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Isidor Sadger
* 29.10.1867, Neusandec (Nowy Sacz), Galizien – † 21.12.1942, Ghetto Theresienstadt.

Arzt, Psychoanalytiker, Pathograph, erster Freud-Biograph.

Isidor Sadger wurde am 10. September 1942 in das Ghetto Theresienstadt deportiert und starb dort am 20. oder 21. Dezember 1942.
Mitglied der WPV von 1906 an. 1933 gab er seinen Austritt aus der Vereinigung bekannt, was mit heftigen Angriffen in Zusammenhang mit seiner Freud - Biographie stehen dürfte, die er zwar drucken hatte lassen, mit deren Veröffentlichung er jedoch angeblich bis nach Freuds Tod warten wollte.

Isidor Sadger wurde am 29.10.1867 in Neusandec (Nowy Sacz) in Galizien als Sohn des jüdischen Ehepaarea Miriam und Hersch Sadger geboren.

1885 maturierte er in Wien (Communales Gymnsaium Wien II), studierte anschließend Medizin und promovierte 1891 an der Universität Wien.
Er praktizierte zuerst als praktischer Arzt und später als Nervenarzt in Wien IX, spezialisierte sich auf  Hydrotherapie bei nervösen Erkrankungen und war über den Sommer als Kurarzt in Gräfenberg (Schlesien) tätig. Isidor Sadger schrieb für Max Kahanes „Medizinisches Handlexikon für praktische Ärzte“ (1908) Beiträge.

Mit Freud war Isidor Sadger seit den 1890er Jahren in Kontakt (Wittels, 1924), er war Hörer seiner Vorlesungen, wurde von Freud am 14.11. 1906 zur Aufnahme in die Mittwoch-Gesellschaft vorgeschlagen und eine Woche später angenommen.
Schon früh beschäftigte er sich mit Homosexualität und Perversion, am Salzburger Kongress 1908 berichtete er von einer Psychoanalyse mit einem Homosexuellen. Er publizierte zahlreiche Pathographien über Dichter in der Presse aus der Sicht der zeitgenössischen Psychiatrie, was ihm unter anderem die Kritik Freuds einbrachte.
Zusammen mit seinem Neffen Fritz Wittels, den er in die Mittwoch-Gesellschaft einführte, sprach er sich vehement gegen die Aufnahme von Frauen in die Mittwochgesellschaft aus.
Aus den Protokollen der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung vom 13. April 1910 (number, Federn 1997, II, 440):

“In der Debatte über die Anmeldung der Frau Dr. Hilferding […] erklärt sich:
Sadger aus prizipiellen Gründen gegen die Aufnahme von Frauen.
Adler ware dafür, auch weibliche Ärzte und Frauen, die sich ernsthaft dafür interessieren und mitarbeiten wollen, zuzulassen.
Prof. Freud würde es als arge Inkonsequenz sehen, wenn wir Frauen prinzipiell ausschlössen.
In der hierauf vorgenommenen informativen Abstimmung ergibt sich, daß 3 gegen 11 Stimmen prinzipiell gegen die Aufnahme von Frauen sind, was den Obmann veranlaßt, in diesem Punkte mit besonderer Zurückhaltung vorzgehen. […]
Die Kandidatur Frau Dr. Hilferdings wird an den Vorstand verwiesen.”

Sadger gehörte zu den Unterstützern von Otto Fenichels „Seminar für Sexuologie“ (1919-1921), in Ambulatorium und Lehrinstitut referierte er zur „Psychopathia sexualis“.
Isidor Sadger war Analytiker und Mentor von Hermine Hug-Hellmuth.

1933 gab er seinen Austritt aus der Vereinigung bekannt, was mit heftigen Angriffen in Zusammenhang mit seiner Freud - Biographie stehen dürfte, die er zwar drucken hatte lassen, mit deren Veröffentlichung er jedoch angeblich bis nach Freuds Tod warten wollte. Dieses Buch war lange verschollen und wurde 2006 von Andrea Hupke und Michael Schröter neu herausgegeben.

Isidor Sadger wurde am 10. September 1942 in das Ghetto Theresienstadt deportiert und starb dort am 20. oder 21. Dezember 1942.
 

Bibliografie:
Isidor Sadger (2006): Sigmund Freud. Persönliche Erinnerungen. Andrea Huppke und Michael Schröter (Hg.). Tübingen: edition diskord.

Huppke, Andrea und Schröter, Michael (2006): Annäherungen an einen ungeliebten Psychoanalytiker. Zu Isidor Sadger und seinen Erinnerungen an Freud. In: Sadger, Iisidor: Sigmund Freud. Persönliche Erinnerungen. Herausgegeben von Huppke, Andrea und Schröter, Michael (Hg.) Tübingen: diskord. 99-137.

Eine vollständige Bibligrafie zu Isidor Sadger findet sich in:
Hupke, Andrea, Schröter, Michael (Hg.) (2006): Isodor Sadger: Sigmund Freud. Persönliche Erinnerungen. Tübingen: diskord. 145-155.

 

 

Sadger, Isidor (1889/90): Psychologie des Geschmacks. Wissen für alle. 1889/90, 418, 432.
Sadger, Isidor (1894): Suggestion und Hypnose. Gaea. Natur in Leben 30, 577.
Sadger, Isidor (1894): Gerhard Hauptmann. Beilage der allgemeinen Zeitung. München, Oktober 1894, 274, 229.
Sadger, Isidor (1894): Henrik Ibsen: Romersholm. Eine psychiatrisch ästhetische Studie. Beilage der Allgemeinen Zeitung. München. 17.7.1894, 195, 162.
Sadger, Isidor (1894): Ibsens Gespenster. Beilage der Allgemeinen Zeitung. München. Oktober 1894, 274n 229.
Sadger, Isidor (1896): Die Ärzte und die Kaltwasserkuren. Blätter für klinische Hydrotherapie 6, 1896, 217-222.
Sadger, Isidor (1898): Ferdinand Raimund. Eine pathologische Studie. Die Waage 1898, 23, 387-389; 24, 402-404; 25, 421-423.
Sadger, Isidor (1898): Die Leiden Robert Hamerling’s. Wiener Medizinische Presse 1898, 9, 343-346; 10, 386-388.
Sadger, Isidor (1899): War Goethe eine pathologische Erscheinung? Deutsche Revue über das gesamte nationale Leben der Gegenwart. April-Juni 1899, 24, 2, 72-96.
Sadger, Isidor (1908): Psychiatrisch-Neurologisches in psychanalytischer Beleuchtung. Zentralblatt für das Gesamtgebiet der Medizin und ihrer Hilfswissenschaften, 7-8.
Sadger, Isidor (1908): Konrad Ferdinand Meyer: eine pathographisch-psychologische Studie. Bergmann.
Sadger, Isidor (1908): Fragment der Psychoanalyse eines Homosexuellen”. In: Jahrbuch für sexuellen Zwischenstufen 9.
Sadger, Isidor (1909): Ein Fall von Pseudoepilepsia hysterica psychoanalytisch erklärt. Wiener klinische Rundschau 14, 1909, 212-214; 15, 226-228; 16, 242-244; 17, 259-262.
Sadger, Isidor (1909): Aus dem Liebesleben Nikolaus Lenaus. Schriften zur angewandten Seelenkunde. Heft 6. Wien, Leipzig.
Sadger, Isidor (1910): Heinrich von Kleist. Eine pathographisch-psychologische Studie. Wiesbaden: Bergmann
Sadger, Isidor (1910): Ein Fall von multipler Perversion mit hysterischen Absencen. Jahrbuch für psychoanalytische und psychopathologische Forschungen. 2, 59-133.
Sadger, Isidor (1910): Belastung und Entartung. Ein Beitrag zur Lehre vom kranken Genie. Leipzig.
Sadger, Isidor (1911): Über Haut-, Schleimhaut- und Muskelerotik. Jahrbuch für sexuellen Zwischenstufen 3, 525-556.
Sadger, Isidor (1912): Von der Pathographie zur Psychographie. Imago 1, 1912, 158-175
Sadger, Isidor (1913): Welcher Wert kommt den Erzählungen und Autobiographien der Homosexuellen zu? Archiv für Kriminalanthropologie 1913.
Isidor Sadger (1913): Über den sado-masochistischen Komplex. In: Jahrbuch für psychoanalytische und psychopathologische Forschungen, Bd. 5, 1913, S. 157-232
Isidor Sadger (1914):  Über Nachtwandeln und Mondsucht: eine medizinisch-literarische Studie. Schriften zur angewandten Seelenkunde Heft 16; Leipzig, Wien.
Sadger, Isidor (1914): Die Bedeutung des Vaters für das Schicksal der Tochter. Archiv für Frauenkunde un Eugenik 1, 1914, 329-339.
Sadger, Isidor (1914): Über Nachtwandeln und Mondsucht. Eine medizinsch-literarische Studie. Schriften zur angewandten Seelenkunde. Heft 16, Wien, Leipzig.
Sadger, Isidor (1914): zur Psychologie und Therapie des Tunichtgutes und de Trinkers. Wiener klinische Rundschau 2, 287-293.
Isidor Sadger (1915):  Neue Forschungen zur Homosexualität. Berlin: Fischer’s Medizinische Buchhandlung.
Sadger, Isidor (1920): Friedrich Hebbel. Ein psychoanalytischer Versuch. Schriften zur angewandten Seelenkunde. Heft 18. Wien, Leipzig.
Isidor Sadger (1921): Die Lehre von den Geschlechtsverirrungen (Psychopathia sexualis) auf psychoanalytischer Grundlage. Leipzig, Wien: Deuticke.
Isidor Sadger (1926): Ein Beitrag zum Verständnis des Sado-Masochismus. Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse, Bd. 7, Nr. 3-4, 413-421

Isidor Sadger (2006): Sigmund Freud. Persönliche Erinnerungen. Andrea Huppke und Michael Schröter (Hg.). Tübingen: edition diskord

Sekundärliteratur, Quellen:
Brome, Vincent (1982): Ernest jones. Freud’s Alter Ego. New York, London.
Fallen, Karl (1988): Wilhelm Reich in Wien. Psychoanalyse und Politik. Wien, Salzburg.
Graf-Nold, Angela (1988): Der Fall Hermine Hug-Hellmuth. Eine Geschichte der frühen kinder-Psychoanalyse. München, Wien.
Huber, Wolfgang (1980): die erst Kinderanalytikerin. In: Psychoanalyse als Herausforderung. Festschrift für I. A. Caruso. Wien. 125-134.
Huppke, Andrea und Schröter, Michael (2006): Annäherungen an einen ungeliebten Psychoanalytiker. Zu Isidor Sadger und seinen Erinnerungen an Freud. In: Sadger, Iisidor: Sigmund Freud. Persönliche Erinnerungen. Herausgegeben von Huppke, Andrea und Schröter, Michael (Hg.) Tübingen: diskord. 99-137.
Mühlleitner, Elke (1992): Biografisches Lexikon der Psychoanalyse. Die Mitglieder der Psychologischen Mittwoch-Gesellschaft und der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung 1902-1938. Tübingen: diskord.
Nunberg, Hermann, Federn Ernst (Hg.): Protokolle der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung. 4 Bände. Deutsche Ausgabe: Frankfurt am Main: S. Fischer 1976-1981. 2. Band 1977.
Fritz Wittels (1924): Sigmund Freud. Der Mann, die Lehre, die Schule.

Links:
http://de.wikipedia.org/wiki/Isidor_Sadger
http://www.zptp.eu/home.php?act=showmain&V_PRIMARY=42&ka=16&su=18&lang=1 (Friedl Früh: Rezension zu Sadger 2009)

Text: Christine Diercks 7.6.2010