichkeitsorganisation. Darauf wurde bereits im Abschnitt zwei des ersten Teils dieses Artikels hingewiesen. Hier bliebe noch die Aufgabe, genauer auf aktuelle psychodynamischen Konzepte der Perversion einzugehen.

8.3.2. Psychodynamische Konzepte der Perversion

Die Psychoanalyse hat im Laufe des letzten Jahrhunderts eine ganze Reihe von Perversionstheorien hervorgebracht, die in den letzten Jahrzehnten sowohl durch originelle neue Theorien bereichert, als auch durch zunehmende Integration konsolidiert wurden (Freud 1905, 1919, 1924, 1927, 1938, 1940, Fenichel 1931, Ferenczi 1932, Gillespie 1956, Kohut 1972, Meltzer 1973, Morgenthaler 1974, 1977, Stoller 1979, Kahn 1979, Chasseguet-Smirgel 1984a, b, c, Kernberg 1985, 1988, 1992b, c, d, 1993a).

Freuds ursprüngliche These (Freud 1905d) besagte, dass Perversionen nichts anderes als die Fortdauer der infantilen, polymorph-perversen Sexualität im Erwachsenenleben seien. Perversion wird in der ersten Auflage der Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie ausschließlich als Triebschicksal begriffen. 1915 ergänzte Freud, dass den Perversionen nicht nur Fixierungen, sondern auch Verdrängungen zugrunde lägen (Freud, 1905d, S.133 Anm.). Verdrängt würden frühe genitale Strebungen, und erst die Verdrängung führe zur Regression auf die prägenitalen, perversen Stufen. Auch der später Perverse scheitere – wie der Neurotiker - am Ödipuskomplex.
Erst spät entdeckte Freud (1927e, 1940e) die spezifischen Abwehrmechanismen, die für die Perversion charakteristisch sind: Verleugnung und Ich-Spaltung. Sie bewirken die typische Realitätsverzerrung der Perversen und damit den zentralen Unterschied zu den Neurotikern. Die Ursachen ihres Wirksamwerdens liegen außer in konstitutionellen Faktoren v. a. in einer besonders starken Kastrationsangst.

Nach Schorsch (1985) liegt dem perversen Impuls ein spezifischer Persönlichkeitsdefekt zugrunde, der durch eine Lücke in der narzisstischen Entwicklung entstanden ist (vgl. Kohut 1972, Morgenthaler 1974). Die Perversion ist selbstpsychologisch eine Art Pfropf, der die Kluft zwischen archaischen, primärprozesshaft gebliebenen Zuständen und den der äußeren Realität zugewandten Persönlichkeitsanteilen überbrückt und dadurch eine scheinbare Komplettierung des Selbst möglich macht.

Der vermutlich bekannteste ich-psychologische Autor zum Thema Perversion ist Robert Stoller. Er geht von der notwendigen Trennung zwischen Mutter und Kind aus und meint, dass diese Trennung beim Knaben auch die Emanzipation aus einer ursprünglich weiblichen Identifizierung mit der Mutter bedeutet. Je weniger die Entidentifizierung von der Mutter gelingt, umso größer ist später die Symbioseangst, und umso mehr muss sie projektiv bekämpft werden. Da dieses Problem spezifisch für Männer ist, könnte es die weit überproportionale Inzidenz von Perversionen (und jedenfalls von Sexualdelikten) bei Männern erklären.  „Es bleibt zu fragen, ob Perversion auf primitivstem Niveau nicht äußerste Trennung ist: Muttermord (eher als Vatermord, wie FREUD vermutet haben mag)“ (Stoller 1975, S.192). In perversen Phantasien und Inszenierungen wird ein reales Kindheitstrauma, das sich gegen die männliche Geschlechtsidentität richtete, detailgetreu wiederholt. Die Wiederholung findet allerdings gewissermaßen spiegelverkehrt statt. Bei jeder perversen Handlung, sei es mit anderen oder alleine beim Masturbieren, wird ein Triumph gefeiert, ein Triumph über die Gefahr, der das eigene Geschlecht ausgesetzt war. Der Wiederholungszwang stammt aus der ‘ewigen’ Wiederkehr der unbewussten, traumatischen Bedrohung der sexuellen Identität aufgrund der fehlenden Auflösung der primären Identifizierung.

Im kleinianischen Denken wird auf die besonders starke sadistische Aufladung der Mutter- bzw. später der Elternbilder hingewiesen. Da die sadistischen Elternimagines nicht zu reifen Elternbildern integriert werden können, kommt es auch zur Konsolidierung eines destruktiven Selbstanteils. Perversion bezeichnet nach Meltzer (1973) sexuelle psychische Zustände, die durch die Führung dieses destruktiven Persönlichkeitsanteils erzeugt werden. Sie sind von überwältigendem Neid gegenüber „guten“ (idealisierten) Objekten geprägt. Die Unterwerfung des guten durch den bösen Selbstanteil führt zu einer Verkehrung der Werte. „Teufel, sei Du mir mein Gott“, so lautet das Motto des Perversen. Das perverse Ritual erscheint als Ausweg nicht nur vor der genitalen Sexualität, sondern vor allen abhängigen Gefühlen, wobei gleichzeitig die Aggression mehr oder weniger ritualisiert ausgelebt werden kann.

In der französischen Psychoanalyse (etwa bei Chasseguet-Smirgel 1984a) wird die Blockierung der genitalen Sexualität durch eine besonders starke Kastrationsangst betont, die wiederum auf eine mangelnde symbolische Verinnerlichung des väterlichen Penis zurückgehe. Die Perversion als Position sei eine Fixierung und Regression auf die anal-sadistische Stufe, und diese Regression ersetze die symbolische Beziehung zum genitalen Phallus durch eine konkretistische Beziehung zu einem pseudogenitalen, fäkalen Phallus. Dies ermögliche dem Perversen die partielle Verleugnung der Unterschiede zwischen den Geschlechtern und hebe außerdem die Grenzen zwischen den Generationen auf.

Im Rahmen des britischen Mentalisierungsansatzes von Fonagy (2002) liegt auch der Perversion ein Mentalisierungsdefizit zugrunde. Dies führt zu einem Wiederaufleben des psychischen Äquivalenzmodus und dieser lässt aggressive Phantasien des Kindes in Bezug auf die Sexualität der Eltern extrem bedrohlich erscheinen. Diese Ängste werden auch im Erwachsenenleben reproduziert und erzeugen das perverse Ritual als Ausweg, in dem psychische Beziehungen auf Beziehungen von Körpern reduziert würden.

Bei aller partiellen Widersprüchlichkeit der hier referierten Perversionstheorien hat sich in den letzten 20 Jahren doch eine Art psychoanalytischer Mainstream in der Auffassung der Perversionen herausgebildet. Kurz zusammengefasst besteht der Konsens über die Struktur der Perversion in Folgendem:
Konstitutionelle Faktoren führen im Zusammenwirken mit frühen Traumatisierungen zu einer anhaltenden Virulenz oraler und analer Konflikte, was eine echte psychische Triangulierung und damit die spätere Lösung der ödipalen Themen verunmöglicht. Die oralen und analen Konflikte führen zunächst zu einem Überwiegen der aggressiven gegenüber den libidinösen Strebungen.

Dies bewirkt, dass es zu keiner ausreichenden Integration der Selbst- und Objektrepräsentanzen und zu keiner vollständigen psychischen Trennung vom Primärobjekt kommt. Daraus entsteht das agoraphob-klaustrophobe Dilemma, was bedeutet, dass der später Perverse einerseits eine besonders starke Sehnsucht nach Nähe und Einssein entwickelt, andererseits Nähe nicht anders denn als Verschluckt- und Vernichtetwerden empfinden kann. Als Reaktion auf die Vernichtungsangst richtet er die prägenitale Aggression gegen das Objekt, nur um kurz darauf Angst vor vollkommener Verlassenheit und vor einem Tod durch psychisches Verhungern zu entwickeln. Er erlebt sich in einem „schmerzvollen Wechsel zwischen der ‚Feuerhölle’ der Nähe und der ‚Eiswüste’ der Verlassenheit“ (Lohmer 2000). Als Ausweg aus dem Dilemma sucht der später Perverse nach einem Weg, der ihm einerseits Beziehung verschafft, um der Verlassenheit zu entkommen, und andererseits Intimität und wirkliche Nähe erspart, um dem Verschlucktwerden zu entgehen. Diesen Weg bietet ihm der Mechanismus der Sexualisierung, der die eigentlich spezifisch-perverse „Lösung“ des prägenitalen Ambivalenzkonfliktes ist. Sexualisierung meint - genauer betrachtet - eine Pseudogenitalisierung der oralen und analen Partialobjektbeziehungen. Das Verharren in den prägenital strukturierten Beziehungsmodi reflektiert eine nur mangelhafte frühe Triangulierung (im Sinne von Abelin 1971, 1975) und ein Scheitern der ödipalen Triangulierung. Diese Prozess sind auch mit einer Neigung zu primitiven Wahrnehmungsweisen der psychischen Realität verbunden, einer Neigung, die Fonagy et al. (2002) als Mentalisierungsdefizit beschrieben haben. Je nachdem, welcher Aspekt der frühen Beziehungen besonders traumatisiert und vulnerabel ist, wird die Perversion als triumphale Umkehr der jeweils vorherrschenden unbewussten Ängste inszeniert. Die Sexualisierung ist dabei zugleich eine Abwehr und eine Ausdrucksform der prägenitalen Aggression. Eine große Bandbreite in der Phänomenologie der Perversion ergibt sich aus den zahlreichen möglichen Mischungsverhältnissen im jeweiligen perversen Verhalten zwischen dem Abwehr- und dem Ausdrucksaspekt in Bezug auf die prägenitale Aggression.

8.3.3. Perversion und Persönlichkeitsorganisation
Kernberg (1992a) hat versucht, die verschiedenen Theorien über die Perversion mit den unterschiedlichen Ausprägungen und Schweregraden perverser Störungen in Verbindung zu setzen. Er schreibt dass Perversionen auf sehr verschiedenen dynamischen und strukturellen Voraussetzungen beruhen können.

Das Konzept der perversen Struktur steht dabei in keinerlei Widerspruch zum Konzept der Persönlichkeitsorganisation. Im Kontext der neurotischen Persönlichkeitsorganisation stellt die Perversion lediglich eine untergeordnete Substruktur dar, die zwar die Dynamik des perversen Symptoms bestimmt, aber große Teile der Persönlichkeit relativ unberührt lässt. Genau dies erzeugt den ich-dystonen Charakter des Symptoms und erlaubt dem Patienten Objektbeziehungen, die nicht von Spaltung, Aggression und Sexualisierung durchdrungen sind. Es handelt sich fast immer um organisierte, d.h. symptomatisch streng festgelegte Perversionen. Die Psychodynamik entspricht jener, die Freud als erster beschrieb, als er den ödipalen Hintergrund von perversen Symptombildungen heraus arbeitete (vgl. Freud 1919e, 1927e). Patienten mit schwereren neurotischen Perversionen zeigen auch häufig Probleme mit der männlichen Identitätsfindung, ohne jedoch diffus in ihrer Identität zu sein. Hier kommt sicher die von Stoller beschriebene Symbioseangst gegenüber Frauen zum Tragen. Die Behandlung von neurotischen Perversionen kann klassisch psychoanalytisch erfolgen. Es sind aber auch andere Therapieformen dabei erfolgreich.

Bei der Borderline-Persönlichkeitsorganisation kann mehr oder weniger die gesamte Persönlichkeit von der perversen Struktur erfasst werden. Die perverse Struktur und die Borderlinestruktur sind ja über weite Strecken identisch, abgesehen von der Dominanz der Sexualisierung in der Abwehrstruktur der Perversion. Bei Borderline-Persönlichkeiten kommt es meistens zu keiner organisierten perversen Symptombildung, sondern zu der von verschiedenen Autoren beschriebenen Wechselhaftigkeit und Vielgestaltigkeit in der perversen Inszenierung der Sexualität (vgl Rohde-Dachser 1979, Berner 2000).

Allerdings ist auch bei gegebener Borderline-Struktur der Persönlichkeit das Vorherrschen eines einzigen sexuell-perversen Musters möglich, nämlich dann, wenn die primitiven Abwehrmechanismen zu einer starren Konfiguration verfestigt sind. Die Borderline-Perversion ist – im Unterschied zur neurotischen Perversion – nicht von der restlichen Persönlichkeit getrennt und erfasst daher auch die nicht-sexuellen Beziehungsdimensionen. Die sadomasochistischen Inszenierungen reflektieren die Rollenwechsel in den inneren Objektbeziehungen. Je nach Überich-Pathologie kann das perverse Agieren mehr ich-dyston oder auch weitgehend ich-synton ausgeführt werden. Im allgemeinen stellt man bei diesen Patienten die für die BPO typische, von präödipaler Aggression beherrschte Verdichtung von ödipalen und präödipalen Konflikten fest (Kernberg 1992b).

Perversionen im Rahmen einer narzisstischen Persönlichkeitsstruktur wurden am besten von den britischen und französischen Autoren beschrieben. Auch hier gibt es leichtere Fälle, bei denen das von Neid und Aggression aufgeladene perverse Agieren durch ein funktionsfähiges Über-Ich in bestimmten Grenzen gehalten werden kann. Die volle Ausgestaltung eines von Chasseguet-Smirgel beschriebenen ‘analen Universums’ deckt sich im Grunde weitgehend mit dem Syndrom des malignen Narzissmus, der mit einer organisierten Perversion gekoppelt ist. Auch bei manchen Patienten mit multiplen perversen Tendenzen und malignem Narzissmus ist diese Psychodynamik auszumachen

8.3.4. Ätiologische Überlegungen
Welche spezifischen Ängste der Perversionsbildung zugrund liegen, ist je nach Schweregrad und je nach Art der Perversion verschieden. Diese Frage müsste auch in einer Untersuchung der verschiedenen Sexualdelikte im Einzelnen untersucht und nachvollzogen werden, was nicht Gegenstand dieser Arbeit ist.

Im Allgemeinen kann gesagt werden, dass der Abwehrmechanismus der Sexualisierung für die Perversionen charakteristisch ist. Diese nimmt bei den verschiedenen Sexualdelikten natürlich eine sehr unterschiedliche Form an. Oft sind es sehr spezifische Konstellationen, die eine massive Sexualisierung mobilisieren. In manchen Fällen gibt es auch eine sehr breit gestreute Hypersexualisierung. Warum gerade der Mechanismus der Sexualisierung zum Einsatz kommt, ist – wie Kernberg (1992d) sagt -  nicht ganz geklärt. Eine Gruppe von Experten, beginnend beim ganz frühen Freud bis zu Stoller (1975), geht von einer einschlägig sexuellen Traumatisierung aus. Diese These wird durch all jene Untersuchungen bestätigt, die bei Sexualdelinquenten eine weit überdurchschnittliche Inzidenz von sexuellen Missbrauchserlebnissen festgestellt haben. Eine Studie des US-Repräsentantenhauses fand beispielsweise, dass von den untersuchten sexuellen Missbrauchern 79% eigene Missbrauchserlebnisse hatten (United States House of Representatives 1996).

Eine andere Gruppe von Experten hält solche Zahlen für überhöht. Hanson/Slater (1988) fanden, dass im Durchschnitt 28% der erwachsenen Sexualdelinquenten selbst als Kinder missbraucht worden waren. Dementsprechend müsste es auch zahlreiche andere Ursachen geben, die den Abwehrmechanismus der deliktischen Sexualisierung hervorbringen.

FN 21 Als Ursachen für perverse Fixierungen spielen etwa bei
Greenacre (1953, 1968) prägende Vorgänge eine Rolle, die ein
schwankendes Körpergefühl im Kleinkind hervorrufen können, wie häufige
Fieberzustände, wiederholte Narkosen, Krämpfe, Wutanfälle oder
Hautkrankheiten, aber auch häufige Massagen und andere Formen der
Überstimulierung. Außerdem fanden sich bei Greenacres Fetischisten
besonders häufig Beobachtungen von blutenden und vestümmelnden
Verletzungen, wobei diese auch die Mutter oder andere Personen (evt.
sogar ein Haustier) betreffen konnten. Unter ihrem Einfluss kommt es zu
einem längeren Wirksambleiben der primären Identifizierung, d.h. einer
Identifizierung, die der Differenzierung des Objekts vom Selbst
vorhergeht und dementsprechend total ist.

Ähnlich wie es Fonagy für die Gewaltdelikte gezeigt hat, gibt es ziemlich sicher auch bei den Sexualdelikten keine direkte Korrelation zwischen dem Schwergrad und der Art des kindlichen Traumas und dem Schweregrad der späteren Delinquenz. Es geht offenbar um eine subjektive Dimension.

FN 22 Bei der Gewaltdelinquenz scheint es um den Zusammenhang von
Spiegelungs- und Containmentbedarf auf Seiten des Kindes für seine
aggressiv-expansiven Affekte, um Zerstörung der intimen
Bindungsbeziehung durch den Erwachsenen, um daraus entstehende Scham
auf Seiten des Kindes und um Wut, die diese Scham abwehren soll, zu gehen.

Bei Sexualdelikten könnte man vermuten, dass es primär um den Spiegelungs- und Containmentbedarf auf Seiten des Kindes für seine erregten, libidinösen Affektäußerungen geht, um Zerstörung der intimen Bindungsbeziehung durch den Erwachsenen gerade in diesem Zusammenhang und um daraus entstehende Angst, Scham und Wut. Darüber hinaus spielen auch Neid und Rachebedürfnis eine große Rolle.

8.3.5. Schweregrade der deliktischen Perversionen nach deskriptiven und strukturellen Kriterien
Wie bereits gesagt wurde, sind Perversionen und Sexualdelikte bekanntlich nicht das Gleiche. Die meisten Formen der Perversion können problemlos innerhalb der vom Strafgesetz gezogenen Grenzen verwirklicht werden (benigne Perversionen). Obwohl der Perversion nach Chasseguet-Smirgel (1984b) immer eine Verleugnung der natürlichen wie der moralischen Gesetze zugrunde liegt, ist es für viele Menschen mit perversen psychischen Strukturen offenbar möglich, diese Anteile in einer Weise auszuleben, dass kein Beteiligter ernsthaft zu Schaden kommt.

Es muss also noch etwas dazu kommen, wenn eine perverse Entwicklung in einer malignen Perversion endet. Die Einhegung der Perversion auf einen bestimmten Ort oder auf einen bestimmten, legalen Modus misslingt (oder wird gar nicht angestrebt). Zum Sexualdelikt wird eine Handlung dann, wenn die sexuelle Integrität oder die sexuelle Selbstbestimmung eines anderen verletzt werden. Der Perverse, der diese Grenze überschreitet, teilt die grundlegenden Strukturen aller Perversen, er legt aber zusätzlich (als Ko-Kriterium) entweder eine starke Impulsivität und/oder eine starke Antisozialität an den Tag.

Für die perverse Sexualdelinquenz könnte man auf der Ebene der Deskription, also der von außen beobachtbaren Erscheinungsform, folgende Stufenleiter entwickeln. Dabei wird deutlich, dass die Impulsivität v.a. bei den leichteren Formen das Ko-Kriterium abgibt, während bei den schwereren Formen die Antisozialität zunehmend an Gewicht gewinnt:

  1. Einmalige oder sporadische Aktivierung eines sexualdeliktischen Impulses im Zusammenhang mit einer bestimmten Krise, wobei der Impuls als unwiderstehlich empfunden wird. Der Impuls wird nach Bewältigung der Krise gar nicht mehr oder nicht mehr als unwiderstehlich erlebt. Dieser Ablauf findet sich häufig bei Sexualstraftaten von Jugendlichen.
  2. Die sexualdeliktische, impulsive Reaktion wird zu einem habituellen Konfliktlösungsmuster, das sich bei Belastungen immer wieder aktiviert. Sie wird meist immer noch als ich-dyston erlebt. Sie bestimmt dementsprechend auch nicht die sexuellen Wünsche außerhalb der Belastungsphasen. Typisch für Exhibitionisten, kommt aber auch bei Missbrauchern und Vergewaltigern vor.
  3. Eine echte deliktische (maligne) Perversionsbildung im Sinne einer stabilen devianten Orientierung auf ein für andere schädliches Muster. Sexuelle Phantasien sind außerhalb dieser spezifischen perversen Inhalte nicht oder nicht intensiv erlebbar. Es gibt keinen Bezug zu auslösenden Krisen oder Belastungen. Jetzt ist die Perversion meist, wenn auch nicht notwendigerweise, bereits ich-synton.
  4. Progredienter Verlauf der sexualdeliktischen Perversionsbildung. Das gelegentliche Inszenieren des perversen Rituals führt zu keiner ausreichenden Entlastung mehr. Das sexualdeliktische Bedürfnis tritt immer häufiger auf und wird zunehmend dranghaft erlebt. Neben steigender Frequenz kann es auch zu einer ich-syntonen Brutalisierung kommen. Kann im Sexualmord enden.
  5. Kriminelle Organisation von Sexualdelinquenz. Delikte zeigen keine impulsiven Eigenschaften, sondern sind durch mehr oder weniger effektive Planung charakterisiert.

Wenn wir uns auf die perverse Komponente der sexualdeliktischen Psychodynamik konzentrieren, können wir folgende Entwicklung in der Trieb-Abwehr-Konstellation annehmen.

Die Frage, ob und wann perverse Handlungen oder Rituale zur Abwehr benötigt werden hängt ebenso von den folgenden Faktoren ab, wie die Frage, ob die aktivierten perversen Handlungen oder Rituale als Abwehr genügen:
-    Intensität der zugrunde liegenden Vernichtungsängste
-    Stärke der destruktiven Phantasien und Impulse
-    Funktionalität des Ichs bzw. der sonstigen Abwehr

Sporadisches Auftreten perverser Impulse zeigt, dass die aktivierten Phantasien oder Handlungen ausreichen, um die übliche Trieb-Abwehr-Stabilität wieder herzustellen. Progredienz signalisiert, dass die spezifischen Abwehrstrukturen vom Zusammenbruch bedroht sind. Während die innere Spannung wächst, wird die Abwehrkraft des perversen Rituals durch die häufigeren Wiederholungen immer schwächer. Bei der psychopathischen Sexualdelinquenz ist die perverse Spannung gewissermaßen zu einer kalten Struktur gefroren. Die Perversion ist als Perversität weitgehend in die Charakterstruktur integriert und funktioniert dort relativ stabil, d.h. Antisozialität und Perversion sind zu einer strukturellen Einheit geworden.

In allen Fällen zeigen perverse Impulse jedenfalls an, dass die Massivität der im Augenblick aktivierten negativen Affekte jene verschiedenen Integrationsprozesse verhindert, die normalerweise zu guter Realitätskontrolle, effektiven Ich-Funktionen einschließlich einer ausbalancierten Selbstwertregulierung und ausdifferenzierter Beziehungsfähigkeit führen.

Sexualdelinquenten sind in all diesen Bereichen gestört, wie sich auch in der Untersuchung von Schorsch et al. (1985) gezeigt hat. Die vier dort festgestellten strukturellen Störungsmomente bei Sexualdelinquenten,

FN 23 1.  Störung der Geschlechtsidentität: Demonstration von Männlichkeit vs. Ausweichen vor der Genitalität;
2. Aggressionsproblematik: unintegrierte Wut oder Hass vs. Aggressionshemmung; 3. Narzisstische Störung des Selbsterlebens: Größenselbst vs. negatives Selbstbild; 4. Störung der Objektbeziehungsfähigkeit: Vermeiden von Nähe vs. Suche nach Abhängigkeit.

die jeweils in Form von Dichotomisierungen auftreten, decken sich stark mit den von Kernberg für die BPO herausgearbeiteten Strukturmerkmalen (vgl. v. a.  Kernberg 1992b). Allerdings wurde von Schorsch et al. (1985) auf die spezifische Ausprägung der Borderline-Merkmale infolge des vorherrschenden Einsatzes der Sexualisierung zur Abwehr archaischer Ängste zu wenig Augenmerk gelegt.

Der Kern der Identitätsdiffusion beim Sexualdelinquenten ist die unklare männliche Geschlechtsidentität. Bei relativ gut strukturierten (neurose-nahen) Sexualdelinquenten (siehe unten) ist die Identität ausschließlich im Bereich der Männlichkeitsvorstellung des Selbst gestört. Bei schwerer gestörten Sexualdelinquenten ist die Identität in breiteren Bereichen diffus, was in aller Regel damit einhergeht, dass auch eine breiter gestreute Kriminalität vorliegt.
Eine analoge Einschränkung gilt auch für die Art der Objektbeziehungsstörung der Sexualdelinquenten im Vergleich zur gesamten BPO. Bei den leichteren Fällen konzentriert sich die Beziehungsstörung auf bestimmte sexuelle Beziehungen, bei schwerer gestörten dehnt sich die Pathologie auf alle sexuellen und schließlich auch auf nicht-sexuelle Beziehungen aus.

Die Aggression, die bei BPO-Patienten generell archaischer und unintegrierter als bei Neurotikern ist, kann bei Sexualdelinquenten v. a. auf sexuelle Kontexte verschoben sein. Es kommt dann zu der typischen sexualisierten Aggression, in der Sexualität für aggressive Zwecke verwendet wird. Es kann sogar eine auffällige Aggressionshemmung in allen anderen Lebensbereichen mit dem Agieren sexualisierter Aggression im perversen Delikt verbunden sein, was als eine gar nicht seltene Variante des Sadomasochismus bei Sexualdelinquenten betrachtet werden kann.

Wo sich die Perversion über den sexuellen Bereich hinaus ausdehnt, und alle Beziehungen prägt, spricht man von Perversität. Kernberg (1992a) hat diese als Merkmal des malignen Narzissmus beschrieben, eine Diagnose, in der gewissermaßen schwerer Narzissmus und schwere Perversion zusammentreffen. Ich denke allerdings nicht, dass alle malignen Narzissten auch Sexualdelinquenten sein müssen. Maligner Narzissmus kommt sogar ohne Delinquenz vor und äußert sich dann vorwiegend in sadomasochistisch entgleisenden Beziehungen, Selbstverletzungen, massiven Essstörungen, Suchtproblemen und Suizidalität. Der sexualdelinquente maligne Narzisst hat als spezifische Eigenschaft, dass seine Aggression besonders sexualisiert ist und dass sie hauptsächlich nach außen gerichtet ist (antisoziale Über-Ich-Struktur). Masochistisch sexualisierende maligne Narzissten können z. B. Prostituierte mit extremem Risikoverhalten oder – als Männer – Transvestiten mit extremem Risikoverhalten sein. Als solche werden sie nicht notwendigerweise delinquent.

Das Nach-Außen-Richten der Aggression kann eine schwächere oder eine völlig verschwundene masochistische Dimension der Aggression reflektieren. Das Fehlen einer masochistischen Identifizierung hat Kernberg (1992a) als für die psychopathische Persönlichkeit charakteristisch beschrieben. Sie ist bei Sexualdelinquenten allerdings nicht die Regel. Diese weisen meist deutlich masochistische Persönlichkeitsanteile auf, allerdings offenbar in einer Ausprägung, die mit einem Ausagieren sadistischer Anteile einhergeht.

Aus dem bisher Gesagten wurde folgende psychostrukturelle Skalierung der Sexualdelinquenz abgeleitet, die therapeutisch und prognostisch relevante Implikationen hat:

  1. Einfach-neurotischer Typ: Sexualdelikt als (vereinzelter oder sporadischer) Impulsdurchbruch im Rahmen einer ansonsten eher rigiden oder gehemmten Charakterstruktur; es reflektiert sowohl einen aus der Verdrängung wiederkehrenden, infantilen Trieb als auch ein überstarkes Strafbedürfnis; Delinquent nimmt Spannung, Zwang und Schuldgefühle wahr; kann oft Zusammenhänge mit eigenen traumatischen Erlebnissen herstellen, sozial gut integriert; Delikt erzeugt starke Schuldgefühle, krisen- oder belastungsinduziert, ich-dyston, keine Gewaltkomponente, keine andere Delinquenz;.
  2. Depressiver (kompliziert-neurotischer) Typ: Sexualdelikt als (habituelles) Gegengewicht zu Gefühlen des Verlassenseins und der Depressivität, als Ausdruck eines oralen Versorgungswunsches und zugleich eines bestrafend-verlassenden Über-Ichs; Delinquent nimmt Spannung, Gier und depressive Schuldgefühle wahr; negatives Selbstbild, männliche Identität brüchig; kann kaum Zusammenhänge mit eigenen traumatischen Erlebnissen herstellen, sozial mäßig integriert; Delikt meist ich-dyston; keine Gewaltkomponente, keine andere Kriminalität.
  3. Narzisstischer Typ: Sexualdelikt als (habituelle) Abwehr von Gefühlen innerer Leere und vorbewusstem Neid; Delinquent nimmt Spannung, Leere, Neid und Wut wahr, die Schuldwahrnehmung ist aber meist beschönigend; Delikterinnerung meist recht vollständig; kann kaum Zusammenhänge mit eigenen traumatischen Erlebnissen herstellen; Delikt durch Gefühle der Leere, Sinnlosigkeit, Neid und Wut induziert, meist ich-dyston, selten ich-synton; meist auch andere leichtere Formen von Delinquenz.
  4. Sadomasochistischer Typ: Sexualdelikt als Ausdruck einer fixierten sexuellen Perversion, mit deren Hilfe paranoide und depressive Ängste mehr oder weniger erfolgreich abgewehrt werden; Delinquent nimmt Wut, Rachebedürfnis und Neid, aber weder Depression noch eventuelle Verfolgungsängste wahr; die Schuldwahrnehmung ist stark beschönigend; Delikterinnerung vorhanden, aber verzerrt;  kann keine reflektierten Zusammenhänge mit eigenen traumatischen Erlebnissen herstellen; hat einigermaßen intakte nicht-deliktischen Beziehungen, in denen aber auch selbstschädigende Verhaltensweisen vorkommen; sozial mäßig integriert; Delikte können offen sadistische Züge haben oder als pädophile „Fürsorge“ rationalisiert sein; mäßig ich-dyston, kommt aber auch ich-synton vor, häufig andere Kriminalität, zumindest in der Vorgeschichte.
  5. Malign-narzisstischer Typ: Sexualdelikt als Ausdruck eines ich-syntonen Sadismus ohne manifeste Schuldgefühle, meist eingebettet in eine paranoide Rationalisierung; Delinquent nimmt Wut und evt. Rachebedürfnis, aber weder Neid noch Verfolgungs- oder manifeste Schuldgefühle wahr; Delikterinnerung oft stark beeinträchtigt; kann keine Zusammenhänge mit eigenen Verlusterlebnissen herstellen; zeigt in anderen Bereichen häufig selbstschädigendes Verhalten und schwere Beziehungsstörungen; ist aber in Einzelfällen auch zu authentischen Schuldgefühlen fähig; sozial weitgehend desintegriert, evt. kriminell organisiert; Delikte immer ich-synton; v. a. durch Verfolgungsängste induziert; fast immer ausgeprägte Polykriminalität.
  6. Psychopathischer Typ: Sexualdelikte als Ausdruck kalter Machtausübung ohne jegliche Schuldgefühle. Delinquent nimmt auch kaum irgendwelche anderen Gefühle wahr; Delikterinnerung formal relativ vollständig, die inhaltlich Bedeutung jedoch paranoid stark verzerrt; ausgeprägtes paranoide Weltanschauung; keine nicht-ausbeuterischen menschlichen Beziehungen; desintegrierter Einzelgänger, manchmal soziale Pseudointegration zur Tarnung der kriminellen Interessen; Delikte durch chronische Verfolgungsängste induziert, oft berufskrimineller Kontext, immer ich-synton; polykriminell, meist auch schwere Formen von Gewaltkriminalität.

 

9. Ausblick

In den in dieser Arbeit vorgetragenen Überlegungen fehlen noch ganz entscheidende differentialdiagnostische Differenzierungen. Es wurde bspw. nicht noch ausreichend berücksichtigt, dass Sexualdelikte mit und ohne manifester Gewalt vorkommen, und so dementsprechend auch die Frage ausgespart, welche psychische Beutung dieser Unterschied für Täter und Opfer hat (Mischformen von Sexual- und Gewaltkriminalität). Auch auf die jeweils spezielle Psychodynamik in den drei Hauptformen der Sexualkriminalität, nämlich sexuellem Missbrauch, Vergewaltigung und sexuell motiviertem Mord, wurde hier nicht eingegangen, obwohl diese Unterscheidung für die forensische Therapie von großer praktischer Bedeutung ist. Dementsprechend fehlen auch Überlegungen über die psychische Bedeutung des Alters der Opfer, spezifischer Missbrauchsformen und über die Bedeutung von Mischformen der Delinquenz zwischen Eigentums- und Sexualdelinquenz (z.B. sexuell motivierte Einbruchsdelikte). Es fehlen weiter Überlegungen zur psychodynamischen Viktimologie (Aspekte der realen und der unbewussten bzw. phantasierten Täter-Opfer-Beziehung) sowie behaviorale Deliktanalysen (wie sie beim sogenannten „Profiling“ zum Teil mit Erfolg angewandt werden).

All dies muss ebenso weiteren konzeptuellen Forschungsarbeiten überlassen werden, wie die genaue Ausarbeitung der jeweiligen Implikationen der diagnostischen Kategorien für die therapeutische Indikation. Schließlich muss auch weiterer Ausarbeitung überlassen bleiben, die hier dargestellten forensisch-diagnostischen Kategorien in spezifische Operationalisierungen und Fragestellungen im Rahmen eines forensischen strukturellen Interviews der Persönlichkeitsorganisation (STIPO) zu konkretisieren und weiterzuentwickeln.

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Anschrift des Autors:     Dr. Fritz Lackinger
Otto-Bauer-Gasse 20/8
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Eingegangen bei der Redaktion am 10.7.2010