Richard Sterba - Biographie: Sabine Janda

Während seines Militärdienstes im ersten Weltkrieg hörte Richard Sterba das erste Mal von der Psychoanalyse Sigmund Freuds. Angeregt durch die Gespräche einiger älterer Kameraden begann er mit der Lektüre von Freuds Schriften. Der literarische Stil sowie die klare und präzise Darstellung seiner Ideen nahmen ihn gleich gefangen und weckten sein Interesse. So stieß er 1924 zur Gruppe um Freud und begann seine psychoanalytische Ausbildung. Er war tief beeindruckt von Freud und entwickelte eine starke persönliche Bindung an ihn. Richard Sterba beschrieb seine Gefühlsbeziehung zu Freud mit den Worten von Goethe: „Gegen große Vorzüge eines anderen gibt es kein Rettungsmittel als die Liebe.“ Als er 1989 starb, verlor die Psychoanalyse mit ihm einen Mann, der seine Arbeit und sein Engagement mehr als 60 Jahre in den Dienst der Psychoanalyse gestellt hatte. Er hinterließ zahlreiche Publikationen, darunter seine „Erinnerungen eines Wiener Psychoanalytikers“, in denen er die Zeit seiner Ausbildung, die ersten Jahre als Analytiker, die Begegnung mit Freud und seine letzten Jahre in Wien schildert.

Richard Sterba wurde am 6. Mai 1898 in Wien als zweiter Sohn in eine kleinbürgerliche, katholische Familie geboren. Sein Vater, Joseph Sterba, war Professor für Mathematik und Physik an einem Lyzeum für Mädchen, seine Mutter, die Schneiderin Mathilde Fischer, trug durch ihre Berufstätigkeit wesentlich zum Erhalt der kleinen Familie bei. Sterba beschrieb seinen Vater als streng und autoritär, der auch körperliche Züchtigung als Erziehungsmittel einsetzte. Sein ungeselliges Wesen führte dazu, dass Freunde und Schulkollegen nur sehr selten zu Besuch kamen. Die Mutter wird dagegen als äußerst liebevolle und warmherzige Frau geschildert, die versuchte die Kinder vor der Strenge des Vaters zu beschützen.

In Sterbas Elternhaus spielte kulturelle Bildung nur eine geringe Rolle. Sein Vater interessierte sich nur für seine beruflichen Spezialgebiete, die höhere Mathematik und die theoretische Astronomie. In der Bibliothek der Familie Sterba fand sich deshalb nur Literatur zu diesen Themen, nach den Klassikern der deutschen Literatur suchte man vergebens.

Bereits mit 10 Jahren, ein Jahr früher als üblich, besuchte Richard Sterba das Staatsgymnasium im VII. Wiener Gemeindebezirk. Hier eröffnete sich ihm eine völlig neue Welt. Wie er in seinen Erinnerungen schreibt, verdankt er dem Gymnasium sein Interesse für Kunst und Literatur, die Kenntnis der klassischen Sprachen und die Erweiterung seines kulturellen Horizonts. Im Gymnasium erhielt er zwar eine umfassende humanistische Ausbildung, musikalische Erziehung gab es jedoch keine. Ein Umstand, den er sehr bedauerte, denn bereits in der Volksschulzeit zeigte er großes Interesse für das Violinspiel, sodass ihm seine Eltern gestatteten, Unterricht darin zu nehmen. In späteren Jahren wurde er sogar Schüler von Meistern wie Ottokar Sevcik, Rudolf Kolisch und Adolf Busch.

Im Mai 1916 wurde Sterba knapp vor seinem 18. Geburtstag und noch vor Ablegung der Matura zum Militärdienst einberufen und erhielt das Maturazeugnis, ohne die Prüfung ablegen zu müssen. Während seiner Militärzeit, während der er auch an zwei Isonzo-Schlachten teilnahm, hörte er zum ersten Mal von Sigmund Freud und seinen revolutionären Entdeckungen und begann auch die Werke Freuds zu lesen.

Nach Kriegsende studierte er an der Universität Wien Medizin und besuchte die Vorlesungen von Paul Schilder, einem Assistenten Wagner-Jaureggs, der ihm die Psychoanalyse theoretisch und anhand von klinischen Demonstrationen näher brachte. 1923, nach seiner Promotion zum Doktor der Medizin, trat Sterba eine Stelle als Sekundararzt in der Tuberkuloseabteilung des Wilhelminenspitals an.

Ermutigt durch Editha von Radanowicz-Hartmann, seine spätere Ehefrau, wandte er sich mit dem Wunsch, Psychoanalytiker zu werden, an das psychoanalytische Ambulatorium. Das Gespräch mit Eduard Hitschmann verlief jedoch äußerst ernüchternd. Er teilte Sterba mit, dass dieser so lange warten müsse, bis eines der Mitglieder der psychoanalytischen Vereinigung ihn unentgeltlich in Analyse nehmen könne. Die Möglichkeit zu einer psychoanalytischen Ausbildung rückte für ihn damit in weite Ferne. Anfang 1924 nutzte er die Möglichkeit und nahm an den öffentlich zugänglichen Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse teil, die von der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung veranstaltet wurden. Am ersten Abend, der von Storfer bestritten wurde, meldete sich Sterba zu einem Assoziationsexperiment. Unter den Anwesenden war auch Eduard Hitschmann. Dieser musste ziemlich beeindruckt gewesen sein, denn bereits wenig später wurde Sterba zur ersten Analysestunde eingeladen. Die Analyse war kostenlos, als Gegenleistung sollte Sterba sobald er dazu in der Lage war, unentgeltlich Patienten des Ambulatoriums analysieren.

Im Herbst 1924 übernahm Sterba auf Anregung Hitschmanns seinen ersten Analysefall, Kontrollanalytiker wurde Robert Hans Jokl. Aber bereits zu Beginn des zweiten Monats ergaben sich Schwierigkeiten und der Patient brach die Analyse abrupt ab. Zugleich mit dem Kontrollfall begann Sterba die Vereinssitzungen und das 1922 von Wilhelm Reich gegründete technische Seminar zu besuchen. Wilhelm Reich wurde auch zu einem wichtigen persönlichen Freund.

Als 1925 das Lehrinstitut der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung offiziell eröffnet wurde, gehörte Sterba neben Grete Bibring, seiner späteren Frau Editha und Eduard Kronengold zu den ersten Kandidaten. Zu seinen Lehrern zählten Siegfried Bernfeld, Hermann Nunberg, Theodor Reik, Paul Schilder, Robert Wälder und Eduard Hitschmann. Im Herbst 1925 wurde er außerordentliches Mitglied der Vereinigung, obwohl er erst am Anfang des Lehrgangs stand. Bereits im März 1928 wurde er ordentliches Mitglied.

Im Sommer 1926 hielt Sterba einen Vortrag „Über latente negative Übertragung“. Wilhelm Reich bot ihm daraufhin eine Stelle im psychoanalytischen Ambulatorium an. Sterba gab seine Spitalsstelle auf und begann im Herbst desselben Jahres im Ambulatorium zu arbeiten. Parallel dazu volontierte er an der Klinik von Wagner-Jauregg und nahm an der täglichen Visite von Paul Schilder teil, um seine psychiatrischen Kenntnisse zu erweitern.

In den Jahren 1924 bis 1926 bereitete der Internationale Psychoanalytische Verlag zu Freuds 70. Geburtstag eine Ausgabe seiner sämtlichen bis dahin publizierten psychologischen Schriften vor. Als elfter Band war ein Sachindex geplant, wobei ausgewählte Analytiker jeweils einen Band für das Sachregister bearbeiteten. Sterba wurde der Band IV mit „Zur Psychopathologie des Alltagslebens“ und „Zur Geschichte der psychoanalytischen Bewegung“ sowie Band VII mit „Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse“ zugeteilt. Danach arbeitete er gemeinsam mit Editha an der Zusammenführung der Einzelindizes in ein Gesamtregister, wobei beide für die Buchstaben S und T verantwortlich waren.

Im Dezember 1926 heirateten Richard und Editha Sterba. Das gemeinsame Einkommen erlaubte ihnen die Anschaffung einer Wohnung im 6. Wiener Gemeindebezirk, die so groß war, dass sie beiden ausreichend Platz zum Leben und für ihre psychoanalytische Tätigkeit bot. Die Wohnung war mit einem Telefon und Badezimmer ausgestattet und vermittelte Sterba das Gefühl, etwas im Leben erreicht zu haben.

1931 schlug ihm Storfer vor, gemeinsam ein Handwörterbuch der Psychoanalyse zu schreiben, da diese Aufgabe für ihn alleine zu zeitraubend wäre. Durch seine Mitarbeit am Gesamtindex sah sich Sterba der Herausforderung gewachsen. Aber bereits sehr bald ließ das Interesse von Storfer am gemeinsamen Unternehmen nach und Sterba arbeitete alleine weiter. Das Wörterbuch sollte in 16 Lieferungen erscheinen. Die erste Folge „Abasie-Angst“ erschien zu Freuds 80. Geburtstag im Mai 1936. In den folgenden zwei Jahren erschienen noch vier weitere Lieferungen. Der Einmarsch der Nazis setzte den geplanten Publikationen 1938 ein abruptes Ende. Der letzte gedruckte Artikel war „Größenwahn“. Die Arbeit am Handwörterbuch wurde in der Emigration nicht weiter fortgeführt, das Werk blieb unvollendet, Notizen und Typoskripte weiterer Einträge blieben aber erhalten.

Im November 1936 fand in der Wohnung Freuds eine besondere Vorstandssitzung der Vereinigung statt. Felix Böhm, der führende Analytiker der Berliner Gruppe war gekommen und berichtete über die Tätigkeit in Berlin: das Berliner Psychoanalytische Institut war vom Deutschen Psychotherapeutischen Institut vereinnahmt worden. Im Laufe der Sitzung lud Felix Böhm Sterba ein, am Berliner Institut einen Vortrag zu halten. Sterba konterte, dass er erst dann bereit wäre einen Vortrag zu halten, wenn zuvor ein jüdisches Mitglied der Wiener Vereinigung dort gesprochen hätte. Damit war das Thema erledigt. Der Besuch von Felix Böhm hinterließ bei den Wienern den Eindruck, dass dieser zwar den Namen der Psychoanalyse, aber nicht die Sache selbst am Deutschen Institut gerettet hatte.

Die Gefahr durch die Nazis wurde immer bedrohlicher. Das Leben war von Angst und Sorgen geprägt. Am Samstag, den 13. März 1938, einen Tag nach dem Einmarsch Hitlers in Österreich, berief Anna Freud den Vorstand der Vereinigung ein. Den Anwesenden war klar, dass die Annexion das Ende der Psychoanalyse in Wien bedeutete. Jedes Mitglied wurde nach seinen weiteren Plänen gefragt. Alle wollten auswandern. Auch Sterba, der einzige Nichtjude unter den Anwesenden, war entschlossen auszuwandern.

Um nicht als einziger Mediziner und Nichtjude mit einer offiziellen Funktion betraut zu werden, verließ Richard Sterba mit seiner Familie bereits am 16. März 1938 Wien, obwohl Professor Pötzl Sterba noch am Tag zuvor die Habilitation an der Neurologisch-Psychiatrischen Universitätsklinik angeboten hatte. Die Sterbas wollten zunächst in die Schweiz gehen, da es zu dieser Zeit für nichtjüdische Ärzte bereits schwierig war, das Land zu verlassen und um die Abreise nicht als Flucht aussehen zu lassen, beschlossen sie, getrennt zu reisen. In Basel wollte man sich treffen. Editha fuhr mit den beiden Töchtern und der Haushälterin über Venedig in die Schweiz. Richard Sterba wählte einen anderen Weg: auf Vorschlag einer holländischen Patientin suchte er am holländischen Konsulat um eine Bestätigung an, dass er die Patientin auf Wunsch ihrer Eltern in ihre Heimat begleiten solle, da ihre neurotische Verfassung eine Reise allein nicht zulassen würde. Am 17. März 1938 traf Richard Sterba in Basel ein, einen Tag später Editha mit den beiden Kindern und der Haushälterin. Die Familie fand bei einer alten Verwandten Unterkunft. Kurz nach der Ankunft in Basel suchte Richard Sterba das amerikanische Konsulat in Zürich auf, um für sich und seine Familie Einwanderungsvisa in die Vereinigten Staaten zu besorgen. Bei Editha ergaben sich jedoch unerwartete Schwierigkeiten. Da sie in Ungarn geboren war und die Quote für ungarische Asylwerber bereits erfüllt war, hätte sie 13 Jahre auf ein Visum warten müssen. Richard und Editha Sterba versuchten auf Anraten von Ernest Jones und Anna Freud ein Visum für Südafrika zu bekommen, um gemeinsam mit dem dort bereits ansässigen Analytiker Dr. Wolf ein psychoanalytisches Lehrinstitut aufzubauen. Die Einreise und Niederlassung wurden jedoch nicht bewilligt.

Die Schweizer Behörden legten der Familie Sterba immer eindringlicher nahe, das Land zu verlassen. So unternahm Richard Sterba einen weiteren Anlauf und bemühte sich erneut um ein Visum für die Vereinigten Staaten. Er schrieb an eine ehemalige Patientin und bat sie um ein sogenanntes „affidavit of support“, d.h. eine Erklärung, dass sie die Sterbas im Notfall unterstützen würde. Da sie bereits mehrere solcher Erklärungen abgegeben hatte, ließ ihre finanzielle Situation die Ausstellung einer weiteren nicht mehr zu. Doch eine Bekannte von ihr, die Romanschriftstellerin Laura Hobson, erklärte sich sofort dazu bereit. Laura Hobson arbeitete beim Time Magazine und nutzte ihren Einfluss bei den Behörden in Washington. Nach einigen Monaten erhielten die Sterbas endlich die ersehnten Visa und erreichten am 2. Februar New York. Nach einigen Wochen Aufenthalt in New York und Chicago, beschlossen sie, sich in Detroit niederzulassen.

In Detroit setzte Richard Sterba seine psychoanalytische Tätigkeit fort. Er wurde Gründungsmitglied und von 1946 bis 1952 Präsident der Detroit Psychoanalytic Society. Er war Mitglied der American Psychiatric Association, der American Psychoanalytic Association und nahm viele Jahre aktiv am wissenschaftlichen Leben der International Psychoanalytic Association teil. Er praktizierte in Amerika fast 50 Jahre als Analytiker. Sein Enthusiasmus und Engagement für die Psychoanalyse zeigten sich auch darin, dass er mit bereits weit über 70 Jahren noch an einer Arbeits- und Forschungsgruppe über Perversion und Aggression teilnahm, die monatlich in New York stattfand. Selbst nach seiner schweren Erkrankung im Jahr 1988 arbeitete er vom Bett aus unermüdlich weiter. Bis zu seinem Tod traf er sich mit Kollegen und Studenten. Sein letzter Artikel erschien 1990 posthum im „International Journal of Psychoanalysis“. Er spezialisierte sich auf psychoanalytische Studien über Künstler und schrieb Biografien über Beethoven und Michelangelo.

Richard Sterba starb am 24. Oktober 1989 in Grosse Pointe, Michigan. Sein Nachlass befindet sich im Sigmund Freud Museum in Wien.

Quellen:
Furst, Sidney S. (1990): Richard F. Sterba 1898-1989. Psa. Quarterly 59, 451-454.
Huber, Wolfgang (1977): Psychoanalyse in Österreich seit 1922. Wien-Salzburg.
Izner, Sanford M. (1990): Obituary Richard F. Sterba M.D. (1898-1989). IJP 71, 531-532.
Kerbl, Brita (1992): Die weiblichen Mitglieder der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung. Bibliographische Daten mit besonderer Berücksichtigung der Emigration. Wien: Diplomarbeit.
Mühlleitner, Elke (1992): Biographisches Lexikon der Psychoanalyse. Die Mitglieder der Psychologischen Mittwoch-Gesellschaft und der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung 1902-1938. Tübingen: edition diskord.
Schneiderbauer, Eleonore (1994): Richard und Editha Sterba. In: Frischenschlager, Oskar (Hg.): Wien, wo sonst! Die Entstehung der Psychoanalyse und ihrer Schulen. Wien, Köln, Weimar: Böhlau.
Sterba, Richard F. (1985): Erinnerungen eines Wiener Psychoanalytikers. Frankfurt/M.: Fischer Taschenbuchverlag.
Wechselberger, Sonja Christine (1996): Der Zauberer gegen die Angst. Dr. Editha Sterba 1895-1986, eine Kinderanalytikerin in der Frühzeit der Psychoanalyse, biographische und theoretische Annäherung. Innsbruck: Diplomarbeit.

Text: Sabine Janda, 2009
Redaktion: CD, 2009