Dorothy Burlingham - Biographie von Katharina Seifert

Dorothy Burlingham 1891- 1979      Auch: Dorothy Tiffany-Burlingham
           
Dorothy Trimble Tiffany-Burlingham wurde am 11.10.1891 in Manhatten, New York als jüngste von 7 Kindern, davon 6 Töchtern, von Louis Comfort Tiffany und seiner zweiten Frau, Luise Wakeman Knox, geboren. Ihr Vater war ein  berühmter Art Deco - Künstler, Designer und Begründer des Einrichtungs- und Glaskunst-Unternehmens Tiffany & Co. Ihre ersten 10 Lebensjahre waren auch die erfolgreichsten Jahre des Glasunternehmens Tiffany.

Ihre beiden älteren leiblichen Schwestern waren eineiige Zwillinge, mehr als 4 Jahre älter als sie. Ihre nächstältere Schwester war im Alter von 3,5 Jahren an Scharlach gestorben, als Dorothy 6 Monate alt war. Als Folge dieses Verlusts wurde ihre Mutter depressiv, und ihr Kindermädchen verglich sie immer mit der verstorbenen Schwester, mit deren Bild sie nie mithalten konnte.
Ihre älteste Halbschwester (May-May), die 18 Jahre älter war, übernahm von Anfang an eine Mutter-Rolle und war auch für ihre Namensgebung verantwortlich.
Neben ihren künstlerischen und extrovertierten Zwillingsschwestern fühlte sie sich als hässliches Entlein, und als die Jüngste immer ausgeschlossen - was ihr den Spitznamen “Me-too” eintrug.
Ihre Mutter starb als Dorothy 13 Jahre alt war.
Dorothy besuchte das Brearley College und die prestigereiche Mädchenschule St. Timothy’s in Catonsville, Maryland.

Dorothy Burlingham war die einzige ihrer Schwestern, die letzten Endes der patriarchalen Ordnung ihrer Familie entkam, und ihr Leben nach völlig neuen Richtlinien gestaltete. Sie wußte, dass sie dies der Psychoanalyse verdankte, und setzte sich ihr Leben lang für die Verbreitung der Psychoanalyse, und  der Anwendung der PA in der Erziehung ein.

1914 heiratet sie den Chirurgen Robert Burlingham, mit dem sie vier Kinder hatte. Die Ehe war aber wegen seiner schweren, als manisch-depressiv eingestuften, psychischen Erkrankung bald zerrüttet. 1921 trennte sie sich von ihm, und bemühte sich von da an, ihre Kinder von ihm und den Folgen seiner sich verschlimmernden Krankheit fern zu halten.
Diese familiären Probleme und die Vorlesungen Otto Ranks an der New York Academy of Medicine, die sie 1924 hörte, weckten ihr Interesse für Psychoanalyse.

1925 zog sie nach Wien, um für sich und ihren damals zehnjährigen Sohn Bob, der an Asthma litt, analytische Hilfe bei Sigmund Freud zu suchen. Ihr Sohn wurde von Anna Freud in Analyse genommen, wie bald darauf auch ihre anderen drei Kinder. Es entwickelte sich eine zunehmend enge Freundschaft zwischen den beiden Frauen, die mit der Zeit auch eine Arbeitsgemeinschaft wurde. Dorothy Burlingham bezog mit ihren Kindern eine Wohnung über der der Freuds in der Berggasse 19 (Wo es einen der ersten offenen Kamine in Wien gab! Mitteilung Ruth Hoch, geb. Bernstein, und Mitschülerin der Burlingham Kinder).
Dorothy Burlingham begann zunächst eine Analyse bei Theodor Reik, wechselte aber 1927 aus Anlass von Reiks Übersiedlung nach Berlin, und auf Betreiben Anna Freuds, zu Sigmund Freud. Aus ihrer Analyse wurde allmählich eine Lehranalyse.
Dorothy Burlingham gehörte gemeinsam mit Jenny Wälder, Editha Sterba, Anny Katan, Marianne Kris, Berta Bronstein, Willi Hoffer u.a. zur Gruppe der ersten Kinderanalytiker, die sich um Anna Freud in ihrem Seminar zur Technik der Kinderanalyse versammelten.
1932 wurde sie außerordentliches Mitglied der WPV, 1934 begann sie in ihrer eigenen psychoanalytischen Praxis zu arbeiten und wurde ordentliches Mitglied der WPV.

Ihre ersten analytischen Arbeiten entstanden aus ihrer persönlichen Situation als Mutter von Kindern, die in analytischer Behandlung waren, heraus: schrieb sie eine Reihe von Arbeiten über die Rolle der Mutter in der kinderanalytischen Behandlung, und über die empathische Beziehung zwischen Mutter und Kind.
Auf ihre Arbeit “Kinderanalyse und Mutter”, 1932, möchte ich hier besonders hinweisen. Darin behandelt sie, mit besonders interessanten Beispielen, zum einen die geradezu unheimliche unbewusste Verbindung des Kindes  mit seiner Mutter - ein Thema, das sie später in ihren Studien von den parallelen Analysen von Mutter und Kind in London wieder aufnahm.  Zum anderen weist sie auf die besonderen Probleme der Kinderanalytikerin der doppelten Gegen-Übertragung hin - der  zum Kind und zur Mutter, und die
doppelten Übertragungen: die des Kindes und die der Mutter.

Dorothy Burlingham  selbst war bis sie 11 Jahre war zu Hause privat unterrichtet worden, und die Situation ihrer Kinder, die nicht in die konventionellen Wiener Schulen passten, gab den Anstoß für ein erzieherisches Experiment,  ihr erstes gemeinsames Projekt mit Anna Freud:
1927 wurde die experimentelle „Hietzing-Schule“ gegründet, auf dem Grundstück von Eva Rosenfeld, in der die Burlingham Kinder und ca 10 andere Kinder, die auch in Analyse waren, nach psychoanalytisch fundierten und sehr liberalen Methoden unterrichtet wurden. Zwei der jungen Lehrer dort sollten später selbst als Psychoanalytiker weltberühmt werden: Peter Blos und Erik Homburger, später: E. H. Erikson.
1929 begann Dorothy Burlingham mit der Beobachtung und analytischen Arbeit mit blinden Kindern aus einem Wiener jüdischen Blindenheim.
Gemeinsam mit Anna Freud hielt sie ein psychoanalytisches Seminar für Kindergärtnerinnen der Stadt Wien und unterrichtete im Rahmen der von Willi Hoffer gegründeten psychoanalytischen Kurse für Pädagogen.
1937 gründete sie gemeinsam mit Anna Freud die „Jackson-Krippe“: eine experimentelle Krippe für 20 Kleinkinder zwischen ein und zwei Jahren aus den ärmsten Familien. Die Finanzierung erfolgte durch die amerikanische Kinderärztin und Psychoanalytikerin Edith Jackson, und durch Dorothy Burlingham selbst. Die „Jackson Krippe“ befand sich am Wiener Rudolfsplatz Nr. 5, in den Räumlichkeiten des „Hauses der Kinder“ der Montessori Gesellschaft. Die Tagesbetreuung von so kleinen Kindern stellte in der damaligen Zeit an sich schon ein Experiment dar, und gab den beteiligten Psychoanalytikerinnen die Möglichkeit, die psychische Entwicklung im zweiten Lebensjahr genau zu beobachten, und mit selbständigem Ess- und Spielverhalten zu experimentieren. 1937 erkrankte Dorothy Burlingham an Tuberkulose, und konnte an der Arbeit nicht mehr aktiv selbst teilnehmen.
Die Krippe wurde mit der NS Machtübernahme 1938 geschlossen.
Dorothy Burlingham flüchtete schon am 1. April 1938 in die Schweiz, nach Zürich, von wo aus sie die Vorgänge in Österreich intensiv verfolgte, täglich mit Anna Freud telefonierte,  und, trotz ihrer noch nicht ausgeheilten TB Erkrankung,  jüdischen Kollegen aktiv bei der Flucht half: durch die Verschaffung von Affidavits zur Ausreise in die USA. Ihre Verbindungen zur amerikanischen Botschaft waren schon vor dem Einmarsch der Nazis zum Schutz von Freud und seiner Familie aktiviert worden - der amerikanische Botschafter spielte eine zentrale Rolle zur Sicherung und für die Flucht der Familie Freud.

Sie selbst ging dann im Frühjahr 1938 auch gemeinsam mit den Freuds nach London, und ließ sich in einem eigenen Haus unweit der Freuds nieder. Von der Britischen Psychoanalytischen Gesellschaft wurde sie als Mitglied aufgenommen. Trotz verschiedentlich starker  Gefühle von Zerrissenheit - da inzwischen auch ihre Kinder großteils in den USA lebten, und England vom Krieg bedroht war, entschloss sie sich bald, in London und bei Anna Freud zu bleiben.
1939 reiste sie aus familiären Gründen in die USA, und wurde dann wegen des Kriegsausbruchs an einer baldigen Rückkehr gehindert. 1939 - 40 setzte sie ihre Studien über blinde Kinder am Perkins Institute of Watertown, Connecticut fort. Im April 1940 zog sie endgültig nach London und wurde als Lehranalytikerin anerkannt. Sie begann sofort wieder, sich für die Verbreitung psychoanalytischen Denkens unter Pädagogen einzusetzen.
Trotz ihrer allgemeinen Zurückhaltung und ihres stillen Wesens, ergriff sie bereits sehr früh (Dezember 1938) aktiv das Wort in Diskussionen mit der kleinianischen Mehrheit der Britischen Psychoanalytischen Gesellschaft. Sie  empfand das Klima dort und das Fehlen des sexuellen Aspekts in den analytischen Vorträgen sehr bedrückend. In Briefen (an Edith Jackson) äußerte sie ihre Sehnsucht und ihre Trauer über den Verlust Wiens und die frühe Überzeugung, dass London nicht Jabneh sein werde. (268: MJ B.).

Dorothy Burlingham und  Anna Freud gründeten gemeinsam mit viel Elan 1940 die „Hampstead War Nurseries“, und verfassten gemeinsam mehrere Arbeiten über den Einfluss der Kriegsereignisse und die Fremdunterbringung auf die seelische Entwicklung junger Kinder. Aus pädagogischer Sicht stellten die War Nurseries die Fortsetzung der in der Jackson Nursery entwickelten Ansätze dar.
Nach dem Krieg lebte Dorothy Burlingham mit Anna Freud in einer Lebens- und Arbeitsgemeinschaft, die außerordentlich produktiv war. Dorothy Burlingham war an der Gründung der Hampstead Clinic beteiligt und danach in leitender Rolle an der „Hampstead Clinic and Child Therapy Course“, und als Lehranalytikerin tätig.

Eines ihrer ersten Projekte war die gleichzeitige Analyse (durch zwei Analytiker) von Müttern und ihren Kindern, mit deren Hilfe geklärt werden sollte, wie die Neurose der Mutter sich auf ihr Kind auswirkt. (Burlingham u.a. 1955).
Sie entwickelte den Hampstead Index, ein Kartei-System, um unter analytischen Stichwörtern den Verlauf von Analysen darstellen zu können. Auf diese Weise konnte analytisches Material vergleichbar und vielen Forschern zugänglich gemacht werden.
Ihre Studien zur Entwicklung und Behandlung von blinden Kindern, und die von ihr dazu initiierten Projekte an der Hampstead Clinic waren bahnbrechend und von bleibendem Einfluss auf die Erziehung und Betreuung blinder Kinder in England. Sie gründete neben der Hampstead Nursery einen eigenen kleinen Kindergarten für blinde Kinder (im Garten des Hauses Maresfield Garden 21). Ein weiteres Hauptinteresse war das Studium der frühen Entwicklung eineiiger Zwillinge.

Aufgrund ihrer äußerst bescheidenen und zurückhaltenden Persönlichkeit erhielten ihre Arbeiten und der Beitrag, den sie zur Psychoanalyse geleistet hat, nicht die Anerkennung, die ihnen gebühren würde.

Dorothy Tiffany-Burlingham starb am 19. November 1979 in London.

Text: Katharina Seifert, 2008, überarbeitet 1.10.1024
Redaktion: CD, 2008, 23.10.2014