Max Graf - Chronologie

1.10.1873 in Wien geboren; jüdischer Herkunft; Vater Josef Graf, Schriftsteller, Redakteur aus Galizien, Pressechef der böhmischen Regierung, Druckereibesitzer in Wien; Mutter Regine, geb. Lederer.
Besuch des Gymnasiums in Prag und Wien (Akademisches Gymnasium zusammen mit Hugo von Hofmannsthal und Julius Bittner das Akademische Gymnasium.).
Studium der Rechtswissenschaften in Wien.
Studium der Musikgeschichte bei Eduard Hanslick und Musiktheorie bei Anton Bruckner in Wien.
1896 Promotion zum Dr. jur. und Dr. phil. (mit „Die Musik der Frauen in der Renaissancezeit“).

1904 Mitglied der Psychologischen Mittwoch-Gesellschaft / WPV:

Herbert, der Sohn von Max Graf ist als der „Kleine Hans“ in die Geschichte der Psychoanalyse eingegangen. Mit Hilfe seines Vaters analysierte Freud die Pferdephobie des Fünfjährigen. Diese von Freud 1905 publizierte Analyse ist ein Meilenstein in der Erforschung der Kastrationsangst, des Ödipuskomplexes und für die Kinderpsychoanalyse.

Freud, Sigmund (1909b): Analyse der Phobie eines fünfjährigen Knaben. GW VII, 241-377

„Die auf den folgenden Blättern darzustellende Kranken- und Heilungsgeschichte eines sehr jugendlichen Patienten entstammt, streng genommen, nicht meiner Beobachtung. Ich habe zwar den Plan der Behandlung im ganzen geleitet und auch ein einziges Mal in einem Gespräche mit dem Knaben persönlich eingegriffen; die Behandlung selbst hat aber der Vater des Kleinen durchgeführt, dem ich für die Überlassung seiner Notizen zum Zwecke der Veröffentlichung zu ernstem Danke verpflichtet bin. Das Verdienst des Vaters reicht aber weiter; ich meine, es wäre einer anderen Person überhaupt nicht gelungen, das Kind zu solchen Bekenntnissen zu bewegen; die Sachkenntnis, vermöge welcher der Vater die Äußerungen seines 5jährigen Sohnes zu deuten verstand, hätte sich nicht ersetzen lassen, die technischen Schwierigkeiten einer Psychoanalyse in so zartem Alter wären unüberwindbar geblieben. Nur die Vereinigung der väterlichen und der ärztlichen Autorität in einer Person, das Zusammentreffen des zärtlichen Interesses mit dem wissenschaftlichen bei derselben, haben es in diesem einen Falle ermöglicht, von der Methode eine Anwendung zu machen, zu welcher sie sonst ungeeignet gewesen wäre.“ (1905b, 243)
 

1906 In zwei Artikeln in der Österreichischen Rundschau (November/Dezember 1906; Jänner-März 1907) beschreibt Graf die Psychoanalyse als die erste Wissenschaft der Kreativität.  (Rose 1986, 123)
11.12.1907 Vortrag  in der Mittwoch-Gesellschaft über „Methodik der Dichterpsychologie“.
1908 Teilnahme an der 1. Internationalen psychoanalytischen Zusammenkunft in Salzburg.
Bis 1909 regelmäßige Teilnahme an den Sitzungen.
1913 wurde sein Name aus der Mitgliederliste der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung gestrichen.

Freud, Sigmund (1942a [1905-06]): Psychopathische Personen auf der Bühne. GW Nachtragsband, 655-661.

Freud schenkte Max Graf dieses Manuskript. Dieser Text wurde niemals von Freud selbst publiziert, 1942erstamls in englischer Übersetzung veröffentlicht und 1962 erstmals auf Deutsch.
Freud nennt als Zweck des Schauspiels „die Eröffnung von Lust- oder Genussquellen aus unserem Affektleben“ (1942a [1905-06], 656).
„Das teilnehmende Zuschauen beim Schau-Spiel leistet dem Erwachsenen dasselbe wie das Spiel dem Kinde, dessen tastende Erwartung, es dem Erwachsenen gleichtun zu können, so befriedigt wird. Der Zuschauer erlebt erlebt zu wenig, er fühlt sich al „Misero, dem nichts Großes passieren kann“, er hat seinen Ehrgeiz, als Ich im Mittepunkt des Weltgetriebes zu stehen, längst dämpfen, besser verschieben müssen, er will fühlen, wirken, alles so gestalten, wie er möchte, kurz Held sein, und die Dichter-Schauspieler ermöglichen ihm das, indem sie ihm die Identifizierung mit einem Helden gestatten.“ (1942a [1905-06], 656f)

Freud nennt einige Dichter und Werke, geht dann ausführlicher auf Hamlet ein und beschäftigt sich zum Schluss mit Hermann Bahr’s Stück „Die Andere“. Dieses Stück wurde in Leipzig und München Anfang November 1905 uraufgeführt, in Wien war die Erstaufführung am 25. November 1905. Das Stück selbst lag erst 1906 in gedruckter Form vor. Es lässt sich nicht genau datieren, wann Freud diesen Text verfasst hat. Die Angabe von Max Graf dazu (in einem Begleittext zu dessen Erstveröffentlichung im Psychoanal. Quaterly 11, 465) können nicht zutreffen, er datiert den Text auf 1904.
 

1942 in englischer Übersetzung von H. A. Bunker (unvollständig): Psychopathic Characters on the Stage. Psychoanal. Q., 11 (4), Oct., 459-464.
1962 auf Deutsch: Neue Rundschau, 73, 53-57.
In der Übersetzung von James Strachey (vollständiger Text) in die SE aufgenommen: (Strachey, J. (1906). Psychopathic Characters on the Stage (1942 [1905 or 1906]). The Standard Edition of the Complete Psychological Works of Sigmund Freud, Volume VII (1901-1905): A Case of Hysteria, Three Essays on Sexuality and Other Works, 303-310)
Der deutsche Text wurde schließlich in den GW im Nachtragsband (655-661) publiziert.
 

Max Graf: Musikwissenschaftler, Musikkritiker:

Ab 1902 lehrte er in Wien Musikwissenschaft und Musikästhetik am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde.
1909 Ernennung zum Professor für Musikgeschichte und Musikästhetik an der Wiener Staatsakademie für Musik.
Max Graf verkehrte mit Intellektuellen, Künstlern und der literarischen Gruppe „Jung-Wien“ (Peter Altenberg, Hermann Bahr, Richard Beer-Hofmann, Theodor Herzl, Hugo von Hofmannsthal, Arthur Kahane, Karl Kraus, Adolf Loos, Thomas Garrigue Masaryk, Alfred Polgar, Felix Salten, Arthur Schnitzler, Arnold Schönberg, Otto Stössl, Alexander von Zemlinsky, u.a.)
Max Graf schrieb für folgende Zeitschriften: Allgemeine Zeitung“, Berliner Tageblatt“,„Boston Transcript“, „Die Zeit“ (Hermann Bahrs Wochenzeitschrift), Frankfurter Zeitung“,  „Neues Wiener Journal“ (1901-1906), Prager Tageblatt“, „Vossische Zeitung“,  „Weimarer Allgemeine Zeitung“,„Wiener Allgemeine Zeitung“ , u.a. 1909 Korrespondent  der Frankfurter Zeitung in Paris. Übersetzer von Romain Rolland und Alfred Bruneau ins Deutsche. Verbindung mit Claude Debussy und August Strindberg.
Graf schrieb grundlegende Artikel über Bruckner und Hugo Wolf, setzte sich für zeitgenössische Komponisten ein, vor allem für Alban Berg, Anton Bruckner, Claude Debussy, César Franck, Paul Hindemith, Gustav Mahler, Arnold Schönberg, Igor Strawinsky, Anton von Webern, Hugo Wolff.

1919-1922 Gründer und Herausgeber der Wochenschrift für Musik und Theater „Musikalischer Kurier“.
1914-1918 1. WK - Einberufung zur Armee.
1928 Organisation des Schubert-Festes zu dessen hundertjährigem Todestag
1928-1938 Leitung der Wiener Musikfeste.
Mitglied der Kommission zur Verleihung der Kompositionspreise der Stadt Wien.
Mitglied der Schriftsteller-Vereinigung Concordia.

1938 Im Juli Emigration in die USA.

„Nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich 1938 wurde Max Graf wegen seiner jüdischen Herkunft verfolgt. Aber auch die Verarbeitung der Freudschen Theorien in seinen Schriften wurde Gegenstand von Diffamierungen (Stengel, Gerigk1941, Sp. 93-94).“
(zitiert nach http://www.lexm.uni-hamburg.de/object/lexm_lexmperson_00001390)

1939 Unterrichtete in der New School for Social Research in New York (Empfehlungsschreiben Arturo Toscaninis).
1940 Gründung eines Seminars für Musikkritik.
Gastprofessor am Carnegie Institute in Pittsburgh, der Temple University in Philadelphia, am Erwin Piscators Dramatic Workshop.
Sein Sohn Herbert Graf, inzwischen Regisseur, unterrichtete ebenfalls an Erwin Piscators Dramatic Workshop.
1947 Composer and Critic: Two Hundred Years of Musical Criticism. London: Chapman & Hall.

1947 Rückkehr nach Wien.

1947-1950 Professur an der Musikakademie, Seminar über Musikkritik.
Gastprofessor am Salzburger Mozarteum.
Kritiker („Weltpresse“, „Musical America“)
Wirkte in Rundfunksendungen mit, hielt Vorträge (Wien, Rom, Zagreb,  New York),
1952 Rückkehr als Gastprofessor an die New School for Social Research, New York.
1957 Autobiographie „Jede Stunde war erfüllt: Ein halbes Jahrhundert Musik und Theaterleben“

Max Graf starb am 24. Juni 1958 in Wien.

Aus der Rathauskorrespondenz 1947

„30.7.1947: Prof. Max Graf wieder in Wien
Prof. Max Graf kehrt aus Amerika zurück.
In diesen Tagen ist Prof. Max Graf, der im Jahre 1938 Wien verlassen musste, aus Amerika zurückgekommen. Prof. Graf hat in Amerika im Verlaufe der letzten Jahre drei erfolgreiche Bücher veröffentlicht: „Legend of a Musical City“, „Composer und Critic“ (Two hundred years of musical criticism) und „Modern music“ (Composers and music of our time).
Von „Legend of a Musical City“ wird die Buchgemeinschaft in Wien voraussichtlich noch im heurigen Jahr eine deutsche Ausgabe herausbringen, die beiden anderen Bücher erscheinen im Herbst in französischer Übersetzung in Paris, und von „Composer and Critic“ erscheint demnächst eine englische Ausgabe. Im September erscheint ein viertes Buch „Von Beethoven zu Schostakowitsch. Psychologie des Kompositionsprozesses“. (http://www.wien.gv.at/rk/historisch/1947/juli.html)

Text und Redaktion: Christine Diercks, 20.6.2010