Wilhelm Fließ: Chronologie

Wilhelm Fließ
* 24.10.1858, Arnswalde – † 13.10.1928, Berlin

Wilhelm Fließ ist Sohn einer jüdischen Familie, die sich im 18. Jahrhundert in der Mark Brandenburg niedergelassen hatte und 1862 nach Berlin gezogen war.
Mutter Henriette Fließ, *26.5.1834, geborene Hirsekorn.
Vater Jakob Fließ, geboren in Arnswalde, Getreidehändler.
Das Ehepaar hatte 3 Kinder, einen Sohn, der am 28.11.1834 tot zur Welt kam, Wilhelm wurde am 24.10.1858 geboren und Clara am 5.10.1859.
Wilhelm Fließ war als Kind kränklich.
Er besuchte das Gymnasium Graues Kloster.

Vater Jakob Fließ verstarb am 25.6.1878.
Seine Schwester Clara, mit der Wilhelm eng verbunden war, verstarb überraschend zwei Jahre später am 21. 12.1879.
Sigmund Freud schrieb in einem Brief an Sándor Ferenzci vom 10.1.1910:

„Mir fehlt ja dieses Hilfsbedürfnis [ärztliche Tendenzen], und ich sehe jetzt, darum, weil ich in jungen Jahren keine geliebte Person verloren habe. Dieselbe persönliche Motivierung habe ich seinerzeit bei Fließ gefunden. Das Starke wie das Krankhafte an ihm stammen daher. Die Überzeugung, daß sein Vater, der an Erysipel nach langjähriger Naseneiterung starb, zu retten gewesen wäre, hat ihn zum Arzt gemacht, ja selbst seine Aufmerksamkeit auf die Nase gelenkt. Der plötzliche Tod seiner einzigen Schwester, zwei Jahre spätere, am zweiten Tag einer Pneumonie, für der er Ärzte nicht verantwortlich machen konnte, hat ihm die fatalistische Theorie von den vorherbestimmten Todesdaten  wie zum Troste – eingegeben. Dieses Stück Analyse, ihm unerwünscht, war der innere Anlaß zu dem von ihm in so pathologischer (paranoischer) Weise ins Werk gesetzten Bruch.“ (Freud-Ferenczi, 1993 I/1, 195)
Sabine Jacobsohn, informiert von ihrem Bruder Robert Fließ, hingegen berichtete, dass sich ihr Großvater Jakob Fließ nach seinem Bankrott das Leben genommen hatte. (Eissler 1964, Swales 1989)
Der Vater hinterließ Schulden und  Wilhelm Fließ musste sich mit Schreiben von Artikeln und Unterricht sein Medizinstudium an der Friedrich Wilhelm Universität finanzieren.
1883 beendete er das Studium und praktizierte  in einem Krankenhaus in Berlin.
Er ließ sich als praktischer Arzt in Berlin nieder, seine Ordinationsadresse wird die Wichmannstraße 4a.
Fließ machte Reisen nach Norwegen und Italien und besuchte Kongresse.
Im Herbst 1886 nahm er ein Sabbath-Jahr. Seine Reisen führten ihn nach Italien, Paris (Besuch der Klinik Charcots) und Wien, wo er 1887 drei Monate im Allgemeinen Krankenhaus arbeitete.
Wahrscheinlich über Vermittlung von Breuer lernte er Freud kennen und besuchte dessen Vorlesung über Anatomie und Funktion des Nervensystems.
November 1887 Rückkehr nach Berlin, Weiterführung seiner Praxis und einer kleinen Klinik.

6.9.1892 Ehe mit der in Wien lebenden Ida Bondy, geboren am 29.4.1869 in Prag, älteste Tochter von Philipp (Kaufmann) und Pauline Bondy, geborene Hellmann. Seine frau hatte 3 Geschwister: Bruder Oskar, und die Zwillingsschwestern Marie und Melanie.
Das Paar ließ sich in Berlin, Heydtstraße 1 nieder.
Ida und Wilhelm Fließ hatten vier Kinder:
Robert Wilhelm, geboren am 29.12.1895,
Clara Pauline, geboren am 8.9.1898,
Wilhelm Konrad (Charles), geboren am 29.12.1899,
ein Kind das am 23.11.1902 tot zur Welt kam.
Ida Fließ war sehr mit der Arbeit ihres Mannes verbunden und erledigte Schreibarbeiten für ihn.

Sigmund Freud - Wilhelm Fließ: Briefe, „Kongresse“
Am 24.11.1887 erreichte ihn der erste Brief von Sigmund Freud, in dem dieser seiner „Hoffnung auf Fortsetzung des Verkehrs“ Ausdruck gab.
Bis zum Jahr 1904 werden es 287 Briefe sein, die meisten aus der Hand Freuds, die überliefert und inzwischen ungekürzt publiziert sind (Freud 1985c [1887-1904]). 

1887: 2
1888: 3
1889: -
1890: 3
1891: 3
1892: 9
1893: 14
1894: 18
1895: 32
1896: 30
1897: 38
1898: 35
1899: 44
1900: 27
1901: 19
1902: 5
1903: - 
1904: 7

Ab 1892 wurden zwischen Freud und Fließ regelmäßig Briefe ausgetauscht. Sie trafen sich auch persönlich und nannten ihre Zusammenkünfte „Kongresse“.
Beide Männer verband bald eine tiefe Freundschaft. Sie interessierten sich für die Ursachen neurotischer Erkrankungen und die Sexualität. Beide spekulierten über die Folgen von Koitus interruptus, der Verwendung eines Kondoms und der Onanie.
Freud konzentrierte sich auf die psychischen Zusammenhänge und der Briefwechsel ist ein einzigartiges Dokument aus den Anfangsjahren der Psychoanalyse.
Fließ beschäftigte sich mit den organischen Aspekten. Er stellte Hypothesen zum menschlichen Biorhythmus, der bisexuellen Anlage des Menschen und einer nasogenitalen Reflexneurose auf. Freud folgte ihm darin und ließ sich auf entsprechende Behandlungen ein.
Mit Hilfe von  biologischen Zyklen (männlicher Zyklus 23 Tage, weiblicher Zyklus 28 Tage) erklärte er alle Lebensabläufe und meinte daraus auch den vorbestimmten Todeszeitpunkt erschließen zu können. Auch Freud sorgte sich, mit 51 Jahren sterben zu müssen(51=23+28).
1893 finden sich drei Publikationen von Fließ über die nasale Reflexneurose.
Fließ stellte einen Zusammenhang zwischen Nase und verschiedenen Körperorganen her und machte Schwellungen der Nasenschleimhaut und Nasenmuschelveränderungen für Migräne, Magenbeschwerden, Dysmenorrhoe, Wehenschmerzen und viele andere Beschwerden verantwortlich.
„Onanierende Mädchen werden gewöhnlich auch dysmenorrhoisch. Für sie gibt es durch die nasale Behandlung nur dann endgültige Erfolge, wenn sie der Verirrung wirklich entsagen.“ (Fließ, 1902, 8 [Passage von Freud in seinem Exemplar unterstrichen], zitiert nach Masson 1984, 77f)

Februar 1895: Operation an Emma Eckstein
Vorgeschichte: Freud überwies Anfang 1895 Emma Eckstein, die bei ihm wegen einer von ihm als Hysterie verstandenen Erkrankung (Magen- und Menstruationsbeschwerden, Schwierigkeiten zu gehen und sich außer Haus zu begeben) in Behandlung war, an Fließ, der an ihr einen operativen Eingriff an ihrer Nase vornehmen sollte. Diesen Eingriff sollte zuvor wahrscheinlich Robert Gersuny, chirurgischer Leiter der Rudolfinerhauses, an ihm in Wien vornehmen.
In seinem Brief an Fließ vom 24.1.1895 – eine Woche vor dieser Operation – berichtete ihm Freud dankbar von einer Kokainisierung seiner eigenen Nase, mit Hilfe der er sich von Beschwerden, an denen er seit Monaten litt, befreien konnte. Darin schlug er seinem Freund auch vor, vor dem geplanten operativen Eingriff zusammen mit Gersuny „vorher einen Versuch am Präparat gemeinsam“ vorzunehmen.
„Es trennt uns nur noch eine Woche von der Operation oder wenigstens von ihren Vorbereitungen. Die Zeit ist schnell vergangen, und ich weiche gerne einer Selbstprüfung aus, mit welchem Recht ich soviel von ihr erwarte. Meine medizinische Unwissenheit drückt mich wieder einmal tüchtig. Aber ich wiederhole mir’s immer: soweit ich etwas von der Sache einsehe, muß die Heilung auf diesem Weg zu finden sein. Ich hätte mich nicht getraut, den Behandlungsplan selbständig zu erfinden, aber ich habe guten Mut, mich Dir anzuschließen.“ (Freud, 1895c, 105f)
Hatte sich Fließ bisher darauf beschränkt, an der Nase Kokainisierung und Kauterisierung (Ätzung) vorzunehmen, ging er nun daran, einen chirurgischen Eingriff vorzunehmen.
Freud entwickelt zu dieser Zeit die Theorie der Aktualneurose und leitet daraus seine erste Angsttheorie ab: Angst entsteht als direkt, „toxische“ Wirkung der ungenügend abgeführten Libido – im Gegensatz zu den Abwehr-Neuropsychosen, denen ein abgewehrter (verdrängter, unbewusster) Konflikt zugrunde liegt.
Fließ ging von einer rein physiologischen Genese aus:
„Die typische Ursache der Neurasthenie junger Leute beiderlei Geschlechts ist die Onanie [… . …] die Nase wird ganz regelmäßig durch die abnorme geschlechtliche Befriedigung beeinflußt und die Folgen dieser Beeinflussung sind nicht nur eine sehr charakteristische Schwellung und neuralgische Empfindlichkeit der nasalen Genitalstellen, sondern es hängt von dieser neuralgischen Veränderung auch die ganze Symptomengruppe von Fernbeschwerden ab, die ich als >nasale Reflexneurose< beschrieben habe. So kommt es, daß all diese, gewöhnlich als neurasthenisch bezeichneten Schmerzkomplexe durch den Kokainversuch für die Dauer der Kokainwirkung beseitigt werden können. Auch durch Ätzung und Elektrolyse kann man sie für längere Zeit aufhaben. Aber sie kommen wieder, solange die Ursachen der abnormen Geschlechtsbefriedigung weiter wirkt, und hören erst auf, wenn die natürliche Befriedigung ausschließlich an die Stelle tritt. Onanierende Mädchen werden für gewöhnlich auch dysmenorrhoisch. Für sie giebt es durch die nasale Behandlung nur dann endgiltige Erfolge, wenn sie der Verirrung wirklich entsagen.
Von den Schmerzen ex onanismo möchte ich einen wegen seiner Wichtigkeit besonders hervorheben: den neuralgischen Magenschmerz. Er tritt recht früh bei Onanistinnen auf und kommt bei >jungen Damen> ebenso häufig, wie die Onanie vor.“ (Fließ 1902, 7, zitiert nach Masson 1984, 98)
Fließ lokalisiert auch eine „Magenschmerzstelle“, es sei der vordere Teil der linken Nasenmuschel. Auch sei ihm das Nasenbluten (Epistaxis) bei den OnanistInnen sehr bekannt.
Im gleichen Text führt Fließ das Beispiel einer Patientin, die ihm von der Königlichen Universitäts-Frauenklinik wegen einer starken Menorrhagie zugewiesen worden sei. „In dem Augenblick, wo ich die sehr hypertrophische linke mittlere Muschel entfernt hatte, sistierte die uterine Blutung völlig“. (ebd.)
„Exstirpiert man gründlich diese Partie der linken mittleren [Nasen-]Muschel, was leicht mit einer geeigneten Knochenzange ausgeführt wird, so schafft man den Magenschmerz dauernd fort.“(Fließ, Wilhelm (1897a, zitiert nach Masson 1985, 118)
Die Operation: Masson (1984, 100) vermutet, dass Emma Eckstein die erste Patientin war, an der von Fließ dieser chirurgische Eingriff vorgenommen wurde.
Von den lebensbedrohlichen Komplikationen, die bei Emma Eckstein wegen eines im Operationsfeld zurückgelassenen Gazestreifens auftraten, wissen wir aus den überlieferten Briefen Freuds an Fließ aus dieser Zeit. Am 4.3.1895 schrieb Freud an Fließ von ersten Komplikationen. Ende Mai dürfte sich ihr Zustand wieder etwas stabilisiert haben.

Der Vorfall schien Fließ nicht davon abgehalten zu haben dieses Verfahren weiter anzuwenden und sich der Erfolge dieser Eingriffe zur rühmen.
Zwischen Freud und Fließ dürfte es dabei aber zu einer ersten Verstimmung gekommen sein. Aber die Anzahl der von Freud an Fließ erhaltenen Briefe nimmt in diesen Jahren sogar noch zu.
1899 schickte Freud ihm alle Korrekturbögen zur Traumdeutung zu und von Fließ kamen sie mit seinen Anmerkungen zurück.
Am 29.12.1899 wurde das dritte Kind des Ehepaares Fließ – Sohn Conrad – geboren und Freud verfasste dazu ein Gedicht und schicket es noch an diesem Tag an Fließ:

„Heil
dem wackeren Sohn, der auf des Vaters Geheiß
zum richtigen Zeitpunkt erschienen,
ihm Gehilfe zu sein und Mitarbeiter der heiligen Ordnung. […]“
(Freud 1985c, 432)

Die Briefe wurden 1900 seltener, Freud klagte darüber. Er möchte mit Fließ gemeinsam eine Arbeit schreiben.
Ende Juli 1900 kam es wieder zu einem Treffen der beiden Freunde, dieser „Kongress“ – er dürfte ihr letzter gewesen sein – fand am Achensee bei Innsbruck statt.
Es gibt von Wilhelm Fließ (1906) „In eigener Sache“ Berichte über wissenschaftliche Divergenzen.
Swales (1989) sammelte Aussagen darüber, die besagen, dass Freud seinen Freund in mörderischer Absicht in den See stoßen wollten und schien das auch selber geglaubt zu haben.
1901 verschlechterte sich der Gesundheitszustand der Mutter von Wilhelm Fließ. Sie wurde von Josef Breuer behandelt. Freud sah in ihren Anfällen nicht alleine Alterserscheinungen sondern Zeichen einer Paranoia.

1901 begann der Bruch zwischen den beiden Freunden
Arthur Schiff hielt in der Gesellschaft der Ärzte einen Vortrag „Über die Beziehungen zwischen Nase und weiblichen Sexualorganen“, der am 17.1.1901 in der Wiener klinischen Wochenschrift erschien und worin er die Ansichten von Wilhelm Fließ, die dieser in seinem gleichnamige Buch von 1897a aufgestellt hatte, verteidigte.
Freud berichtete Fließ darüber am 25.1.1901 „Ja, Du bist jetzt ein großer Mann geworden für Wien und die umliegenden Dörfer.“ (Freud 1895, 475)
Der Tenor der darauf folgenden Diskussion war aber skeptisch.
Auf Anraten Freuds, der sich über die Kritik empörte, publizierte Fließ (1902) seine Arbeit „Über den ursächlichen Zusammenhang von Nase und Geschlechtsorgan“.
Freud äußert sich weiter bewundernd über die Arbeiten von Fließ, ging aber eigene Wege.
Am 3. September 1901 starb Philipp Bondy, der Schwiegervater von Wilhelm Fließ.
Fließ zeigte sich Freud, dem „Gedankenleser“ gegenüber gereizt und kritisierte Freuds „Psychopathologie des Alltagslebens“.
Freud schlug eine gemeinsame Arbeit zum Thema Bisexualität vor.
1902 wechselten Freud und Fließ nur wenige Briefe, aus dem Jahr 1903 sind keine überliefert.
Am 28.11.1902 kam das vierte Kind des Ehepaares Fließ, ein Mädchen, tot zur Welt.
In Wien bildete sich im Herbst 1902 ein neuer Kreis um Sigmund Freud (Psychologische Mittwoch-Gesellschaft)
Am 11.3.1902 schrieb Freud an Fließ: „Meine Praxis fand ich recht eingeschmolzen, meine letzte Publikation zog ich vom Druck zurück, da ich kurz vorher an Dir meinen letzten Publikum verloren hatte.“ (Freud 1895c, 501)
Am 3.5.1903 starb Paula Bondy, die Schwiegermutter von Fließ. In „Der Ablauf des Lebens“  (Fließ 1904) wird auch ihr Todesdatum im Rahmen seiner Periodenlehre abgehandelt. Freud und Fließ trafen wahrscheinlich ein letztes Mal bei ihrem Begräbnis zusammen.
Der endgültigen Bruch zwischen Freud und Fließ kam mit der „Plagiatsaffaire“:

Plagiatsvorwürfe
Hermann Swoboda war 1900 bei Freud, der zu ihm in einer seiner Deutungen von der bisexuellen Anlage des Menschen spricht. Am selben Abend noch erzählte das Swoboda seinem Freund Otto Weininger.
Weininger gab Freud 1901 das Manuskript „Eros und Psyche“ zu lesen, auf eine prominente Empfehlung bei einem Verleger hoffend. Freud kritisierte das Buch und darin besonders den Abschnitt über Hysterie, in dem er zitiert wurde.
Mai 1903: Weininger publizierte das Werk unter dem Titel „Geschlecht und Charakter“.
4. Oktober 1903: Selbstmord von Otto Weininger.
1904 erschien ein Buch von Hermann Swoboda (1904): Die Perioden des menschlichen Organismus und ihrer psychologischen und biologischen Bedeutung bei Deuticke.
Swoboda schickte es am 24.1.1904 an Fließ, der sich ihm gegenüber sehr erfreut äußerte und in ihm einen „gleichstrebenden Forscher“ gefunden zu haben glaubte.
Danach las Fließ Weiningers Buch, traf dort auf seine Ideen der Doppelgeschlechtlichkeit und fand Swoboda zitiert. Dass die beiden befreundet waren, erfuhr Fließ im Juli.
Weiningers Buch, erregte große Aufmerksamkeit und provozierte Kontroversen.
Von mehreren Seiten – nicht nur von Fließ – wurden Plagiatsvorwürfe erhoben. Dass er selbst darin begeistert zitiert wurde, überging Fließ 1906 in seiner Schrift “In eigener Sache“.
Nach langer Pause schrieb Freud am 26.4.1904 wieder an Wilhelm Fließ. Er bat ihn um Beiträge für eine geplanten Zeitschrift, „die der >biologischen und psychologischen Forschung der Sexualität< gewidmet sein soll.“ (Freud 1985c, 504ff)
Darin äußerte er sich auch zu Swoboda: „Du wirst eine Schrift von Dr. Swoboda erhalten haben, deren intellektueller Urheber ich in mehrfacher Hinsicht bin, obwohl ich ihr Autor nicht sein möchte. Gattung: Gattel. Ich glaube aber, daß ich jetzt auch über besseres Material an Schülern zu verfügen beginne.“ (ebd.)
Fließ antwortete darauf am 27.4.1904 – noch einigermaßen freundlich.
Freuds nächste, kurze Nachricht an ihn war vom 15.7.1904
Fließ forderte in seinem Brief vom 20.7.1904 Aufklärung über das Verhältnis von Weininger zu Swoboda, „Deinen Schüler“ und zeigt sich überzeugt, dass Weiniger über Freud von seinen Ideen Kenntnis erhalten hatte.
Freud antwortete ihm am 23.7.1904.
Am 26.7.1904 formulierte Fließ seine Vorwürde und Details der Angelegenheit expliziter und in seinem Antwortschreiben vom 27.7.1904 klärte Freud den Sachverhalt weiter, räumte ihm aber auch einiges ein.
„Seit der Erfahrung, die im Alltagsleben freimütig mitgeteilt ist, habe ich eine Ahnung bekommen, daß für einen von uns die Reue über unseren seinerzeit unbeschränkten Gedankenaustausch kommen könnte, und habe ich mit Erfolg bemüht„ die Details Deiner Mitteilungen zu vergessen.“ (Freud 1895, 513)
Freud erwähnt hier ein Stelle in seinem Buch „Zur Psychopatholgie des Alltagslebens“ (1901b, 159f)
„ Im Sommer des Jahres 1901 erklärte ich einmal einem Freunde, mit dem ich damals in regem Gedankenaustausch über wissenschaftliche Fragen stand: Diese neurotischen Probleme sind nur dann zu lösen, wenn wir uns ganz und voll auf den Boden der Annahme einer ursprünglichen Bisexualität des Individuums stellen. Ich erhielt zur Antwort: “Das habe ich dir schon vor zweieinhalb Jahren in Br. gesagt, als wir jenen Abendspaziergang machten. Du wolltest damals nichts davon hören.” Es ist nun schmerzlich, so zum Aufgeben seiner Originalität aufgefordert zu werden. Ich konnte mich an ein solches Gespräch und an diese Eröffnung meines Freundes nicht erinnern. Einer von uns beiden mußte sich da täuschen; nach dem Prinzip der Frage cui prodest? mußte ich das sein. Ich habe im Laufe der nächsten Woche in der Tat alles so erinnert, wie mein Freund es in mir erwecken wollte; ich weiß selbst, was ich damals zur Antwort gab: Dabei halte ich noch nicht, ich will mich darauf nicht einlassen. Aber ich bin seither um ein Stück toleranter geworden, wenn ich irgendwo in der medizinischen Literatur auf eine der wenigen Ideen stoße, mit denen man meinen Namen verknüpfen kann, und wenn ich dabei die Erwähnung meines Namens vermisse.“
Mit diesem Brief vom 26.7.1904 endete die Korrespondenz zwischen den beiden Männern.
Die Briefe wurden in einer gekürzten Fassung 1950 (1950a [1887-1902]) und ungekürzt 1985 (1985c [1887-1904]) publiziert worden.
Die Plagiats-Affäre weitete sich aus und zielte auf eine gerichtliche Klärung ab. Fließ beschuldigte Freud schließlich in seiner 1906 publizierten Anklage „In eigener Sache“, ein ungetreuer Verwalter seiner Ideen gewesen zu sein. (Porge 2005, 56)
Swoboda seinerseits veröffentlichte 1906 eine Verteidigungschrift.

Mit dem Ende der Korrespondenz zwischen Fließ und Freud versiegte auch eine wichtige Quelle zu Details aus dem Leben von Wilhelm Fließ.
Fließ arbeitete weiter als zwar wissenschaftlich umstrittener aber bei seinen Kranken sehr beliebter Arzt in seiner großen Praxis und publiziert zu seinen Themen. Zu seinen PatientInnen zählte auch Karl Abraham und Alix Strachey.

1913 war Fließ an der Gründung der Berliner Ärztlichen Gesellschaft für Sexualwissenschaft und Eugenik beteiligt.
Am 13. Oktober 1928 starb Wilhelm Fließ an den Folgen von Darmkrebs.
Zahlreiche Nachrufe zeugen von seiner Beliebtheit als Arzt.

Exkurz zu Nase und Geschlechtsorganen
Fließ geht von einer besonderen „Genitalzonen“ in der Nase aus, „ deren Zugehörigkeit zu den Geschlechtsorganen (wird) zunächst durch die Veränderung bezeugt, die sie ganz typisch, wenn auch in wechselndem Ausmaß, bei der Menstruation des Weibes erleiden. Diese Stellen sind erstens die beiden unteren Nasenmuscheln und zweitens die an beiden Seiten der Nasenscheidewand symmetrisch sitzenden, durch Blutgefäße – und Nervenreichtum ausgezeichneten Erhöhungen, die sogenannten Tubercula septi. Es ist bekannt, dass an den Nasenmuscheln ein eigentlicher Schwellkörper sich befindet, wie er auch an den Wollustorganen des Mannes und der Frau wiederkehrt. Physiologisch zeigen sich an jenen Stellen der Nase, den unteren Muscheln und den Tuberculi septi – wir wollen sie kurzweg als Genitalstellen der Nase im engeren Sinne bezeichnen –, bei jeder Menstruation besondere Veränderungen.“ (Fließ 1910)
Diese Positionen waren damals durchaus in Diskussion, wurden aber von der Schulmedizin kritisch betrachtet.
Durchaus etabliert hingegen war die Vorstellung einer „vikariierenden Menses“, darunter verstand man das Auftreten von Nasenbluten gleichzeitig oder statt der Menses. Noch Max Schur bezeichnete diese in seiner Freud-Biographie 1982 als „feststehende Tatsache“.
Bei einem zeitgenössischen, mit modernen wissenschaftlichen Methoden durchgeführten immunzytochemischen und radioimmunologischen Vergleich des Schwellkörpers von Nase und Penis (Albegger et al 1993) zeigten sich morphologische und funktionelle Korrelationen, die mit klinischen Symptomen in Zusammenhang zu bringen sind. „Schwangerschaftsrhinopathie, Schleimhautschwellung der Nase durch Sexualhormone oder bei sexueller Erregung weisen auf funktionelle und/oder hormonabhängige Zusammenhänge der Schwellkörper von Nase und Genitalien hin.“ (ebd.)

Zusammengesetllt von Christine Diercks, 12.3.2017