Begehren - Lust - Genießen

Begehren

Französisch: désir

Freuds Begriff „Wunsch“ wird im französischen überlicherweise mit „désir“ übersetzt.
Lacan stellt in seiner Verwendung des Begriffes „désir“ zusätzlich eine Nähe zu Hegels Begriff „Begierde“ her.
„Wenn es einen Begriff gibt, der den Anspruch erheben kann, der innerste Kern von Lacans Denken zu sein, dann ist es der Begriff des Begehrens.“ (Evans, 2002, 53)
„Das Wesen des Menschen ist Begehren“ (SE 11, 247, zitiert nach Evans, ebd.)
Lacan meint damit immer das unbewusste Begehren, das ausschließlich sexuell ist: „die Motive des Unbewußten sind […] auf das Begehren beschränkt […]. der andere Inbegriff des Begehrens, der Hunger ist nicht repräsentiert“ (EC, 432-433, zitiert nach Evans, ebd.)

Lacan unterscheidet zwischen Begehren, Anspruch und Bedürfnis:
Bedürfnis versteht er einen biologischen Instinkt, ein Bedürfnis des Organismus, das gestillt wird. Am Anfang des Lebens durch unartikulierte Laute des Säuglings später durch die Sprache des Kleinkindes wird dieses Bedürfnis an einen Anderen geäußert, der dem Säugling hilft, das Bedürfnis zu stillen.
Die Gegenwart des Anderen gewinnt also im Laufe der Zeit eine zusätzliche Bedeutung als Symbol der Liebe des Anderen.
Der Anspruch gewinnt damit eine zweifache Funktion als Anspruch zur Befriedigung des Bedürfnisses und als Anspruch auf Liebe. Die Bedürfnisse können gestillt werden, der Anspruch auf absolute Liebe kann jedoch kann nicht erfüllt werden. Dieser unbefriedigte Aspekt des Anspruchs, dieser Rest ist das Begehren:
„Das Begehren ist weder der Wunsch nach Befriedigung noch der Anspruch auf Liebe, sondern die Differenz, die bleibt, wenn das erste vom zweiten subtrahiert wird.“ (Lacan, EC, 691, zitiert nach Evans, 2002, 55)

Im Vergleich zum Bedürfnis kann Begehren nie befriedigt werden und übt fortwährend Druck aus. Ziel des Begehrens kann also nicht die Erfüllung sein sondern seine Hervorbringung.
Lacan schließt hier an die Hegel-Interpretation von Alexandre Kojève an.
Kojève unterscheidet zwischen tierischer und menschlicher Begierde: Menschlich werde die Begierde dann, wenn sie sich auf das Begehren eines anderen richte oder auf ein „vom biologischen Standpunkt vollkommen nutzloses Objekt (Kojève, 1975, 23).

Kojève folgend ist am Begehren für Lacan wesentlich, dass es „das Begehren des Begehren des Anderen“ ist:

1. Es geht darum, sowohl Objekt des Begehrens eines anderen zu sein, wie auch das Begehren, vom Anderen anerkannt zu werden:
Schon für Kojève ist die Begierde nur dann menschlich, „wenn der eine Teil nicht den Körper, sondern die Begierde des anderen begehrt, […] wenn er ‚begehrt’ oder ‚geliebt’ oder auch in seinem Menschlichen Wert […] anerkannt werden will. […] Anders gesagt, jede menschliche anthropogene […] Begierde ist letztlich eine Funktion der Begierde nach Anerkennung.“ (Kojève, 1975, 23-24)
Nach Kojève müsse das Subjekt sein Leben für dieses reine Anerkanntwerden riskieren.
Dies zeigt sich im Ödipuskomplex, wo das Begehren danach, Objekt des Begehrens des Anderen zu sein, sich darin ausdrückt dass das Subjekt begehrt, der Phallus der Mutter zu sein.

2. Weiters begehrt das Subjekt aus dem Blickwinkel des Anderen, also ist „das Objekt des menschlichen Begehrens […] wesentlich ein Objekt, das von jemand anderem begehrt wird“ (Lacan, 1951b, 12, zitiert nach Evans, 2002, 57).
Auch hier lehnt sich Lacan an Kojève an: Begierde sei nur in dem Maße menschlich, „als sie durch die Begierde eines anderen, die sich auf das gleiche Objekt bezieht, ‚vermittelt’ wird: es ist menschlich, das zu begehren, was die anderen begehren, weil sie es begehren.“ (Kojève, 1975, 23)
„Dem Menschen, der menschlich ein Ding begehrt, ist es nicht so sehr um das Ding zu tun, als vielmehr um die […] Ankerkennung  als Besitzer des Dinges. Und da letzten Endes, weil er die Ankerkennung seiner Überlegenheit über den anderen durch diesen anderen anstrebt.“ (ebd., 58-59)

3. Das Begehren des Anderen: Das eigentliche Begehren ist ein inzestuöses nach der Mutter. (Lacan, SE 7, 82)

4. Begehren nach etwas Anderem: Man kann nicht begehren, was man schon hat. Das Begehren wird immer weiter hinausgeschoben.

5. „Das Begehren erscheint ursprünglich im Feld des Anderen, d.h. im Unbewußten.“ (Evans, 2002, 58)

Lacan unterscheidet zwischen Begehren und Trieb, die beide dem Bereich des Anderen angehören.
Für ihn gibt es viele Triebe, die er als Partialmanifestationen einer einzelnen Kraft ansieht: der des Begehrens.
Dessen einziges Objekt ist das Objekt Klein „a“ – nicht Ziel sondern Grund des Begehrens, durch vielfältige Partialobjekte in vielfältigen Partialtrieben repräsentiert.
Das Begehren zielt nicht auf eine Beziehung zum Objekt, sondern es ist die Beziehung zu einem Mangel.
Jedenfalls ist für Lacan das Begehren ein Produkt der Gesellschaft, ist nichts Individuelles sondern steht in dialektischer Beziehung mit dem Begehren anderer.
Die erste „Andere“ ist die Mutter, derem Begehren das Kind solange ausgeliefert ist, bis der Vater dieses mit dem Gesetz verbindet, also die Mutter kastriert und damit das Kind aus der Willkür des Begehrens der Mutter befreit.

Lust - Lustprinzip

Ab 1960 setzt Lacan konzeptuell das ungehemmte Genießen in Gegensatz zur Lust, die auf einem Verbot gründet und gleichzeitig den Wert des Verbotenen begründet. 
Das Verbot, vermittelt über die Kastrationsdrohung, markiert den Eintritt in die symbolische Ordnung, in der ein Verbot des Genießens herrscht.

Lacan geht mit Freud, der Unlust mit dem Anstieg der Erregung und Lust mit deren Verminderung  verbindet. Das Genießen zeichnet nach Lacan eine exzessive Erregungsquantität aus, die das Lustprinzip zu vermeiden sucht, denn es ist bestrebt, den Zustand einer Homöostase zu erhalten.
Insoferne, als das Lustprinzip danach trachtet, sowenig Genuss wie möglich zuzulassen, hat hat es die Funktion eines symbolischen Gesetzes.

„Die Funktion des Lustprinzips, ist in der Folge, das Subjekt von Signifikant zu Signifikant zu führen, indem es so viele Signifikanten generiert wie notwendig sind, um die Spannung, die den ganzen psychischen Apparat reguliert, so niedrig wie möglich zu halten.“ (SE 7, 119)

Das Lustprinzip schließt das Inzestverbot mit ein, „das die Distanz zwischen Subjekt und Ding (d) reguliert“ (SE 7, 84). Das Subjekt leidet, wenn es dem (verbotenen) Ding zu nahe kommt. „Da der Trieb dasjenige ist, das dem Subjekt die Übertretung des Lustprinzips ermöglicht, ist jeder Trieb ein Todestrieb.“ (Evans, 2002, 180)

Verbunden mit Gesetz und Verbot ordnet Lacan das Lustprinzip dem Symbolischen zu.
Das Genießen zählt für ihn zum Realen.

Genießen

Französisch: jouissance

Im Gegensatz zur Lust und zum Begehren steht dieser Begriff für eine unmittelbare Befriedigung und gehört als solche der Kategorie des Realen an.
Das Genießen setzt sich über das symbolische Verbot hinweg und  nimmt einen obszönen Charakter an. Überschreitet das Genießen eine bestimmte Intensität, wird es (ein Paradox) zum Leiden - neurotische Lust.

Lacan stellt auch eine Verbindung zwischen Todestrieb und Genießen her. Dem Lustprinzip in diesem Lacanschen Verständnis obliegt die Funktion der Einschränkung des Genießens und statt des ungehemmten Genusses.

Quellen: Siehe Biobiografie.
Redaktion: CD, 17.4.2014