Albert Niemann: Chronologie

Geboren am 20. Mai 1834 als Sohn eines Schulmeisters in Goslar bei Hanover.
1849 Beginn  des Pharmaziestudiums in Göttingen

Bei Untersuchungen mit Dischwefeldichlorid (S2Cl2), das er mit Ethylen in Reaktion brachte, entdeckte eine neue Verbindung: deren Summenformel er mit Bis(2-chlorethyl)sulfid (C4H8Cl2S), angab. Trotz gewiser Ungenauigkeiten in der Formel hatte er Dichlordiethylsulfid hergestellt, das einen penetranten Geruch verströmte. Als Senfgas (mustard gas) kam es am 12. Juli 1917 als Chemiewaffe auf Deutscher Seite im 1. Weltkrieg bei Ypern ezum Einsatz.
Niemann beschrieb seine Wirkung: „Sie besteht darin, daß selbst die geringste Spur, die zufallig auf irgend eine Stelle der Haut kommt, anfangs zwar keinen Schrnerz hervorruft, nach Verlauf einiger Stunden aber eine Rötung derselben bewirkt und bis zum folgenden Tage eine Brandblase hervorbringt, die sehr lange eitert und außerordentlich schwer heilt, unter Hinterlassung starker Narben.“

Karl Scherzer, Teilnehmer der österreichischen Novara-Expedition, brachte für Prof. Friedrich Wöhler, dem Mitbegründer der organischen Chemie, Blätter der Coca-Pflanze Erythroxylum coca mit, die Niemann übergeben wurden, der diese im Rahmen seiner Doktorarbeit analysierte.

Niemann war „hoch erfreut als mich Herr O.-Med.-Rath Woehler zu dieser Untersuchung aufforderte und mir dazu eine reichliche Menge echter, unverdorbener Cocablätter zur Verfügung stellte, die auf seinen Wunsch unter gütiger Vermittlung des Directors der geologischen Reichsanstalt in Wien […] Herr Dr. Scherzer auf der Weltfahrt der K. K. österreichischen Fregatte Novara in Lima anzuschaffen und nach Europa mitzubringen die grosse Gefälligkeit hatte. Der leitende Gesichtspunkt bei dieser Arbeit […] war vorzugsweise der, den muthmaasslich wirksamen Bestandtheil in derselben zu ermitteln. Da sich bei der Lösung dieser mir gestellten Aufgabe oft erhebliche Schwierigkeiten in den Weg stellten, überhaupt die Analyse von Pflanzentheilen noch so wenig ausgebildet ist, so umfasst die vorliegende Arbeit […] vorzugsweise die Beschreibung eines neuen Alkaloides und einiger als Wichtigkeit untergeordneter Bestandtheile, deren weiteres Studium mich noch länger beschäftigen wird.« (Zitiert nach Friedrich, 2011)

1859 isolierte Niemann daraus als erster die Substanz in kristalliner Form und nannte sie Kokain.
18. Juni 1860: Abschluss der 53-seitigen Doktorarbeit.

  • Abstammung, geographische Verbreitung und den allgemeinen Charakter zur Pflanzengattung
  • Cultur, Gebrauch und Wirkung der Blätter
  • Chemische Untersuchung
  • Beschreibung der Eigenschaften

Über seinen Alkaloid Forschungen schrieb Niemann:
»Seitdem durch die im Jahre 1804 durch Sertuerner erfolgte Entdeckung des Morphins im Opium der erste Beweis von der Existenz organischer Salzbasen in den Pflanzen, als Produkte des vegetabilischen Lebens, geliefert und erwiesen war, dass das Opium seine physiologischen Wirkungen vorzugsweise dem Gehalte an Morphin verdanke, hat man es oft versucht, auch in anderen heftig und eigenthümlich auf den Organismus wirkenden Pflanzentheilen ähnliche Körper aufzusuchen. […] Diese Untersuchungen, namentlich in Frankreich von Pelletier und Caventou sowie von Robiquet ausgeführt, wurden in der That durch positive Resultate gekrönt.« (Zitiert nach Friedrich, 2011)

Dr. Albert Niemann erkankte schwer (an einer Lungenvereiterung, wahrscheinlich als Folge einer Senfgasvergiftung), musste seine Arbeit abbrechen und kehrte zurück zu seiner Familie nach Goslar.
Er verstarb 27-jährig am 19.1.1961 in Goslar.

Das Alkaloid Kokain wurde zum Ausgangsstoff einer neuen Arzneimittelklasse.
Die Arbeit von Albert Niemann setzte sein Kollege Wilhelm Lossen (1838–1906) fort. Er bestimmte 1862 die Summenformel des Kokains mit C17H21NO4.
Lossen beobachtete, dass Kokain, mit Salzsäure versetzt, in Benzoesäure und Ecgonin zerfällt.
Sigmund Freud bekam Ecgonin 1885 zur Untersuchung.

Schon 1862 wurde Kokain in der Firma Merck hergestellt und zu einem hohen Preis zum Verkauf angeboten. Merck produzierte anfangs nur einige hundert Gramm und musste die Produktion dann wegen Lieferschwierigkeiten unterbrechen, später aber verkaufte Merck Tonnen von Kokain.

In den USA wurde Kokain bereits in den 1870er Jahren medizinisch eingesetzt, vor allem zur Morphin- und Alkoholentwöhnung.

Sigmund Freud wurde auf die Substanz über Beiträge in der „Detroit Therapeutic Gazette“ und —-  aufmerksam, wo sie als Therapeutikum beim Morphinentzug diskutiert wurde.
Freud orderte erstmals 1884 von Merck Kokain, das damals noch sehr teuer war.
Mit seiner Studie „Über Coca“ (1884e) trug er zur Verbreitung von Kokain in Europa in seinen Anwendungen in der Medizin wesentlich bei.
Freud machte entsprechend den damaligen wissenschafltichen Gepflogenheiten Selbstversuche, Tierversuche, untersuchte und beschrieb die Wirkung von Kokain und verwendete Kokain auch in der Krankebehandlung gegen Verstimmung, Schwäche, Magenbeschwerden, Kopfschmerzen und Morphiumsucht. Die Anwendung erfogte oral oder als Lokalinjektion.
Freud verwendete Kokain in einer Dosierung von 50 bis 100 Milligramm über den Selbstversuch hinaus für einige Zeit auch persönlich –  wegen seiner stimulierenden, antidepresiven Wirkung, zur Steigerung seiner Arbeitsfähigkeit und gegen allerlei Beschwerden. Seine Briefe an seine Braut Martha Bernays (1882-1886) zeugen davon. Vieles spricht dafür, dass Freud nach seiner Heirat 1996 seinen Kokainkonsum einstellte.

Freud empfahl 1884 seinem Kollegen und Freud Ernst von Fleischl-Marxow Kokain zum Entzug von seiner schweren Morphiumsucht. Nach einer kurzen Besserung war Fleischl bald von beiden Substanzen abhängig. Fleischl

Aus seinen Briefen an Wilhelm Fließ wissen wir auch von Kokainpinselungen der Nase in den 1890er Jahren, mit denen entsprechend der Theorie der nasalen Reflexneurose, die Freud eine Zeit lang mit Wilhelm Fließ teilte, unterschiedlichste körperliche Beschwerden gelindert werden sollten.

Karl Koller untersuchte und beschrieb - angeregt durch Freud - die lokalanästhetische Wirkung des Kokains am Auge, was schmerzlose Augenoperationen ermöglichte. 
Freud schrieb ein Gutachten über das Kokain von

Kokain fand bald auch als Droge Verwendung und als diese nach der Jahrhundertwende meist geschnupft.

Ernst von Fleischl-Marxow hatte sich im Labor eine Infektion an einem Daumen zugezogen, der Daumen musste amputiert werden, es entwickelte sich ein schmerzhaftes Neurom, das weitere Operationen und Schmerzen nach sich zog, die mit Morphium bekämpft wurden. Fleischl wurde Morphiumsüchtig und er war in einem sehr schlechten Zustand, als Freud seinem Kollegen und Freund von der therapeutischen Anwendung des Kokains bei der Behandlung von Morpium-Entzugssymptomen berichtet und ihm Kokain empfahl. Nach einer kurzen Besserung war Fleischl bald von beiden Substanzen abhängig und sein Befinden verschlechterte trotz der Unterstützung, die er durch Obersteiner, Brückel, Breuer, Exner und Freud erfuhr, sich immer mehr. Freud, der die Anwendung von k#okain bei der Behandlung der Morphiumssucht empfahl, sah sich Kritik ausgesetzt.

John Pemperton (1831-1888), Apotheker, Oberstleutnant im konföderierten Heer während des US-Bürgerkrieges, begann 1855 mit dem Mixen von Produkten. Seit 1885 morphiumsüchtig interessierte er sich für die Coca-Pflanze, experimentierte mit Mixturen von Coca-Blättern und hoffte, mit ihrer Hilfe vom Morphium loszukommen.
Am 6. Juni 1887 beantragte er für die Coca-Cola-Formel das Patent, das er am 28. Juni 1887 erhielt.
Sein Coca-Cola enthielt einen Extrakt aus Coca-Blättern, in dem auch noch Kokain war, später wurde dem Extrakt das Kokain entzogen.

1905: Albert Einhorn synthetisierte das Procain (Novocain, das neue Cocain), das als Lokalanästheticum wirkt ohne vasokonstriktorisch zu sein. Es wird im Körper rasch abgebaut und ist daher nicht toxisch.

1943: Nils Löfgren (1913–1967) und Bengt Lundqvist gelang die Synthese von Lidocain (Handeslname z.B. Xylocain). Es war das erste Amino-Amid-Lokalanästhetikum

Werk:
Albert Niemann (1860). „Über die Einwirkung des braunen Chlorschwefels auf Elaylgas“. Liebigs Annalen der Chemie und Pharmacie. 113 (3): 288–292.
Albert Niemann (1860). „Ueber eine neue organische Base in den Cocablättern“. Archiv der Pharmazie. 153 (2): 129–256

Quellen:
Fleischhacker, Wilhelm (2006): Fluch und Segen des Cocain. ÖAZ, 60. Jahrgang, Nr. 26, 18.12.2006
https://www.apotheker.or.at/Internet/oeak/newspresse.nsf/ca4d14672a08756...$FILE/OAZ-2006-26.pdf [9.12.2016]

Friedrich, Christoph (2011): Albert Niemann, Entdecker des Kokains. Pharmazeutische Zeitung online.
http://www.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=36513 [8.12.2016]
Abbildung: Cocapflanze Erythroxylum coca. In: Köhlers Medizinalpflanze

http://www.pharmawiki.ch/wiki/index.php?wiki=Sigmund%20Freud%20und%20das...
https://de.wikipedia.org/wiki/John_Pemberton [9.12.2016]
https://de.wikipedia.org/wiki/Lidocain
Redaktion: CD, 9.12.2016